• 04.06.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Die Illusion der Sicherheit, die Haftungsfalle der Formalstruktur, der Prüfstein gelebter Qualität

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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: Die Illusion der Sicherheit, die Haftungsfalle der Formalstruktur, der Prüfstein gelebter Qualität

 

Warum dokumentiertes Qualitätsmanagement Apotheken gefährdet, wie Versicherer bei Regelverstößen Leistung kürzen und welche Führungsfehler zur persönlichen Haftung führen

Wenn Apotheken auf ihre Dokumentation vertrauen, ohne deren Umsetzung sicherzustellen, entsteht ein juristisches Risiko, das sich nicht durch gute Absicht entschärfen lässt – der Fall QMH zeigt, wie schnell ein Regelwerk zur Belastungsquelle werden kann. Parallel erschüttert ein Zyto-Prozess in Hamburg das Vertrauen in ärztlich-apothekerliche Kooperationen, während SPD und CDU mit personellen Neuzuweisungen Apothekenpolitik neu gewichten. Mit Franziska Scharpf formiert sich eine Führungsfigur für die Standespolitik, während das Bundeswehrsymposium Apotheken als Teil der Sicherheitsarchitektur einordnet. Die Maskenbericht-Geheimhaltung wirft Fragen nach Transparenz und Rechenschaft auf, ein Cannabis-Rückruf zeigt Defizite bei Produktsicherheit, und der Rückzug der Internationalen Praxis Dresden macht deutlich, wie integrationssensible Versorgungsstrukturen abgebaut werden. Mit Sebastian Schmidt rückt die CDU das Apothekenthema in die politische Mitte, der BVVA fordert gesetzlich fixierte Versorgungstypen, und die Rezepturherstellung wird zur wirtschaftlichen Belastung – ein Spiegel für Systemverantwortung in ihrer ganzen Ambivalenz.

 

Die Illusion der Sicherheit, die Haftungsfalle der Formalstruktur, der Prüfstein gelebter Qualität

Warum dokumentiertes Qualitätsmanagement Apotheken gefährdet, wie Versicherer auf Umsetzungslücken reagieren und wieso Führung mehr verlangt als Ordnung

In Apotheken gilt das Qualitätsmanagementhandbuch (QMH) als Fundament betrieblichen Selbstverständnisses. Es strukturiert Abläufe, sichert gesetzliche Anforderungen und verleiht dem Anspruch auf pharmazeutische Qualität ein verbindliches Gesicht. Doch genau darin liegt die Krux: Die juristische und versicherungstechnische Wirkung eines QMH entfaltet sich nicht durch seine Existenz – sondern durch seine Umsetzung. Und gerade an dieser Stelle offenbart sich ein fundamentaler Widerspruch, der Apotheken nicht schützt, sondern angreifbar macht. Denn was dokumentiert ist, wird rechtlich bindend – unabhängig davon, ob es im Betriebsalltag tatsächlich gelebt wird. Wer ein Regelwerk führt, steht damit nicht auf der sicheren Seite, sondern auf der Anklagebank, wenn die Regel missachtet oder unvollständig überführt wurde. Die Realität vieler Apotheken zeigt: Die Lücke zwischen Anspruch und gelebter Praxis ist oft größer, als es das gepflegte Deckblatt des QMH vermuten lässt.

Dabei ist das Dilemma strukturell angelegt. Qualitätsmanagementsysteme versprechen Ordnung, Verlässlichkeit und Sicherheit – doch sie erzeugen zugleich eine Verpflichtung, die leicht in die Haftungsfalle führen kann. Ein klassisches Beispiel ist die Einführung neuer Prozesse: Etwa ein aktualisiertes Abrechnungsverfahren für Milchpumpen. Wird die Änderung dokumentiert, aber nicht kommuniziert, entstehen gleich zwei Bruchstellen. Erstens die interne Verletzung des eigenen Prozesses – zweitens die externe Erwartung, dass die dokumentierte Regel eingehalten wird. Kommt es dann zu Fehlbuchungen oder Retaxationen, haftet nicht die Unwissenheit, sondern der Widerspruch zwischen Festlegung und Umsetzung. Und genau hier kippt die Dokumentation von der Schutzmaßnahme zur Beweislast. Die Apotheke hat es gewusst – zumindest auf dem Papier. Das reicht.

Denn juristisch wird ein QMH zur öffentlich wirksamen Selbstverpflichtung. Es fungiert gegenüber Kassen, Behörden und Patienten als Beleg für die intern geltende Norm. Wird diese nicht eingehalten, liegt kein Versehen vor, sondern Organisationsverschulden. Der Begriff klingt technisch, hat jedoch erhebliche rechtliche Tragweite. Im Unterschied zur Individualverantwortung einzelner Mitarbeitender richtet sich das Haftungsrisiko nun gegen die Leitung der Apotheke – mit der Begründung, sie habe die ordnungsgemäße Umsetzung nicht sichergestellt. Die Beweisführung ist dabei ebenso simpel wie brutal: Was festgelegt wurde, muss bekannt gewesen sein. Und was bekannt war, hätte geschult, überprüft und kontrolliert werden müssen. Fehlt eine dieser Ebenen, entsteht das Risiko grober Fahrlässigkeit – mit unmittelbaren Folgen für Versicherungsschutz, Regresspflicht und unternehmerische Existenz.

Vor diesem Hintergrund ist die Rolle von Versicherungen neu zu bewerten. Die klassische Betriebshaftpflicht erscheint vielen Inhabern als stabiler Rückhalt – doch in der Praxis greift sie oft gerade dann nicht, wenn es zählt. Denn Versicherer prüfen bei Schadenfällen, ob die Organisation ihrer Verpflichtung zur Qualitätssicherung strukturell nachgekommen ist. Das bedeutet: Wurde die Änderung nicht nur niedergeschrieben, sondern auch umgesetzt? Gab es nachvollziehbare Informationsweitergabe? Wurden Mitarbeitende verpflichtet, geschult und deren Kenntnisnahme dokumentiert? Bleiben diese Fragen unbeantwortet oder fehlen belastbare Nachweise, stufen viele Versicherungen den Fall als grob fahrlässig ein – und verweigern die Leistung. Im schlimmsten Fall bleibt die Apotheke auf dem finanziellen Schaden sitzen – obwohl ein vermeintlich lückenloses QMH existiert.

Genau hier setzen Spezialversicherungen an. Vertrauensschadenversicherungen oder Allrisk-Policen bieten erweiterten Schutz, auch bei internen Managementfehlern oder Umsetzungsdefiziten. Doch selbst diese greifen nur unter einer Bedingung: dass die grundlegenden betrieblichen Strukturen aktiv gelebt werden. Das heißt: Qualität muss mehr sein als ein Kapitelverzeichnis. Sie muss Teil der Führungskultur, der Teamentwicklung und der operativen Wirklichkeit sein. Wer diese Verantwortung delegiert oder verwaltet, anstatt sie aktiv zu führen, baut auf Sand – und zahlt im Schadensfall mit juristischer Haftung oder wirtschaftlichem Substanzverlust.

Besonders prekär wird es, wenn Apotheken in der Komplexität des Qualitätsmanagements die Kontrolle verlieren. Je mehr Vorschriften dokumentiert sind, desto größer die Gefahr, dass Änderungen unbemerkt bleiben oder falsche Versionen kursieren. Ein veralteter Prozess, ein nicht gelöschter Anhang oder eine unklare Formulierung kann dann zur Stolperfalle werden. Und in der Rückschau ist es nicht die objektive Fehlerhaftigkeit, die zur Haftung führt – sondern der nachweisliche Bruch der selbst gewählten Norm. Insofern ist jedes QMH ein doppeltes Versprechen: an die Ordnung und an deren Umsetzung. Wer das eine ohne das andere betreibt, bewegt sich in einer gefährlichen Grauzone zwischen Ordnungssimulation und Verantwortungsverzicht.

Daraus folgt eine klare Konsequenz für Apothekeninhaberinnen und Inhaber: Es reicht nicht, ein QMH zu führen. Es muss verstanden, vermittelt, kontrolliert und gepflegt werden. Änderungen müssen strukturiert kommuniziert werden – mit verbindlicher Schulung, schriftlicher Bestätigung und stichprobenartiger Kontrolle. Nur so entsteht ein lebendiges System, das nicht nur der Prüfung standhält, sondern tatsächlich schützt. Denn Qualität ist kein Zustand – sie ist eine Handlung. Und wer sie nicht aktiv ausübt, verliert nicht nur die Kontrolle über die Organisation, sondern auch die rechtliche Deutungshoheit im Konfliktfall.

Der Anspruch auf Qualität wird zur Haftungsfalle, wenn er nicht begleitet wird von Führungsstärke, Verantwortungsbewusstsein und betrieblicher Disziplin. In einer zunehmend komplexen und regulierten Umgebung sind Apotheken gut beraten, die Illusion der Sicherheit nicht mit ihrer Substanz zu bezahlen. Papier schützt nicht. Struktur allein auch nicht. Was schützt, ist gelebte Verantwortung.

 

Finanzierung im Graubereich, Versorgung im Zielkonflikt, Vertrauen im Kreuzverhör

Wie ein Hamburger Krebsarzt, ein Zyto-Apotheker und ein Berater vor Gericht stehen, ihre Sicht als Hilfeleistung schildern – und die Justiz eine Millionenschadensstruktur erkennt

Es ist ein Prozess, der nicht nur strafrechtlich, sondern auch strukturell tief ins deutsche Gesundheitssystem eingreift. Vor dem Hamburger Landgericht müssen sich derzeit ein 63-jähriger Onkologe, ein 59-jähriger Apotheker sowie ein 65-jähriger Unternehmensberater verantworten. Die Anklage lautet auf gewerbsmäßige Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit im Gesundheitswesen – in Verbindung mit mutmaßlichem gemeinschaftlichem Abrechnungsbetrug in dutzenden Fällen. Es geht um Darlehen, Rezeptflüsse, Herstellungsprivilegien für Zytostatika und die Frage, ob zwischen Patientenwohl und wirtschaftlicher Interessenverflechtung überhaupt noch eine Trennlinie bestand.

Die Vorgeschichte ist komplex. Zwischen 2016 und 2021 soll der Reinbeker Krebsarzt laut Staatsanwaltschaft mit dem Apotheker aus dem Hamburger Stadtteil Harburg eine dauerhafte Rezeptübergabe vereinbart haben. Im Gegenzug soll es ein Darlehen über exakt 157.500 Euro gegeben haben – voll verzinst, wie die Verteidigung betont. Zwischen Oktober 2017 und Ende 2021 rechnete die Apotheke mutmaßlich insgesamt 32 solcher Rezeptfälle mit einer gesetzlichen Krankenkasse ab, in bewusster Verletzung der Abrechnungsregeln, wie die Anklage formuliert. Der geschätzte Gesamtschaden: 1,2 Millionen Euro. Doch die Verteidigung widerspricht vehement – und versucht, ein anderes Bild zu zeichnen: kein Deal, sondern ein Hilferuf.

So stellt der Apothekeranwalt klar, sein Mandant habe nur aus persönlicher Verbundenheit geholfen. Der Arzt habe sich in einer schweren finanziellen Lage befunden, verursacht durch einen gescheiterten Geschäftspartner. Der Kredit sei rechtlich geprüft worden – sogar von einem Medizinrechtler, der keinen Verstoß erkannt habe. Es habe keinerlei Gegenleistung oder Verpflichtung gegeben, die Zyto-Rezepte der eigenen Apotheke zuzuleiten. Das Ganze sei ein Missverständnis, vielleicht ein formal unsauberes, aber nie ein kriminelles Arrangement gewesen.

Auch der Onkologe betont seine Haltung. Patientenwohl habe bei ihm stets Priorität gehabt. Die Arzneimittelversorgung mit Zytostatika sei anspruchsvoll, es gebe nur wenige Apotheken, die zeitnah liefern könnten – und darunter habe sich der Harburger Betrieb als zuverlässig erwiesen. Dass man den Weg der Kooperation gewählt habe, sei medizinisch und logistisch nachvollziehbar, nicht jedoch Ausdruck korrupter Motive. Mehr noch: Der Arzt habe sich in der Vergangenheit selbst für mehr Transparenz und Antikorruptionsmechanismen eingesetzt. „Ich hielt und halte das alles für rechtskonform“, ließ er am ersten Verhandlungstag erklären.

Doch die Justiz bewertet das anders. Die Abrechnungen seien unzulässig gewesen, weil sie aus einer verbotenen Zuwendungsbeziehung resultierten. Die Krankenkasse sei über den wahren Charakter der Kooperation nicht informiert gewesen und habe die Leistungen daher irrtümlich bezahlt. Damit liege ein gewerbsmäßiger Betrug vor – und das nicht in einem, sondern gleich in 32 dokumentierten Fällen. Der Vorwurf wiegt schwer, gerade vor dem Hintergrund, dass Zytostatika ein hochsensibles Segment der Arzneimittelversorgung betreffen, mit besonderen Anforderungen und Margen.

Hinzu kommt ein zweiter Strang der Anklage, der das Bild weiter verdichtet. Ein 65-jähriger Unternehmensberater, der wiederum mit einer Apotheke im unterfränkischen Aschaffenburg verbunden war, soll ab Februar 2017 ebenfalls eine Darlehensbeziehung mit dem Onkologen eingegangen sein. Insgesamt rund 1,5 Millionen Euro flossen über diesen Kanal – angeblich wiederum ohne direkte Gegenleistung. Doch auch hier sehen die Ermittler eine strukturierte Absprache: Rezepte gegen Kapital, Einflussnahme gegen Profit, Verantwortung gegen Interessenverflechtung. Die Verteidigung des Beraters spricht hingegen von einem formal korrekten Kredit, mit Rückzahlungsabsicht und ohne medizinisch-pharmazeutischen Bezug.

Bezeichnend ist, dass alle drei Angeklagten zu Prozessbeginn bemüht waren, ihre Handlungen in eine Grauzone zwischen moralischer Hilfestellung, branchentypischem Vertrauen und juristischer Korrektheit zu rücken. Und doch wird deutlich, dass es um mehr geht als um formale Kreditverträge. Es geht um das Grundverständnis heilberuflicher Unabhängigkeit, um die strukturelle Integrität zwischen Ärzten und Apothekern – und um das Systemrisiko, das entsteht, wenn persönliche Loyalität, wirtschaftlicher Druck und Arzneimittelverordnung ineinander übergehen.

Der Kontext macht die Brisanz des Falles deutlich. Erst wenige Tage zuvor war ein anderer Zytostatika-Komplex in Hamburg in die Schlagzeilen geraten: Die Alanta Health Group steht im Verdacht, ein systematisches Kick-back-System etabliert zu haben, bei dem Ärzte zur Verschreibung firmeneigener Krebspräparate motiviert wurden – gegen Bestechung. Auch dort geht es um Millionenbeträge, Rezeptmengen, Apothekenbeteiligungen und Fragen ethischer wie strafrechtlicher Grenzüberschreitungen. Das Landgericht betont, dass es keine formale Verbindung zwischen den beiden Fällen gebe. Inhaltlich jedoch zeichnen sich frappierende Parallelen ab.

Vor allem aber zeigen beide Verfahren, wie fragil die Abgrenzung zwischen ärztlicher Therapiefreiheit, pharmazeutischer Leistungsfähigkeit und ökonomischem Eigeninteresse geworden ist – gerade im hochpreisigen Segment der Onkologie. Der Hamburger Zyto-Prozess dürfte in den kommenden Wochen nicht nur juristische Fragen klären, sondern auch politische Reaktionen provozieren: Braucht es schärfere Offenlegungspflichten? Müssen Zuweisungen transparenter gemacht werden? Reichen die bisherigen Antikorruptionsregeln im Gesundheitswesen noch aus?

Für das Gericht stehen nun 14 Verhandlungstage an. Ob sie genügen, um alle Facetten des Falles auszuleuchten, ist fraglich. Denn hinter den Paragraphen liegt eine tiefere Systemfrage: Wie viel Nähe darf es zwischen Heilberufen und Kapital geben – und ab wann wird sie justiziabel?

 

Politik sortiert sich neu, Verantwortung wird verlagert, Erwartungsdruck steigt

Mit Tanja Machalet übernimmt eine Ökonomin die Apothekenzuständigkeit der SPD – der Wechsel markiert mehr als nur ein personelles Update

Wenn in Berlin Zuständigkeiten neu verteilt werden, liegt der Teufel oft nicht nur im Detail, sondern in der politischen Absicht, die damit verknüpft ist. Die SPD-Fraktion hat ihre internen Berichterstattungen für zentrale Bereiche der Gesundheitspolitik neu besetzt – und sendet mit der Auswahl klare Signale: Dr. Tanja Machalet übernimmt die Apothekenzuständigkeit, Matthias Mieves wechselt in die Arzneimittelberichterstattung. Beide sind wirtschaftlich versierte Köpfe, deren parteiinterne Profilierung nicht zufällig über Schnittstellen zur Finanzierung, Digitalisierung und Systemstruktur verläuft. Was wie ein routinierter Wechsel erscheint, könnte tiefere Spuren in der Apothekenpolitik hinterlassen, gerade weil die SPD unter dem Druck steht, sich in der Gesundheitsversorgung klarer zu positionieren – zwischen Koalitionsrealität und Wählererwartung.

Machalet, promovierte Diplom-Volkswirtin, sitzt seit 2021 im Bundestag, ist Vorsitzende des Gesundheitsausschusses und bringt ein arbeits- und sozialpolitisches Fundament mit, das sie bislang eher in breit angelegten Themenfeldern eingesetzt hat. Nun übernimmt sie einen Bereich, der derzeit nicht nur fachlich komplex, sondern politisch aufgeladen ist: Apothekenpolitik bedeutet aktuell Honorarfragen, Versorgungssicherheit, Digitaldruck und ein wachsendes Missverhältnis zwischen Verantwortung und Handlungsspielraum. Dass Machalet, die aus Rheinland-Pfalz stammt und im Westerwald verwurzelt ist, diesen Bereich übernimmt, hat strategische Wirkung – der ländliche Raum ist überproportional vom Apothekensterben betroffen, die Erwartungshaltung der Basis ist hoch.

Sie tritt in die Fußstapfen von Dirk Heidenblut, der als profilierter und engagierter Fürsprecher der Apotheken galt und zur Bundestagswahl 2025 nicht mehr antrat. Heidenblut war nicht nur ein Kenner des Systems, sondern vor allem jemand, der die Belange der Apothekerinnen und Apotheker nicht als Randthema, sondern als Fundament einer funktionierenden Daseinsvorsorge verstand. In vielen Debatten stand er – manchmal auch gegen den Mainstream seiner Partei – für eine eigenständige Rolle der Offizin ein. Der Vergleich zu seiner Nachfolgerin wird zwangsläufig gezogen werden, nicht zuletzt von den Berufsverbänden, die seit Monaten auf belastbare Aussagen und strukturelle Zusagen warten.

Parallel dazu wurde mit Matthias Mieves ein weiterer Wechsel vollzogen: Der Digitalisierungsexperte übernimmt die Verantwortung für den Bereich Arzneimittel. Er folgt auf Martina Stamm-Fibich, die dem neuen Bundestag nicht mehr angehört. Mieves, zuvor bereits gesundheitspolitisch aktiv mit Fokus auf die Telematikinfrastruktur, dürfte die Rolle aus einer anderen Perspektive interpretieren – weniger heilberuflich, mehr systemtechnisch. Der Arzneimittelmarkt steht aktuell unter massivem Transformationsdruck: Lieferengpässe, globale Abhängigkeiten, Preisentwicklungen und regulatorische Unschärfen prägen das Bild. Die Hoffnung der SPD scheint darin zu liegen, mit technischer Expertise auch politisch verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Doch das allein reicht nicht. Die Apotheken erleben derzeit einen rapiden Substanzverlust – nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch kulturell und strukturell. Jede politische Entscheidung, jede kommunikative Unklarheit hat unmittelbare Auswirkungen auf das Berufsbild und das Systemvertrauen. Wenn Machalet und Mieves diesen Kontext ernst nehmen, müssen sie ihn nicht nur fachlich durchdringen, sondern aktiv gestalten. Es geht nicht mehr um Feinjustierung, sondern um grundsätzliche Weichenstellungen: Wie viel öffentliche Apotheke will und schützt die SPD künftig noch? Welche Antworten gibt es auf die Erosion des ländlichen Versorgungsnetzes, auf die Rückzugsdynamik selbst in Metropolregionen? Und vor allem: Welche politischen Mittel wird die SPD in der laufenden Legislatur gegen die strukturelle Auszehrung der Apotheken überhaupt noch durchsetzen können?

Für Machalet wird es kein Einstieg mit Schonfrist. Die Gespräche zum Apothekenhonorar, zur Reform des Fixums, zur Sicherung der Nacht- und Notdienste stehen an. Die ABDA fordert Klartext, die Öffentlichkeit zunehmend konkrete Ergebnisse. Es wird sich zeigen, ob Machalet das gesundheitspolitische Profil ihrer Partei nicht nur verwalten, sondern erneuern kann – durch die Kombination aus ökonomischem Verstand, Ausschussautorität und Empathie für die Berufsrealität vor Ort.

 

Verantwortung braucht Wandel, Sichtbarkeit braucht Führung, Nachwuchs braucht Perspektiven

Wie Franziska Scharpf Bayerns Apothekerschaft neu positionieren will, welche Rolle der Berufsstand in der Gesundheitsversorgung spielen soll und warum ihr Fokus auf dem Nachwuchs liegt

Sie wurde vorbereitet, gedrängt, gewählt – und jetzt steht Franziska Scharpf an der Spitze der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK). Mit 41 Jahren tritt sie in eine der sichtbarsten Positionen des Berufsstandes ein – zu einem Zeitpunkt, da politische Umbrüche, wirtschaftliche Gefahren und gesellschaftliche Unsicherheit das Fundament der öffentlichen Apotheke ins Wanken bringen. Ihre Wahl ist kein Zufall. Sie ist Signal, Richtungsentscheidung und Bewährungsprobe in einem. Denn nach dem Rückzug von Thomas Benkert, der seit 2010 das Amt prägte, soll Scharpf nicht einfach nur verwalten, sondern führen, wandeln, einlösen. Ihre Agenda: Nachwuchsförderung, berufspolitische Sichtbarkeit, strategische Neupositionierung des Apothekerberufs – und das mit einer Klarheit, die in der Standespolitik lange gefehlt hat.

Schon im Januar übernahm sie die Rolle der Vizepräsidentin der Bundesapothekerkammer. Sie kennt die Berliner Bühne, das Ringen um Aufmerksamkeit, die asymmetrischen Debatten mit Ministerien und Verbänden. In Bayern führt sie nun die größte deutsche Landesapothekerkammer – und muss nicht nur verwalten, sondern auch wieder Vertrauen stiften: in einen Berufsstand, der sich von der Politik vielfach übergangen fühlt, vom Markt unter Druck gesetzt sieht und intern an Orientierung verloren hat. Dass Scharpf aus Sonthofen kommt, einem Ort fernab der Metropolen, ist dabei kein Nachteil – sondern Teil ihrer Glaubwürdigkeit. Sie kennt den Alltag der Versorgung im ländlichen Raum, weiß um die Herausforderungen, die weit jenseits der gesundheitspolitischen Modellprojekte liegen.

Ihr Verständnis von Präsidentschaft ist dabei erkennbar nicht repräsentativ, sondern aktivistisch im besten Sinn. Sie will gestalten, nicht reagieren. Ihr zentrales Versprechen nach der Wahl: Die Vor-Ort-Apotheke als verlässlicher Versorgungspartner bleibt erhalten – aber sie soll zugleich als moderner Gesundheitsdienstleister weiterentwickelt werden. Es ist ein doppelter Anspruch, der zugleich die Leistung bewahrt und das Berufsbild transformiert. Dabei betont sie einen Punkt mit aller Konsequenz: „Wir Apothekerinnen und Apotheker sind bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen.“ Diese Bereitschaft ist nicht neu – doch selten wurde sie mit solcher Verbindlichkeit eingefordert wie jetzt.

Der Übergang von Benkert zu Scharpf markiert dabei nicht nur einen Generationswechsel, sondern einen Kurswechsel in Ton und Taktik. Benkert bleibt Ehrenpräsident, mit großem Respekt verabschiedet. Doch der neue Kurs wird anders sein: fokussierter, digitaler, beweglicher. Mit dem erklärten Ziel, die Apotheken wieder näher an die Entscheidungstische zu bringen – in München ebenso wie in Berlin. Scharpf will den Dialog mit Kommunal- und Landespolitik intensivieren, strategische Allianzen in der Pflege, bei Hausärzten und kommunalen Gesundheitsämtern ausbauen. Dabei setzt sie auf die fachliche Autorität der Apothekenteams – ein Punkt, der ihr besonders wichtig ist: „Die Expertise im stationären wie öffentlichen Bereich ist enorm – und wird bislang politisch zu wenig genutzt.“

Ins Zentrum rückt sie auch die Nachwuchsfrage: Mit dem Renteneintritt der Babyboomer, der fortschreitenden Feminisierung des Berufs und den strukturellen Defiziten in der Ausbildung droht eine dramatische Lücke in der Versorgung. Scharpf sieht das nicht nur als Risiko, sondern als Hebel: Wer Nachwuchs gewinnen will, muss Perspektiven bieten – nicht nur finanziell, sondern auch inhaltlich. Hier beginnt ihre Vision von einer neuen Apotheke: mehr heilberufliche Verantwortung, mehr Präventionsarbeit, mehr Sichtbarkeit im Quartier. Der Apotheker als Arzneimittelexperte bleibt – doch er wird erweitert durch den Apotheker als Gesundheitsakteur.

Dass sie neben dem BAK-Amt auch als Vizepräsidentin des Verbands Freier Berufe in Bayern fungiert, ist dabei kein Zufall. Es unterstreicht ihre Strategie, die Apotheke nicht isoliert als Einzelkämpfer im System zu sehen, sondern als Teil einer professionsübergreifenden Allianz, die im Gesundheitswesen neue Rollen fordert. Gerade in Zeiten ökonomischer Schwächung und politischer Ignoranz braucht es genau diesen Schulterschluss, um Einfluss zu behaupten. Die Nähe zur BAK sichert ihr Sichtbarkeit auf Bundesebene, der Kammerposten in Bayern gibt ihr Rückhalt in der Fläche – beides zusammen macht sie zur zentralen Figur eines notwendigen Neuaufbruchs.

Mit Dr. Sonja Mayer und Alexander Freiherr von Waldenfels an ihrer Seite ist auch der neue Vorstand der BLAK klar formiert – fachlich stark, politisch profilierbar. Jetzt geht es darum, den Worten eine Struktur, der Struktur eine Wirkung zu geben. Scharpf weiß, dass sie keine Schonfrist hat. Die Zeit politischer Selbstgespräche ist vorbei. Wer die öffentliche Apotheke verteidigen will, muss sie erklären, wandeln und sichtbar machen. Genau das hat sie sich vorgenommen. Und genau das wird nun von ihr erwartet.

 

Verantwortung vertagt, Transparenz verhindert, Aufarbeitung verschleiert

Warum der Maskenbericht des BMG unter Verschluss bleibt, welche Versprechen Lauterbach nicht einlöste und wie das Vertrauen in politische Rechenschaft leidet

Als Karl Lauterbach im Frühjahr 2023 vor die Presse trat, schien der Wille zur Aufklärung unmissverständlich: Die Maskengeschäfte seines Vorgängers Jens Spahn sollten nicht unter den Teppich gekehrt, sondern „gründlich und transparent“ aufgearbeitet werden. Es war ein selten deutlicher Moment politischer Hygiene, ein implizites Eingeständnis, dass in der Frühphase der Pandemie Entscheidungsdruck und Opportunismus mitunter gefährlich verschwammen. Margaretha Sudhof, erfahrene Staatssekretärin mit Stationen in Justiz- und Verteidigungsministerium, wurde beauftragt, Licht in das Dickicht aus Maskendeals, Direktbeschaffungen und Notverordnungen zu bringen. Ihr Bericht liegt nun vor. Doch statt Öffentlichkeit herrscht Schweigen, statt Transparenz Geheimhaltung. Das Bundesgesundheitsministerium stuft die Ergebnisse als „nur für den Dienstgebrauch“ ein. Was angekündigt war als schonungslose Bilanz, endet in einem vertraulichen Papier, das nie das Licht der politischen Debatte erblicken soll.

Diese Kehrtwende ist nicht bloß ein Kommunikationsdesaster für das von Lauterbach einst selbst initiierte Projekt. Sie offenbart eine tieferliegende strukturelle Malaise im Umgang staatlicher Stellen mit Verantwortung im Ausnahmezustand. Während Milliardenbeträge für Masken, Schutzkittel und Beatmungsgeräte ausgegeben wurden – teils an politisch gut vernetzte Unternehmen, teils über Verfahren, die allen Grundsätzen des Haushaltsrechts widersprechen – bleibt die Frage nach individueller wie institutioneller Verantwortung ungeklärt. Der von Sudhof federführend erarbeitete Sonderbericht sollte genau diese Dimension beleuchten: Wer entschied wann, auf welcher Grundlage, mit welchen Folgen für die Staatskasse – und wo wurden gesetzliche Standards gezielt oder aus Fahrlässigkeit unterlaufen? Dass all diese Punkte nun in einem Sammelbericht zur „Beschaffung medizinischer Versorgungs- und Gebrauchsgüter“ untergehen sollen, ist nicht nur ein technokratischer Taschenspielertrick, sondern ein schwerwiegender Rückschritt für die demokratische Kontrollfunktion parlamentarischer Öffentlichkeit.

Die Legitimation des Schweigens lautet: laufende Abstimmungen, formale Klassifizierungen, Haushaltsrecht. Doch das politische Signal ist ein anderes. Wer unter dem Schlagwort der Transparenz eine Aufarbeitung verspricht und sie dann im Verwaltungsdunkel versenkt, beschädigt mehr als nur seine eigene Glaubwürdigkeit. Er konterkariert die politische Lehre aus der Pandemie: dass Notlagen keine rechtsfreien Räume sein dürfen. Dass schnelle Beschaffung nicht gleich Intransparenz bedeuten muss. Und dass politische Führung mehr ist als operative Verwaltung.

Dabei ist der Zeitpunkt der Verschleierung besonders fatal. Mitten im Bundestagswahlkampf mehren sich die Debatten um politische Integrität, und Vertrauen in staatliches Handeln ist ein brüchiges Gut geworden – nicht zuletzt wegen der fragwürdigen Deals, in denen Millionenmasken unbrauchbar, überteuert oder schlicht unnötig beschafft wurden. Dass ausgerechnet Lauterbach, der sich stets als Anwalt wissenschaftlicher Redlichkeit und administrativer Verantwortung inszenierte, nun als politischer Auftraggeber eines Berichts auftritt, der nie öffentlich wird, hat eine bittere Ironie. Es verschärft den Eindruck, dass Aufarbeitung nur dann betrieben wird, wenn sie keine parteipolitische Loyalitäten verletzt.

Nicht nur die Öffentlichkeit, auch der Bundestag bleibt im Unklaren. Der Haushaltsausschuss, dem die Ergebnisse zugeleitet werden sollen, wird mit der nebulösen Formel „zu gegebener Zeit in geeigneter Form“ vertröstet. Ein Zeitpunkt? Unbekannt. Ein Veröffentlichungsmodus? Offen. Ein politischer Wille zur Aufklärung? Kaum erkennbar. Stattdessen eine bewährte Methode der Aufarbeitungssabotage: Verschmelzen, Verschieben, Vergessen.

Dabei gäbe es reichlich Anlass zur präzisen Rekonstruktion. Das „Handlungskonzept Schutzmasken“ etwa, das unter Spahn Dutzende Millionen Euro an Unternehmen ohne Ausschreibung ausschüttete, war nicht bloß eine Folge hektischen Verwaltungshandelns – es war die Folge politisch gewollter Ausnahmeregelungen. Auch die Sonderverträge mit Apotheken, die Sammelbeschaffungen über Bundeswehrdepots oder die berüchtigten „Open-House“-Modelle mit Schutzmasken-Händlern gehören in diesen Kontext. All dies war Gegenstand parlamentarischer Kritik, juristischer Prüfung und teils auch medialer Recherchen. Doch bis heute gibt es keine systematische, zusammenhängende Darstellung dieser Vorgänge. Der Sudhof-Bericht hätte genau das leisten können – nun bleibt sein Inhalt hinter administrativen Türen.

Es bleibt die Frage: Was wiegt schwerer – das Interesse der Öffentlichkeit oder der Wunsch nach politischer Schonung? In einer funktionierenden Demokratie müsste die Antwort klar sein. Stattdessen führt der Weg der Maskenaufklärung in eine Sackgasse der Schweigsamkeit. Dass dabei nicht nur die historische, sondern auch die strukturelle Lehre aus der Pandemie verloren geht, ist das eigentliche Versäumnis dieses politischen Schweigens.

 

Verteidigungsfall trifft Versorgungspflicht, Apotheker treffen Sanität, System trifft Verantwortung

Wie Bundeswehr und BAK gemeinsame Strukturen denken, Apotheken krisenfest verorten und Gesundheitslogistik als Teil der Wehrhaftigkeit definieren

Krieg bedeutet Chaos, Unterbrechung, Verletzung – aber auch Versorgungspflicht. In Deutschland, wo jahrzehntelang Friedenspolitik die operative Prämisse war, hat sich diese Perspektive seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine schrittweise verändert. Landesverteidigung wird nicht mehr allein als militärischer Akt verstanden, sondern als gesamtstaatliche Aufgabe, die zivile Infrastruktur und medizinische Versorgung ebenso umfasst wie Truppenteile, Material und Manöver. In diesem Spannungsfeld zwischen zivilen Aufgaben und militärischer Resilienz rückte nun auch die Rolle der Apotheken in den Blickpunkt – und zwar dort, wo Strategie auf Praxis trifft: beim Symposium des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr in Berlin.

Vertreterinnen und Vertreter von Bundeswehr, Politik und Gesundheitswesen kamen zusammen, um darüber zu beraten, wie die medizinische Versorgung im Verteidigungsfall aufrechterhalten werden kann – darunter auch die Spitze der Bundesapothekerkammer (BAK). Präsident Dr. Armin Hoffmann und Vizepräsidentin Franziska Scharpf vertraten dabei die Apothekenschaft, die immer häufiger als systemrelevanter Teil einer gesamtstaatlichen Resilienzstrategie verstanden wird. Dass Apotheken in der Fläche aktiv, in der Krise handlungsfähig und im Ernstfall unverzichtbar sind, war ihre zentrale Botschaft – verbunden mit einem Appell an eine koordinierte Einbindung in die Vorbereitungen auf Krisen- und Verteidigungsszenarien.

Tatsächlich hat sich der Blick auf Gesundheitssysteme in Europa fundamental gewandelt: Seit dem Überfall auf die Ukraine beschäftigen sich auch westliche Demokratien mit der Frage, wie zivile Gesundheitsinfrastrukturen im Kriegs- oder Katastrophenfall funktionieren. Für die Bundeswehr bedeutet das konkret, Schnittstellen zum zivilen Gesundheitssystem zu definieren und tragfähige Kooperationsmodelle zu entwickeln – nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis. Der Sanitätsdienst, unter der Leitung von Generaloberstabsarzt Dr. Ralf Hoffmann, treibt diesen Prozess offensiv voran. Hoffmann stellte klar, dass man den Ernstfall nicht allein bewältigen könne: „Das geht nur gemeinsam.“ Die Szenarien, die dabei gedacht werden, sind drastisch – bis zu 1.000 Verwundete pro Tag.

Hier wird klar: Wer die Verantwortung für Gesundheit in Ausnahmesituationen übernehmen will, muss nicht nur militärisch, sondern auch zivil robust aufgestellt sein. Apotheken spielen in diesem Kontext eine doppelte Rolle – als Notversorger vor Ort und als logistische Knotenpunkte für Arzneimittel, Hilfsmittel und Beratung. Dabei geht es nicht nur um Lagerhaltung und Lieferfähigkeit, sondern auch um Wissenstransfer, Ausbildungsunterstützung und Kommunikationswege. Die Apothekenstruktur, jahrzehntelang unter wirtschaftlichem Druck geschwächt, muss also auch unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten neu bewertet werden. Das ist eine strukturelle Kehrtwende.

Die BAK hat dies erkannt und betont seit Längerem, dass Apothekerinnen und Apotheker auch in der Notfalllogistik, der Bevorratung, der pharmazeutischen Risikoabschätzung und der Arzneimittelsicherheit eine entscheidende Rolle spielen können – und müssen. „Systemrelevant“ heißt in diesem Kontext nicht nur, dass Apotheken geöffnet bleiben, wenn andere Einrichtungen schließen, sondern auch, dass sie ihre Betriebssicherheit, Resilienz und Kompetenz in kritischen Situationen garantieren können – vom Stromausfall bis zur Versorgungsunterbrechung.

Dass ausgerechnet die Bundeswehr diese Debatte nun öffnet, ist kein Zufall, sondern Ergebnis einer strategischen Neubewertung von Zuständigkeiten. Die Militärmedizin hat seit jeher eine spezifische Sicht auf Medikamente, Wundversorgung und Katastrophenmanagement. Doch in einer vernetzten Gesellschaft ist auch die Bundeswehr darauf angewiesen, dass zivilgesellschaftliche Akteure vorbereitet, handlungsfähig und eingebunden sind. Die Einladung an die BAK ist damit kein symbolischer Akt, sondern ein Ausdruck realer Kooperationsabsicht.

Dabei stellen sich konkrete Fragen: Wie können Apotheken in ein bundesweites Krisenversorgungsnetz integriert werden? Welche Standards gelten für Arzneimittellager in Kriegs- und Krisenzeiten? Wer ist verantwortlich für Nachschub, Priorisierung und Verteilung unter Druck? Welche juristischen, ethischen und logistischen Rahmenbedingungen müssen angepasst werden, um die Versorgungssicherheit in Bedrohungslagen zu garantieren? Und nicht zuletzt: Wie können Apotheker selbst auf einen solchen Ernstfall vorbereitet werden – strukturell, personell und organisatorisch?

Die Diskussionen in Berlin machten deutlich, dass Antworten auf diese Fragen nicht von Einzelakteuren kommen können. Es braucht gemeinsame Szenarien, abgestimmte Zuständigkeiten und ein belastbares Netzwerk – militärisch wie zivil. Die Bundeswehr stellte dafür den Rahmen, die BAK lieferte Impulse aus Sicht der Arzneimittelversorgung. Im Ergebnis entsteht hier möglicherweise ein neuer strategischer Schulterschluss, der über sektorale Grenzen hinausdenkt. In einer Welt, in der Sicherheit wieder zur Kernfrage wird, zeigt sich: Auch das Gesundheitswesen muss verteidigungsfähig sein. Und Apotheken sind ein Teil davon – nicht nur als letzte Meile, sondern als erstes Glied der Versorgungskette in der Krise.

 

Rückruf mit Signalwirkung, Apothekensicherheit mit Schwachstelle, Regulierung mit Schattenseiten

Wie der Fall Mediprocan African Ruby das Vertrauensverhältnis zwischen Cannabis-Anbietern, Apotheken und Patienten erschüttert, welche Lücken im Sicherheitsnetz bestehen und warum eine lückenlose Rückverfolgbarkeit längst überfällig ist

Ein Rückruf mag in der Arzneimittelwelt kein Novum sein, doch wenn es um medizinisches Cannabis geht, trifft er nicht nur die Versorgung, sondern das Vertrauen in eine ohnehin schon kontrovers diskutierte Behandlungsform. Der aktuelle Fall rund um die Sorte African Ruby 26/1 des Herstellers Mediprocan legt offen, wie fragil das Gleichgewicht zwischen Marktöffnung, Qualitätssicherung und Patientensicherheit ist. In Apotheken und beim pharmazeutischen Personal herrscht Verunsicherung – nicht nur wegen der potenziellen Gefahr durch Schimmel, sondern auch, weil sich erneut ein systemischer Fehler andeutet: fehlende Transparenz in der Lieferkette und mangelhafte Kontrolle bei einem Produkt, das längst im Zentrum wachsender Nachfrage steht.

Nach Apothekenmeldungen, die auf sichtbare Auffälligkeiten bei der betroffenen Charge 2500101 (PZN 19745642) hinwiesen, reagierte der Hersteller Mediprocan mit einem Rückruf aus Sicherheitsgründen – eine Standardmaßnahme, die in diesem Fall mehr als nur Routine darstellt. Denn während viele Cannabis-Patient:innen auf diese hochdosierte Blütensorte eingestellt sind, erschwert der abrupte Rückzug die Versorgung erheblich – gerade weil Ersatzsorten nicht immer unmittelbar verfügbar sind oder therapeutisch gleichwertig wirken. Damit wird deutlich: Die Versorgung mit Cannabisblüten steht unter einer besonderen Verantwortung, bei der jeder Rückruf eine medizinisch relevante Unterbrechung bedeutet.

Was aber wiegt schwerer: der bloße Rückruf oder die strukturelle Unsicherheit, die durch ihn offenbar wird? Der Markt für medizinisches Cannabis hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Vom Nischenprodukt zur regulären Therapieoption hat sich das Segment diversifiziert – mit unterschiedlichen Sorten, Wirkstoffgehalten und Bezugsquellen. Doch mit dieser Öffnung steigt auch die Verantwortung der Akteure, insbesondere bei Import, Lagerung und Chargenkontrolle. Hier sind klare regulatorische Rahmenbedingungen gefragt, die nicht nur abstrakt existieren, sondern auch flächendeckend durchgesetzt werden.

Dabei rückt einmal mehr ein kritischer Punkt in den Fokus: die Rückverfolgbarkeit der Produkte bis zum Ursprung. In der Theorie ist das Cannabis flos Ph.Eur.-System auf Transparenz und Qualitätskontrolle angelegt. In der Praxis jedoch zeigen Rückrufe wie dieser, dass Apotheken häufig zu spät, zu lückenhaft oder gar nicht über Risikobefunde informiert werden. In Zeiten zunehmender Digitalisierung müsste es längst einen zentralen, jederzeit abrufbaren Risikoinformationsdienst für sensible Produkte wie Cannabisblüten geben – unabhängig von der Informationsbereitschaft einzelner Hersteller oder Vertriebsfirmen.

Hinzu kommt, dass Schimmelbefall bei Cannabis nicht nur ein kosmetisches oder sensorisches Problem darstellt, sondern eine ernsthafte gesundheitliche Gefährdung für immungeschwächte Patienten mit sich bringen kann. Inhalative Einnahmeformen – wie sie bei Cannabis üblich sind – erhöhen die Gefahr toxischer Reaktionen und mykotischer Infektionen, insbesondere bei Langzeittherapie. Dass betroffene Patient:innen selbst Hinweise auf verdächtige Verfärbungen oder Gerüche geben mussten, bevor ein Rückruf eingeleitet wurde, unterstreicht die Relevanz eines proaktiven Qualitätsmanagements auf allen Stufen der Lieferkette.

Auch juristisch ist der Fall nicht ohne Brisanz. Sollte sich ein gesundheitlicher Schaden bei einem Patienten nachweisen lassen, könnten zivilrechtliche Haftungsfragen auf den Hersteller, den Großhandel oder sogar die abgebende Apotheke übergreifen – je nachdem, wie lückenlos sich Rückrufkette, Lagerprotokoll und Informationstransfer nachweisen lassen. Für Apotheken, die von einer chronischen Überlastung und Personalknappheit betroffen sind, bedeutet das eine zusätzliche Drucksituation – sowohl organisatorisch als auch haftungsrechtlich.

Nicht zuletzt stellt sich die Frage, welche politischen und regulatorischen Konsequenzen ein Fall wie dieser haben sollte. Während der Markt für medizinisches Cannabis in Deutschland weiter wächst – getrieben durch therapeutischen Bedarf, neue Indikationen und gesellschaftliche Enttabuisierung – bleibt die regulatorische Praxis träge. Ein einheitlicher, verpflichtender Standard für Lagerüberwachung, Frischekontrolle und Echtzeit-Feedback-Systeme in Apotheken fehlt ebenso wie ein aktives Monitoring der Patientensicherheit im Rahmen von Real-World-Data-Analysen. Ein Rückruf wie dieser könnte daher Anlass für eine Neuausrichtung sein – weg von der bloßen Produktverantwortung, hin zu einer übergreifenden Versorgungslogik, bei der Sicherheit, Rückverfolgbarkeit und Patientenfeedback gleichrangig integriert sind.

Der Fall Mediprocan African Ruby ist keine Einzelausnahme, sondern ein Brennglas. Er zeigt, wie schnell ein Rückruf zu einem systemischen Misstrauensmoment wird, wenn Kontrollmechanismen unzureichend sind, Informationsflüsse stocken und Apotheken zwischen gesetzlicher Abgabepflicht, Patientenwohl und Produkthaftung zerrieben werden. Was es jetzt braucht, ist nicht nur ein sauberes Ende dieses Rückrufs, sondern ein Anfang für neue Sicherheitsstandards – mit digitaler Unterstützung, regulatorischer Klarheit und dem Respekt vor einer Patientengruppe, die medizinisches Cannabis nicht als Lifestyle, sondern als lebensverändernde Therapieform nutzt.

 

Versorgung verschiebt sich, Vertrauen wird getestet, Strukturen stehen auf dem Prüfstand

Warum die Internationale Praxis in Dresden schließt, Chemnitz umgebaut wird und die integrationsorientierte Medizin neu gedacht werden muss

Als 2015 die ersten Internationalen Praxen (IP) in Sachsen gegründet wurden, galten sie als Modellprojekte für eine medizinisch-humanitäre Versorgung auf der Höhe der Herausforderungen. Geflüchtete, Asylsuchende und Neuzugewanderte sollten hier niedrigschwellig Zugang zu ärztlicher Hilfe finden – in einer Phase, in der viele Hausarztpraxen mit Sprachbarrieren, Versichertenstatus und Dokumentationsanforderungen überfordert waren. Die Idee war pragmatisch, solidarisch und zugleich systemisch notwendig. Zehn Jahre später ist davon nicht viel übrig. Die IP Dresden schließt zum Jahresende, die Praxis in Chemnitz wird zwar nicht aufgegeben, aber in eine reguläre Eigeneinrichtung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Sachsen überführt – ein Verwaltungsakt, der das Ende der Sonderstruktur markiert und den Übergang in eine bürokratisch funktionalisierte Nachversorgung einleitet. Was als gezielte Reaktion auf eine historisch außergewöhnliche Herausforderung begann, wird nun mit Hinweis auf „strukturelle Normalisierung“ abgewickelt. Doch diese scheinbare Normalisierung lässt sich nur oberflächlich mit Zahlen und Kosten erklären – dahinter liegt ein vielschichtiger Wandel in Versorgung, Integration und gesellschaftlicher Aufmerksamkeit.

Die offiziellen Gründe wirken zunächst nachvollziehbar: Sinkende Patientenzahlen, gestiegene Personal- und Sachkosten, weggefallene Mietoptionen in den Universitätskliniken, unzureichende Refinanzierung durch Pauschalen und Honorare. In Dresden etwa ging die Zahl der behandelten Geflüchteten aus Erstaufnahme- oder kommunalen Einrichtungen zwischen 2016 und 2023 von 12.700 auf 4.100 zurück – der Gesamtanteil dieser Gruppe sank damit von 79 auf 40 Prozent. Diese Verschiebung entspricht jedoch nicht allein einer gesunkenen Bedarfsintensität, sondern spiegelt vielmehr die erfolgreiche Integration vieler Menschen in die Regelversorgung wider. Eine Tatsache, die zwar politisch begrüßenswert scheint, aber strukturell unterschätzt wird: Denn Integration in die GKV bedeutet nicht automatisch einen barrierefreien Zugang zu medizinischer Versorgung.

Zugleich bleibt die Diagnose der KV unvollständig. Die restlichen 60 Prozent der Patient:innen in den IPs sind formal längst Teil des Regelsystems – aber eben nicht real. Sprachprobleme, kulturelle Hürden, fehlendes Systemverständnis und aufgeladene Arzt-Patienten-Beziehungen machen viele niedergelassene Praxen zu faktisch unzugänglichen Räumen. Die IPs waren dabei nicht nur medizinische Anlaufstellen, sondern zugleich Schutzräume, Vertrauensorte und Stabilisatoren für Menschen in belasteten Lebenssituationen. Dass dieser qualitative Aspekt nicht ins Kalkül einer Wirtschaftlichkeitsprüfung eingeht, ist symptomatisch für eine Versorgungspolitik, die Integration als abgeschlossen betrachtet, sobald Versichertenkarten verteilt sind.

Dass Chemnitz im Gegensatz zu Dresden weiterhin eine Sonderbehandlung erfährt – in Form einer KV-Eigeneinrichtung – verdeutlicht die regionalen Unterschiede in der hausärztlichen Versorgung: Während in Dresden eine stabile Arztdichte angenommen wird, scheint Chemnitz weiterhin strukturell unterversorgt. Doch auch diese Einschätzung basiert auf formalen Zahlen – nicht auf Erreichbarkeit, Vertrauen, interkultureller Kompetenz oder sozialmedizinischer Orientierung. Letztlich wirkt der Unterschied zwischen Schließung und Umbau wie eine kartographische Konsequenz bürokratischer Statistik, nicht wie eine patientenzentrierte Lösung.

Die Rolle der Internationalen Praxen war nie darauf beschränkt, Lücken zu schließen – sie waren Impulsgeber. Sie haben Versorgungsmodelle erprobt, Sprachmittlung integriert, kultursensible Behandlungsansätze etabliert und systemische Brücken gebaut. Viele dieser Elemente fehlen bis heute im kassenärztlichen Standardrepertoire. Mit dem Rückzug der IPs verliert das System also nicht nur Anlaufstellen, sondern auch institutionelle Erfahrung und kulturelle Kompetenz. Dass ausgerechnet diese Ressourcen in einem Moment verschwinden, in dem politische und soziale Spannungen um Migration zunehmen, ist eine stille Ironie der Lage – oder ein Versäumnis mit Ansage.

Auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht ergibt sich kein zwingender Schließungsgrund. Die zugesagte Restkostenfinanzierung von 250.000 Euro pro Praxis durch Land und Kommune wäre – gemessen an der sozialpolitischen Relevanz – eher ein Argument für die Fortsetzung. Dass diese Mittel nun als unzureichend gelten, verweist auf eine neue Prioritätensetzung. Entscheidend ist: Nicht die absolute Summe der Finanzierung, sondern die Entscheidung, sie nicht weiter strukturell abzusichern, ist das eigentliche Signal. Es geht nicht um das Geld – es geht um die Entscheidung, wofür Geld in Zukunft noch zur Verfügung stehen soll.

Die Reaktion der Politik zeigt dabei einen stillen Rückzug hinter die Zuständigkeit der KV. Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) betont zwar ihre persönliche Unterstützung für die Praxen und lobt das Engagement der Beteiligten, doch ihr Bedauern bleibt ohne Konsequenz. Auch wenn die Entscheidung formal bei der KV liegt, ist der politische Wille zur Fortführung nicht erkennbar. Der Rückzug erfolgt leise, ohne Widerstand, ohne Debatte. Dabei steht hinter dem Abschied von den IPs eine strukturelle Entscheidung: ob das Gesundheitswesen integrationssensibel bleiben soll – oder ob es sich auf formale Gleichbehandlung zurückzieht.

Für die betroffenen Patient:innen bedeutet das einen Bruch. Der Vertrauensaufbau, der oft Jahre gedauert hat, wird mit einem Verwaltungsakt zunichte gemacht. Auch für das medizinische Personal, das oft mit Überzeugung, Geduld und interkultureller Kompetenz gearbeitet hat, ist die Entwicklung ein Signal der Entwertung. Es wird suggeriert: Was ihr aufgebaut habt, ist nicht mehr nötig – obwohl alle Erfahrungen dagegen sprechen.

Insgesamt verdeutlicht die Schließung der Internationalen Praxis in Dresden ein Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Rationalisierung und integrationspolitischer Verantwortung. Die Zukunft der Chemnitzer Einrichtung bleibt unklar – ein bloßer Umbau zur KV-Einrichtung ersetzt keine kultursensible Versorgungsstrategie. Und während die Patientenzahlen in den IPs formal sinken, steigt der Bedarf an strukturell integrativer Gesundheitsversorgung in anderen Teilen des Systems. Sprachmittlung, kultursensible Diagnostik, soziale Begleitung – all das braucht Ressourcen, die künftig fehlen werden.

Die eigentliche Frage lautet also nicht, ob die Internationalen Praxen noch nötig sind – sondern warum ihre Aufgaben nicht längst systematisch in die Regelversorgung übernommen wurden. Solange diese Transformation ausbleibt, sind Schließung und Umbau keine Lösungen, sondern Rückschritte. Und das Gesundheitswesen wird nicht krisenfester, sondern blinder für jene, die es am dringendsten brauchen.

 

Schmidt übernimmt Verantwortung, Apotheken gewinnen Stimme, CDU setzt neues Signal

Mit dem neuen Berichterstatter für Apothekenfragen in der Union beginnt eine profilierte Phase der Gesundheitspolitik

Die Personalentscheidung in der CDU-Fraktion ist gefallen: Sebastian Schmidt wird künftig als Berichterstatter für die Apothekenthemen im Bundestag fungieren. Damit übernimmt der Bundestagsabgeordnete aus Sachsen-Anhalt eine Schlüsselrolle in einem gesundheitspolitischen Feld, das nicht nur organisatorisch anspruchsvoll, sondern auch strategisch hochsensibel ist. Denn während sich der Apothekenmarkt zwischen Lieferengpässen, E-Rezept-Hürden, Honorarstagnation und Strukturveränderungen neu sortiert, war die Positionierung der Union zuletzt von einer Mischung aus Zurückhaltung und punktuellen Impulsen geprägt. Mit Schmidt rückt nun ein Abgeordneter ins Zentrum, der als pragmatischer Netzwerker mit klarer Kante gilt und zugleich bereits Erfahrungen in der Arzneimittel- und Patientenversorgungspolitik mitbringt.

Auffällig ist dabei nicht nur die frühe Festlegung der CDU auf Schmidt, sondern auch das parteiinterne Signal, das mit seiner Ernennung verbunden ist: Die Fraktion will das Thema Apothekenpolitik nicht länger als Nebenschauplatz behandeln, sondern als integralen Bestandteil ihrer gesundheitspolitischen Gesamtstrategie etablieren. Schmidt, der dem Bundestag seit der letzten Wahlperiode angehört und im Gesundheitsausschuss aktiv ist, hatte sich in der Vergangenheit mehrfach zur Sicherung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung, zur Rolle der pharmazeutischen Dienstleistungen und zur Vergütungsstruktur von Apotheken geäußert – wenn auch bislang eher zurückhaltend im öffentlichen Diskurs. Das könnte sich nun ändern.

Die Entscheidung fällt in eine Phase, in der sowohl die Apothekenlandschaft als auch die gesundheitspolitischen Machtachsen in Bewegung geraten sind. Bei den Grünen ist die Zuständigkeit mit Janosch Dahmen bereits frühzeitig besetzt worden, auch die Linke hat ihre Sprecherrolle klargestellt. In der SPD-Fraktion übernimmt künftig Dr. Tanja Machalet die Apothekenagenden. Die Union musste sich also positionieren, um in den anstehenden Debatten nicht ins Hintertreffen zu geraten. Dass Schmidt dabei nun nicht nur ein Beobachter, sondern aktiver Gestalter werden soll, eröffnet der CDU-Fraktion die Chance, mit neuen Konzepten und klaren Botschaften gegenüber Apotheken und Öffentlichkeit aufzutreten – zumal die Erwartungshaltung der Basis wächst.

Schmidt steht dabei vor mehreren Herausforderungen gleichzeitig. Einerseits gilt es, das Verhältnis zur ABDA und ihren Mitgliedsorganisationen strategisch neu zu definieren. Der Verband hatte zuletzt zwar wiederholt den Dialog mit allen Fraktionen gesucht, dabei aber in der Union eine gewisse Unschärfe in der Haltung registriert. Andererseits muss der neue Berichterstatter klären, inwiefern die CDU künftig auf ordnungspolitische Maßnahmen zur Apothekenstärkung setzen will – etwa durch Strukturförderung, Nachwuchsinstrumente oder gezielte Deregulierungen im ländlichen Raum. Auch zur Frage der digitalen Transformation in Apotheken, etwa rund um das E-Rezept, wird Schmidts Positionierung von Anfang an unter Beobachtung stehen.

Die CDU selbst hat sich im Wahljahr 2025 noch nicht umfassend zur Apothekenpolitik positioniert. Zwar gibt es Entwürfe und einzelne Programmpunkte, doch bislang fehlte eine konsistente Linie, die Themen wie Versandhandelskonkurrenz, Lieferengpässe, Nachwuchsprobleme oder Berufsausübungserleichterungen zusammenführt. Mit Schmidt wäre eine solche inhaltliche Verdichtung denkbar. Er gilt parteiintern als jemand, der Komplexität strukturiert denken und politische Linien sprachlich greifbar machen kann – eine Fähigkeit, die in einem heterogenen Feld wie der Apothekenversorgung entscheidend ist. Denn hier stehen rechtliche Detailfragen und emotionale Berufsidentitäten oft in unmittelbarem Widerspruch.

Nicht zu unterschätzen ist auch die parteiübergreifende Komponente: Mit Dahmen bei den Grünen, Machalet bei der SPD und Schmidt bei der CDU könnte sich erstmals seit Jahren eine Konstellation ergeben, in der die Apothekenpolitik nicht von Ausschusshierarchien ausgebremst, sondern durch personelle Präsenz über Fraktionsgrenzen hinweg geformt wird. Ob sich daraus konstruktive Allianzen oder nur taktische Frontstellungen ergeben, wird entscheidend davon abhängen, wie Schmidt seine neue Rolle interpretiert: als Verwahrer einer CDU-Tradition von Freiberuflichkeit und Ordnungspolitik – oder als Innovator mit Blick auf neue Versorgungsmodelle und Verantwortungsteilung im Gesundheitswesen.

Dass er die Zustimmung seiner Fraktion hat, ist gesetzt. Dass die Apothekerschaft ihm nun genau zuhört, ebenso. Die nächsten Wochen dürften zeigen, ob der neue CDU-Berichterstatter mehr sein wird als ein Aktenverwalter im Gesundheitssystem – nämlich ein politischer Übersetzer für eine Berufsgruppe im Umbruch.

 

Versorgungsqualität sichern, Versorgungstypen differenzieren, Versorgungsapotheken stärken

Wie der BVVA mit seinem Positionspapier für Strukturklarheit, tarifbasierte Honorierung und politische Anerkennung kämpft

Im politischen Reformgerangel um die künftige Struktur der Arzneimittelversorgung wird ein Akteur hörbar, der bislang eher leise agierte: der Bundesverband der Versorgungsapotheker (BVVA). Mit einem fundierten Positionspapier meldet sich die Interessengruppe derjenigen zu Wort, deren Fokus auf Heime, Kliniken, parenterale Therapien oder spezialisierte ambulante Versorgung gerichtet ist. In einer Gemengelage, in der Versandapotheken zunehmend Einfluss gewinnen, Präsenzapotheken ums Überleben kämpfen und die ABDA sich neu ausrichtet, setzt der BVVA auf strategische Klarheit und strukturelle Unterscheidung. Seine zentrale Forderung: Die Versorgungsapotheke muss als eigenständiger Typus gesetzlich und wirtschaftlich anerkannt werden – mit eigenem Honorarrahmen, spezifischen Vorgaben und definierten Leistungspflichten.

Diese Forderung hat historische Tiefe. Seit Jahren beklagen spezialisierte Versorger, dass ihre teils hochkomplexen Leistungen – etwa die Herstellung von Zytostatika, die Betreuung von Pflegeheimen oder die Versorgung chronisch Kranker mit parenteraler Ernährung – im geltenden Apothekenrecht unter den Tisch fallen. Die Struktur des Rahmenvertrags deckt solche Leistungen nur am Rand ab, die Vergütung orientiert sich am allgemeinen Fixum, das mit Routineabgaben in der Offizin kaum vergleichbar ist. Der BVVA argumentiert, dass diese Ungleichbehandlung nicht nur wirtschaftlich ruinös sei, sondern auch die Versorgungssicherheit gefährde.

Kern des Papiers ist die Unterscheidung verschiedener Apothekenformen nach Versorgungsart, nicht nur nach Rechtsform oder Betriebsgröße. Eine Einteilung, wie sie etwa das Krankenhausrecht kennt – Grundversorgung, Schwerpunktversorgung, Maximalversorgung – wird auf das Apothekensystem übertragen. Der BVVA schlägt dafür gesetzliche Typisierungen vor: etwa die „Versorgungsapotheke mit Heimversorgungsfokus“, die „Zytostatika-herstellende Spezialversorgungseinheit“ oder die „parenteral-ambulante Therapiebegleitapotheke“. Diese Typen sollen nicht nur im Berufsrecht, sondern auch im Sozialrecht fest verankert werden, samt abgestufter Anforderungen, Dokumentationspflichten und Abrechnungsschemata.

Zentral ist dem BVVA dabei die tarifbasierte Honorierung. Der Verband fordert die Einführung eines eigenen Vergütungskatalogs für Versorgungsleistungen, der sich am tatsächlichen Aufwand, an Personalbindung, Risikoprofil und Qualifikation orientiert. Die derzeitigen Pauschalen und Abschläge spiegeln laut BVVA weder die personelle Belastung noch die haftungsrechtliche Verantwortung spezialisierter Versorgung adäquat wider. Das führe in der Praxis dazu, dass immer mehr Apotheken diese Leistungen einstellen – mit dramatischen Folgen für Heime, Kliniken und palliativmedizinische Einrichtungen.

Neben der Systematik enthält das Positionspapier auch deutliche Worte zur Rolle der Politik. Die politische Debatte reduziere Apotheken oft auf die Frage, ob es „zu viele oder zu wenige“ Standorte gebe. Dabei würden die Funktionsprofile vollkommen ausgeblendet. Es gehe nicht um eine Apothekenzahl per se, sondern um deren Aufgabenprofil und Versorgungsrelevanz. Der BVVA fordert daher eine Strukturreform, die nicht durch Kahlschlag, sondern durch gezielte Differenzierung die Versorgung zukunftssicher macht.

Auch zur Nachwuchsfrage findet der Verband eine klare Sprache. Die spezialisierte Versorgung leidet besonders unter Personalengpässen, da sie deutlich höhere Anforderungen an pharmazeutisches Personal stellt – etwa in der Sterilherstellung oder der Heimversorgung. Der BVVA schlägt gezielte Anreizprogramme vor: finanzielle Zulagen für Weiterbildung, bundeseinheitliche Fortbildungszertifikate und eine Aufnahme versorgungsrelevanter Module in die Approbationsordnung.

Mit Blick auf die Gremienarbeit fordert der Verband, dass Versorgungsapotheker systematisch in alle relevanten Entscheidungsgremien auf Bundes- und Landesebene eingebunden werden. Zu oft würden dort Generalisten über Spezialfragen urteilen, während die Erfahrung der praktizierenden Versorger außen vor bleibe. Der BVVA plädiert für eine Pflichtbeteiligung bei Gesetzesfolgenabschätzungen, insbesondere bei Änderungen im Apothekenrecht oder bei der Gestaltung von Digitalprozessen, wie dem eRezept in der Heimversorgung.

Der Ton des Papiers ist sachlich, aber bestimmt. Es geht dem Verband nicht um Abgrenzung, sondern um strukturelle Wahrheit. Die Apotheke ist nicht gleich Apotheke – weder im Alltag noch in ihrer Verantwortungstiefe. Die Politik, so das zentrale Narrativ, müsse diese Differenz endlich ernst nehmen, wenn sie Versorgungssicherheit nicht nur als Schlagwort, sondern als Gestaltungsauftrag versteht. Der BVVA liefert dafür nicht nur Forderungen, sondern ein konstruktives Gerüst, das anschlussfähig ist – für die ABDA, für das BMG, für Kassen und für die Berufsöffentlichkeit.

Was das Papier letztlich offen lässt, ist die Frage der Umsetzung. Ob es gelingt, diese differenzierte Sichtweise in die politische Arena einzuspeisen, hängt wesentlich von der Bündelungsfähigkeit innerhalb des Berufsstands ab. Hier wäre auch die ABDA gefordert, klare Schnittstellen und eine konsensfähige Integrationslogik für spezialisierte Versorger zu schaffen. Nur wenn der Pluralismus der Apothekenlandschaft auch institutionell abgebildet wird, kann die Strukturreform tatsächlich zur Versorgungsverbesserung führen.

 

Rezepturen binden Personal, gefährden Wirtschaftlichkeit, erfordern Systemverantwortung

Wie Apotheken an der Pflicht zur individuellen Arzneimittelherstellung festhalten, warum der Aufwand oft im Widerspruch zur Erstattung steht und wieso die Rezeptur zum Prüfstein für eine faire Gesundheitsversorgung wird

Sie ist das handwerkliche Herzstück der Apotheken, die historische Essenz pharmazeutischer Kompetenz – und gleichzeitig ein betriebswirtschaftliches Dilemma: Die Rezepturherstellung in Deutschlands Apotheken erlebt eine paradoxe Blüte. Trotz technischer Fortschritte, industrieller Fertigarzneimittel und zunehmender Automatisierung wird sie jährlich millionenfach praktiziert. 11 Millionen Rezepturen waren es im Jahr 2023, davon fast fünf Millionen sogenannte Standardrezepturen. Doch hinter dieser Zahl steckt eine stille Not: Apotheken erfüllen eine Pflicht, die sich wirtschaftlich kaum trägt und zunehmend zum Risiko wird – und sie tun es, weil sie es müssen.

Der gesetzliche Kontrahierungszwang verpflichtet Apotheken zur Herstellung von Rezepturen, sofern diese ärztlich verordnet und durchführbar sind. Was nach Versorgungssicherheit klingt, bedeutet im Alltag: hohe personelle Bindung, komplexe Dokumentation, unzureichende Honorierung – und eine latente Retaxgefahr. Ein kleiner Formfehler kann zur Streichung der gesamten Vergütung führen. Fehler bei der Plausibilitätsprüfung, Abweichungen in der Rezepturvorschrift oder unvollständige Dokumentation reichen dafür aus. Die Retaxquote liegt bei rund einem Drittel aller Rezepturen – eine Zahl, die nicht nur frustriert, sondern auch eine systematische Schieflage offenlegt.

Dabei steht die Rezeptur seit jeher für die besondere Verantwortung der Apotheke: Individualisierte Arzneimittelversorgung für Patientinnen und Patienten, die auf kein Fertigarzneimittel zurückgreifen können – sei es wegen Allergien, Alter, seltener Indikationen oder besonderer Anwendungsformen. Kinderärzt:innen, Dermatolog:innen, Schmerzmediziner:innen und Palliativteams setzen nach wie vor auf diese Versorgung. Doch das Vertrauen wird durch strukturelle Schwächen untergraben: Viele Apothekenverantwortliche beklagen eine überbordende Regulierungsflut, einen Honorierungssatz, der Materialkosten und Personalaufwand kaum deckt, sowie ein ständiges Damoklesschwert aus Bürokratie und Wirtschaftlichkeitsprüfungen.

Die große Rezepturumfrage des BVVA und weiterer Verbände bringt das Dilemma auf den Punkt: Rund 78 Prozent der befragten Apotheken sehen die Rezepturherstellung als „notwendig, aber unrentabel“, fast jede zweite denkt über eine Rückgabe der Herstellungsbefugnis nach, sofern das rechtlich zulässig wäre. Die Forderungen sind klar: besserer Erstattungsschlüssel, rechtssichere Definitionen der Prüfpflichten und ein Schutzschirm gegen willkürliche Retaxationen. Besonders kritisch wird gesehen, dass Krankenkassen Nachweise einfordern, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Damit werden Apotheken zu Sündenböcken eines Systems, das die Versorgung will, aber nicht tragen will.

Hinzu kommt: Die Qualifikation der Mitarbeiter:innen muss stimmen – und das kostet. Die Herstellung komplexer Zubereitungen erfordert spezielle Kenntnisse in Galenik, mikrobiologischer Hygiene, Herstellung unter Schutzbedingungen, korrektive Prüfprotokolle. Diese Expertise kann nicht kurzfristig vermittelt werden, sie verlangt permanente Fortbildung, sichere Ausstattung und Personalbindung, die gerade kleinere Betriebe an die Belastungsgrenze bringt. Und obwohl viele Apotheken ihre Rezepturqualität hochhalten, fehlt es an einheitlicher Unterstützung: Die Digitalisierung der Herstellungsdokumentation bleibt fragmentarisch, Systeme sind oft nicht interoperabel, und selbst bei der Kennzeichnungspflicht gibt es interpretative Unsicherheit.

Die Folge: Eine wachsende Kluft zwischen Anspruch und Realität. Während die Politik auf individuelle Versorgung pocht, steigt der Druck auf die Betriebsebene. Einige Apotheken kapitulieren: Sie verweisen Rezepturen weiter, beauftragen externe Herstellbetriebe oder reduzieren freiwillig ihre Herstellungskapazitäten. Doch das ist kein Ausweg, sondern ein schleichender Rückzug aus einem Versorgungspfad, der in der Fläche erhalten bleiben müsste – gerade angesichts des demografischen Wandels, neuer Therapieformen und individualisierter Onkologie. Die Rezeptur ist nicht altmodisch – sie ist Zukunft in Reinform, wenn sie auf sichere, wirtschaftliche Beine gestellt wird.

Und sie braucht politisches Verständnis. Der Kontrahierungszwang wirkt in einem Umfeld, das immer weniger Rücksicht auf Betriebskosten, Personalengpässe oder Verantwortungslasten nimmt. Deshalb fordern Fachverbände nun eine gesetzliche Klarstellung: Wer Rezeptur verlangt, muss sie auch tragen – rechtlich, finanziell und organisatorisch. Ein Stufenhonorar nach Komplexität, eine zentrale Risikoabsicherung gegen Retaxationen, ein digitales Basismodul zur Chargendokumentation und ein verlässlicher Rechtsrahmen für Herstellungspflichten werden als Eckpunkte einer Reform genannt. Andernfalls droht, dass aus der Königsdisziplin eine Randnotiz wird – mit verheerenden Folgen für viele chronisch kranke, palliative oder pädiatrische Patient:innen.

Denn die Rezeptur steht nicht allein für handwerkliches Können, sondern für das Versprechen, dass Medizin auch dort wirkt, wo Standardisierung endet. Wer dieses Versprechen nicht schützt, riskiert nicht nur eine Dienstleistung, sondern ein Stück pharmazeutischer Identität. Es geht also nicht nur um Geld, sondern um Haltung. Und um die Frage: Welche Rolle sollen Apotheken in einem Gesundheitswesen spielen, das an vielen Stellen mehr auf Katalog als auf Können setzt?

 

Juckreiz als Entzugsphänomen, Warnpflicht für Fachinformationen, Antihistaminika im Langzeitrisiko

Was Cetirizin und Levocetirizin nach dem Absetzen auslösen, warum Warnhinweise fehlen und welche Rolle ärztliche Beratung spielt

Cetirizin und Levocetirizin gelten als bewährte Wirkstoffe bei allergischer Rhinitis und Urtikaria – millionenfach verordnet, gut verträglich, breit einsetzbar. Doch das scheinbar harmlose Antihistaminikum-Duo gerät nun in den Fokus der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA, die auf ein potenziell schwerwiegendes Problem aufmerksam macht: massiver Pruritus nach Absetzen der Therapie, sogar mit dokumentierten Suizidgedanken. Die US-Behörde verweist auf 209 weltweit gemeldete Fälle zwischen 2017 und 2023 – zahlenmäßig überschaubar, aber mit klinisch gravierenden Verläufen. Dass dabei nicht nur Patienten betroffen sind, die bereits vor der Einnahme an Juckreiz litten, sondern gerade auch jene ohne vorherige Symptome, macht die Beobachtung besonders relevant für alle Beteiligten: Behandelnde Ärzte, beratende Apotheker, betroffene Patienten und Hersteller. Die wissenschaftliche Lage ist prekär: Zwar wird der kausale Zusammenhang zwischen dem plötzlichen Therapieende und dem Auftreten von Pruritus von der FDA als „belegt“ angesehen, doch die genaue Pathophysiologie bleibt unklar. Ebenso offen bleibt die Frage, warum dieses Phänomen offenbar stärker bei Cetirizin als bei Levocetirizin dokumentiert ist – obwohl letzteres als enantiomerreines Präparat sogar eine höhere Affinität zum H1-Rezeptor besitzt und stärker zentralnervös wirkt.

Der Fall steht exemplarisch für ein grundsätzlicheres Problem: den schleichenden Wandel von Akut- zu Langzeitgebrauch bei Antihistaminika – und die daraus resultierende Herausforderung, Langzeitfolgen überhaupt als solche zu erkennen. Cetirizin etwa ist in Deutschland nicht nur in Tablettenform erhältlich, sondern auch in Saft, Tropfen und Kombinationen mit Pseudoephedrin. Es wird saisonal bei Heuschnupfen ebenso verwendet wie ganzjährig bei chronischer Urtikaria, atopischer Dermatitis oder Reizsymptomen unbekannter Ursache. Nicht selten nehmen Betroffene das Medikament über Monate oder Jahre hinweg regelmäßig ein, meist ohne ärztliche Begleitung. Der Entzug erfolgt dann abrupt – etwa nach einem Urlaub, Medikamentenwechsel oder einfach dem Ende der Heuschnupfenzeit. Genau in dieser Phase tritt das Phänomen auf: heftig einsetzender, nicht erklärbarer Ganzkörperjuckreiz, medizinisch schwer einzuordnen, therapeutisch kaum greifbar. Laut FDA erforderte ein Großteil der gemeldeten Fälle ärztliche Intervention. Für einige Betroffene war der Leidensdruck so hoch, dass sie Suizidgedanken äußerten.

In deutschen Fachinformationen ist dieser Effekt bislang nur unvollständig reflektiert. Während bei Cetirizin ein Hinweis auf posttherapeutischen Pruritus und Urtikaria enthalten ist, fehlt er bei Levocetirizin – ein regulatorischer Widerspruch, der sowohl für Ärzte als auch für Apotheker in der Beratungspraxis zum Problem werden kann. Patienten mit langjähriger Anwendung erfahren in der Regel keinen strukturierten Therapieausstieg, und auch die Produktinformation liefert keine abgestuften Empfehlungen für ein Ausschleichen. Damit bleibt die Verantwortung oft im luftleeren Raum zwischen rezeptfreier Verfügbarkeit, ärztlicher Behandlung und pharmazeutischer Beratung. Die vorliegenden Daten der FDA belegen zwar keine flächendeckende Häufigkeit, deuten aber auf ein qualitativ relevantes Sicherheitsproblem hin, das durch steigenden OTC-Konsum und chronische Selbstmedikation an Brisanz gewinnt. Insbesondere angesichts der niedrigen Wahrnehmungsschwelle für vermeintlich harmlose Wirkstoffe in der Bevölkerung ist eine differenzierte Kommunikation dringend erforderlich.

Hinzu kommt: Die Übergänge zwischen allergologischer Dauertherapie und saisonaler Notfallmedikation verschwimmen zunehmend. Patienten mit Ganzjahresbeschwerden erhalten Antihistaminika längst wie Blutdruckmittel – dauerhaft, mit Wirkung auf zerebrale H1-Rezeptoren, ohne strukturiertes Monitoring. Dabei ist insbesondere bei Antihistaminika der zweiten und dritten Generation zu berücksichtigen, dass sie – anders als früher vermutet – sehr wohl zentrale Wirkungen entfalten können. Das zeigen nicht nur Studien zur sedierenden Wirkung von Cetirizin, sondern auch Hinweise auf kognitive Beeinträchtigung und paradoxes Verhalten bei Kindern. In Kombination mit einem Entzugssyndrom nach Therapieende ergibt sich eine neue Risikolage, die regulatorisch nicht ausreichend adressiert ist. Die Unklarheit über die Ursache – möglicherweise eine Art „Rebound-Histaminreaktion“ bei abruptem Rezeptorverlust – darf nicht dazu führen, dass das Risiko bagatellisiert wird.

Es braucht jetzt eine mehrdimensionale Antwort: Erstens eine klare und einheitliche regulatorische Linie in den Fachinformationen, sowohl für Cetirizin als auch für Levocetirizin. Zweitens eine gezielte Fortbildung für ärztliche und pharmazeutische Fachkräfte, die das Risiko systematisch vermittelt. Drittens – und das ist der schwierigste Teil – eine strukturelle Strategie, wie auch OTC-Anwender am Point of Sale aufgeklärt werden können, ohne die Versorgung unnötig zu verkomplizieren. Möglich wären digitale Warnsysteme beim Scannen, gezielte Packungsbeileger oder ein Risikohinweis am HV-Tisch. Denn solange dieses Sicherheitsproblem nur bei der FDA präsent ist, aber im deutschen Versorgungssystem nicht ankommt, bleibt die therapeutische Realität asymmetrisch: Patienten setzen ihre Mittel ab – und keiner erkennt, dass der neue Juckreiz ein Medikamentenschatten ist.

 

Glosse: Klimakarma mit Kommissionierer, Fischbecken und Fahrradakku

Wie Apotheken zur grünen Exzellenz gezwungen werden, während der Wartebereich zur Öko-Lounge mutiert und die Rezeptur zur Reuse-Farm wird

Deutschland denkt grün – und die Apotheke macht mit. Oder besser: Sie muss. Denn wer künftig noch Medikamente abgeben will, darf nicht mehr nur pharmazeutisch korrekt sein, sondern auch biologisch abbaubar. Das Umweltbundesamt hat gesprochen, und was früher Lieferbereitschaft, Nachtöffnung und Rezepturkompetenz hieß, nennt sich ab sofort: Umweltqualitätsmanagement mit Fischhaltung. Der Begriff „Apothekenpflicht“ bekommt damit eine ganz neue Farbe. Nämlich chlorophyllgrün.

Ab 2026 reicht ein HV-Tisch und ein schneller Botendienst nicht mehr aus – jetzt zählen CO₂-Bilanzen, Algenquote und die thermische Verwertung des Nachtdienst-Kaffeesatzes. Inhaber:innen werden zu Umweltmanager:innen mit Kamillen-Duftlampe, Solarpaneel und Reinigungsessig im Vierkantspender. Der Rezepturdrucker muss mit Bremsstrom betrieben, der Beratungsplatz aus recyceltem Altregalholz gezimmert und der Kommissionierer von einem stationären Kurbelgerät für Praktikant:innen gespeist werden.

Und es geht noch weiter: Der neue Apothekenbonus – liebevoll als „Öko-Pauschale Plus“ betitelt – wird nur ausgezahlt, wenn die Offizin einen validierten Nachhaltigkeitsbericht inklusive Kundenumfrage („Wie grün war Ihr Besuch?“), Labor-Aquaponik und CO₂-Kompensation durch selbstgezogene Minze vorlegen kann. Die Pflanze dient dann gleichzeitig als Sichtschutz für die Phytothek und als Topping für vegane Mitarbeitergetränke.

Wem das zu komplex ist, kann sich vom UBA beraten lassen – die schicken jetzt externe Klimascouts in die Vor-Ort-Versorgung. Diese messen den ökologischen Fußabdruck der Betriebsspülmaschine, bewerten das Wärmeverhalten des Notdienstvorhangs und prüfen, ob das Handdesinfektionsmittel mit Eukalyptusduft auch regional produziert wurde. Wer nicht besteht, bekommt keine Abmahnung, sondern eine Patenschaft für eine bedrohte Wasserpflanze in Brandenburg. Reicht das auch nicht aus, ist eine temporäre Betriebsschließung mit Nachzertifizierungsauflage nicht ausgeschlossen.

Für den nötigen Ernst sorgt die neue Patient:innenpflicht zur Müllvermeidung. Rezepturen dürfen nur noch in nachweislich mehrfach verwendbaren Glasbehältern mitgebracht werden. Dosen, Beutel, Säckchen – alles muss rückverfolgbar und klimaneutral sein. Wer versehentlich eine Papierverpackung verlangt, muss mit einem erklärenden Gespräch über „Pharmazeutisches Fußabdruckbewusstsein“ rechnen. Im Wartebereich. Mit Schaubild.

Dass es sich bei alldem nicht um eine Satire, sondern um ein Fördermodell handelt, erklärt der TK-Vize im neuen Nachhaltigkeitsrundschreiben. Der Bonus: Zehn Cent zusätzlich pro Packung, wenn die Apotheke belegt, dass sie den Energiebedarf ihrer Beleuchtung komplett durch Hamsterlaufräder kompensiert. Optional auch per Windrad auf dem Apothekendach – solange die Nachbarn keine Einwände haben. Für Apotheken auf dem Land empfiehlt sich ein kleiner Komposthügel neben dem Parkhaus. Am besten mit Kräuterspirale. Fördert die Resilienz.

Noch Fragen? Ach ja: Jede Apotheke soll halbjährlich einen Abwasseraudit durchführen lassen. Im Idealfall in Eigenleistung durch die PTA im Nachtdienst. Ziel: Nachweis hormoneller Rückstände unterhalb des EU-Schnitts. Wer das schafft, darf sich „Grünpunktapotheke“ nennen und das neue Umweltlabel auf die Plexiglastrennscheibe kleben. Es besteht aus vollständig kompostierbarer Holzcellulose und wird mit Algenfarbe aufgetragen. UV-beständig bis 2027.

Die Zukunft der Pharmazie liegt also irgendwo zwischen Salbenherstellung, Fischzucht, E-Scooter-Wartung und Umweltpädagogik. Wer fragt, wie man das alles bezahlen soll, hat das Konzept nicht verstanden. Denn: Nachhaltigkeit ist keine Frage des Budgets, sondern des Bewusstseins. Und wenn das Bewusstsein erstmal nachhaltig aufgeladen ist, klappt es auch mit der Energierückgewinnung aus den Tränen überbordender Bürokratie.

Bleibt nur die Hoffnung, dass es demnächst eine Fortbildung zur „zertifizierten Klimaversorgerin“ gibt. Mit Bonuspunkten für selbstgestrickte Wärmekissen aus Apothekenflachs und CO₂-freier Patientenansprache. Dann steht dem ökologischen Paradigmenwechsel der Offizin wirklich nichts mehr im Weg – außer vielleicht der Realitätscheck.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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