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VIDEO-INTERVIEW BPI
Berlin - Die Hoffnungen der Pharmahersteller auf eine industriefreundliche Politik der schwarz-gelben Bundesregierung haben sich recht schnell zerschlagen. Die Branche ist verunsichert. Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) ist von den bisherigen Aktionen des Gesundheitsministers enttäuscht. APOTHEKE ADHOC sprach mit BPI-Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp über das Sparpaket, den Einfluss der Pharmahersteller auf den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und die Macht der Krankenkassen.
ADHOC: Wie zufrieden sind Sie mit Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler?
FAHRENKAMP: Eine schwierige Frage; ambivalent trifft die Sache wohl am
besten. Sicherlich ist die Aufgabe eines Gesundheitsministers am
schwierigsten, das will ich gerne konstatieren. Wenn man allerdings
Anspruch und Wirklichkeit sieht, dann geht das doch ein wenig
auseinander.
ADHOC: Was halten Sie von Röslers Reformen?
FAHRENKAMP: Es ist schon erstaunlich, wenn man eine 10-prozentige
Erhöhung des Herstellerabschlags und ein mehr als dreijähriges
Preismoratorium als Neuordnung des Arzneimittelmarktes darstellen will.
Das ist vor allem erstaunlich, wenn man es mit den
Koalitionsvereinbarungen vergleicht. Wir waren zu Beginn der neuen
Regierung wirklich hoffnungsfroh, dass tatsächlich eine
ordnungspolitische Neuordnung erfolgen würde. Aber was jetzt passiert,
hat mit wettbewerblichen Kriterien nichts zu tun, das sind wieder die
alten Schemata: Ein etwas verspätetes Vorschaltgesetz mit massiver
Belastung der pharmazeutischen Industrie, natürlich mit einer
Gefährdung des Forschungsstandortes.
ADHOC: Sind Arbeitsplätze noch ein Argument?
FAHRENKAMP: Das greift leider nicht mehr. Wenn dieses Argument ernst
genommen würde, dann hätte die Regierung schon im Vorfeld
beispielsweise die Regelungen im Kartell- und Wettbewerbsrecht
einführen müssen. Denn bei europaweiten Ausschreibungen sind heute
insbesondere kleinere und mittelständische Unternehmen massiv
gefährdet. Wenn ein Mittelständer beispielsweise kein Los bei der AOK
gewinnt, ist er faktisch zwei Jahre vom Markt ausgeschlossen. Das
bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Arbeitsplätze.
ADHOC: Haben die Krankenkassen zu viel Macht?
FAHRENKAMP: Ja, ganz klar. Deswegen ist es auch höchste Zeit, dass -
wie im AMNOG vorgesehen - das Kartell- und Wettbewerbsrecht tatsächlich
vollumfänglich greift. Bei den Rabattverträgen haben die Hersteller der
Nachfragebündelung auf Seiten der Krankenkassen nichts
entgegenzusetzen. Ebenso wichtig ist die Zuweisung der Rechtswege: weg
von den Sozialgerichten, hin zu den Zivilgerichten. Wenn sich die
Krankenkassen, insbesondere bei den Rabattverträgen, als Unternehmen
gerieren, dann müssen sie auch das Wettbewerbs- und Kartellrecht
beachten.
ADHOC: Kann sich Deutschland angesichts des Milliardendefizits in der GKV eine freie Preisbildung noch leisten?
FAHRENKAMP: Die Frage ist nicht ob, sondern will sich Deutschland
Innovationen leisten. Aufgrund der demographischen Entwicklung und des
bevorstehenden Innovationsschubs müssen wir uns diese Frage sehr
intensiv stellen. Bei Arzneimitteln haben wir immer einen
Generationenvertrag: Die Erträge der Produkte von heute finanzieren die
Forschung der Produkte von morgen. Trotzdem können wir von 30.000
Krankheiten 10.000 immer noch nicht behandeln, gerade auch im Bereich
der individualisierten Medizin. Wir haben einen Mordsdruck im System,
und die Frage ist ganz einfach: Was will sich Deutschland in diesem
Bereich leisten?
ADHOC: Warum fordern Sie eine Reform des G-BA?
FAHRENKAMP: Wenn ein Gremium über die Therapie entscheidet, dann sind
an diese Entscheidungen höchste gesellschaftliche
Legitimationsanforderungen zu stellen. Hier sehen wir noch gewisse
Defizite. Deshalb sollten die neutralen Mitglieder des Ausschusses
künftig durch den Bundestag nominiert werden. Außerdem sollte es eine
faire Stimmrechtsverteilung geben; insbesondere müssten die
entsprechenden Patientenvertreter gehört werden, wenn ein Produkt gegen
eine bestimmte Krankheit diskutiert wird. Hinsichtlich der Akteure in
den Ausschüssen und Unterausschüssen muss Transparenz hergestellt
werden. Und es sollte eine wissenschaftliche Schiedsstelle eingerichtet
werden.
ADHOC: Das klingt, als wollten Sie mehr Mitsprache.
FAHRENKAMP: Ja natürlich. Wenn Sie über die Bewertung eines Produktes
sprechen, dann muss auch der Hersteller klare, transparente und vor
allem faire Rahmenbedingungen haben. Deswegen ist es für uns
entscheidend, dass auch der Prüfbericht vollständig analysiert wird und
dass nicht selektive Prüfungen durchgeführt werden, die dann
möglicherweise zu einem falsch negativen Ergebnis führen. Im Übrigen
ist es in anderen europäischen Ländern ein ganz normales Vorgehen, dass
die Beteiligungsrechte der pharmazeutischen Industrie berücksichtigt
werden.
APOTHEKE ADHOC, Dienstag, 17. August 2010, 09:36 Uhr
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