• 21.06.2025 – Apotheken-News: Fachkräfte sichern Versorgung, Reformverzögerung lähmt Betriebe, ökonomischer Wandel destabilisiert das System

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Apotheken-News: Fachkräfte sichern Versorgung, Reformverzögerung lähmt Betriebe, ökonomischer Wandel destabilisiert das System

 

Warum internationale Integration zum Führungsfaktor wird, politische Versprechen Vertrauen verspielen und betriebswirtschaftliche Schwellenwerte Apotheken zur Disruption zwingen

Internationale Fachkräfte werden zunehmend vor Anerkennung eingebunden, weil Apotheken auf Integrationsfähigkeit und interkulturelle Kompetenz nicht mehr verzichten können – eine strategische Verschiebung, die aus Not heraus zur Chance wird, wenn Führung, Sprache und Arbeitsrealität klug verzahnt sind. Parallel aber lähmt die politische Unverbindlichkeit des Koalitionsvertrags selbst einfachste Reformprojekte, wodurch Personalentscheidungen, Standortplanungen und Investitionsvorhaben in eine Wartehaltung geraten, die mit jeder weiteren Verzögerung an Bindungskraft verliert. Ökonomisch verschiebt sich währenddessen die betriebswirtschaftliche Mindestgröße nach oben, sodass Apotheken Wachstum häufig nur noch durch das Wegbrechen benachbarter Betriebe erzielen – ein systemisches Paradox, das die ökonomische Substanz nicht stärkt, sondern versteckt aushöhlt. In dieser Gemengelage gewinnen strukturierte Interviews an Bedeutung, Notdiensthonorare an Sprengkraft, steuerliche Sonderabschreibungen an Risiko und gesellschaftliche Steuerentscheidungen an Vertrauensverlust. Die Antwort einiger Betriebe: Haltung, wie bei der Schleusen-Apotheke, Kreativität, wie beim Crowdfunding-Umbau, und Präventionslogik, wie bei diätetischen Blutdruckstudien. Doch ohne politische Umsetzung bleibt jede dieser Lösungen nur punktuell.


Die Zukunftsfähigkeit deutscher Apotheken entscheidet sich längst nicht mehr nur an der Rezepturtheke – sie wird an Schnittstellen ausgehandelt, an denen Integration, Investition, Gesetzgebung und betriebswirtschaftliche Realität aufeinandertreffen. Der akute Fachkräftemangel zwingt viele Betriebe zu neuen Wegen. Immer häufiger findet die Integration internationaler Kolleg:innen bereits vor der formellen Anerkennung statt – nicht als Notlösung, sondern als bewusste strategische Maßnahme. Sprache, interkulturelle Kompetenz und reale Arbeitserfahrung werden so frühzeitig verknüpft – mit Vorteilen für beide Seiten: Die Teams gewinnen an Vielfalt, Stabilität und Nähe zum Patienten, während die Zugewanderten systematisch ins Berufsfeld hineinwachsen.

Gleichzeitig erleben Apotheken eine politisch verursachte Unsicherheit, die sich quer durch unternehmerische Entscheidungen frisst. Der Koalitionsvertrag versprach zentrale Reformen – etwa die Erhöhung des Rx-Fixums, die Neuordnung der Skontipraxis und moderne Zuschlagsmodelle. Doch im Alltag bleibt davon wenig spürbar. Es ist nicht die Absicht, die fehlt – sondern die Umsetzung. Zwischen Ankündigung und Verbindlichkeit klafft ein Raum, in dem Planungen scheitern, Investitionen unterbleiben und Personalentwicklung blockiert wird.

In dieser Gemengelage nimmt der wirtschaftliche Druck strukturelle Züge an. Die betriebswirtschaftlich notwendige Umsatzgröße verschiebt sich stetig nach oben. In ländlichen Regionen liegt die Grenze zur Rentabilität bereits bei 2,5 Millionen Euro Jahresumsatz. Wer diese Schwelle nicht erreicht, steht zunehmend unter Schließungsdruck. Dabei entsteht ein paradoxes Phänomen: Das individuelle Wachstum einer Apotheke ergibt sich oft erst durch das Wegbrechen anderer Standorte im Umfeld – ein Nullsummenspiel, das nicht mit Versorgungssicherheit, sondern mit Marktverdrängung operiert.

Zugleich wächst die Erkenntnis, dass gute Führung kein Soft Skill mehr ist, sondern Überlebensfaktor. Strukturierte Interviews setzen sich als Standard für die Personalauswahl durch – nicht aus akademischem Ehrgeiz, sondern aus praktischer Notwendigkeit. In kleinen Teams hat jede Neueinstellung unmittelbare Wirkung auf den Arbeitsfluss, das Klima und die Qualität der Patienteninteraktion. Fehlbesetzungen lassen sich kaum kompensieren – umso wichtiger sind valide Auswahlverfahren, die sowohl Kompetenz als auch Passung zuverlässig erfassen.

Der Ruf nach angemessener Entlohnung trifft ebenfalls auf eine Wand aus Verzögerung und Symbolpolitik. Die Forderung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg nach einem pauschalen Notdiensthonorar von 2.000 Euro netto pro Dienst bringt Bewegung in die Debatte. Die Kammer rechnete öffentlich vor: Bei rund 350.000 Notdiensten pro Jahr ergäbe sich ein Fördervolumen von etwa 700 Millionen Euro – mehr als eine bloße Tarifanpassung. Der Vorschlag provoziert, weil er offenlegt, wie stark der Nacht- und Notdienst bislang unterfinanziert ist und wie wenig politische Bereitschaft zur strukturellen Entlastung besteht.

Gleichzeitig geraten steuerliche Förderinstrumente in die Kritik. Die Sonderabschreibung für Mietwohnungsneubau (§ 7b EStG) soll Bauinvestitionen anregen – auch Apotheker:innen mit vermieteten Einheiten oder im Familienverbund profitieren potenziell. Doch das BMF-Schreiben zeigt: Die Bedingungen sind derart formalistisch, fristgebunden und auslegungsbedürftig, dass die Förderung in vielen Fällen an der Praxis vorbeigeht. Hier kollidieren Steuerrecht, Investitionswillen und unternehmerische Realität.

Ebenfalls unter massiver Beobachtung steht die Rentenbesteuerung. Der Wegfall der Vorläufigkeitsvermerke in Steuerbescheiden zu gesetzlichen Renten entfaltet tiefgreifende gesellschaftliche Wirkung. Was bisher als Korrekturpotenzial offenblieb, wird nun final festgeschrieben – selbst bei laufenden juristischen Auseinandersetzungen um Doppelbesteuerung. Der Staat verlagert das Risiko auf die Einzelnen, zwingt zu Klagen und verliert Vertrauen in einer Bevölkerung, die auf Gerechtigkeit und Nachvollziehbarkeit angewiesen ist.

Parallel sorgt der GKV-Überschuss von 1,8 Milliarden Euro im ersten Quartal 2025 für Fehlinterpretationen. Während die Zahlen Stabilität suggerieren, weisen Fachverbände wie der vfa auf strukturelle Fehlanreize hin: Einnahmen sinken, versicherungsfremde Leistungen steigen, Reserven werden entwertet. Die Forderung nach einer steuerfinanzierten Abgeltung nichtversicherter Aufgaben ist deshalb nicht nur wirtschaftlich nachvollziehbar, sondern gesundheitspolitisch notwendig.

Dass unternehmerische Kreativität den Handlungsspielraum erweitern kann, zeigt Franziska König aus Niederösterreich: Per Crowdfunding finanzierte sie einen Apothekenumbau, der sonst an bankinternen Hürden gescheitert wäre. Das Vertrauen der Kund:innen wurde zur Investition – ein Modell, das auch in Deutschland Aufmerksamkeit verdient. Denn es zeigt: Investitionskraft ist nicht nur eine Frage der Bonität, sondern auch der Gemeinschaft.

Ein weiteres Zeichen gegen den allgemeinen Rückzug setzte die Schleusen-Apotheke in Sachsenhausen. Zum 100-jährigen Bestehen erklärte Inhaberin Mandy Kuhrau öffentlich: „Schließen? Mitnichten!“ In Zeiten flächendeckender Rückzüge wirkt diese Haltung fast wie ein kulturpolitisches Statement. Standortbindung wird zur Strategie – getragen von Identität, Präsenz und unternehmerischem Mut.

Am Ende ist es auch der gesundheitspolitische Blick, der sich erweitert: Eine US-Studie zur Salzreduktion bei Typ-2-Diabetiker:innen mit Bluthochdruck belegt signifikante Senkungen des systolischen Wertes – unabhängig von Medikation. Diese Erkenntnis fordert nicht nur Behandlungsstrategien heraus, sondern positioniert Prävention als systemische Intervention. Ernährung, Beratung, Lebensführung – Apotheken könnten hier als Vermittler einer neuen Versorgungslogik auftreten.

Fazit: Die Lage der Apotheken ist weder eindimensional noch hoffnungslos. Wer Integration ernst nimmt, wer Führung professionalisiert, wer kreative Finanzierungswege nutzt und politisch auf Umsetzung drängt, kann bestehen. Doch ohne strukturelle Reformen bleibt jeder Fortschritt fragil. Integration und ökonomische Resilienz allein genügen nicht – es braucht eine neue Verbindlichkeit im politischen Handeln, eine Rückbesinnung auf die Fläche und eine systemische Investition in die Zukunft.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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