• 04.11.2024 – Apotheken-Nachrichten von heute - Update: BU-Urteil, ePA-Stopp, DNA-Medizin

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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute - Update: BU-Urteil, ePA-Stopp, DNA-Medizin

 

Rechtliche Entscheidungen, digitale Umstellungen und Fortschritte in der Medizin im Fokus

Ein bahnbrechendes Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz zur Berufsunfähigkeitsversicherung stärkt die Rechte der Versicherten, indem es die Leistungspflicht auch ohne eindeutige Diagnose bestätigt. Während die elektronische Patientenakte durch das Bundesgesundheitsministerium zeitlich entschärft wird, zeigt eine Studie alarmierende Defizite in der psychischen Gesundheitskompetenz der Deutschen. Gleichzeitig revolutioniert die Pharmakogenetik mit personalisierten DNA-Tests die Arzneimitteltherapie, während strenge Regeln für den Austausch von Arzneimitteln die Flexibilität in Apotheken einschränken. In der EU rücken strengere Nichtraucherschutzmaßnahmen in den Fokus, um Kinder und Nichtraucher besser vor Passivrauchen zu schützen. Eine wachsende Angst der Deutschen vor schweren Krankheiten wie Krebs und Demenz verdeutlicht die Bedeutung innovativer medizinischer Ansätze, zu denen auch das Potenzial von Schleim als Schutzbarriere und Quelle für technologische Entwicklungen zählt. Unsichtbare Behinderungen rufen nach politischer Unterstützung, während neue Studien die universelle Sprache des Schmerzes beleuchten und über kulturelle Grenzen hinweg verbinden.

 

Versicherung zur Berufsunfähigkeit: Präzedenzfall – Leistungspflicht auch ohne eindeutige Diagnose

Ein Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz hat neue Maßstäbe für die Rechtsprechung im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung gesetzt. In einem komplexen Fall entschied das Gericht, dass eine unklare Diagnose den Leistungsanspruch der Versicherten nicht ausschließt, solange die gesundheitlichen Einschränkungen die Berufsfähigkeit signifikant beeinträchtigen. Eine selbstständige Friseurmeisterin hatte ihre Berufsunfähigkeitsversicherung in Anspruch genommen, da sie wegen chronischer Rückenprobleme und anhaltender Bewegungseinschränkungen nicht mehr in der Lage war, ihren Beruf auszuüben. Sie machte geltend, dass sie in ihrem Beruf zu mindestens 50 Prozent eingeschränkt sei. Der Versicherer bestritt die Leistungspflicht mit dem Argument, dass keine eindeutige Diagnose vorliege, die ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinreichend belege.

Der Fall entwickelte sich zu einem medizinischen Streit, da die genaue Ursache der Beschwerden umstritten blieb. Zwei gerichtlich bestellte Gutachter aus unterschiedlichen Fachrichtungen kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen: Ein orthopädischer Gutachter lehnte eine degenerative Rückenerkrankung ab und diagnostizierte stattdessen eine Spondyloarthritis, eine entzündliche Erkrankung der Wirbelsäule. Ein zweiter Gutachter aus dem Bereich der internistischen Rheumatologie verneinte jedoch das Vorliegen einer Spondyloarthritis und führte die Beschwerden auf eine orthopädische Erkrankung zurück. Trotz der widersprüchlichen Gutachten entschied das Gericht zugunsten der Klägerin und befand, dass die Leistungspflicht der Versicherung unabhängig von der exakten medizinischen Diagnose bestehe. Entscheidend sei, dass die gesundheitlichen Einschränkungen es der Friseurmeisterin unmöglich machten, ihre berufliche Tätigkeit im erforderlichen Umfang auszuüben.

Das Gericht orientierte sich an der obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach die konkreten Auswirkungen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung auf die berufliche Tätigkeit für die Leistungspflicht ausschlaggebend sind. Nach Auffassung des Gerichts dürfen sich Berufsunfähigkeitsversicherer nicht auf die Unklarheit einer Diagnose berufen, um die Leistungspflicht abzuweisen, wenn die Beschwerden den Beruf zu mindestens 50 Prozent einschränken. Damit stellt das Urteil einen bedeutenden Präzedenzfall dar, der künftig als Leitlinie für ähnliche Berufsunfähigkeitsfälle herangezogen werden könnte.

Jan-Martin Weßels, Rechtsanwalt der auf Berufsunfähigkeitsfälle spezialisierten Kanzlei Weßels Rechtsanwälte, wertet das Urteil als „wesentlichen Fortschritt für Versicherte“, da es den Fokus auf die beruflichen Einschränkungen legt und nicht auf eine oft schwer zu erhebende Diagnose. „In vielen Berufen, in denen körperliche Belastungen eine zentrale Rolle spielen, wie etwa in handwerklichen oder gesundheitlich anspruchsvollen Tätigkeiten, zeigen sich Beschwerden oft diffus und sind schwer diagnostizierbar,“ erläutert Weßels. Das Urteil dürfte speziell für Berufsgruppen wie Friseure, Physiotherapeuten, aber auch Apotheker eine erhebliche Bedeutung haben, da diese Tätigkeiten häufig mit physischen Anforderungen verbunden sind, die bereits durch unspezifische Beschwerden eingeschränkt werden können. Für Versicherte ist dies ein klares Signal, dass ihre Berufsunfähigkeitsversicherung auch dann greifen kann, wenn medizinische Unklarheiten bestehen, solange eine deutliche Beeinträchtigung des Arbeitsalltags vorliegt.

Weßels zufolge stärkt das Urteil die Rechte von Versicherten in Fällen, in denen die Ursachen für gesundheitliche Einschränkungen nicht eindeutig feststellbar sind. Versicherer müssten künftig noch stärker auf die tatsächliche berufliche Belastbarkeit des Versicherten achten und könnten sich weniger auf fehlende Diagnosen berufen. Für Apotheker und andere Berufsgruppen mit physischen Anforderungen im Arbeitsalltag ist dieses Urteil daher richtungsweisend, da es das Risiko reduziert, bei unklarer medizinischer Lage keinen Anspruch auf die versicherten Leistungen zu haben.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz ist ein wichtiger Meilenstein im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung und könnte den Anspruchsprozess für viele Versicherte erheblich vereinfachen. Indem das Gericht die Frage der Berufsunfähigkeit auf die tatsächlichen Einschränkungen im Berufsalltag konzentriert, gibt es Versicherten eine bessere Möglichkeit, ihre Ansprüche durchzusetzen, selbst wenn ihre Beschwerden medizinisch schwer einzuordnen sind. Der Fall der Friseurmeisterin zeigt exemplarisch, wie langwierige diagnostische Prozesse die Rechte der Versicherten in der Vergangenheit oft erschwerten. Für viele Versicherte bedeutete dies bisher ein jahrelanger Kampf um die Anerkennung ihrer Einschränkungen, der durch das Urteil künftig reduziert werden könnte.

Das Urteil stellt zudem eine deutliche Aufforderung an Versicherungen dar, ihre Leistungsprüfung weniger diagnostisch und mehr funktionsorientiert zu gestalten. In der Praxis könnte dies bedeuten, dass Versicherer nicht länger den Umstand einer unklaren Diagnose nutzen können, um die Zahlung zu verweigern. Gerade bei diffusen Erkrankungen wie Rückenleiden oder chronischen Schmerzsyndromen, die oft eine Vielzahl an Ursachen haben können, dürfte das Urteil den Zugang zu Leistungen vereinfachen und beschleunigen. In der Arbeitswelt von heute, die durch zunehmende Belastungen, aber auch durch die steigende Bedeutung psychischer und körperlicher Gesundheit geprägt ist, wird diese Rechtsprechung für viele Betroffene ein Segen sein.

Für Berufe, in denen körperliche Anforderungen zum Alltag gehören, wie etwa das Arbeiten in Apotheken, stellt das Urteil eine rechtliche Absicherung dar. Auch dort sind Mitarbeiter nicht selten von Rückenerkrankungen oder anderen körperlichen Beschwerden betroffen, die ihre Arbeitsfähigkeit einschränken. Das Urteil ermöglicht es ihnen, die nötige Unterstützung zu erhalten, ohne durch die Komplexität einer genauen Diagnose benachteiligt zu werden. Es stärkt damit die Rechte derjenigen, die durch eine Berufsunfähigkeit ohnehin oft erheblichen Einbußen ausgesetzt sind und schafft eine dringend notwendige Rechtssicherheit für all jene, die sich auf den Schutz ihrer Versicherung verlassen müssen. In einer Gesellschaft, in der Berufsunfähigkeitsversicherungen zunehmend zum Standard gehören, ist das Urteil ein überfälliger Schritt hin zu mehr Fairness und Gerechtigkeit im Versicherungswesen.

 

Sanktionen ausgesetzt: Neuer Zeitplan für die elektronische Patientenakte

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) für alle vorerst entschärft. Ursprünglich sollten Arztpraxen bis zum 15. Januar 2024 mit einer aktualisierten Software ausgestattet sein, um die ePA nutzen zu können. Bei Nichteinhaltung drohten empfindliche Sanktionen, darunter Honorarkürzungen von einem Prozent sowie eine Reduzierung der Betriebskostenpauschale für die Telematikinfrastruktur (TI). Doch diese Pläne sind nun ausgesetzt, wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bekannt gab.

Die Einführung startet wie geplant zunächst in den Modellregionen Franken, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Hier sollen ab dem 15. Januar erste Praxen, Apotheken und Krankenhäuser an die ePA angebunden werden. Für die restlichen Regionen ist der bundesweite Roll-out vier Wochen später vorgesehen, sofern keine größeren Probleme auftreten. Die Aussetzung der Sanktionen gilt bis zum 15. Februar – erst danach wird überprüft, ob Praxen technisch vorbereitet sind.

Das BMG reagiert damit auf Kritik der Ärzteschaft und Softwareanbieter, die vor einer übereilten Einführung gewarnt hatten. Laut KBV sei die Entscheidung ein notwendiger Schritt, um den Druck auf alle Beteiligten zu reduzieren. Besonders die Hersteller von Praxisverwaltungssystemen (PVS) profitieren, da sie die neuen Module nun vor der breiten Einführung ausgiebig testen können. „Die Praxen brauchen ausreichend getestete und funktionsfähige Systeme“, betonte KBV-Vorstandsmitglied Sibylle Steiner.

Die Ärzteschaft fordert jedoch mehr als eine vorübergehende Aussetzung der Sanktionen. Kritiker argumentieren, dass Strafmaßnahmen die Digitalisierung eher behindern als fördern. „Mit Sanktionen erreicht man keine Akzeptanz, sondern Widerstand“, so Steiner weiter. Stattdessen sollten Anreize geschaffen werden, um die technische Umstellung zu erleichtern und die Vorteile der ePA sichtbar zu machen.

Der Zeitplan bleibt ehrgeizig, doch die Herausforderungen sind groß. Die ePA gilt als Schlüsselprojekt zur Digitalisierung des Gesundheitswesens, doch technische Hürden und organisatorische Unsicherheiten gefährden die flächendeckende Einführung. Ob der bundesweite Starttermin im Februar realistisch ist, bleibt abzuwarten. Die Entscheidung, Sanktionen vorerst auszusetzen, könnte den Beteiligten jedoch den nötigen Spielraum verschaffen, um Fehler zu vermeiden und Vertrauen in das Projekt aufzubauen.

Die Entscheidung des Bundesgesundheitsministeriums, die Sanktionen vorübergehend auszusetzen, ist pragmatisch und längst überfällig. Die Einführung der elektronischen Patientenakte ist ein Meilenstein in der Digitalisierung des Gesundheitswesens, doch die Herausforderungen sind enorm. Anstatt Praxen mit Strafmaßnahmen zu belegen, sollte der Fokus darauf liegen, die technischen Systeme zuverlässig und praxistauglich zu gestalten.

Digitalisierung lässt sich nicht erzwingen, sondern muss mit Überzeugung und Nutzen vermittelt werden. Gerade in einer Zeit, in der viele Arztpraxen mit einem hohen Patientenaufkommen und administrativen Aufgaben kämpfen, wäre zusätzlicher Druck kontraproduktiv. Es braucht verlässliche Lösungen, die den Praxisalltag erleichtern, statt ihn zu belasten.

Die Verantwortung liegt nicht nur bei den Praxen, sondern auch bei den Herstellern und der Politik. Softwareanbieter müssen gewährleisten, dass ihre Produkte reibungslos funktionieren. Gleichzeitig muss die Politik auf Sanktionen verzichten und stattdessen stärker auf Dialog und Unterstützung setzen.

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist alternativlos, doch ihr Erfolg hängt maßgeblich davon ab, wie sie umgesetzt wird. Die Aussetzung der Sanktionen ist ein Schritt in die richtige Richtung – nun gilt es, die Zeit sinnvoll zu nutzen, um Akzeptanz zu schaffen und das Vertrauen der Ärzte und Patienten in die ePA zu stärken.

 

Psychische Gesundheitskompetenz stärken: Apotheken als Schlüsselakteure

Die psychische Gesundheitskompetenz in Deutschland ist alarmierend niedrig. Laut einer aktuellen Studie der Technischen Universität München (TU München) in Zusammenarbeit mit der Apotheken Umschau verfügen 86 Prozent der Erwachsenen über erhebliche Defizite im Umgang mit Informationen zu psychischen Erkrankungen. Besonders besorgniserregend: Viele wissen nicht, wann professionelle Hilfe notwendig ist oder wie sie Unterstützung finden können. Die Studie, die auf der Befragung von 2000 Erwachsenen und 500 Auszubildenden basiert, zeigt, dass diese Problematik unabhängig von Alter, Geschlecht oder Einkommen auftritt und sich durch alle sozialen Schichten zieht.

Fast 70 Prozent der Befragten gaben an, Schwierigkeiten zu haben, die Verlässlichkeit von Informationen zu bewerten und kommerzielle Interessen zu erkennen. Der Bedarf an klaren und zugänglichen Informationen sei daher größer denn je, so die Studienautoren. Erschwert wird die Situation durch gesellschaftliche Tabus. Trotz der Tatsache, dass sieben von zehn Menschen jemanden mit psychischen Problemen kennen, herrscht häufig Schweigen. Im Durchschnitt dauert es über acht Jahre, bis Betroffene Hilfe in Anspruch nehmen.

Die volkswirtschaftlichen Folgen sind immens. Im Jahr 2022 führten psychische Erkrankungen zu über 53 Millionen Arbeitsunfähigkeitstagen und Produktionsausfällen in Höhe von 6,9 Milliarden Euro. Hinzu kommen Behandlungskosten, die laut Statistischem Bundesamt 9,5 Milliarden Euro betrugen. Diese Zahlen verdeutlichen den dringenden Handlungsbedarf.

Bei einer Pressekonferenz in Berlin wurde betont, dass Apothekenteams eine entscheidende Rolle bei der Förderung der psychischen Gesundheitskompetenz spielen können. Professor Orkan Okan von der TU München hob hervor, dass Apotheken durch ihre niedrigschwellige Zugänglichkeit und das hohe Vertrauen der Bevölkerung besonders geeignet seien, Betroffene zu unterstützen. Die tägliche Beratung von rund zwei Millionen Menschen bietet ein enormes Potenzial, um Anzeichen psychischer Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und Informationen zu Hilfsangeboten bereitzustellen.

Apotheken könnten nicht nur auf professionelle Hilfe hinweisen, sondern auch gezielt Materialien zur Förderung der Gesundheitskompetenz bereitstellen. Die Einführung spezifischer Schulungen für Apothekenteams wird dabei als unverzichtbar angesehen. Kooperationen mit lokalen Psychotherapeuten und Selbsthilfegruppen könnten die Wirksamkeit weiter erhöhen.

Auch Stephanie Engelmann von der KKH Kaufmännischen Krankenkasse forderte eine stärkere Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen und den Ausbau schnellerer Zugangswege zu Therapien. Eine stärkere Einbindung von Apotheken in Präventions- und Unterstützungsmaßnahmen könnte hier einen wesentlichen Beitrag leisten.

Die Ergebnisse der TU-Studie zeigen einmal mehr, dass Deutschland im Umgang mit psychischer Gesundheit Nachholbedarf hat. Während körperliche Erkrankungen längst aus der Tabuzone herausgerückt sind, bleibt psychische Gesundheit ein gesellschaftliches Randthema – mit teuren Konsequenzen. Es ist höchste Zeit, psychische Gesundheitskompetenz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen.

Die Einbindung von Apotheken in diese Aufgabe ist ein naheliegender Schritt. Mit ihrer niedrigschwelligen Erreichbarkeit und der hohen Akzeptanz bei der Bevölkerung sind sie ideale Multiplikatoren. Doch dieses Potenzial bleibt bislang weitgehend ungenutzt. Es reicht nicht aus, die Verantwortung an die Apotheken zu delegieren – Politik, Krankenkassen und Berufsverbände müssen den Rahmen schaffen, um diese Aufgaben zu ermöglichen.

Dazu gehören verpflichtende Schulungen, die Apothekenteams auf die sensible Beratung bei psychischen Erkrankungen vorbereiten. Auch räumliche Gegebenheiten wie vertrauliche Beratungsräume müssen gefördert werden. Darüber hinaus sind bessere Vernetzungsmöglichkeiten mit Fachärzten und Beratungsstellen notwendig, um Betroffene zielgerichtet weiterleiten zu können.

Psychische Gesundheit darf kein Tabu bleiben, sondern muss ein selbstverständlicher Bestandteil der Prävention und Versorgung werden. Apotheken können hierbei eine Schlüsselrolle spielen – aber nur, wenn die strukturellen Voraussetzungen geschaffen werden.

 

Die genetische Revolution: DNA-Tests in der Arzneimitteltherapie

Pharmakogenetik, die Wissenschaft der Anpassung von Medikamenten auf Grundlage genetischer Informationen, wird zunehmend zur Realität im medizinischen Alltag. In den Niederlanden erhalten viele Patienten bereits einen sogenannten DNA-Medikationspass, der die individuelle genetische Ausstattung berücksichtigt. Diese Innovation, entwickelt von der Universitätsmedizin Leiden, zeigt, wie moderne Wissenschaft die medizinische Versorgung revolutioniert.

„Die Chance, dass Sie eine genetische Variante tragen, die pharmakologisch relevant ist, liegt bei 95 Prozent“, erklärte Dr. Jesse J. Swen, Professor für Klinische Pharmazie und Pharmakogenetik in Leiden, auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmazie in Hamburg. Pharmakogenetische Varianten seien keine Seltenheit, sondern betreffen fast jeden Menschen. Damit wird deutlich, dass personalisierte Medizin keine Zukunftsvision mehr ist, sondern bereits in der Gegenwart verankert ist.

Ein zentrales Element dieser Entwicklung ist der DNA-Medikationspass. Nach einer umfassenden genetischen Analyse, die in der Krankenhausapotheke durchgeführt wird, erhalten Patienten in Leiden eine Karte mit einem QR-Code. Dieser ermöglicht Ärzten und Apothekern Zugriff auf eine detaillierte Übersicht, welche Medikamente verträglich sind und wo Dosisanpassungen notwendig sind. Inzwischen wird der Pass auch in öffentlichen Apotheken in den Niederlanden akzeptiert.

Die Vorteile sind beeindruckend. Eine Studie mit knapp 7000 Patienten aus sieben europäischen Ländern zeigte, dass genetisch angepasste Arzneimitteltherapien die Nebenwirkungsrate innerhalb von zwölf Wochen um 30 Prozent senken können. Die Kosten für den Test liegen bei etwa 200 Euro und werden in den Niederlanden von den Krankenkassen übernommen, sofern er vom Arzt angeordnet wird. Dies ist ein entscheidender Fortschritt, doch Apotheker, die oft die ersten Ansprechpartner bei Problemen mit Medikamenten sind, dürfen solche Tests bislang nicht selbst initiieren.

Trotz der Erfolge gibt es noch Hürden. Die getesteten genetischen Varianten repräsentieren nur einen Bruchteil der relevanten Faktoren. Seltenere Varianten und die genetische Vielfalt verschiedener ethnischer Gruppen müssen noch stärker berücksichtigt werden. Darüber hinaus besteht ein großer Schulungsbedarf bei medizinischem Fachpersonal, um die Ergebnisse sinnvoll zu nutzen.

Die Pharmakogenetik hat das Potenzial, die Arzneimitteltherapie grundlegend zu verändern. Durch präzisere Anpassungen könnte nicht nur die Sicherheit erhöht, sondern auch die Effizienz verbessert werden. Die Niederlande haben hier eine Vorreiterrolle übernommen und zeigen, wie personalisierte Medizin im Alltag ankommen kann. Deutschland und andere Länder könnten von diesem Modell profitieren, sofern die nötigen Strukturen geschaffen werden.

Die Fortschritte in der Pharmakogenetik markieren einen Wendepunkt in der modernen Medizin. Die Möglichkeit, Arzneimittel auf die genetische Ausstattung eines Patienten abzustimmen, könnte langfristig zum Standard werden und die Behandlungsergebnisse erheblich verbessern. Dennoch steht diese Entwicklung noch am Anfang.

Die Ergebnisse aus den Niederlanden zeigen, wie positiv sich ein solcher Ansatz auswirken kann. Eine 30-prozentige Reduktion von Nebenwirkungen ist ein beeindruckender Erfolg, der zeigt, dass Investitionen in personalisierte Medizin nicht nur die Patientensicherheit erhöhen, sondern auch die Effizienz im Gesundheitssystem steigern können.

Doch es gibt Herausforderungen, die nicht unterschätzt werden dürfen. Die Harmonisierung der Tests, die Erweiterung des genetischen Spektrums und die Einbindung aller ethnischen Gruppen sind entscheidende Aufgaben. Zudem muss politisch geklärt werden, wie die Finanzierung solcher Tests langfristig gesichert werden kann. Die Rolle der Apotheker als Experten für Arzneimitteltherapien sollte dabei gestärkt werden, da sie häufig die ersten sind, die medikamentöse Probleme erkennen.

Die Pharmakogenetik ist keine Utopie mehr, sondern eine greifbare Realität. Der Weg zu einer flächendeckenden Anwendung ist jedoch noch lang und erfordert ein entschlossenes Handeln aller Beteiligten – von der Forschung über die Politik bis hin zu den Leistungserbringern. Die Zukunft hat begonnen, und es liegt an uns, sie aktiv zu gestalten.

 

Austausch von Arzneimitteln: Strenge Regeln erschweren Flexibilität

Arzneimittel, die als „außer Vertrieb“ (AV) gemeldet sind, können nicht ohne weiteres durch Nachfolgeartikel ersetzt werden. Apothekerinnen und Apotheker stehen vor der Herausforderung, die Konformität mit gesetzlichen Vorgaben zu prüfen, um eine korrekte Abgabe zu gewährleisten. Insbesondere die Packungsgröße, Wirkstärke und Darreichungsform spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Ein Austausch ist laut den geltenden Regelungen nur möglich, wenn die Voraussetzungen der Austauschbarkeit erfüllt sind. Das bedeutet, dass Wirkstärke und Packungsgröße identisch sein müssen, die Zulassung für ein gleiches Anwendungsgebiet vorliegen und die Darreichungsform entweder gleich oder substituierbar ist. Andernfalls drohen Retaxationen durch Krankenkassen oder eine Gefährdung der Patientensicherheit. Apotheken sind daher verpflichtet, bei Unklarheiten Rücksprache mit der verschreibenden Ärztin oder dem Arzt zu halten.

Ein Beispiel hierfür ist das Insulinpräparat Novorapid Flexpen, dessen bisherige Packung zu 5 x 3 ml seit mehreren Monaten nicht mehr verfügbar ist. Als Nachfolger wird eine größere Packung zu 10 x 3 ml angeboten. Aufgrund der abweichenden Packungsgrößen und der Normgrößen N1 und N2 ist ein automatischer Austausch nicht möglich. Um eine Versorgung sicherzustellen, muss die Verordnung durch die verschreibende Person korrigiert oder neu ausgestellt werden.

Seit einer Änderung des Rahmenvertrags im November 2019 müssen AV-gemeldete Arzneimittel zudem nicht mehr in die Abgaberangfolge einbezogen werden. Sie dürfen jedoch weiterhin abgegeben werden, sofern sie verfügbar und preisgünstig sind. Ist ein solches Präparat jedoch nicht mehr lieferfähig und es besteht keine alternative Auswahl, gilt es als „nicht eindeutig bestimmtes Arzneimittel“. In solchen Fällen ist die Abgabe ohne ärztliche Rücksprache unzulässig.

Die korrekte Handhabung dieser Regelungen erfordert von den Apothekenteams nicht nur Fachwissen, sondern auch eine enge Kommunikation mit den verschreibenden Ärztinnen und Ärzten. Dies ist entscheidend, um sowohl die Versorgung der Patientinnen und Patienten als auch die rechtliche Absicherung der Apotheke sicherzustellen.

Die strengen Vorgaben zur Austauschbarkeit von Arzneimitteln sind für Apotheken eine doppelte Herausforderung. Einerseits tragen sie die Verantwortung für die Patientensicherheit, andererseits müssen sie zunehmend juristische Risiken und bürokratische Anforderungen bewältigen. Der Fall Novorapid Flexpen zeigt exemplarisch, wie kompliziert selbst scheinbar einfache Prozesse werden können, wenn Packungsgrößen nicht übereinstimmen.

Die Anpassung des Rahmenvertrags hat Apotheken einerseits entlastet, indem AV-Arzneimittel aus der Abgaberangfolge herausgenommen wurden. Andererseits bleibt die Frage, ob die enge Definition der Austauschbarkeit noch zeitgemäß ist. In einer Zeit, in der Lieferengpässe und Marktrückzüge zunehmen, benötigen Apotheken mehr Flexibilität, um ihrer Rolle gerecht zu werden.

Es ist an der Zeit, dass die gesetzlichen Vorgaben modernisiert werden, um pragmatische Lösungen für die Versorgungssicherheit zu schaffen. Apotheken brauchen Handlungsspielräume, die ihnen erlauben, den Fokus auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu legen, statt auf bürokratische Details.

 

Strengere Nichtraucherschutzregeln: EU setzt auf Empfehlungen für mehr Schutz im Freien

Die Gesundheitsminister der Europäischen Union haben sich mehrheitlich für eine deutliche Verschärfung des Nichtraucherschutzes im Freien ausgesprochen. Mit einer neuen Empfehlung möchten sie die Mitgliedstaaten dazu anregen, Rauchverbote auf Spielplätzen, in der Außengastronomie sowie an weiteren öffentlichen Orten wie Schwimmbädern, Freizeitparks, Zoos, Haltestellen und Hochschulen umzusetzen. Ziel ist es, insbesondere Kinder und Nichtraucher vor den gesundheitlichen Risiken durch Passivrauchen zu schützen. Tabakrauch gilt als eines der größten vermeidbaren Gesundheitsrisiken in der EU. Jährlich sterben nach Angaben der EU-Kommission etwa 700.000 Menschen an den Folgen des Rauchens, Zehntausende davon durch Passivrauch.

Deutschland enthielt sich bei der Abstimmung. Staatssekretär Thomas Steffen verwies auf die föderale Struktur der Bundesrepublik, in der die Bundesländer für die Umsetzung solcher Maßnahmen zuständig sind. Diese hätten kritisiert, dass pauschale Rauchverbote in der Außengastronomie einer differenzierten Betrachtung bedürfen. Zugleich steht Deutschland im europäischen Vergleich bei Nichtraucherschutzgesetzen schlecht da. Nach einer Erhebung der Initiative „Smoke Free Partnership“ belegt das Land nur den viertletzten Platz unter 37 meist europäischen Staaten.

Die ungarische Ratspräsidentschaft stellte klar, dass die Empfehlung kein bindendes Verbot darstellt. „Jeder Mitgliedstaat entscheidet eigenständig, ob und wie die Vorgaben umgesetzt werden“, erklärte Gesundheitsminister Johannes Rauch aus Österreich. Ähnlich äußerte sich die EU-Kommission, die auf freiwillige Maßnahmen setzt, um die Akzeptanz in den Mitgliedstaaten zu erhöhen.

Während Gesundheitsorganisationen die Empfehlung begrüßen, gibt es Widerstand aus der Politik. Die CDU im Europaparlament kritisierte die Maßnahme scharf. „Die EU sollte sich auf drängendere Themen konzentrieren, statt unsinnige Verbote zu propagieren“, erklärte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe, Daniel Caspary.

Besonders brisant ist, dass die Empfehlung auch Tabakerhitzer und E-Zigaretten umfasst. Deren Dämpfe sollen künftig ebenso wie Tabakrauch in rauchfreien Zonen verboten werden. Dies soll den Schutz von Kindern und Nichtrauchern weiter ausbauen. Die Empfehlung ist Teil der Strategie der EU-Kommission, die Zahl der Krebstoten zu senken und einen besseren Gesundheitsschutz für alle Bürger zu gewährleisten.

Die Entscheidung der EU-Gesundheitsminister, strengere Regeln für den Nichtraucherschutz im Freien zu empfehlen, wirft ein Licht auf die fortwährende Herausforderung, gesundheitspolitische Standards in einem heterogenen Europa zu harmonisieren. Während der gesundheitliche Nutzen unbestritten ist, zeigt sich erneut die Schwierigkeit, solche Maßnahmen politisch und gesellschaftlich zu verankern. Deutschland, das sich bei der Abstimmung enthielt, verdeutlicht mit seiner föderalen Struktur ein grundlegendes Problem: Der Nichtraucherschutz wird hier oft zögerlich und uneinheitlich umgesetzt, was im internationalen Vergleich sichtbar zurückwirft.

Die Kritik der CDU, die Maßnahme als „unsinnige Verbotspolitik“ zu bezeichnen, mag bei wirtschaftsliberalen Stimmen Gehör finden, ignoriert aber den Kern des Problems. Passivrauchen gefährdet nachweislich die Gesundheit, vor allem von Kindern, und ist ein vermeidbares Risiko. Eine konsequentere Regelung wäre daher nicht nur wünschenswert, sondern notwendig, um den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten. Die Herausforderung besteht darin, Maßnahmen zu finden, die sowohl effektiv als auch akzeptabel sind – ein Balanceakt, den die EU mit unverbindlichen Empfehlungen zu lösen versucht.

Dass auch Tabakerhitzer und E-Zigaretten in die Empfehlung aufgenommen wurden, ist ein längst überfälliger Schritt. Ihre Dämpfe sind keineswegs harmlos, wie oft suggeriert wird. Hier zeigt die EU den Willen, sich mit neuen gesundheitlichen Risiken auseinanderzusetzen. Letztlich bleibt es jedoch an den Mitgliedstaaten, die Weichen für eine gesündere Gesellschaft zu stellen. Die Frage ist, ob sie den Mut dazu haben.

 

Angst vor schweren Krankheiten: Alarmierende Umfrageergebnisse und wachsende Sorgen

Die Sorge der Deutschen vor schweren Krankheiten wie Krebs, Demenz oder Schlaganfall hat einen neuen Höchststand erreicht. Eine repräsentative Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der DAK-Gesundheit zeigt, dass 73 Prozent der Befragten am meisten Angst vor Krebs haben – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den 65 Prozent des Vorjahres. Auch die Furcht vor Alzheimer oder Demenz nimmt weiter zu: 55 Prozent der Befragten gaben diese an, 10 Prozentpunkte mehr als im Jahr zuvor. Einen ähnlich deutlichen Anstieg verzeichnet die Angst vor einem Schlaganfall, die mittlerweile 52 Prozent der Deutschen beschäftigt.

Unfälle mit schweren Verletzungen (50 Prozent) und Herzinfarkte (42 Prozent) bleiben ebenfalls häufig genannte Ängste. Gleichzeitig hat die Besorgnis über Corona drastisch abgenommen. Nur noch 10 Prozent der Befragten äußern Angst vor einer COVID-19-Erkrankung, ein starker Rückgang im Vergleich zu den 37 Prozent im Jahr 2020.

Besonders alarmierend ist die Zunahme der Angst vor psychischen Erkrankungen, die vor allem junge Menschen betrifft. Mehr als die Hälfte der 14- bis 29-Jährigen (54 Prozent) fürchten, an einer Depression oder einem Burn-out zu erkranken. Im Vorjahr lag dieser Wert noch bei 45 Prozent. Die Studienautoren führen diesen Anstieg auf den zunehmenden Druck in Schule, Studium und Beruf sowie die Vergleichskultur in sozialen Medien zurück. Hinzu kommen die Belastungen durch globale Krisen und Kriege, die vor allem junge Erwachsene in besonderem Maße betreffen.

DAK-Vorstandschef Andreas Storm sieht dringenden Handlungsbedarf: „Die psychische Gesundheit muss stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Ängste dürfen nicht tabuisiert werden. Prävention und Aufklärung sind entscheidend, um eine Generation vor langfristigen Schäden zu bewahren.“

Insgesamt fühlen sich trotz wachsender Sorgen 87 Prozent der Deutschen gesund, 56 Prozent bewerten ihren Gesundheitszustand als „gut“, 31 Prozent sogar als „sehr gut“. Präventionsangebote wie die Krebsfrüherkennung werden vermehrt genutzt. 62 Prozent der Befragten nahmen diese wahr, ein Anstieg um 4 Prozentpunkte.

Die Ergebnisse der Umfrage zeichnen ein ambivalentes Bild: Auf der einen Seite zeigt die gestiegene Nutzung von Vorsorgeangeboten, dass Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung vorhanden ist. Auf der anderen Seite deutet der wachsende Anteil derjenigen, die Angst vor schweren Krankheiten haben, auf eine tiefere Verunsicherung hin. Besonders die stark zunehmende Angst vor psychischen Erkrankungen bei jungen Menschen sollte als dringender Warnruf verstanden werden.

In einer Gesellschaft, die zunehmend von Leistungsdruck und ständiger Erreichbarkeit geprägt ist, sind psychische Belastungen ein wachsendes Problem. Dass junge Erwachsene sich in sozialen Medien ständig vergleichen und mit Krisenmeldungen konfrontiert werden, verstärkt diesen Trend zusätzlich. Hier müssen Politik und Gesundheitssystem ansetzen, um die psychische Gesundheit stärker zu fördern. Aufklärung, niedrigschwellige Hilfsangebote und eine Enttabuisierung des Themas könnten einen wichtigen Beitrag leisten.

Die Ergebnisse zeigen jedoch auch, dass ältere Generationen vergleichsweise weniger Angst vor psychischen Erkrankungen haben. Dies könnte darauf hindeuten, dass der gesellschaftliche Diskurs über psychische Gesundheit bisher unzureichend geführt wurde.

Die Aufgabe für die kommenden Jahre ist klar: Gesundheitsprävention muss weiter gestärkt und der psychische Druck vor allem bei jungen Menschen reduziert werden. Nur so kann eine Balance zwischen Bewusstsein und Resilienz geschaffen werden.

 

Das verborgene Potenzial von Schleim: Schutz, Gesundheit und medizinische Innovationen

Schleim, oft als unangenehmes Nebenprodukt des Körpers abgetan, ist weitaus mehr als nur ein unerwünschtes Sekret. Wissenschaftler weltweit weisen auf die entscheidende Rolle hin, die diese gelartige Substanz für die menschliche Gesundheit spielt. Neben seiner Funktion als Schutzbarriere gegen Krankheitserreger birgt Schleim auch enormes Potenzial für technologische und medizinische Innovationen.

Der menschliche Körper produziert täglich etwa ein bis anderthalb Liter Schleim. Dieses Sekret schützt die Schleimhäute vor Austrocknung, dient als Filter für Schadstoffe und fördert die Wundheilung. Besonders die in Schleim enthaltenen Mucine – spezielle Glykoproteine – haben herausragende Eigenschaften: Sie können Feuchtigkeit binden, Viren und Bakterien unschädlich machen und ihre Haftung auf Geweben verhindern. Forschungen am Massachusetts Institute of Technology (MIT) zeigen, dass Mucine sogar die Signalübertragung von Keimen stören können. Diese Erkenntnisse könnten die Entwicklung neuer Therapeutika revolutionieren, insbesondere im Kampf gegen antibiotikaresistente Bakterien.

Auch für die Medizintechnik ist Schleim ein spannender Rohstoff. In München entwickelt ein Team der Technischen Universität Mucin-basierte Biotinten, die im 3D-Druck zur Herstellung von Lungengewebe eingesetzt werden könnten. Der Leiter des Projekts, Professor Oliver Lieleg, hebt hervor, dass Mucine aufgrund ihrer hohen Biokompatibilität auch für Beschichtungen von Kontaktlinsen und Intubationsschläuchen geeignet sind. Solche Beschichtungen könnten nicht nur Schäden an empfindlichem Gewebe verhindern, sondern auch die Ablagerung von unerwünschten Partikeln wie Lipiden reduzieren.

Ein weiteres Forschungsfeld widmet sich der Schutzfunktion von Schleim gegen Umweltschadstoffe. Studien zeigen, dass Mikroplastik und Feinstaub die Barrierewirkung von Schleim schwächen können, was die Aufnahme gesundheitsschädlicher Stoffe erleichtert. Wissenschaftler arbeiten daran, diese Mechanismen besser zu verstehen und potenzielle Lösungen zu entwickeln.

Trotz seiner vielfältigen Vorteile haftet Schleim ein negatives Image an. „Die meisten Menschen unterschätzen, wie wichtig Schleim für unsere Gesundheit ist“, betont Lieleg. Ohne diese natürliche Schutzschicht wären alltägliche Prozesse wie Schlucken oder Blinzeln erschwert. Die Wissenschaft unterstreicht: Schleim ist nicht nur ein Schutzschild, sondern ein Schlüssel zur Gesundheit und ein vielversprechender Ausgangspunkt für medizinische Innovationen.

Schleim haftet ein denkbar schlechtes Image an – völlig zu Unrecht. Diese Körperflüssigkeit ist ein Paradebeispiel dafür, wie vermeintlich unscheinbare Mechanismen in der Natur komplexe Schutz- und Heilungsprozesse ermöglichen. Die Forschungsergebnisse der letzten Jahre zeigen eindrucksvoll, welches Potenzial in den Mucinen steckt: Sie könnten die Grundlage für bahnbrechende Therapeutika bilden und der Medizintechnik neue Perspektiven eröffnen.

Die unterschätzte Rolle von Schleim ist auch ein Plädoyer dafür, natürliche Ressourcen genauer zu betrachten. Was als lästig empfunden wird, schützt uns tagtäglich vor Infektionen und Umweltschadstoffen – oft ohne, dass wir es bemerken. Die Wissenschaft steht hier erst am Anfang. Es bleibt zu hoffen, dass die Erkenntnisse über Schleim nicht nur in der Forschung, sondern auch in der öffentlichen Wahrnehmung stärker gewürdigt werden. Schließlich ist Schleim weit mehr als nur ein Abfallprodukt – er ist essenziell für unsere Gesundheit und könnte in Zukunft Leben retten.

 

Unsichtbare Behinderungen: Herausforderungen jenseits des Sichtbaren

Behinderungen sind so vielfältig wie die Menschen, die mit ihnen leben. Während sichtbare Beeinträchtigungen wie die Nutzung eines Rollstuhls oder das Tragen eines Blindenstocks leicht als Behinderung wahrgenommen werden, bleiben viele andere Formen unsichtbar. Experten nutzen den Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen, um auf chronische Erkrankungen und psychische Störungen als unsichtbare Behinderungen aufmerksam zu machen und fordern von der Politik entschlosseneres Handeln.

„Menschen mit Behinderungen sind keine homogene Gruppe“, erklärt Dorothee Czennia vom Deutschen Behindertenrat. Das Spektrum reicht von körperlichen über psychische bis hin zu sensorischen Beeinträchtigungen. Viele dieser Einschränkungen sind für Außenstehende nicht erkennbar, was häufig zu Unverständnis und fehlender Unterstützung führt. „Behinderungen können vielfältig sein, was bedeutet, dass Barrierefreiheit nicht nur durch Rollstuhlrampen geschaffen werden kann“, betont Jürgen Dusel, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen.

Unsichtbare Behinderungen umfassen ein breites Feld: Diabetes, Asthma, Long Covid, psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Suchterkrankungen, aber auch neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Parkinson gehören dazu. Diese Einschränkungen führen bei vielen Betroffenen zu erheblichen Herausforderungen im Alltag, auch wenn sie für andere unsichtbar bleiben. Laut dem aktuellen Teilhabebericht der Bundesregierung hat die Zahl der psychischen Behinderungen in den letzten Jahren deutlich zugenommen. „Viele Betroffene sind stark in ihrer Teilhabe eingeschränkt – sei es am Arbeitsplatz, auf dem Wohnungsmarkt oder im sozialen Leben“, erläutert Dr. Katarina Stengler von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde.

Die Barrieren, die Menschen mit unsichtbaren Behinderungen erfahren, sind oft nicht physischer Natur, sondern entstehen durch Vorurteile und strukturelle Hindernisse. Der Teilhabebericht der Bundesregierung betont, dass eine Behinderung erst durch Umweltbarrieren entsteht. „Die Person ist nicht behindert, sie wird behindert“, heißt es im Bericht. Dieser Perspektivwechsel lenkt den Fokus auf die Verantwortung der Gesellschaft und der Politik, Barrieren abzubauen und Teilhabe zu ermöglichen.

Doch genau hier liegt laut Experten das Problem. Viele Vorhaben der Bundesregierung zur Verbesserung der Inklusion seien auf Eis gelegt oder scheiterten an politischen Prioritäten. Jürgen Dusel kritisiert, dass die im Koalitionsvertrag angekündigte Novelle des Behindertengleichstellungsgesetzes bisher nicht umgesetzt wurde. Diese sollte private Anbieter verpflichten, Barrierefreiheit zu gewährleisten. „Es ist ärgerlich, dass solche Vorhaben in der politischen Agenda keine Beachtung finden“, so Dusel. „Das spiegelt sich auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung wider und verstärkt die Marginalisierung von Betroffenen.“

Unsichtbare Behinderungen sind eine der größten Herausforderungen auf dem Weg zu echter Inklusion – und eine der am meisten vernachlässigten. Solange der Fokus in Politik und Gesellschaft auf sichtbare Barrieren wie Treppenstufen oder Rollstuhlrampen beschränkt bleibt, werden Millionen Menschen mit unsichtbaren Einschränkungen weiterhin an den Rand gedrängt.

Die Politik steht in der Verantwortung, endlich umfassende Barrierefreiheit sicherzustellen. Dies bedeutet nicht nur bauliche Anpassungen, sondern auch strukturelle und gesellschaftliche Veränderungen. Initiativen wie die Novelle des Behindertengleichstellungsgesetzes dürfen nicht länger auf die lange Bank geschoben werden. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit und der gesellschaftlichen Solidarität, allen Menschen die volle Teilhabe am Leben zu ermöglichen.

Doch Inklusion ist mehr als eine gesetzliche Verpflichtung. Es erfordert auch einen kulturellen Wandel. Unsichtbare Behinderungen müssen sichtbarer gemacht werden – nicht, um sie zu markieren, sondern um sie zu entstigmatisieren. Nur so kann Verständnis geschaffen und die Lebensrealität von Betroffenen verbessert werden. Es ist an der Zeit, dass die Gesellschaft diese Menschen nicht länger übersehen.

 

Schmerzlaute als universelle Sprache der Menschheit

Schmerz verbindet Menschen weltweit auf einer Ebene, die über kulturelle und sprachliche Unterschiede hinausgeht. Eine aktuelle Studie, veröffentlicht im Journal der Acoustical Society of America, zeigt, dass der Laut „Au“ oder ähnliche Schmerzvokale eine universelle Konstante darstellen. Ein internationales Forscherteam um die Linguistin Dr. Maïa Ponsonnet von der University of Western Australia hat erstmals die akustischen Reaktionen auf Schmerz, Freude und Ekel in 131 verschiedenen Sprachen systematisch analysiert. Ihre Ergebnisse weisen darauf hin, dass Schmerz als einzige Emotion ein global einheitliches Lautmuster aufweist.

Menschen aus allen Kulturen reagieren akustisch auf starke Emotionen. Schreien, Weinen oder auch Lachen sind Beispiele für nicht-sprachliche Ausdrucksformen, die Emotionen vermitteln. Diese Laute können zusätzlich mit sprachlichen Interjektionen wie „Autsch“, „Wow“ oder „Juhu“ kombiniert sein, die Emotionen noch konkreter machen. Besonders bei Schmerz identifizierten die Wissenschaftler jedoch auffallend ähnliche akustische Merkmale: offene „a“-Vokale und fallende Diphthonge wie „ai“ oder „au“, die auch in deutschen Schmerzlauten vorkommen. Diese universelle „Sprache“ des Schmerzes scheint evolutionär tief verankert zu sein.

Die Studie legt zudem nahe, dass natürliche Schmerzlaute die Entwicklung von Wörtern beeinflusst haben könnten. So könnten die Vokale, die Menschen spontan bei Schmerz äußern, die Grundlage für viele sprachliche Begriffe sein, die heute zur Beschreibung von Schmerz verwendet werden. Warum allerdings manche Lautelemente den Sprung in die Sprache geschafft haben und andere nicht, bleibt eine offene Frage.

Die Forschenden regen an, ihre Analysen auf weitere Kulturen und Emotionen auszuweiten. Ebenso könnten Vergleiche mit Lautäußerungen bei Primaten wertvolle Erkenntnisse über den Ursprung der menschlichen Sprache liefern. Schmerzlaute könnten nicht nur eine emotionale, sondern auch eine soziale Funktion haben – etwa, um Mitmenschen auf Gefahren aufmerksam zu machen oder Mitgefühl zu mobilisieren.

Die Erkenntnisse der Studie betonen, wie tief verwurzelt emotionale Laute in der menschlichen Kommunikation sind. Schmerz ist nicht nur eine individuelle Erfahrung, sondern ein universelles Signal, das weltweit verstanden wird. Damit trägt die Forschung entscheidend zum Verständnis von Sprache und ihrer emotionalen Basis bei.

Die Studie zeigt eindrucksvoll, wie universell Schmerzlaute sind – eine faszinierende Erkenntnis in einer Welt mit etwa 7000 verschiedenen Sprachen. Schmerz ist eine der elementarsten Erfahrungen des Menschseins, und die Tatsache, dass er überall auf der Welt akustisch ähnlich ausgedrückt wird, offenbart eine gemeinsame Basis menschlicher Kommunikation.

Diese Erkenntnisse gehen jedoch über reine Sprachwissenschaft hinaus. Sie berühren Fragen nach der Funktion von Emotionen und deren akustischem Ausdruck in sozialen Kontexten. Schmerzlaute sind nicht nur Ausdruck persönlicher Empfindungen, sondern auch ein Signal für die Gemeinschaft. Sie können Mitgefühl erzeugen, Aufmerksamkeit erregen und Schutzmechanismen aktivieren. Die Evolution hat hier ein lautstarkes Werkzeug geschaffen, um soziale Bindungen zu stärken und das Überleben zu sichern.

Besonders spannend ist die Hypothese, dass Schmerzlaute die Entwicklung von Wörtern beeinflusst haben könnten. Dies wirft die Frage auf, inwieweit andere Emotionen wie Freude oder Angst ebenfalls in die Sprache eingeflossen sind. Die Erforschung dieser Zusammenhänge könnte nicht nur den Ursprung der Sprache, sondern auch ihre soziale Funktion tiefer beleuchten.

Die universelle Verständlichkeit von Schmerzlauten ist ein Symbol der Verbindung, die alle Menschen teilen. In einer zunehmend polarisierten Welt erinnert uns dies daran, dass unsere Gemeinsamkeiten fundamentaler sind als unsere Unterschiede.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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