• 22.12.2025 – Reform ohne Finanzboden, Vertrauen ohne Einlösung, Versorgung ohne Reserve

    APOTHEKE | Systemblick |  Der Kommentar ordnet Hubmanns Sand-Warnung als Kritik am Verfahren ein und zeigt, warum vertagte Finanzierung Betriebe in Dauerprüfung und Reser ...

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APOTHEKE | Systemblick | 

Reform ohne Finanzboden, Vertrauen ohne Einlösung, Versorgung ohne Reserve

 

Ausgabe Nr. 106 | Der DAV ruft den Staat auf, den Versorgungsauftrag nicht als Reformkulisse zu nutzen, sondern als Verpflichtung, die wirtschaftliche Tragfähigkeit sofort abzusichern

Stand: Montag, 22. Dezember 2025, um 14:18 Uhr

Apotheken-News: Kommentar von heute

Kommentar von Seyfettin Günder zu den aktuellen Apotheken-Nachrichten über die DAV-Kritik am ApoVWG, die vertagte wirtschaftliche Stärkung und die politische Verantwortung im Bundestag

Wenn der DAV-Vorsitzende sagt, die Reform sei auf Sand gebaut, ist das kein Stimmungsbild, sondern ein Angriff auf die bequemste politische Methode im Gesundheitswesen: Aufgaben ankündigen, Finanzierung vertagen, Vollzug den Betrieben überlassen. Die Formulierung trifft, weil sie die Reihenfolge umdreht, die in der Praxis gelten muss. Erst kommt Tragfähigkeit, dann kommen Zusatzaufgaben, dann kommt Umsetzung. In der Gesetzeslogik läuft es oft andersherum. Man schreibt neue Zuständigkeiten, erweitert Erwartungen und spricht über Prävention, Impfen und Checks, während die Basis im Nebel bleibt. Der Satz vom Sand ist deshalb nicht nur Kritik am Entwurf, sondern ein Misstrauensvotum gegen das Verfahren, das immer wieder denselben Fehler macht: Es verwechselt Bewegung mit Lösung.

Das Ärgerliche ist nicht, dass Politik sparen will, sondern dass sie den Preis des Sparens auslagert. Wenn Personal- und Sachkosten steigen, ist das keine Meinung, sondern ein Monatslauf, der sich nicht wegverhandeln lässt. Wer dann Honorarfragen in Verhandlungen mit Kassen verschiebt, verschiebt nicht die Last, sondern nur den Zeitpunkt, zu dem sie sichtbar wird. Für Betriebe bedeutet das: Sie sollen mehr leisten, aber sie sollen auf Sicht planen. Sie sollen Verlässlichkeit versprechen, aber sie sollen auf Reserve verzichten. Sie sollen den Versorgungsauftrag stabilisieren, aber sie sollen in einem Umfeld arbeiten, in dem schon die nächste Lücke als normal gilt. Das ist kein Reformrahmen, das ist eine Dauerprüfung.

In dieser Dauerprüfung wird Vertrauen zur Währung, die zuerst ausgegeben wird. Hubmanns Warnung zielt genau darauf, weil der Koalitionsvertrag als Versprechen im Raum steht, das nun wieder in die Schwebe gerät. Wenn man den Betrieben sagt, Gespräche seien geführt worden und Argumente seien gut gewesen, und das Ergebnis bleibt dennoch vage, dann entsteht eine politische Routine der Enttäuschung. Routine ist gefährlich, weil sie Abstumpfung erzeugt. Und Abstumpfung ist das Gegenteil von Versorgungssicherheit, denn sie frisst Einsatzbereitschaft und sie frisst Bereitschaft, neue Aufgaben wirklich anzunehmen. Wer Strukturen kaputtsparen lässt, darf sich nicht wundern, wenn Strukturen irgendwann nur noch reagieren.

Der Staat kann sich dabei nicht hinter der GKV-Finanzlage verstecken, ohne die eigene Verantwortung zu beschädigen. Wenn Versorgung jederzeit funktionieren soll, dann braucht sie nicht nur Regeln, sondern auch einen Boden, der trägt. Das ist der Kern, den der DAV gerade in Richtung Bundestag schiebt. Denn dort entscheidet sich, ob der Entwurf am Ende ein Gesetz wird, das Betriebe stärkt, oder ein Text, der ihnen zusätzliche Pflichten gibt und die Stabilisierung in ein späteres Vielleicht verlagert. In dieser Frage liegt mehr als Geld. Es geht um die Glaubwürdigkeit eines Systems, das Leistung bestellt, aber die Bedingungen nicht liefert.

Die politische Pointe ist, dass Sand nicht nur ein Bild ist, sondern eine Warnung vor dem Moment, in dem alles plötzlich nachgibt. Nicht weil jemand böse ist, sondern weil ein System ohne Reserve irgendwann keinen Stoß mehr abfängt. Dann kippt es nicht in der Schlagzeile, sondern in der Fläche. Dort, wo Öffnungszeiten enger werden, Personal nicht mehr zu halten ist, Prozesse nur noch das Nötigste leisten und Beratung zur Zeitfrage wird. Wer das verhindern will, muss nicht freundlich formulieren, sondern klar entscheiden. Und klar entscheiden heißt: Wenn Reform gewollt ist, muss Tragfähigkeit jetzt gesetzt werden, nicht später verhandelt.

An dieser Stelle fügt sich das Bild.

Sand ist nicht weich, weil er freundlich wäre, sondern weil er keine Last hält, wenn sie dauerhaft wirkt. Wer Reformen auf Erwartungen baut, ohne den Boden zu verdichten, baut an einer Struktur, die beim ersten Druck arbeitet, knirscht und nachgibt. Das Bild ist so stark, weil es nicht moralisiert, sondern Mechanik zeigt. Und Mechanik kennt keine Geduld, wenn Kosten, Personal und Alltag gleichzeitig drücken.

Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt. Eine Reform kann politisch klug erscheinen, wenn sie viel verspricht und wenig kostet, doch sie wird praktisch gefährlich, wenn sie die Last in die Betriebe verschiebt. Wer Versorgung bestellt, bestellt auch Stabilität, und Stabilität entsteht nicht aus vagen Perspektiven, sondern aus sofort tragfähigen Rahmenbedingungen. Wenn Vertrauen in Versprechen aufgebraucht wird, bleibt am Ende nur noch Vollzug ohne Reserve, und genau das ist der Punkt, an dem Sand zur Wahrheit wird.

 

SG
Prokurist | Publizist | Verantwortungsträger im Versorgungsdiskurs
Kontakt: sg@mysecur.de

Wer das für Formalie hält, unterschätzt die Verantwortung, die Sprache heute tragen muss.

Ein Kommentar ist keine Meinung. Er ist Verpflichtung zur Deutung – dort, wo Systeme entgleiten und Strukturen entkoppeln.

Ich schreibe nicht, um zu erklären, was gesagt wurde. Ich schreibe, weil gesagt werden muss, was sonst nur wirkt, wenn es zu spät ist.

Denn wenn das Recht nur noch erlaubt, aber nicht mehr schützt, darf der Text nicht schweigen.

 

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