• 15.02.2022 – Bundesgerichtshof verwirft sog. "taggenaue Berechnung" des Schmerzensgeldes

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Bundesgerichtshof verwirft sog. "taggenaue Berechnung" des Schmerzensgeldes

 

Sachverhalt

Der Kläger wurde bei einem Verkehrsunfall erheblich verletzt. Über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren verbrachte er im Rahmen von 13 stationären Aufenthalten insgesamt 500 Tage im Krankenhaus, u.a. musste der rechte Unterschenkel amputiert werden. Der Kläger ist seither zu mindestens 60 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Die Einstandspflicht der Beklagten (Fahrer, Halter und Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Pkw) steht dem Grunde nach außer Streit.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht hat dem Kläger, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, ein Schmerzensgeld von 100.000 € zugesprochen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von insgesamt 200.000 € verurteilt.  

Nach der vom Berufungsgericht hierbei angewendeten Methode der sog. "taggenauen Berechnung" des Schmerzensgeldes ergibt sich dessen Höhe in einem ersten Rechenschritt (Stufe I) unabhängig von der konkreten Verletzung und den damit individuell einhergehenden Schmerzen aus der bloßen Addition von Tagessätzen, die nach der Behandlungsphase (Intensivstation, Normalstation, stationäre Reha-Maßnahme, ambulante Behandlung zuhause, Dauerschaden) und der damit regelmäßig einhergehenden Lebensbeeinträchtigung gestaffelt sind. Das Berufungsgericht hat diese Tagessätze - ausgehend von bestimmten Prozentsätzen eines durchschnittlichen Einkommens - für die verschiedenen Behandlungsstufen auf 150 € (Intensivstation), 100 € (Normalstation), 60 € (stationäre Reha) und 40 € bei 100 % Grad der Schädigungsfolgen angesetzt. In einem zweiten Rechenschritt (Stufe II) können von der zuvor "taggenau" errechneten Summe je nach Gestaltung und Schwere des Falles individuelle Zu- und Abschläge vorgenommen werden. Das Berufungsgericht hat auf dieser Stufe wegen der erheblichen Vorerkrankungen des Klägers einen Abschlag vorgenommen. Von der nach der oben aufgeführten Methode grundsätzlich vorgesehenen abschließenden Erhöhung des Schmerzensgeldes bei Dauerschäden und besonders schwerwiegenden Verfehlungen des Schädigers (Stufe III) hat das Berufungsgericht im Streitfall keinen Gebrauch gemacht.

Mit der vom Berufungsgericht insoweit zugelassenen Revision begehren die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der u.a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Kfz-Unfällen zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt.

Diesen Grundsätzen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene "taggenaue Berechnung" des Schmerzensgeldes nicht gerecht. Die schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht hat und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen, lässt wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht. So bleibt unbeachtet, welche Verletzungen der Kläger erlitten hat, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst wurde. Gleiches gilt für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung. Auch die Anknüpfung an die statistische Größe des durchschnittlichen Einkommens trägt der notwendigen Orientierung an der gerade individuell zu ermittelnden Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten nicht hinreichend Rechnung. Das Berufungsgericht wird daher erneut über die Höhe des Schmerzensgeldes zu befinden haben.  

Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. Februar 2022 - VI ZR 937/20

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