Versandhandel im Reformfenster, Apothekenvergütung im Fokus, Sicherstellungszuschlag als Zündstoff
Der Verband der europäischen Versandapotheken nutzt die Reformphase, um die eigene Rolle als Versorger neu zu rahmen. Im Zentrum stehen Forderungen nach einem strukturellen Sicherstellungszuschlag, der nicht nur Landstandorte, sondern auch logistisch leistungsfähige Anbieter einschließen soll. Begründet wird dies mit Lieferreichweite, digitaler Erreichbarkeit und der Behauptung, entlegene Regionen zuverlässig zu bedienen. Für Apotheken vor Ort wäre eine solche Ausweitung mehr als ein Finanzierungssignal: Sie verschiebt die Achse der Gleichpreis- und Gleichversorgungslogik in Richtung eines ortsunabhängigen Leistungsbegriffs. Genau dort berührt die Debatte den Kern der Vergütung – und damit die Frage, wer künftig die Stabilitätsprämie der Arzneimittelversorgung erhält.
Parallel drängt der Verband auf eine Verhandlungslösung, in der die Interessen aller Vertragspartner „gleichberechtigt“ abgebildet sein sollen. Die Forderung richtet sich gegen eine als einseitig empfundene Praxis, in der Versender benachteiligt würden, während Apotheken vor Ort vermeintliche Schutzräume behielten. Für die Apothekerschaft bedeutet dieses Framing eine doppelte Herausforderung: Einerseits steht das Fixum als stabile Basisgröße im Raum, andererseits droht ein Verschieben variabler Komponenten in Gremien, in denen digitale Leistungsbilder an Gewicht gewinnen. Ohne klare Leitplanken zu Beitragssatzstabilität, Indexankern und Mindestintervallen der Anpassung entstünde ein Feld, in dem Verteilungskonflikte die Versorgung über Jahre blockieren. Damit würde die Reform nicht entlasten, sondern neue Reibungsflächen erzeugen.
Besonders umkämpft ist die Telepharmazie. Der Versandhandel möchte den Begriff weit fassen und asynchrone Kanäle wie Telefon, E-Mail und Chat in vollem Umfang gleichstellen. Zugleich wird ein volldigitaler Zugang zur elektronischen Patientenakte gefordert, um Dokumentation, Medikationsänderungen und pharmazeutische Dienstleistungen über Distanz abzubilden. Für Apotheken vor Ort berührt dies die Glaubwürdigkeit des heilberuflichen Versorgungsversprechens: Beratung, Plausibilitätsprüfungen und Haftung werden traditionell an Raum, Team und unmittelbare Verantwortung geknüpft. Je weiter die Definition wird, desto größer wird der Druck, Prozesse, Haftungsnachweise und Qualitätsstandards jenseits des Handverkaufsraums justierbar und auditierbar zu machen. Die Debatte verschiebt sich damit von der Technik- zur Strukturfrage.
Ebenfalls konfliktträchtig ist die Kühlkette. Versender verweisen auf bestehende Praxisstandards und verlangen eine symmetrische Anwendung auf den Botendienst der Apotheken – einschließlich sensibler Bereiche wie Heim- und Krankenhausversorgung. In der Logik der Gleichbehandlung klingt das plausibel, in der Aufsichtspraxis öffnet es jedoch heikle Flanken: Zuständigkeiten, Nachweispflichten und Eingriffsrechte unterscheiden sich, wenn Betriebsstätten, Tourenplanung und Haftungsketten voneinander abweichen. Hinzu kommt die Forderung, pharmazeutische Dienstleistungen telepharmazeutisch zu vergüten und Heimbelieferungen über Kooperationsmodelle auch auf Distanz zu erlauben. Jeder dieser Punkte greift in die Architektur von Verantwortung, Dokumentation und Preisbildung ein – und damit in das ökonomische Fundament vieler Apotheken.
Schließlich rüttelt der Versandhandel an bewährten Ausgleichsmechanismen. Die Botendienstpauschale für Apotheken vor Ort soll entfallen, weil „gleiche Leistungen gleich vergütet“ werden müssten; gleichzeitig wird die rote Linie „kein Rx ohne Verordnung“ betont, um Patientensicherheit und klare Verantwortlichkeiten zu wahren. Für Apotheken vor Ort ist diese Kombination ambivalent: Einerseits wird an einem sicherheitskritischen Grundsatz nicht gerüttelt, andererseits würde ein Wegfall pauschaler Ausgleiche die betriebswirtschaftliche Stabilisierung genau dort schwächen, wo Nähe, Notdienstlogik und spontane Problemlösung täglich kostenwirksam werden. Die Reform entscheidet damit nicht nur über einzelne Paragrafen, sondern über die Deutungshoheit, was Versorgung im Jahr 2025 ausmacht – und wer dafür welchen Anteil der Sicherstellung bezahlt.
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