Fehlzeiten belasten Apotheken, Rechtsrahmen begrenzt Entgeltfortzahlung, Prüfwege schützen Teams
In inhabergeführten Apotheken zählt die Personalkostenquote oft zu den größten Belastungen, und krankheitsbedingte Fehlzeiten wirken hier wie ein Multiplikator auf Lohnfortzahlung und Organisation. Typische Korridore von 65 % bis 75 % der Betriebskosten für Personal bedeuten, dass zusätzliche Ausfalltage unmittelbar spürbar sind, selbst wenn Abläufe gut strukturiert sind. Jede Arbeitsunfähigkeit verursacht Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG und bindet Kapazitäten für Vertretung oder Mehrarbeit, was wiederum Zuschläge und weitere Kosten nach sich zieht. In Teams entsteht dabei schnell eine Verschiebung der Lasten, weil leistungsfähige Kolleginnen und Kollegen kurzfristig einspringen müssen und dadurch Ermüdungseffekte zunehmen. Rechnet man grob mit rund 14 bis 15 Fehltagen pro Kopf und Jahr, addieren sich die Bindekosten in einer Zehn-Personen-Apotheke rasch auf einen dreistelligen Tagewert, noch bevor externe Aushilfen oder Überstunden vollständig berücksichtigt sind.
Der rechtliche Rahmen begrenzt die Arbeitgeberpflichten und schafft zugleich klare Prüfpunkte. Das Entgeltfortzahlungsgesetz sieht für jeden Erkrankungsfall maximal sechs Wochen Lohnfortzahlung vor (§ 3 Abs. 1 S. 2 EFZG), wobei Fortsetzungserkrankungen innerhalb von sechs Monaten zusammengezählt werden können. In der Praxis zählt daher nicht nur die einzelne AU, sondern die Linie der Diagnosen, der zeitliche Zusammenhang und die medizinische Einordnung. Das Bundesarbeitsgericht hat am 11.12.2019 (Az. 5 AZR 505/18) betont, dass Arbeitnehmer die Darlegungslast für eine neue Erkrankung tragen können, wenn enge zeitliche Abfolgen Zweifel an einer Trennung der Verhinderungsfälle begründen. Für Apotheken bedeutet das, dass eine gewissenhafte, datensparsame Dokumentation der Fehlzeiten über Zeiträume von sechs bzw. zwölf Monaten rechtlich wie organisatorisch zentral ist.
Wo begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit entstehen, eröffnet § 275 Abs. 1a SGB V einen formalisierten Prüfweg über die Krankenkasse und den Medizinischen Dienst. Auslöser können zum Beispiel ungewöhnliche Sequenzen kurzer AUs, auffällige Muster rund um Urlaubszeiträume oder die Frage sein, ob tatsächlich eine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Der Medizinische Dienst prüft auf Basis der vorliegenden Unterlagen, die Rückmeldung an den Arbeitgeber bleibt dabei datenschutzkonform und beschränkt sich auf das Ob und den Zeitraum. Für Apotheken ist wichtig, dass eigene Ermittlungen in Gesundheitsdaten unterbleiben, während die berechtigte Nachfrage nach laienhaften Angaben zu Beschwerden und Funktionsbeeinträchtigungen zulässig sein kann, sofern sie sich auf die arbeitsrechtlich relevanten Punkte beschränkt. So entsteht ein Spannungsfeld, in dem Fürsorgepflicht und Missbrauchsprävention sauber getrennt werden müssen.
Finanziell bleibt die U1-Umlage nach dem AAG für viele kleinere Betriebe ein relevanter Dämpfer, weil je nach Kassenwahl bis zu etwa 80 % der Aufwendungen erstattet werden können. Allerdings mindert das Verfahren nur einen Teil des Schadens, denn organisatorische Reibungsverluste, Qualitätsrisiken in Stoßzeiten und die Vergütung von Mehrarbeit bleiben bei der Apotheke. Beispielhaft lässt sich zeigen, dass bereits bei einem Bruttolohn von rund 3.200 € für PTA/PKA und einer Ausfallquote von gut 20 Tagen pro Jahr fünfstellige Beträge an reinen Fortzahlungskosten zusammenkommen, ohne dass Vertretung, Einarbeitung oder Produktivitätslücken eingepreist wären. In der Folge steigen nicht selten die indirekten Risiken: Fehlerdruck in hektischen Phasen, sinkende Teamzufriedenheit und erhöhte Fluktuation mit erneuter Einarbeitungsschleife.
Die jüngere Rechtsprechung hat zusätzliche Konturen geschaffen, die Apotheken kennen sollten. Mit Urteil vom 18.01.2023 (Az. 5 AZR 93/22) hat das BAG die Linie fortgeführt, nach der die strikte Sechs-Wochen-Grenze je Verhinderungsfall vor missbräuchlicher Fragmentierung zu schützen ist, wenn die tatsächlichen Umstände auf Einheitlichkeit hindeuten. Arbeitgeber dürfen die Fortzahlung verweigern, wenn innerhalb der maßgeblichen Sechs- bzw. Zwölf-Monats-zeiträume bereits die Obergrenzen erreicht wurden und keine substantiiert neue Erkrankung dargelegt wird. Entscheidend bleibt jedoch die Einzelfallprüfung: Die Apotheke wahrt Verhältnismäßigkeit, dokumentiert nüchtern die Chronologie und stützt sich auf die formalen Kanäle über die Krankenkasse, statt eigene Befunde zu erheben oder pauschale Verdächtigungen zu äußern.
Operativ zahlt sich ein ruhiges, planvolles Fehlzeitenmanagement aus, das weder stigmatisiert noch Probleme verschweigt. Rückkehrgespräche unmittelbar nach der Wiederaufnahme der Arbeit helfen, Belastungsspitzen zu erkennen, Schichtmodelle anzupassen und Präventionsangebote gezielt zu setzen. Eine klar geregelte, früh kommunizierte Krankmeldekaskade reduziert Missverständnisse und vermeidet Eskalationen im Tagesgeschäft. Parallel wirkt die saubere Trennung von medizinischen Details und arbeitsrechtlich erforderlichen Informationen wie ein Schutzschirm für das Teamklima. So bleibt die Apotheke handlungsfähig: Rechtssicherheit durch § 3 EFZG und § 275 SGB V, wirtschaftliche Entlastung über die U1, und ein konsistenter organisationaler Rahmen, der Missbrauch erschwert, ohne berechtigte Erkrankungen zu delegitimieren.
Hauptmenü