• 15.09.2013 – Kein Anspruch auf Löschung von Werturteilen und ärztlichen Schlussfolgerungen aus der Krankenakte auf Grundlage des Datenschutzrechts

    GESUNDHEIT – Steuer & Recht Aufgrund der Vorgaben des Art. 8 RiL 95/46/EG unterliegen besonders sensitive Daten als "besondere Arten personenbezogener Daten" einer besonde ...

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Steuer & Recht

Kein Anspruch auf Löschung von Werturteilen und ärztlichen Schlussfolgerungen aus der Krankenakte auf Grundlage des Datenschutzrechts

 

Aufgrund der Vorgaben des Art. 8 RiL 95/46/EG unterliegen besonders sensitive Daten als "besondere Arten personenbezogener Daten" einer besonderen Handhabung. Als besondere Arten personenbezogener Daten definiert das Gesetz in § 3 Abs. 9 BDSG u.a. Angaben über die Gesundheit. Die Sensibilität derartiger Einzelangaben über eine natürliche Person rechtfertigt grundsätzlich den besonderen Schutz dieser Daten vor unbefugtem Umgang unabhängig davon, wie sensitiv das betreffende Datum in seiner konkreten Ausprägung tatsächlich oder nach allgemeiner Auffassung in der Gesellschaft ist. Dies gebietet in der Regel ein weites Verständnis der in § 3 Abs. 9 BDSG enthaltenen Tatbestandsmerkmale. So hat der Europäische Gerichtshof  z. B. den Begriff der Gesundheit extensiv dahin ausgelegt, dass dieser alle Informationen erfasse, welche die Gesundheit - körperlich wie auch psychisch - betreffen. Entsteht allerdings ein Bezug zur sozialen Umwelt, so kann das Interesse an einer Geheimhaltung sensitiver Daten durch andere Interessen überwogen werden.  So ist beispielsweise festzustellen, dass der Umgang mit solchen Daten - insbesondere solchen betreffend den Gesundheitszustand - in der Sozialverwaltung regelmäßig unentbehrlich ist, da eine Vielzahl sozialrechtlicher Ansprüche vom Gesundheitszustand eines Menschen abhängen, wie etwa Erwerbsminderungsrenten (§ 43 SGB VI) oder die Gewährung von Krankengeld (§§ 44 ff. SGB V). Dementsprechend sind notwendige Einschränkungen der Nutzung zu akzeptieren, soweit der Verwendungszweck dies rechtfertigt.

Diesem Grundsatz folgend hat das Verwaltungsgericht (VG) Hannover mit Urteil vom 06.02.2013 (1 A 376/11) das Ansinnen einer Angestellten nach Sperrung und Löschung eines psychiatrischen Gutachtens in einer Verwaltungsakte zurückgewiesen. Die Klägerin hatte ausgeführt, die Anamnese, der Untersuchungsbefund, die Diagnose, die Zusammenfassung und Bewertung als auch die gutachterliche Stellungnahme spiegelten nicht den Inhalt, die Umstände und Ergebnisse des geführten Gesprächs wieder und seien daher unzutreffend. Die erstellenden Amtsärztin habe das Gutachten wegen ihrer fehlenden fachspezifischen Ausbildung und mangelnden beruflichen Erfahrung auf dem einschlägigen medizinischen Fachgebiet nicht erstellen können.

Die Entscheidung:

Nach Ansicht der Magdeburger Verwaltungsrichter streitet für die Klägerin ein Anspruch auf Löschung oder Sperrung der zur Begutachtung ihrer Berufsfähigkeit erstellten Akten aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht.

Das Gericht führt in diesem Zusammenhang aus, dass allein auf Einwände gegen Werturteile über die medizinische Aussagekraft, kein Anspruch auf Löschung oder Sperrung des kompletten Gutachtens oder der Akten mit Erfolg gestützt werden könne. Allein aus der Tatsache, dass die Klägerin die Gutachten für inhaltlich falsch und unvollständig hielte, folgte kein Beseitigungs- bzw. Berichtigungsanspruch. Ein solcher Anspruch sei nach § 16 DSG LSA vielmehr ausschließlich auf die Berichtigung, Löschung und Sperrung von Daten beschränkt. Danach sind Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind bzw. zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist; wobei anerkannt ist, dass die Niederlegung solcher Daten in einem schriftlichen medizinischen Gutachten den Tatbestand der Speicherung nach § 2 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 DSG LSA erfüllt. Daten sind nach § 2 Abs 1 Satz 1 DSG LSA jedoch nur Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse der Klägerin, nicht jedoch die von der Klägerin behaupteten inhaltlichen Mängel. Abzugrenzen sind danach die grundsätzlich nach § 16 DSG LSA berichtigungsfähigen Daten von den nicht berichtigungsfähigen Werturteilen und ärztlichen Schlussfolgerungen.

Das VG Magdeburg stützt sich insoweit auf ein Urteil des Bundesgerichtshof in dem dieser ausgeführt hatte:

„Gutachten von Sachverständigen können sowohl Tatsachenbehauptungen als auch Werturteile enthalten. Aufgabe des Gutachters ist es häufig, kraft seiner Sachkunde zu bestimmten Tatsachen Stellung zu nehmen. Dann hat er einmal Auskunft über Sätze der Wissenschaft, Erfahrungssätze und dergleichen zu geben, wendet diese Sätze aber gleichzeitig auf den konkreten Fall an und gelangt so zu Schlussfolgerungen über das Vorliegen konkreter Tatsachen. Meint er, aufgrund seiner Untersuchungen und Überlegungen Gewissheit über die erfragte Tatsache erlangt zu haben, so wird er deren Existenz im Einzelfall uneingeschränkt behaupten. Gleichwohl ist rechtlich in der Regel der Schluss, den der Sachverständige aus seinem Gutachten zieht, ein Werturteil und nicht Behauptung einer Tatsache. Es liegt im Wesen des Gutachtens, dass es auf der Grundlage bestimmter Verfahrensweisen zu einem Urteil kommen will, das, selbst wenn es äußerlich als Tatsachenbehauptung formuliert worden ist, auf Wertungen beruht."

Das Gesundheitsamt des Beklagten habe das Gutachten und die Stellungnahme der Amtsärztin im Rahmen der Erfüllung seiner Aufgaben erstellt. Gemäß § 17 Satz 1 GDG LSA nimmt der öffentliche Gesundheitsdienst in den durch Rechtsvorschriften geregelten Fällen Untersuchungen vor, erstellt Gutachten, Zeugnisse und Bescheinigungen. Das Gesundheitsamt des Beklagten hat das Gutachten im Auftrag des seinerzeitigen Arbeitsgebers der Klägerin erstellt. Nach § 59 Abs. 1 Unterabsatz 2 Satz 1 BAT-O tritt in den dort genannten Fällen das Gutachten eines Amtsarztes an die Stelle des Rentenbescheides. Gemäß § 59 Abs. 1 Unterabsatz 2 Satz 2 endet das Arbeitsverhältnis in diesem Falle mit Ablauf des Monats, in welchem dem Angestellten das Gutachten bekanntgegeben worden ist. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für die Erstellung eines amtsärztlichen Gutachtens nicht vorgelegen haben.

Die weitere Aufbewahrung der Akte ist erforderlich. Das Gesundheitsamt des Beklagten ist gemäß 25 Abs. 1 GDG LSA zur weiteren Aufbewahrung der Akte verpflichtet. Hiernach sind Aufzeichnungen der kommunalen Träger des öffentlichen Gesundheitsdienstes über amtsärztliche Tätigkeiten zehn Jahre aufzubewahren. Diese Aufbewahrungspflicht ist noch nicht abgelaufen, weil das Gutachten erst im Juli 2008 erstellt worden ist.

Die Aufnahme und Aufbewahrung einer Abschrift des Gutachtens ist darüber hinaus auch erforderlich, ohne dass es deshalb eines Ausspruchs im Gesetz bedurft hätte. Die den Behörden nach dem Grundgesetz obliegende Vollziehung der Gesetze ist ohne eine Dokumentation der einzelnen Verwaltungsvorgänge nicht denkbar, die das bisherige sachbezogene Geschehen sowie mögliche Erkenntnisquellen für das zukünftig in Frage kommende behördliche Handeln enthält. Erst derartige Akten gestatten der vollziehenden Gewalt eine fortlaufende Kenntnis aller für sie maßgeblichen Umstände ohne Rücksicht darauf, ob aus innerorganisatorischen Gründen oder wegen der Zuständigkeitsbegründung einer anderen Behörde ein neuer Bediensteter, der keine eigenes Wissen über die Vorgeschichte besitzt, mit der Bearbeitung betraut wird (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 05.12.1988 - a. a. O., 241). Die Kenntnisse aus den gesamten Akten einschließlich des amtsärztlichen Gutachtens sind für das Gesundheitsamt des Beklagten insbesondere deshalb erforderlich, weil es nicht auszuschließen ist, dass eine erneute amtsärztliche Untersuchung der Klägerin gefordert wird. Dann könnte es darauf ankommen, den Verlauf der Gesundheitsentwicklung auch im geistig-seelischen Bereich zu beurteilen. Ohne Wissen um die Erkenntnisse, die im Rahmen der amtsärztlichen Begutachtung bewertet wurden, könnte einer eventuell notwendig werdenden prognostischen Beurteilung der Boden entzogen werden. Eine Wiederverwendung der Erkenntnisse aus diesen Akten hielte sich im Rahmen des Zweckbindungsgebotes (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 05.12.1988 - a. a. O., (242)).

Dr. Robert Kazemi 

 

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