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Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
NEUE ALLGEMEINE GESUNDHEITSZEITUNG FÜR DEUTSCHLAND / AUSGABE FEBRUAR 2012
Essen - Arzneimittel sind Waren besonderer Art. Wer das immer noch nicht begriffen hat, ist die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). In ihrem Bemühen, zu allem und jedem einen Kommentar abzugeben – und sei er noch so abwegig – hat sie sich jetzt wieder einmal den Arzneimittelmarkt vorgeknöpft. Doch die Forderungen nach Liberalisierung auf dem Apothekenmarkt zeigen nur, wie wenig man bei der BDA vom harten Wettbewerb in diesem Markt versteht. In ihrer Februarausgabe legt die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung dar, warum die Analyse und die Vorschläge der BDA zum Apothekenmarkt falsch sind und welche fatalen Folgen sie in der Praxis haben würden. Und sie zeigt auf, wie wichtig die Funktion der wohnortnahen Apotheke für den Patienten und den verantwortungsvollen Umgang mit Arzneimitteln ist.
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint
monatlich mit der Auflage von 1 Million Exemplaren und ist kostenlos in
Apotheken deutschlandweit erhältlich.
ARZNEIMITTEL SIND WAREN BESONDERER ART
Vorschläge des Arbeitgeberverbandes sind deshalb unbrauchbar
Arbeitgeber sind Unternehmen und Unternehmer, die Menschen Arbeit
geben. Auch Freiberufler, wie Rechtsanwälte, Architekten, Steuerberater,
Ärzte und Apotheker, sind Arbeitgeber. Auch sie beschäftigen
Arbeitnehmer, investieren, tragen Risiken und kämpfen in ihren
jeweiligen Märkten um wirtschaftlichen Erfolg. Doch nicht selten kämpfen
sie ums Überleben.
Die Arbeitgeber vieler Branchen sind in Verbänden zusammengeschlossen.
Dachorganisation ist die Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände (BDA). In ihr sind 52 Bundesfachspitzenverbände aus
Handel, Handwerk, Industrie, Dienstleistungen und Landwirtschaft
vertreten. Wenn die BDA zu wirtschafts- und sozialpolitischen Themen
Stellung nimmt, merkt die Öffentlichkeit auf. Umso ärgerlicher, wenn die
Verfasser einer solchen Stellungnahme schlampig recherchiert, schlecht
analysiert und die falschen Schlüsse gezogen haben.
Genau dies ist jetzt passiert. Das Bundesgesundheitsministerium hatte
im Dezember den Referentenentwurf zum „Zweiten Gesetz zur Änderung
arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ veröffentlicht. Die
Anpassung an europäische Vorgaben und Rechtsprechungen zum Thema
„Arzneimittel“ war überfällig. Unter anderem müssen Vorschriften zur
Herstellung von Arzneimitteln, der Versorgung der Bevölkerung mit
Medikamenten und der Verhinderung von Arzneimittelfälschungen neu
gefasst oder ergänzt werden.
Die Apotheker haben zwar Verbesserungsvorschläge angemeldet. Auch
monieren sie die fehlende Umsetzung von Vereinbarungen, die CDU und FDP
im Koalitionsvertrag geschlossen hatten. Dazu gehört zum Beispiel das
fehlende Verbot von sogenannten „Pick-up-Stellen“ – Abholstellen in
Drogerien und Supermärkten für im Versandhandel bestellte Medikamente.
Doch haben die Apotheker an weiten Passagen des Referentenentwurfes
nichts auszusetzen.
Nicht so die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Die
BDA ist mit den – nach ihrer Auffassung zu geringen – gesetzlichen
Änderungen in Bezug auf den Arzneimittelmarkt in keiner Weise
einverstanden. Sie ärgert, dass der Referentenentwurf die bestehenden
Strukturen des Arzneimittelmarktes nicht grundsätzlich in Frage stellt.
Vielmehr stellt die BDA in einer aktuellen Stellungnahme erneut
Forderungen nach einer vollständigen „Liberalisierung“ des
Arzneimittelmarktes. Würde der Gesetzgeber sie erfüllen, wäre dies das
Ende der Apotheke „vor Ort“, wie sie sich im helfenden und beratenden
Umgang mit Patienten und Kunden täglich neu bewährt.
Wie sehen die Vorschläge des Arbeitgeberverbandes aus und was ist falsch daran?
Grundsätzlicher Fehler der BDA-Stellungnahme ist die (bewusste?)
Nicht-Berücksichtigung der Tatsache, dass Arzneimittel keine Produkte
wie beliebige Lebens- oder Genussmittel sind.
Arzneimittel sind „Waren besonderer Art“. Nicht nur der kranke Mensch
weiß das. Arzneimittel heilen und lindern. Sie können Nebenwirkungen
haben, die es zu minimieren gilt. Wechselwirkungen zwischen mehreren
Medikamenten müssen erkannt und im Sinne des Patienten bewertet werden.
Manche Arzneimittel können Menschen süchtig machen. Das muss erkannt und
verhindert werden. Gefälschte Arzneimittel können tödliche Folgen
haben. Zumindest aber können sie schwere gesundheitliche Schäden
verursachen. Arzneimittel brauchen Beratung, schwerer erkrankte
Patienten benötigen psychosoziale Betreuung. Dafür steht der Apotheker
in seiner Apotheke – vor Ort, Tag für Tag, und regelmäßig auch nachts.
Damit steht Deutschland nicht allein. Jedes europäische Land sieht das genauso.
Leugnet man die Tatsache, dass Arzneimittel Waren besonderer Art sind,
kommt man zu falschen Schlussfolgerungen. Denn wenn der erste Knopf der
Jacke falsch geknöpft ist, sind alle anderen auch falsch. So geschehen
in der Stellungnahme des Arbeitgeberverbandes. Dann muss man für
personell ausgedünnte Apothekenketten plädieren und für die Stärkung des
beratungsfernen Versandhandels. Dann muss man die Gefahren des
Eindringens von Arzneimittelfälschungen via Internet ebenso negieren wie
die des erleichterten Arzneimittelmissbrauchs. Dann muss man Argumente
für die unkontrollierten und unkontrollierbaren Abholstellen in
Drogeriemärkten, Tankstellen und Blumenläden für im Versandhandel
bestellte Medikamente notfalls an den Haaren herbeiziehen. Dann muss man
auch fordern, dass ausländische Versandhandelsfirmen die aus guten
Gründen festgelegten deutschen Arzneimittelpreise unterbieten dürfen.
Pech nur, dass der Bundesgerichtshof soeben entschieden hat, dass sich
Arzneimittelversender mit Sitz im Ausland streng an die deutsche
Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente halten müssen.
Überhaupt die Preisbindung für Arzneimittel. Sie ist dem
Arbeitgeberverband ein Dorn im Auge. Er plädiert für die ersatzlose
Streichung im Glauben, dann sei endlich Wettbewerb zwischen den
Apotheken. Der würde dann alles billiger machen. Das ist der zweite
gravierende Irrtum des Gutachtens: Wettbewerb wird nur als
Preiswettbewerb verstanden. Doch Preiswettbewerb ist nur die eine Seite
der Medaille. Qualitäts- und Service-Wettbewerb sind mindestens genauso
wichtig. Würde die deutsche Exportindustrie nicht den
Qualitätswettbewerb auf den globalen Märkten gewinnen – und dafür einen
angemessenen Preis erzielen – wäre sie längst pleite. So aber ist sie
führend in der Welt. Seltsam, dass ausgerechnet der Arbeitgeberverband
diesen Zusammenhang im Gesundheitswesen nicht erkennen kann oder will.
Wie die Wirklichkeit auf dem Arzneimittelmarkt aussieht, erschließt
sich dem Arbeitgeberverband nicht. Unter den Apotheken herrscht heute
schon ein gnadenloser Wettbewerb. Der Prozess des Ausdünnens hat längst
begonnen. Dass er sich weiter verstärken wird, steht außer Frage. Der
Grund liegt in dramatisch verfallenden Erträgen, denn die Politik
weigert sich seit Jahren, die staatlich festgelegte Vergütung für die
Abgabe von rezeptpflichtigen Arzneimitteln zu erhöhen. Gleichzeitig sind
die Kosten überproportional gestiegen. Der Grund: Zahllose
Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Arzneimittelherstellern
erfordern permanent steigenden Verwaltungs- und Beratungsaufwand, der
unbezahlt bleibt. Dass es Krankenkassen gibt, die die Bezahlung teurer
Rezepte schuldig bleiben, verstärkt den Druck noch.
Doch der Arbeitgeberverband will nicht nur freie Preisbildung für alle
Arzneimittel, er plädiert auch für die Möglichkeit, dass Krankenkassen
darüber hinaus Lieferverträge mit einzelnen Apotheken abschließen
dürfen. Das wäre dann das Ende für tausende Apotheken und ebenso viele
Standorte.
Dass ausgerechnet die höchste Organisation der deutschen Wirtschaft die
volkswirtschaftlichen Kosten – Zeitverluste durch größere Entfernungen,
höhere Straßenbelastung, Autokosten, Benzinvergeudung,
Umweltverschmutzung – außer Acht lässt, ist schon peinlich genug. Denn
die über vier Millionen Menschen, die jeden Tag eine Apotheke aufsuchen,
müssten dann womöglich weite Wege auf sich nehmen.
Dass die zusätzlichen psychischen und physischen Belastungen des
kranken Menschen, der meist so schnell wie möglich nach Hause will, auch
keine Rolle zu spielen scheinen, ist nur traurig.
ARZNEIMITTEL SIND KEINE GUMMIBÄRCHEN
Ein Kommentar der Redaktion
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist weiß Gott
kein kleiner Laden. Immerhin repräsentiert sie drei Viertel der
gewerblichen Wirtschaft. Ihre Stellungnahmen zu wirtschafts- und
sozialpolitischen Themen müssen Hand und Fuß haben.
Doch ihre Stellungnahme zum Referentenentwurf des
Gesundheitsministeriums zum „Zweiten Gesetz zur Änderung
arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ hatte weder Hand noch
Fuß: falsche Prämissen, unhaltbare Schlussfolgerungen und daher
unbrauchbare Vorschläge. Ohne Sachkenntnis geht es eben nicht.
Arzneimittel sind Waren besonderer Art und keine Gummibärchen. Das
sollte endlich auch dem Arbeitgeberverband klar werden.
NOWEDA eG
Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland
Heinrich-Strunk-Straße 77
45143 Essen
Telefon: 0201/802-0
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