• 15.09.2013 – Kein Anspruch aus privater Zahnzusatzversicherung, sofern die erste zahnmedizinisch notwendige Heilbehandlung bereits vor Vertragsbeginn erfolgte

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Steuer & Recht

Kein Anspruch aus privater Zahnzusatzversicherung, sofern die erste zahnmedizinisch notwendige Heilbehandlung bereits vor Vertragsbeginn erfolgte

 

Bereits Ende des vergangenen Jahres hatte die „Klartextinitiative" der ERGO-Direkt-Versicherung im Markt für Aufsehen gesorgt. Der Versicherer bot einen neuen Zahntarif am Markt an, der auch dann greift, wenn die Behandlung schon begonnen ist. Der sog. Nachsorgetarif war geboren. Nicht erst seitdem gehören Zahnzusatzversicherungen zu den beliebtesten privaten Krankenzusatzversicherungen überhaupt. Das Problem an den Tarifen ist bloß, dass diese in der Regel nicht gleich voll genutzt werden können, sondern meist für eine längere Zeit eine Sperrfrist eingehalten werden muss. Hinzu kommt, dass die privaten Zahntarife im Allgemeinen nicht für Zahnschäden leisten, die bei Abschluss der Versicherung bereits bekannt oder schon in Behandlung sind. Genau dies ist zwei Patienten jetzt in zwei durch das Oberlandesgericht Karlsruhe entschiedenen Fällen zum Verhängnis geworden (Oberlandesgericht Karlsruhe, Urt. vom 7.05.2012, 12 U 153/12  und Urt. v. 27.06.2013, 12 U 127/12).

Im ersten Fall hatte der Kläger bereits April 2009 seine Zahnärztin aufgesucht und sich wegen eines akuten Eiterherdes im Oberkiefer behandeln lassen. In diesem Zusammenhang überwies ihn seine Zahnärztin in eine oralchirurgische Praxis zur Anfertigung eines Orthopantomogramms und beriet ihn über Zahnersatz und Implantate. Unstreitig waren bereits zu diesem Zeitpunkt keine der vorhandenen Zähne mehr erhaltungsfähig. Erst danach schloss der Kläger mit der Beklagten eine Zahn-Zusatzversicherung mit einer Wartezeit von 8 Monaten ab. Im Frühjahr 2010 informierte die Zahnärztin den Kläger über die verschiedenen Möglichkeiten einer Prothesenversorgung und stellte eine medizinische Indikation für eine Implantatversorgung fest. Die Implantate wurden eingesetzt, die Zusatzversicherung verweigerte jedoch die Teilhabe an den Gesamtkosten in Höhe von über 25.000 Euro, da der Versicherungsfall bereits vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten war. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es:

„Versicherungsfall ist die „medizinisch notwenige Heilbehandlung". Für den „Beginn der Heilbehandlung" ist der richtige Bezugspunkt nicht der konkrete Auftrag des Patienten an den Arzt, sondern die behandlungsbedürftige Krankheit selbst. Heilbehandlung ist jede ärztliche Tätigkeit, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf die Heilung oder Linderung der Krankheit abzielt. Die Heilbehandlung beginnt mit der ersten Inanspruchnahme einer solchen ärztlichen Tätigkeit, also schon mit der ersten ärztlichen Untersuchung, die auf die Erkennung des Leidens abzielt ohne Rücksicht darauf, ob sofort oder erst nach weiteren Untersuchungen eine endgültige oder richtige Diagnose gestellt und mit den eigentlichen Heilmaßnahmen begonnen wird. Zur Heilbehandlung gehört auch die Erstellung eines Heil- und Kostenplans. Der Versicherungsfall endet erst dann, wenn nach objektiv medizinischem Befund keine Behandlungsbedürftigkeit mehr besteht. [...] Mit der Entfernung des eitrigen Abszesses war die begonnene Heilbehandlung nicht abgeschlossen. Schon im Mai 2009 bestand ein paradontal zerstörtes Gebiss und die Entfernung aller verbliebenen Zähne war notwendig. Bereits bei der Entfernung des Abszesses lag über die akute Schmerzbehandlung hinaus ein akuter Behandlungsbedarf vor, der auch der behandelnden Ärztin nicht entgangen sein dürfte."

Im zweiten Fall suchte der Kläger im August 2008 seinen Zahnarzt auf, der eine Röntgenaufnahme anfertigte und im Anschluss auch eine PA-Behandlung durchführte. Bei den Untersuchungen wurde auch festgestellt, dass im Bereich anderer Zähne (15 bis 17) ein nicht idealer Gebisszustand mit teilinsuffizienter Brücken- bzw. Kronensituation vorhanden war. Der Kläger war diesbezüglich jedoch beschwerdefrei. Für die Neuanfertigung von Zahnersatz lag nach Auffassung des Zahnarztes kein akuter Behandlungsbedarf vor. Nachdem der Kläger im November 2008 eine Zahn-Zusatzversicherung abgeschlossen hatte, wurden ihm im Jahre 2011 Implantate an den Zähnen 15 bis 17 eingesetzt. Hier erfolgte die Zurückweisung jedoch zu Unrecht. In der Pressemitteilung heißt es:

„Mit der Untersuchung der Zähne 15 bis 17 war die damalige Heilbehandlung insoweit beendet. Die spätere Implantatversorgung stellte einen neuen Versicherungsfall dar. Der gerichtliche Sachverständige hat für August 2008 festgestellt, dass es ärztlicherseits gut vertretbar gewesen sei, von einer Behandlung abzusehen. Ebenso vertretbar sei es gewesen, der vorgefundenen Situation schon 2008 paradontologisch, chirurgisch und prothetisch zu begegnen. Die Frage der Behandlungsbedürftigkeit bemisst sich nach objektiven Kriterien, wobei ein Entscheidungsspielraum für den Arzt eröffnet ist. Die Entscheidung, die Implantatbehandlung im August 2008 nicht durchzuführen, war medizinisch gut vertretbar. Ist der Verzicht auf eine ärztliche Heilbehandlung aus medizinischer Sicht eine gut vertretbare Alternative, so ist die mit der Untersuchung begonnene Heilbehandlung auch wieder abgeschlossen. Der Kläger hat wegen der Situation an den Zähnen 15 bis 17 seinen Zahnarzt erst wieder aufgesucht, als im Jahre 2010 eine schmerzhafte Zyste zu Tage getreten war. Dies gab dann den Anlass für die Implantatbehandlung. Diese ist damit erst nach Abschluss des Versicherungsvertrags und nach Ablauf der Wartezeit im Sinne einer Heilbehandlung notwendig geworden."

Bewertung:

Beide Entscheidungen zeigen die Notwendigkeit des genauen Studiums der Versicherungsbedingungen in privaten Zusatzversicherungen aus Patientensicht auf. Ebenso verdeutlichen sie die Notwendigkeit der genauen Angabe gesundheitlicher Vorerkrankungen, die - dies zeigt der erste Fall - schnell zum Ausschluss des Versicherungsschutzes führen können. Gleichwohl, auch dies zeigen die Entscheidungen, ist die Abgrenzung im Einzelfall schwierig und für den Betroffenen oft kaum vorzunehmen. Hier gilt es, die behandelnden Ärzte mit in den Entscheidungsprozess einzubinden. ERGO mag sich freuen, wird der neue Tarif durch die Urteile doch wesentlich interessanter. Ob er es tatsächlich ist, mag offenbleiben, auch hier lohnt jedoch sicherlich das genaue Studium der Vertragsbedingungen.

Dr. Robert Kazemi


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