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Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
DR. FRITZ OESTERLE
Berlin - Celesio - das ist Fritz Oesterle. Bis jetzt. Zwölf Jahre lang stand der promovierte Jurist an der Spitze des Stuttgarter Pharmahändlers, der unter seiner Führung zum europäischen Branchenprimus aufstieg - und dann doch von jenen Mitbewerbern überholt wurde, die jahrelang im Windschatten gefahren waren. Oesterle und Celesio, das waren Apothekenketten, EuGH und zuletzt das Joint Venture mit Medco. Jetzt geht der Konzernchef, der manchmal mehr Stratege als Betriebswirt, mehr Lobbyist als Unternehmenslenker war.
Stratege und Betriebswirt: Dr. Fritz Oesterle leitete zwölf Jahre lang die Geschicke von Celesio. Foto: Elke Hinkelbein
Oesterle wird 1952 in Stuttgart geboren und studiert
Rechtswissenschaften an der Universität Tübingen. 1976 legt er sein
Staatsexamen ab, 1979 promoviert er, 1981 wird er als Anwalt zugelassen.
Alles mit Auszeichnung. Dann arbeitet er als Partner bei der
Stuttgarter Kanzlei „Gleiss Lutz Hootz Hirsch & Partner", aus der er
1988 im Streit ausscheidet. Im selben Jahr steigt als Partner Dr. Bernd
Scheifele ein. Ebenfalls Jurist, wird Scheifele später für Adolf
Merckle den Pharmagroßhändler Phoenix aufbauen und als dessen
Vorstandschef Oesterles Kontrahent werden.
Mit einem Partner gründet Oesterle 1989 die Kanzlei Oppenländer, die 20
Jahre später die saarländische Apothekerin Helga Neumann-Seiwert vor dem
EuGH gegen die Celesio-Tochter DocMorris vertreten wird. Als Anwalt
vertritt Oesterle in den 1990er Jahren neben verschiedenen Apothekern,
die keine Lust auf diverse apothekenrechtliche Vorschriften haben, den
Stuttgarter Pharmagroßhändler Gehe.
Der erkennt das strategische und juristische Talent des Advokaten,
schickt Oesterle 1998 auf die Havard Business School und macht ihn
schließlich zum Vorstandschef. Gehe hat gerade begonnen, im Ausland
zuzukaufen, und Oesterle soll den Großhändler zum internationalen
Konzern machen. So wird Gehe 2002 zu Celesio.
Von Stuttgart in die ganze Welt: Celesio ist in 27 Ländern aktiv und beschäftigt rund 47.000 Mitarbeiter. Foto: Elke Hinkelbein
Die Geschäfte laufen gut, jahrelang kann Oesterle nicht nur immer neue
Rekordzahlen melden, sondern auch kräftig Geld ausgeben. Gekauft wird
vor allem in Westeuropa; als Chef eines börsennotierten Unternehmens
fehlen Oesterle die Freiheiten, die Scheifele hat. Doch das
Apothekenrecht - seit seiner Selbstständigkeit Oesterles Spezialthema -
setzt der Expansion als Kettenkonzern Grenzen. Und so beschwert sich
Celesio im Sommer 2004 bei der EU-Kommission über das italienische
Fremdbesitzverbot für Apotheken.
Dem Konzernchef ist klar, dass er etwas ändern muss - und so beginnt die
Zeit des Strippenziehens. Oesterle macht den ehemaligen Staatssekretär
im baden-württembergischen Staatsministerium und Direktor für Politik
und Außenbeziehungen von Daimler, Matthias Kleinert, zum Cheflobbyisten.
Ab 2004 geben sich Politiker bei Celesio die Klinke in die Hand. Auch
als Britischer Honorarkonsul knüpft Oesterle ab 2006 Kontakte.
Ende April 2007 platzt die Bombe. Bei der Hauptversammlung in Stuttgart
verkündet Oesterle den überraschten Aktionären, dass er DocMorris
gekauft hat. Doch allerspätestens seitdem das EuGH-Verfahren um die
Saarbrücker DocMorris-Apotheke läuft, ist die niederländische
Versandapotheke der ärgste Feind der deutschen Apotheker. Während die
Presse jubelt und die Investoren kaufen, kündigen die Kunden. Oesterle
ist entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen, und macht alles
noch schlimmer.
Die Wirtschaftspresse liebt den smarten Konzernchef, der sich mit den
vermeintlich mächtigen Apothekern - man könnte auch sagen: seinen Kunden
- anlegt. Wann immer es um den Apothekenmarkt geht (und um den geht es
oft in jenen Tagen), bekommt Oesterle Raum. Er lehnt sich weit aus dem
Fenster und lässt keine Gelegenheit aus, um das bestehende System
schlecht zu reden und Reformbedarf zu suggerieren. Es funktioniert: Er
ist der Neugestalter, der Revolutionär, der Draufgänger, der
Rennwagenfahrer und sogar der kettensägende Hobby-Förster. Bis zum 19.
Mai 2009.
Lange Tradition: Celesio geht auf den Dresdner Pharmahändler Franz Ludwig Gehe zurück. Foto: Elke Hinkelbein
Als der EuGH zum Fremdbesitzverbot für Apotheken entscheidet, wird es
für Oesterle schwer. Der Jurist kann sich zu jenem Zeitpunkt schließlich
beide Verfahren auf die Fahne schreiben und hat alles auf eine Karte
gesetzt. „Nicht verloren, nur nicht gewonnen", Oesterle spricht von
„großer Klarheit" und „Planungssicherheit". Aber wovon soll er auch
sonst sprechen. Als DocMorris-Chef Ralf Däinghaus geht, rechnet so
mancher auch mit Oesterles Abgang.
Doch Oesterle bleibt. Trotz roter Zahlen und Abschreibungen, die er
ausgerechnet bei seinen Apotheken vornehmen muss. Ein Jahr später
zeichnet sich sogar ein Plan B ab: Nicht allzu kreativ, dafür aber
flexibel will Oesterle das amerikanische Modell adaptieren. Oesterle
macht die Not zur Tugend: Statt über eigene Filialen soll sich Celesio
als Schnitt- und Kommandostelle zwischen Krankenkassen und Apotheken
positionieren. Celesio als Lieferant und Abnehmer, die Apotheken
dazwischen. Mit Medco findet sich ein starker Partner, mit der FDP ein
passender Ansprechpartner in der Politik. Nur Oesterle wird nicht mehr
dabei sein. Haniel sucht einen neuen Konzernlenker - mit weniger
Charakter und weniger Risiko.
Patrick Hollstein, Mittwoch, 16. März 2011, 17:05 Uhr
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