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Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
GERICHTSURTEIL
In einer aktuell veröffentlichten Entscheidung vom 9. September 2010 hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) im Rahmen eines Wettbewerbsprozesses mit den Grenzen der Herstellung sog. Defekturarzneimittel im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG befassst.
Der Fall:
Die Beklagten forschen an einem Mittel zur Behandlung aktinischer Keratosen. Eines ihrer Arzneimittel, BF-200 ALA, das wie Metvix® unter anderem zur Behandlung von oberflächlichen bösartigen krankhaften Veränderungen der Oberhaut geeignet ist, befindet sich zur Zeit im Zulassungsverfahren in einer klinischen Studie der Phase IIb/III. "ALA" ist die Abkürzung für den verschreibungspflichtigen Wirkstoff Amino-lävulinsäure, der chemisch mit dem Wirkstoff in Metvix® verwandt ist. "BF-200" ist die Bezeichnung einer für die B. -Gruppe patentgeschützten Nanoemulsion, die im Vergleich zu anderen Emulsionen, in die der Wirkstoff ALA eingebracht werden kann, die Stabilität der Rezeptur deutlich erhöht.
Die für die photodynamische Therapie bestehende Nachfrage an ALA-haltigen Rezepturen wird in Deutschland zur Zeit nicht nur durch Fertigarzneimittel, sondern auch durch Rezepturen und Defekturen befriedigt, die auf ärztliches Rezept hin von Apothekern auf der Grundlage anderer Wirkstoffträger hergestellt werden.
Im Jahr 2007 gingen die Beklagten mit zwei Apotheken im Bundesgebiet eine Kooperation ein. Die beiden Apotheken erhielten dabei die Lizenz, die Rezeptur aus BF-200 und ALA (im Weiteren: BF-200-ALA-Rezeptur) herzustellen und auf ein entsprechendes Rezept hin an Ärzte abzugeben; die Beklagten zu 1 und 2 stellten den Apotheken die Nanoemulsion BF-200 zur Verfügung.
Im Rahmen verschiedener Fachmessen und -tagungen stellten die Beklagten die BF-200-ALA Rezeptur vor und bewarben diese mit einer Informationsbroschüre, in der die Wirkweise der Rezeptur beschrieben wurde. Außerdem hielten sie Bestellscheine für den Bezug von "5-ALA Nanoemulsion Gel 3%" von den beiden mit ihr kooperierenden Apotheken nebst weiteren Informationen bereit.
Die Entscheidung:
Die Beklagten wurden sowohl in erster, als auch in zweiter Instanz zur Unterlassung dieser Werbemaßnahmen verurteilt. Insoweit stellten die Voristanzen einen Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG und § 3a HWG fest. Nach Ansicht der Vorinstanzen hatten die Beklagten mit vorbeschriebenem Vertriebskonzept - entgegen den gesetzlichen Vorgaben - für das in der Bundesrepublik nicht zugelassene Arzneimittel "BF-200 ALA" geworben.
Der BGH hält an dieser Wertung fest, wenn auch mit anderer Begründung.
Nach Ansicht des BGH hat der Gesetzgeber mit der Ausnahmeregelung in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG nur die traditionelle "verlängerte Rezeptur" zulassen, eine industrielle Herstellung aber gerade ausschließen wollen. Aus diesem Grund sei bei der Beurteilung der Frage, ob eine Defektur im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt und vertrieben werde, auch der weitere Zusammenhang von Bedeutung, in dem diese Tätigkeiten erfolgten. Die Zusammenarbeit der Beklagten mit den beiden Kooperationsapotheken sei dadurch geprägt, dass die Beklagten die Bewerbung des bundesweiten Vertriebs des Präparats BF-200 ALA einschließlich der Benennung der beiden Kooperationsapotheken vornähmen. Da die Herstellung des Präparats zudem unter Zulieferung der patentgeschützten Nano-Emulsion auf der Grundlage einer von den Beklagten erteilten Lizenz erfolge, hielten die Beklagten das Geschehen maßgeblich in Händen. Selbst wenn die beiden Apotheken die wesentlichen Schritte zur Herstellung von BF-200 ALA im pharmazeutischen Sinn selbst ausführten und die Beklagten nicht unmittelbar an der Endkontrolle des Produkts beteiligt seien, handele es sich bei der von den Beklagten initiierten, nur aufgrund einer ausgesuchten Apothekern erteilten Erlaubnis zulässigen und bundesweit beworbenen Herstellung eines Arzneimittels nicht um eine im üblichen Apothekenbetrieb ausgeführte traditionelle verlängerte Rezeptur. Zum üblichen Apothekenbetrieb gehöre nach wie vor nicht, dass eine Apotheke als ausgelagerter Produktionsbetrieb eines Pharmaunternehmens verwendet werde und der Apotheker damit dessen "Fertigungshandlanger" sei.
Da § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG eine Ausnahme von der für Arzneimittel nach § 21 Abs. 1 AMG grundsätzlich bestehenden Zulassungspflicht darstelle, müsse die Norm restriktiv angewandt werden. Die - insgesamt fünf - Voraussetzungen der in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG enthaltenen Ausnahmeregelung müssen daher kumulativ erfüllt sein. Der Umstand, dass alle wesentlichen Herstellungsschritte in einer Apotheke erfolgen, reicht daher dann nicht für die Bejahung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG aus, wenn diese Herstellungsschritte in der Apotheke nicht im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs vorgenommen werden.
Bewertung:
Das OLG Hamburg hatte noch angenommen, das beworbene Fertigarzneimittel werde bei dem angekündigten bundesweiten Vertrieb über die Apotheken nicht "im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs" gem. § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG hergestellt, da Defekturarzneimittel nur im regional begrenzten üblichen Versorgungs- und Einzugsbereich einer Apotheke abzugeben und hierfür herzustellen sind.
Diese Ansicht teilt der I. Zivilsenat des BGH offensichtlich nicht. Zwar lässt das Gericht die Beantwortung dieser Frage ausdrücklich offen, doch kann ein derartig restriktives Verständnis auch vor dem Hintergrund europäischer Grundfreiheiten und den tatsächlichen Gegebenheiten in der heutigen Apothekenlandschaft keinen Bestand haben. Folgte man nämlich der Ansicht des OLG Hamburg, so hätte dies zur Folge, dass Defekturarzneimittel gänzlich aus dem Angebot von Versandhandelsapotheken ausgenommen werden müssten. Eine solches Verständnis ist der Norm des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG hingegen nicht zu entnehmen; es wird den aktuellen Marktgegebenenheiten auch nicht gerecht. Vielmehr nimmt das Versandhandelsgeschäft auch im Apothekensektor mehr und mehr zu und gilt als gesellschaftlich, wie rechtlich akzeptiert. Warum vor diesem Hintergund der Versand eines Defekurarzneimittels beispielsweise von Berlin nach München nicht mehr von § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG gedeckt sein sollte, erschließt sich nicht. Insoweit ist nach hiesiger Ansicht zwischen der in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG genannten Herstellung und dem Vertrieb zu unterscheiden. Letzterer ist gerade NICHT Gegenstand der gesetzlichen Beschränkungen.
Auch sonst ist der Entscheidung des BGH zuzustimmen. Die Regelungen des § 21 Abs. 2 AMG sind als Ausnahmevorschriften ausgestaltet, deren Anwendung einer besonders kritischen Prüfung bedarf. Ist der Apotheker im Rahmen der Herstellung von Defekturarzneimitteln daher nicht mehr "Herr" seiner Entscheidungen, sondern fungiert nur noch als verlängerter Arm der Pharmaindustrie (als "Handlanger"), kann von einer Herstellung im üblichen Apothekenbetrieb nicht mehr ausgegangen werden.
In dem vorliegenden Fall sind nur die Pharmahersteller in Anspruch genommen worden. Die Verpflichtung trifft jedoch gleichsam auch den Apotheker selbst. Wer sich an Konstruktionen, wie der vorstehenden beteiligt, riskiert daher selbst kostenpflichtige Abmahnungen.
Dr. Robert Kazemi
Kazemi
& Lennartz Rechtsanwälte, Bonn
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