GKV-Klagen um Bürgergeldfinanzierung, Beitragsdruck auf Arbeitgeber und Versicherte, Apotheken zwischen Beitragsschub und Sparspirale
Für die gesetzlichen Krankenkassen ist aus einer seit Jahren beklagten Schieflage nun ein offener Konflikt mit dem Bund geworden. Rund 10 Milliarden Euro pro Jahr kosten die Gesundheitsleistungen für Bürgergeldbeziehende, nach Berechnungen der Kassen wird aber nur etwa ein Drittel dieser Summe über steuerfinanzierte Beiträge ausgeglichen. Der Rest bleibt faktisch als verdeckte Staatsfinanzierung im GKV-System hängen und verschiebt die Beitragslast auf die regulär Versicherten und ihre Arbeitgeber. Besonders seit den Haushaltsdebatten 2023 und 2024 steht die Frage im Raum, wer die strukturellen Finanzierungslücken der GKV dauerhaft schließen soll. Mit dem aktuellen Beschluss des Verwaltungsrats des GKV-Spitzenverbands, im Namen der Kassen zu klagen, wird diese Belastung erstmals grundsätzlich gerichtlich angegriffen und die Rolle der 75 Millionen GKV-Versicherten im Finanzierungsmix neu vermessen.
Auslöser der Klagewelle sind die seit Mitte November versandten Bescheide des Bundesamts für Soziale Sicherung über die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds für das Jahr 2026, die aus Sicht der Kassen die Unterfinanzierung fortschreiben. Der GKV-Spitzenverband reicht im Auftrag zahlreicher Kassen Einzelklagen beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ein, Beklagte ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das BAS. Juristisch argumentieren die Kassen mit einem Eingriff in ihre organisatorische und finanzielle Selbstständigkeit, weil sie eine primär steuerfinanzierte Staatsaufgabe übernehmen, ohne einen annähernd kostendeckenden Ausgleich zu erhalten. Gleichzeitig machen sie einen Verstoß gegen die strenge Zweckbindung der Sozialversicherungsbeiträge geltend, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben genutzt werden dürfen. Perspektivisch zielt der GKV-Spitzenverband darauf, dass das Landessozialgericht eine Richtervorlage nach Karlsruhe anstößt und das Bundesverfassungsgericht die aktuellen Finanzierungsregeln verfassungsrechtlich einordnet.
Hinter den juristischen Formeln steht ein sehr konkreter wirtschaftlicher Effekt: Bleibt die Unterfinanzierung bestehen, müssen steigende Leistungsausgaben für Bürgergeldbeziehende aus den Beiträgen aller anderen Versicherten und ihrer Arbeitgeber kompensiert werden. Der GKV-Spitzenverband warnt, dass dies die Beitragssätze schneller steigen lässt und damit Lohnnebenkosten, Arbeitskosten und Nettolöhne gleichermaßen belastet. Für Apothekeninhaberinnen und Apothekeninhaber schließen sich mehrere Kreise: Sie sind zugleich Arbeitgeber, zahlen für ihr Personal höhere Krankenversicherungsbeiträge, agieren selbst als freiwillig Versicherte und haben Patientinnen und Patienten, deren Kaufkraft bei weiter wachsenden Abzügen unter Druck gerät. In wirtschaftlich angespannten Jahren mit Energie-, Miet- und Personalkosten auf hohem Niveau kann ein zusätzlicher Beitragssatzanstieg um wenige Zehntelprozentpunkte bereits den Spielraum für Investitionen, Vorratshaltung oder Gehaltsrunden spürbar einschränken. Gerade inhabergeführte Apotheken an Standorten mit niedrigerer Kaufkraft spüren solche Verschiebungen schneller, wenn Kundinnen und Kunden häufiger Rezepte einlösen, aber beim OTC-Einkauf oder ergänzenden Präparaten zurückhaltender werden.
Die öffentlich vorgetragenen Aussagen aus dem GKV-Spitzenverband machen deutlich, wie groß der Frust über die bisherige politische Behandlung des Themas ist. Seit Jahren berichten die Kassen von Gesprächen, Prüfaufträgen und Ankündigungen, ohne dass die Beiträge für Bürgergeldbeziehende substanziell angepasst worden wären, und verweisen auf einen dauerhaften Fehlbetrag in Milliardenhöhe. Mit der Entscheidung, nun konsequent den Klageweg zu beschreiten und notfalls bis zu einer höchstrichterlichen Klärung zu gehen, eskaliert die GKV-Seite den Konflikt bewusst und setzt die Bundesregierung unter Zugzwang. Politisch brisant ist dabei, dass der Bund bei einem Unterliegen entweder zusätzliche Milliarden aus dem Bundeshaushalt bereitstellen oder an anderer Stelle im Gesundheitswesen gegenfinanzieren müsste. Für Leistungserbringer wie Apotheken bleibt im Hintergrund immer die Sorge, dass neue Spargesetze, abgesenkte Vergütungsbausteine oder verschärfte Rabattmechanismen als indirekte Reaktion auf haushaltspolitischen Druck folgen könnten.
Aus Sicht der Apotheken zeigt der Streit exemplarisch, wie eng Steuer-, Sozial- und Gesundheitspolitik inzwischen miteinander verknüpft sind und wie schnell Entscheidungen an einer Stelle die wirtschaftliche Stabilität in den Betrieben vor Ort beeinflussen. Die Kombination aus strukturell unterfinanzierter Bürgergeldversorgung, der absehbaren demografischen Mehrbelastung der GKV bis 2030 und zugleich volatileren Bundeszuschüssen erhöht die Unsicherheit für alle Akteure in der Versorgungskette. Viele Apotheken richten ihre Liquiditäts- und Investitionsplanung deshalb zunehmend auf Szenarien aus, in denen weitere Beitragserhöhungen, neue Sparrunden oder Verzögerungen bei Vergütungsanpassungen realistischer erscheinen als Entlastungsprogramme. Gleichzeitig wächst der Druck, die eigene Rolle als niedrigschwellige Versorgungsinstanz sichtbar zu machen und in politischen Debatten deutlich zu machen, welche Folgen weitere Belastungen für Präsenzapotheken in ländlichen Regionen oder schwierigen Stadtlagen hätten. Je klarer die Trennlinie zwischen gesamtgesellschaftlicher Fürsorgeaufgabe des Bundes und beitragsfinanzierter Krankenversicherung gezogen wird, desto nachvollziehbarer lassen sich in Zukunft auch Forderungen nach auskömmlicher Vergütung und planbarer Finanzierung der Apothekenversorgung begründen.
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