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Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
Steuer & Recht
Sieht das nationale Recht einen Anspruch der Familienangehörigen des Opfers
eines Verkehrsunfalls auf Ersatz des erlittenen immateriellen Schadens vor,
muss die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung diesen Schaden
decken.
In einem solchen Fall erstreckt sich die im Unionsrecht für Personenschäden
vorgesehene Mindestdeckung auch auf den immateriellen Schaden.
Nach der Ersten Richtlinie der Union im Bereich der obligatorischen
Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen,
dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch
eine Versicherung gedeckt ist. Zwar steht es den Mitgliedstaaten frei, die von
dieser Versicherung gedeckten Schäden sowie die Modalitäten der Versicherung zu
bestimmen, doch sieht die in diesem Bereich erlassene Zweite Richtlinie vor,
dass die Versicherung Personenschäden in Höhe von mindestens 1.000.000 Euro je
Unfallopfer oder 5.000.000 Euro je Schadensfall (dann ungeachtet der Zahl der
Geschädigten) decken muss. Für Sachschäden beträgt die Mindestdeckung,
ungeachtet der Zahl der Geschädigten, 1.000.000 Euro je Schadensfall.
Rechtssache C-22/12
Herr Haas kam am 7. August 2008 im tschechischen Hoheitsgebiet bei einem
Verkehrsunfall ums Leben, der von Herrn Petrik als Fahrer eines Frau Holingova
gehörenden Personenkraftfahrzeugs verursacht wurde.
Das in der Slowakei zugelassene Fahrzeug von Frau Holingova, in dem Herr Haas
saß, stieß mit einem in der Tschechischen Republik zugelassenen Lastkraftwagen
zusammen. Herr Petrik, der diesen Unfall verschuldet hatte, wurde u. a. zum
Ersatz des Frau Haasova, der Ehefrau des Todesopfers, durch den Unfall
entstandenen Schadens verurteilt. Frau Haasova und ihre Tochter verlangen aber
zudem vom Versicherer von Frau Holingova Ersatz des durch den Verlust ihres
Ehemanns und Vaters entstandenen immateriellen Schadens.
Das mit dem Rechtsstreit befasste Gericht führt aus, nach dem seines Erachtens
im vorliegenden Fall anwendbaren tschechischen Zivilrecht habe eine natürliche
Person Anspruch auf Ersatz des aus einer Beeinträchtigung der Unversehrtheit
ihrer Person herrührenden immateriellen Schadens. Der Versicherer von Frau
Holingova ist jedoch der Ansicht, dass sich die Deckung der obligatorischen
Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung nach slowakischem Recht nicht auf
immaterielle Schäden erstrecke, und lehnt daher den Ersatz eines solchen
Schadens ab.
Der Krajsky sud v Presove (Regionalgericht von Presov, Slowakei) möchte vom
Gerichtshof wissen, ob die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung
immaterielle Schäden von Personen decken muss, die den Todesopfern eines
Verkehrsunfalls nahestanden.
Der Gerichtshof weist in seinem Urteil zunächst darauf hin, dass zwischen der
Pflicht der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung zur Deckung von Schäden, die
durch Kraftfahrzeuge entstehen, und dem Umfang des Ersatzes dieser Schäden im
Rahmen der Haftpflicht des Versicherten zu unterscheiden ist. Erstere ist
nämlich durch die Unionsregelung festgelegt und garantiert, Letzterer hingegen
im Wesentlichen durch das nationale Recht geregelt.
Dabei steht es den Mitgliedstaaten nach wie vor grundsätzlich frei, im Rahmen
ihrer Haftpflichtvorschriften zu regeln, welche von Kraftfahrzeugen
verursachten Schäden zu ersetzen sind, welchen Umfang dieser Schadensersatz hat
und welche Personen Anspruch darauf haben. Um die bezüglich des Umfangs der
Versicherungspflicht zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
fortbestehenden Unterschiede zu verringern, wurde jedoch durch die Union auf dem
Gebiet der Haftpflicht eine Deckungspflicht für Sach- und Personenschäden in
bestimmter, in der Zweiten Richtlinie festgelegten Höhe eingeführt. Die
Mitgliedstaaten müssen daher die gedeckten Schäden sowie die Modalitäten der
Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung unter Berücksichtigung der Regeln des
Unionsrechts bestimmen.
Sodann führt der Gerichtshof aus, dass zu den nach der Zweiten Richtlinie
zwingend zu deckenden Personenschäden alle Schäden gehören, die aus einer
Beeinträchtigung der Unversehrtheit der Person herrühren, wobei dies
körperliche wie seelische Leiden umfasst. Somit gehören zu den nach Unionsrecht
zu ersetzenden Schäden die immateriellen Schäden, deren Ersatz aufgrund der
Haftpflicht des Versicherten das auf den Rechtsstreit anwendbare nationale
Recht vorsieht.
Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass sich der Schutz der Ersten
Richtlinie auf jede Person erstreckt, die nach dem nationalen Haftpflichtrecht
Anspruch auf Ersatz des von einem Kraftfahrzeug verursachten Schadens hat. Da
das tschechische Recht Frau Haasova und ihrer Tochter nach den Angaben des
slowakischen Gerichts einen Anspruch auf Ersatz des infolge des Todes ihres
Ehegatten und Vaters erlittenen immateriellen Schadens verschafft, mussten sie
in den Genuss des durch diese Richtlinie gewahrten Schutzes kommen können.
Rechtssache C-277/12
In Lettland kann zwar vom Versicherer des Verursachers eines Verkehrsunfalls
Ersatz des immateriellen Schadens in Form von Schmerzen und seelischen Leiden
infolge des Todes des Versorgers der Familie, einer abhängigen Person oder des
Ehegatten verlangt werden, aber nur in Hohe von 100 LVL (etwa 142 Euro) je
Antragsteller und verstorbener Person.
Am 14. Februar 2006 kamen die Eltern von Herrn Drozdovs bei einem
Verkehrsunfall in Riga (Lettland) ums Leben. Herr Drozdovs, der damals zehn
Jahre alt war, wurde daraufhin unter die Vormundschaft seiner Großmutter
gestellt. Diese verlangte sodann vom Versicherer des Unfallverursachers als
Ersatz für den immateriellen Schaden, den Herr Drozdovs durch den Verlust
seiner Eltern erlitten hatte, einen Betrag von 200.000 LVL (etwa 284.820 Euro).
Der Augstakas tiesas Senats (Senat des Obersten Gerichtshofs von Lettland), der
mit dem Rechtsstreit zwischen Herrn Drozdovs und dem Versicherer befasst ist,
stellt dem Gerichtshof zum einen die gleiche Frage wie das slowakische Gericht
in der Rechtssache Haasova und möchte zum anderen wissen, ob die im lettischen
Recht vorgesehene Begrenzung des Höchstbetrags des aufgrund eines
Verkehrsunfalls zu ersetzenden immateriellen Schadens mit dem Unionsrecht
vereinbar ist.
Ebenso wie in seinem Urteil in der Rechtssache Haasova führt der Gerichtshof
aus, dass die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung immaterielle
Schäden von Familienangehörigen des Opfers eines Verkehrsunfalls decken muss,
wenn sie nach nationalem Recht Anspruch auf Ersatz solcher Schäden haben. Da
das lettische Recht Herrn Drozdovs nach den Angaben des vorlegenden Gerichts
einen Anspruch auf Ersatz des infolge des Todes seiner Eltern erlittenen
immateriellen Schadens verschafft, musste er in den Genuss des durch die Erste
Richtlinie gewährten Schutzes kommen können.
Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass ein Mitgliedstaat, der einen
Ausgleichsanspruch für immaterielle Schäden anerkennt, für diese spezielle
Kategorie von Schäden, die zu den Personenschäden im Sinne der Zweiten
Richtlinie gehören, keine Höchstdeckungssummen vorsehen darf, die unter den
durch diese Richtlinie festgelegten Mindestdeckungssummen liegen. In der
Richtlinie ist nämlich bezüglich der gedeckten Schäden eine andere
Unterscheidung als die zwischen Personen- und Sachschäden weder vorgesehen noch
erlaubt.
EuGH, Urteile C-22/12 und C-277/12 vom 24.10.2013
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