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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Ein richtungsweisendes Urteil: Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass ältere Tarifverträge Vorrang vor neuen gesetzlichen Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung haben können. Was bedeutet das für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?
Am 20. August 2024 hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt eine bedeutsame Entscheidung getroffen, die weitreichende Konsequenzen für die betriebliche Altersversorgung (bAV) in Deutschland haben könnte. In einem Verfahren (Az. 3 AZR 285/23) hatte ein Holzmechaniker gegen seinen Arbeitgeber geklagt, da dieser ihm den nach § 1a Abs. 1a des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) vorgesehenen Arbeitgeberzuschuss in Höhe von 15 Prozent auf den in eine Altersvorsorge umgewandelten Teil seines Entgelts verweigerte. Dieser Zuschuss ist seit dem 1. Januar 2018 gesetzlich vorgeschrieben, wenn Arbeitnehmer Teile ihres Lohns in eine betriebliche Altersvorsorge umwandeln.
Der Holzmechaniker begründete seine Klage mit dem gesetzlichen Anspruch, der ihm seiner Meinung nach zusteht. Der Arbeitgeber hingegen lehnte die Zahlung des Zuschusses ab und verwies auf einen seit 2009 gültigen Tarifvertrag, der für Arbeitnehmer, die eine Entgeltumwandlung vornehmen, eine andere Regelung vorsieht. Konkret gewährt dieser Tarifvertrag einen zusätzlichen Altersvorsorgegrundbetrag in Höhe des 25-Fachen des Facharbeiter-Ecklohns, der laut Arbeitgeber die gesetzliche Regelung nicht nur erfüllt, sondern sogar übertrifft.
Das Bundesarbeitsgericht stellte in seinem Urteil klar, dass Tarifverträge, die vor dem Inkrafttreten des Ersten Betriebsrentenstärkungsgesetzes am 1. Januar 2018 geschlossen wurden, von der gesetzlichen Pflicht zum Arbeitgeberzuschuss abweichen dürfen. Das Gericht betonte, dass diese älteren Tarifverträge im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrAVG als zulässige Abweichungen anzusehen sind, solange sie eine gleichwertige oder bessere Versorgung der Arbeitnehmer sicherstellen. In der Urteilsbegründung führte das Gericht aus, dass die Tarifautonomie einen hohen Stellenwert genießt und ältere Tarifverträge nicht automatisch durch neue gesetzliche Regelungen verdrängt werden.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hat nicht nur für den konkreten Fall, sondern auch für zahlreiche andere Unternehmen und Arbeitnehmer, die von ähnlichen Tarifverträgen betroffen sind, große Bedeutung. Parallel entschied das Gericht auch in zwei weiteren Verfahren (Az. 3 AZR 286/23 und 3 AZR 287/23) zugunsten der Arbeitgeber, die sich ebenfalls auf vor 2018 abgeschlossene Tarifverträge beriefen.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20. August 2024 markiert einen entscheidenden Moment für das deutsche Arbeitsrecht, insbesondere im Bereich der betrieblichen Altersversorgung. Es verdeutlicht die anhaltende Bedeutung der Tarifautonomie, selbst in Zeiten intensiver gesetzlicher Regulierung. Tarifverträge, die vor dem Inkrafttreten neuer Gesetze abgeschlossen wurden, behalten ihre Gültigkeit und können sogar vorrangig sein, wenn sie eine gleichwertige oder bessere Absicherung für die Arbeitnehmer bieten.
Für viele Arbeitnehmer mag dieses Urteil enttäuschend sein, insbesondere für diejenigen, die auf den gesetzlichen Zuschuss von 15 Prozent gehofft hatten. Es zeigt sich jedoch, dass die Realität in den Betrieben oft komplexer ist als eine einfache gesetzliche Regelung. Tarifverträge, die auf die spezifischen Bedürfnisse einer Branche zugeschnitten sind, bieten häufig maßgeschneiderte Lösungen, die den allgemeinen gesetzlichen Rahmenbedingungen überlegen sein können.
Dieses Urteil sollte als Weckruf dienen, die Bedeutung von Tarifverträgen nicht zu unterschätzen. Arbeitnehmer sollten sich intensiv mit den bestehenden Tarifregelungen auseinandersetzen und sicherstellen, dass ihre Interessen durch Betriebsräte und Gewerkschaften wirksam vertreten werden. Gleichzeitig fordert das Urteil auch Arbeitgeber und Gewerkschaften heraus, bei zukünftigen Tarifverhandlungen die Balance zwischen tariflicher Autonomie und gesetzlichen Mindestanforderungen sorgfältig zu wahren.
Letztlich unterstreicht das Urteil des Bundesarbeitsgerichts die Bedeutung eines differenzierten und fairen Umgangs mit Tarifverträgen in einer sich wandelnden Arbeitswelt. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Urteil als Grundlage für eine ausgewogene Weiterentwicklung der betrieblichen Altersversorgung dient, die sowohl die Rechte der Arbeitnehmer schützt als auch den Anforderungen der Unternehmen gerecht wird.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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