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Steuer & Recht
Eine Standardklausel in Verbraucherverträgen unterliegt auch dann einer Missbrauchskontrolle, wenn sie nur eine für eine andere Vertragskategorie geltende nationale Regelung aufgreift.
Es ist Sache des nationalen Gerichts, in jedem Einzelfall zu beurteilen, ob eine solche Klausel, die dem Gasversorger eine einseitige Preisanpassung erlaubt, den Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügt.
Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen geht vor den deutschen Gerichten gegen eine Standardvertragsklausel vor, mit der sich RWE, ein deutsches Erdgasversorgungsunternehmen, das Recht vorbehält, den Gaslieferpreis gegenüber seinen Kunden einseitig zu ändern, wenn für sie ein Sondertarif gilt ( Sonderkunden). Anstatt den Standardtarif zu wählen, den die deutschen Gasversorger den Verbrauchern anbieten müssen, schlossen diese Kunden ihre Verträge im Rahmen der Vertragsfreiheit. Die Verbraucherzentrale hält die fragliche Klausel für missbräuchlich und nimmt RWE aus abgetretenem Recht von 25 Verbrauchern auf Erstattung der Zusatzzahlungen in Höhe von insgesamt 16 128,63 Euro in Anspruch, die diese Verbraucher infolge von vier Preiserhöhungen zwischen 2003 und 2005 an RWE geleistet hatten.
RWE ist insbesondere der Ansicht, dass die streitige Klausel, die in den für die betroffenen Kunden geltenden allgemeinen Bedingungen enthalten ist, keiner Missbrauchskontrolle unterliege. Sie nehme nämlich nur auf die für Tarifkundenverträge geltende deutsche Regelung Bezug. Diese Regelung erlaubte es dem Lieferanten, die Gaspreise einseitig zu ändern, ohne den Anlass, die Voraussetzungen oder den Umfang einer solchen Änderung anzugeben, stellte jedoch sicher, dass die Kunden von der Änderung benachrichtigt wurden und den Vertrag gegebenenfalls kündigen konnten.
Nachdem RWE vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht unterlegen war, legte das Unternehmen Revision beim Bundesgerichtshof ein, der den Gerichtshof um Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts ersucht, mit denen die Verbraucher vor missbräuchlichen und/oder intransparenten Standardvertragsklauseln geschützt werden sollen. Für den Bundesgerichtshof stellt sich u. a. die Frage, in welchem Umfang Standardklauseln, die lediglich bindende Rechtsvorschriften aufgreifen, von einer Missbrauchskontrolle ausgeschlossen sind.
Mit seinem Urteil von heute antwortet der Gerichtshof, dass solche Klauseln einer Missbrauchskontrolle unterliegen, wenn die Rechtsvorschriften, die sie aufgreifen, nur für eine andere Vertragskategorie gelten.
Der Ausschluss der Vertragsklauseln, die auf nationalen Rechtsvorschriften beruhen, mit denen eine bestimmte Vertragskategorie geregelt wird, von der Missbrauchskontrolle ist nämlich dadurch gerechtfertigt, dass die Annahme zulässig ist, dass der nationale Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Parteien der betreffenden Verträge getroffen hat. Diese Argumentation gilt jedoch nicht für Klauseln anderer Verträge. Nähme man nämlich eine Klausel in einem solchen Vertrag von der Missbrauchskontrolle allein deshalb aus, weil sie eine Regelung aufgreift, die nur für eine andere Vertragskategorie gilt, so wurde der vom Unionsrecht angestrebte Verbraucherschutz gefährdet.
Zur etwaigen Missbräuchlichkeit der streitigen Klausel stellt der Gerichtshof fest, dass der Unionsgesetzgeber anerkannt hat, dass im Rahmen von unbefristeten Verträgen wie Gaslieferungsverträgen das Versorgungsunternehmen ein berechtigtes Interesse daran hat, die Entgelte für seine Leistung zu ändern. Allerdings muss eine Standardklausel, die eine solche einseitige Anpassung erlaubt, den Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügen. Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass es letztlich nicht seine Sache, sondern die des nationalen Gerichts ist, in jedem Einzelfall festzustellen, ob dem so ist.
Bei dieser Prüfung durch das nationale Gericht kommt den folgenden Kriterien besondere Bedeutung zu:
In dem Vertrag müssen der Anlass und der Modus der Änderung der Entgelte so transparent dargestellt werden, dass der Verbraucher die etwaigen Änderungen der Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien absehen kann.
Der Gerichtshof betont in diesem Zusammenhang, dass das Ausbleiben der betreffenden Information vor Vertragsabschluss grundsätzlich nicht allein dadurch ausgeglichen werden kann, dass der Verbraucher während der Durchführung des Vertrages mit angemessener Frist im Voraus über die Änderung der Entgelte und über sein Recht, den Vertrag zu kündigen, wenn er diese Änderung nicht hinnehmen will, unterrichtet wird.
Von der dem Verbraucher eingeräumten Kündigungsmöglichkeit muss unter den gegebenen Bedingungen tatsächlich Gebrauch gemacht werden können. Dies wäre nicht der Fall, wenn der Verbraucher aus Gründen, die mit den Kündigungsmodalitäten oder mit den auf dem betroffenen Markt herrschenden Bedingungen zusammenhängen, nicht über eine wirkliche Möglichkeit zum Wechsel des Lieferanten verfügt oder wenn er nicht angemessen und rechtzeitig von der künftigen Änderung benachrichtigt wurde.
Im Übrigen weist der Gerichtshof die Anträge der deutschen Regierung und von RWE zurück, die Wirkungen seines Urteils zeitlich zu begrenzen, um dessen finanzielle Folgen in Grenzen zu halten. Die Auslegung des Unionsrechts, die der Gerichtshof in diesem Urteil vornimmt, ist daher nicht nur auf die ab heute eintretenden Tarifänderungen anwendbar, sondern auch auf alle Tarifänderungen, die seit dem Inkrafttreten der in diesem Urteil ausgelegten Bestimmungen des Unionsrechts erfolgt sind [4]. Darüber hinaus ist erforderlich, dass die Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Bestimmungen betreffenden Streit vorliegen.
Der Gerichtshof stellt zu der Frage der zeitlichen Begrenzung der Urteilswirkungen fest, dass die finanziellen Folgen für die Gasversorgungsunternehmen in Deutschland, die mit den Verbrauchern Sonderkundenverträge geschlossen haben, nicht allein auf der Grundlage der von ihm in seinem Urteil von heute vorgenommenen Auslegung des Unionsrechts bestimmt werden können. Es ist nämlich Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung dieser Auslegung über die konkrete Bewertung einer bestimmten Vertragsklausel anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.
EuGH, Urteil C-92/11 vom 21.03.2013
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