Verbändeanhörung streckt die Agenda, Konfliktlinien treten schärfer hervor, Zeitplan gerät unter Druck
Die Verbändeanhörung zur Apothekenreform dauerte am 07. November 2025 statt geplanter zwei rund fünf Stunden und verschob damit das gewohnte Taktmaß der Gesetzgebung. Im Raum standen zugleich die bekannten Knackpunkte: das Packungshonorar von 9,50 € als Basisgröße, die Verhandlungslösung mit dem GKV-Spitzenverband und die Frage, wie weit Telepharmazie und Versorgungsverträge reichen dürfen, ohne den Gleichpreis zu unterminieren. Vertreter von Kassen, Kammern und Verbänden verwiesen auf die Kollision aus Aufgabenausweitung und gedeckelten Mitteln, während das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf Beitragssatzstabilität und Effizienzgewinne abhob. Hinter der nüchternen Zeitüberschreitung stand mithin ein inhaltlicher Stau: Wer mehr Versorgung an mehr Orten verspricht, muss die Finanzierungslinie belastbar ziehen. Sichtbar wurde, wie eng politischer Anspruch, sozialrechtliche Leitplanken und betriebswirtschaftliche Wirklichkeit in Vor-Ort-Apotheken miteinander verknüpft sind.
Aus Kassenperspektive dominierte die Sorge vor Mehrkosten jenseits der 2 Mrd. € Lücke, die für 2026 im Schätzerkreis adressiert ist, während Klinikeinschnitte von 1,8 Mrd. € geplant werden. Verbände der Apothekenseite hielten dagegen, dass ohne dynamische Justierung des Fixums die flächendeckende Versorgung erodiert und Zusatzleistungen wie pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) ins Leere laufen. Im Zentrum stand die Verhandlungslösung: Sie kann nur tragen, wenn Mindestparameter – Turnus mindestens jährlich, Indexanker wie Nominallohn- oder Verbraucherpreisindex, klare Fristen – nicht verhandelbar sind. Andernfalls verlagert sich das strukturelle Defizit nur in eine wiederkehrende Auseinandersetzung, die Planungssicherheit zerstört. Dass § 129 SGB V den Rahmenvertrag adressiert, machte die Runde – die Frage ist, ob dieser Rahmen künftig Dynamik erlaubt oder weiterhin als Bremse wirkt.
Für Telepharmazie und Versorgungsverträge zeigte sich ein doppelter Maßstab: Einerseits sollen Notfallpfade kürzer werden, andererseits verlangt Gleichpreisigkeit eine saubere Abgrenzung gegenüber selektiven Anreizen. Die Idee, Apotheken in Integrierte Notfallzentren über Kooperations- oder Versorgungsverträge einzubinden, zielt auf Minutenersparnis und weniger Doppelkontakte, was insbesondere in Erkältungswellen mit 5.000–6.000 akuten Atemwegsfällen je 100.000 Einwohnern spürbar wäre. Doch jede Verschiebung hin zu Terminal- oder Video-Settings wirft Dokumentations- und Haftungsfragen auf, die in § 17 ApBetrO (u. a. Abgabe, Beratung) berührt bleiben. Das Plenum kreiste entsprechend um Nachschärfungen: Was zählt als „synchrone“ Beratung, wie wird der Erstkontakt qualifiziert, wie greift Pharmakovigilanz bei asynchronen Formaten? Ohne eindeutige Antworten droht die Digitalisierung an der Schwelle zwischen Anspruch und Alltag zu verharren.
Spürbar war auch die Geografie der Reform: Zuschläge für „Landapotheken“ mögen Versorgungsdichte abbilden, treffen aber nicht automatisch die betriebliche Fragilität einzelner Standorte in Randlagen von Städten. Verbände warnten vor kleinteiligen Zuschlagstatbeständen, die faktisch eine Preisdivergenz durch die Hintertür erzeugen und Steuerungsanreize für Krankenkassen setzen könnten. Genannt wurden Alternativen mit weniger Reibung: ein Sockelbetrag über die Notdienstpauschale, ein transparenter Strukturzuschlag pro Betriebsstätte oder ein gestuftes Modell nach klaren, bundeseinheitlichen Indikatoren. Dabei steht die Grundlinie: Ohne tragfähige Basisvergütung lässt sich weder Personal binden – Personalkostenquoten zwischen 65 % und 75 % sind dokumentiert – noch lässt sich die Übernahme- und Gründungsneigung stabilisieren. Die Diskussion schloss damit, dass jede „Flexibilisierung“ ohne Finanzierungskern im Betrieb verpufft.
Am Ende der fünf Stunden blieb ein nüchternes Bild: Die Reform kann Versorgung beschleunigen, wenn drei Fixpunkte stehen – ein belastbares Fixum als Fundament, eine Verhandlungsschiene mit zugesicherten Indexankern und Fristen, sowie klar definierte Tele- und Versorgungsverträge, die Gleichpreis, Qualität und Haftung zusammenhalten. Politisch ließ sich ein Riss erkennen zwischen dem Ziel, Beitragssätze zu stabilisieren, und der Notwendigkeit, Versorgungsqualität in der Fläche zu finanzieren. Für den Gesetzgebungsfahrplan bedeutet die Überziehung kein bloßes Zeitdetail, sondern ein Warnsignal: Ohne präzise Nacharbeit droht ein Gesetz, das Erwartungen weckt, aber im Betrieb nicht trägt. Der nächste Entwurf wird zeigen, ob der Spagat aus Kostendisziplin und Praxisrealismus gelingt – oder ob erneut die Uhr länger läuft, weil der Kern offen bleibt.
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