DocMorris-Risiko im OLG-Rematch, BGH-Teilerfolg für AKNR, Apothekenaufsicht im Fokus
Die Entscheidung am 7. November 2025 setzt neue Eckpunkte: Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf insgesamt aufgehoben, drei Schadensersatzkomplexe der Klägerseite endgültig verworfen und zwei zurückverwiesen. Damit ist der finanzielle Kern der Forderung zwar weitgehend entkernt, die Sache selbst aber nicht erledigt. Im Mittelpunkt steht nun die unions- und nationalrechtliche Zulässigkeit des Versandmodells in Verbindung mit der sogenannten Länderliste (§ 11a ApoG) und deren belastbarer Nachweis. Besonders brisant: In der mündlichen Verhandlung griff der Senat die Frage einer Präsenzapotheke erneut auf, weil die Vorinstanz aus Sicht des BGH nicht ausreichend ermittelt hatte. Das verschiebt die Verfahrensdynamik, weil es nicht nur um Zivilansprüche geht, sondern um regulatorische Voraussetzungen, deren Auslegung Vorbildcharakter entwickeln kann.
Für die Apothekerkammer Nordrhein ist das Ergebnis ein Teilerfolg mit Signalwirkung: Fünf von ursprünglich sieben Verfügungen gelten nach heutigem Stand als rechtmäßig bestätigt, was die Angriffslinie der Gegenseite deutlich verengt. Zugleich öffnet die Zurückverweisung ein Tor, um die Grundsatzfrage „Entspricht das Geschäftsmodell der Länderliste?“ nun präzise vor dem OLG zu klären. Sollte das Berufungsgericht zu strengeren Anforderungen kommen, stünden nicht nur die Restansprüche der Klägerin auf wackligem Fundament; es könnten – in einer weitergedachten Kette – Rückforderungen gesetzlicher Kostenträger im Raum stehen, sofern die Voraussetzungen für Erstattungen nicht vorlagen. Dass dies kein Automatismus ist, versteht sich; dennoch verschiebt sich das Risiko-Profil, weil Kassen nach § 69 SGB V bei festgestellter Rechtswidrigkeit typischerweise aufrechnen oder regressieren. Damit wird die Auseinandersetzung von einem reinen Geldstreit zu einer Weichenstellung mit Kaskadeneffekten.
Die Aufsichtsdimension rückt scharf ins Licht: Wenn ein deutsches Gericht klären muss, ob ein im Ausland ansässiger Versender die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, verweist das auf ein Vollzugsdefizit. Die Normen existieren; ihre grenzüberschreitende Durchsetzung bleibt jedoch fragmentiert, weil Zuständigkeiten der Bundesländer, europarechtliche Binnenmarktprinzipien und praktische Prüfpfade kollidieren. Gerade die Temperaturführung, die Sicherstellung einer adäquaten Beratung und die verlässliche Abwicklung von Rezepten sind in §-Regelwerken beschrieben, aber in der Kontrolle ausländischer Anbieter oft nur anlassbezogen überprüfbar. Aus Governance-Sicht braucht es daher klare, zentral koordinierte Prüfzuständigkeiten mit definierten Schwellen für anlasslose und anlassbezogene Kontrollen sowie Austauschformate mit niederländischen und tschechischen Behörden. Ohne diese Architektur bleibt die Durchsetzung abhängig von Zivilverfahren – ein systemischer Rollenwechsel, der Gerichte zu Ersatzaufsichten macht.
Für Marktteilnehmer bedeutet die BGH-Linie: Die Schwelle für hohe Schadenssummen wurde faktisch angehoben, weil das Gericht enge Maßstäbe an Kausalität und Erforderlichkeit legt. Selbst wenn das OLG in den beiden zurückverwiesenen Punkten zugunsten der Klägerin entscheiden sollte, wäre damit noch kein Anspruch in der ursprünglich bezifferten Größenordnung begründet. In der Begründung der Vorinstanz hatten sich bereits Hinweise gefunden, dass die geltend gemachten Schäden – gemessen an Marktanteilen, Zeiträumen und Alternativszenarien – überschossen sein könnten. Für Compliance-Abteilungen folgt daraus, Nachweise zur Einhaltung der Länderliste, Dokumentationen der Präsenzanforderung sowie kühlkettenrelevante SOPs revisionssicher zu halten. Wer diese Aktenlage stärkt, reduziert das Risiko, in künftigen Verfahren in eine Beweislastfalle zu geraten.
Politisch erzeugt der Fall Handlungsdruck, der über den Einzelfall hinausreicht: Die Forderung nach „klaren Zuständigkeiten“ adressiert eine Lücke, die seit Jahren bekannt ist, aber an föderalen Reibungen scheitert. Ein bundesgesetzlicher Rahmen mit eindeutig zugewiesener Prüfkompetenz und einer verfahrensrechtlichen Brücke zu EU-Partnerbehörden wäre ein Hebel, der sowohl Wettbewerbsneutralität als auch Patientensicherheit stärkt. Zugleich müssen Gesetzgeber und Aufsicht sicherstellen, dass die Gleichpreisigkeit im GKV-Sachleistungsprinzip nicht durch asymmetrische Vollzugslasten erodiert. Je länger unklare Kriterien fortbestehen, desto größer die Gefahr strategischer Arbitrage. Der heutige BGH-Beschluss ist deshalb weniger Schlusspunkt als Zündfunke: Er zwingt das System, Rechtsklarheit nicht nur zu fordern, sondern zu bauen.
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