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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Wenn Naturkatastrophen Infrastrukturen überrollen, geraten Apotheken in eine zentrale Rolle zwischen Versorgung, Ethik und Systemlücke, denn sie bleiben oft die letzten funktionsfähigen Einheiten des Gesundheitswesens vor Ort, wie das Beispiel Australien zeigt, wo Medikamente per Jet Ski ausgeliefert, Generatoren improvisiert und Notversorgungen ohne Rezept umgesetzt wurden – eine Realität, die auch in Deutschland immer wahrscheinlicher wird, während der strukturelle Einbezug der Apotheken in Katastrophenpläne fehlt, Versicherungsmodelle zu kurz greifen und Regulierungen die Anpassung erschweren, weshalb es nun Führungsaufgabe wird, den Schutz der Apothekeninfrastruktur gegen Überschwemmung, Stromausfall, Lieferengpässe und IT-Versagen neu zu denken, mit Strategien, die sowohl baulich als auch haftungstechnisch tragfähig sind und gleichzeitig Vertrauen, Versorgungssouveränität und operative Flexibilität in der Krise sichern.
Naturkatastrophen fordern Apotheker, Versorgung wächst über Strukturen hinaus, Risikoabsicherung wird zur Führungsaufgabe
Wie Apotheken unter Extrembedingungen funktionieren, welche Lehren Australien bietet und warum Versicherungsstrategien neu gedacht werden müssen
Wenn das Wasser steigt, die Flammen wüten oder ein Sturm ganze Landstriche lahmlegt, geraten nicht nur Infrastrukturen, sondern auch Versorgungsnetze unter Druck – insbesondere die Arzneimittelversorgung. Apotheken sind dann oft die letzten funktionierenden Knotenpunkte im Gesundheitswesen. Die Erfahrung aus Australien zeigt eindrucksvoll, wie Apothekerinnen und Apotheker unter extremen Bedingungen über sich hinauswachsen, Verantwortung übernehmen und improvisieren – mit Helikopterabwürfen, Generatorbetrieb, Versorgung auf Vertrauensbasis oder sogar per Jet Ski. Doch diese Improvisationen haben ihren Preis: organisatorisch, psychologisch und finanziell. Der Schutz der Apothekeninfrastruktur gegen Naturkatastrophen – ob durch Versicherung, bauliche Vorkehrungen oder regulatorische Flexibilität – wird zur Führungsaufgabe. Denn das System ist bisher nicht vorbereitet auf eine Welt, in der Krisen zur Regel werden.
Australien ist ein Extremfall – aber nicht mehr die Ausnahme. Buschfeuer, Überschwemmungen, Sturmschäden und Hitzephasen treffen das Land regelmäßig mit hoher Wucht. Die Ereignisse 2019/2020 markieren einen Wendepunkt: ganze Ortschaften wurden von Flammen eingeschlossen, die Luft war selbst in Canberra zwei Monate lang toxisch, Apothekenpersonal schlief in Autos oder auf Lagerdecken, während mit Generatoren Medikamente ausgegeben und Menschen versorgt wurden, die weder Strom noch Kommunikationsmittel oder Zahlungsmöglichkeiten hatten. Und während Militär und Zivilschutz evakuierten, organisierten Apotheken eine medizinische Grundversorgung – spontan, mutig, belastend. Diese Belastung wird, so warnen Experten, mit zunehmendem Klimawandel zur Daueraufgabe.
Peter Guthrey von der Pharmaceutical Society of Australia schilderte beim internationalen FIP-Webinar »Pharmacists’ Humanitarian Response to Natural Disasters« eindringlich, welche Flexibilität und Resilienz das Apothekenwesen im Katastrophenfall leisten kann – aber auch, welche strukturellen Defizite bestehen. So wurde während der Buschfeuer zeitweise erlaubt, Medikamente wie Salbutamol ohne Rezept oder gar auf Vertrauensbasis abzugeben – die Regierung übernahm die Kosten. In anderen Fällen stellte die Bürokratie sich quer. In Malua Bay verlor Apotheker Raj Gupta seine Apotheke, durfte jedoch im Gemeindezentrum mit der Notversorgung beginnen – täglich pendelnd durch brandgefährdete Gebiete. In Mallacoota improvisierte Apotheker Emmanuel Pasura einen Notbetrieb bei tagelangem Feuersturm, versorgte Eingeschlossene mit Atemschutzmasken, Antibiotika und Asthmamedikation – teilweise über Helikopter- und Bootsanlieferung durch Großhändler und Polizei. Solche Szenarien zeigen, wie fragil aber auch leistungsbereit die letzte Meile der Gesundheitsversorgung ist.
Auch symbolträchtige Gesten fanden ihren Platz: Apothekerin Skye Swift wurde in Murwillumbah vom Ex-Surfstar Mick Fanning per Jet Ski durch überschwemmtes Gebiet gebracht – um als einzige verbliebene Apotheke die Versorgung der Region aufrechtzuerhalten, inklusive Methadon-Programme. Dieses Maß an individueller Verantwortung übertrifft jede reguläre Berufsbeschreibung. Doch es verweist auch auf eine systemische Lücke: Wenn das Versorgungsnetz bröckelt, hängt alles von persönlichem Einsatz, Solidarität und Improvisationskraft ab. Das ist mutig – aber riskant.
Guthrey und weitere internationale Experten wie Lucas Ercolin, Apotheker aus den Niederlanden mit humanitärer Einsatzerfahrung in der Ukraine und dem Irak, betonten: Apotheken seien nicht für den Katastrophenfall ausgebildet, aber oft die verlässlichste Schnittstelle für Versorgung, Information und Orientierung. Es seien Apotheken, nicht Kliniken, die erreichbar bleiben. Es seien Apotheken, nicht Verwaltungen, die ohne Anweisung helfen. Doch dieses Engagement hat Folgen: Der mentale Druck auf Mitarbeitende steigt, die Versorgung mit Strom, Kommunikation und Nachschub ist unsicher, Haftungsfragen sind ungeklärt.
In Australien fehlen bis heute gesetzlich verankerte Katastrophenpläne für Apotheken – trotz der Lehren aus mehreren Naturereignissen. Und genau hier beginnt der übertragbare Handlungsbedarf für andere Länder wie Deutschland: Wo stehen die Apotheken, wenn Starkregen Keller flutet, Sturm Netze lahmlegt oder Hitze die Kühlkette gefährdet? Was passiert, wenn Kühlmedikamente nach einem Stromausfall wertlos werden – wie im Fall der gestohlenen Generatoren in Broken Hill? Wer haftet, wenn der Notfallplan scheitert? Was sichern bestehende Versicherungen eigentlich wirklich ab – und was nicht?
Branchenspezifische Risikoabsicherung ist kein Nebenkriegsschauplatz, sondern Kernstrategie. Offline-Risiken wie Stromausfall, Gebäudeschaden oder Lagerverlust müssen genauso kalkuliert sein wie digitale Ausfälle durch Cyberattacken, wie sie inzwischen auch in Australien Apothekeninfrastruktur bedrohen. Doch viele Apotheken in Deutschland – wie auch anderswo – sind unterversichert oder gar nicht auf längere Ausfälle vorbereitet. Dabei geht es nicht nur um Sachschäden, sondern um Haftung für unterlassene Versorgung, Arzneimittelverluste, Verletzungen der Arzneimittelsicherheit oder Datenschutzpflichten. Versicherungen gegen Betriebsunterbrechung, Ertragsausfall, Warenverlust, Haftungsansprüche oder Cyberangriffe sind längst keine Option mehr, sondern existenzsichernd. Doch oft fehlen angepasste Policen, passgenaue Tarife oder Kenntnis der Bedingungen. Zudem besteht Unsicherheit, ob auch Leistungen wie Methadonprogramme oder BtM-Vorräte im Krisenfall rechtskonform weitergeführt werden dürfen – und wie das mit bestehenden Verträgen abgesichert werden kann.
Führungsverantwortung in Apotheken bedeutet heute auch: Risikomanagement, Katastrophenplanung und Versicherungsstrategie zu beherrschen. Dazu gehört, Notfalltaschen mit Medikamenten für Patientinnen und Patienten zu kommunizieren, Social Media gezielt zur Evakuierungswarnung zu nutzen, eigene Lagerhaltungsstrategien zu definieren und technische Backups für Strom, Daten und Kommunikation einzukalkulieren. Es braucht klare Regeln, aber auch flexible Instrumente – von temporären Ausnahmeregelungen bis hin zu nationalen Notfallgesetzen, die Apotheken Handlungsspielräume und Schutzstatus zusichern.
Was Australien zeigt, ist keine Heldengeschichte – sondern ein Testlauf für eine Zukunft, in der Versorgung nur gelingt, wenn Systeme vorbereitet, Versicherungen angepasst und Menschen bereit sind, weit über Vorschriften hinaus Verantwortung zu übernehmen. Apotheken sind bereit. Aber sie dürfen nicht allein gelassen werden – weder strukturell noch rechtlich.
Rückzahlungen erstritten, Rechtsgrundlagen zementiert, Verjährung präzisiert
Was der Bundesgerichtshof zur Zustimmungsfiktion bei Bankentgelten entschied, warum Sparkassenkunden Rückerstattung fordern können und wieso Fristen früher beginnen als gedacht
Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung vom 3. Juni 2025 ein Thema zu Ende entschieden, das jahrelang zwischen Verbraucherschutz, Bankpraxis und juristischer Dogmatik schwebte. Unter dem Aktenzeichen XI ZR 45/24 urteilte der XI. Zivilsenat über eine Musterfeststellungsklage zur Rückzahlung von Kontoführungsentgelten, die Sparkassen ohne ausdrückliche Zustimmung der Kundinnen und Kunden allein auf Basis sogenannter Zustimmungsfiktionen erhoben hatten. Der BGH hatte bereits im Jahr 2021 entschieden, dass solche Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam sind. Was nun hinzukam, war die Klärung, welche konkreten Rückforderungsrechte daraus resultieren, wann diese verjähren und ob Banken sich auf Leistungsausgleich oder stillschweigende Zustimmung berufen dürfen. Das Ergebnis ist eindeutig: Verbraucher dürfen zu viel gezahlte Entgelte zurückfordern, selbst wenn sie jahrelang geschwiegen haben – und Banken dürfen sich weder auf konkludente Zustimmung noch auf eine angeblich unsichere Rechtslage berufen. Die Musterfeststellungsklage hatte damit weitreichende Wirkung, auch wenn nicht alle Feststellungsziele Erfolg hatten.
Der Sachverhalt war typisch für viele Bankverhältnisse in Deutschland: Die Sparkasse hatte zum 1. Dezember 2016 ihre Entgeltstruktur umgestellt und dies ihren Bestandskunden zwei Monate vorher schriftlich mitgeteilt. Dabei nutzte sie eine Zustimmungsfiktion, wie sie bis 2021 gängige Praxis war. Die Klausel erklärte Änderungen für wirksam, wenn der Kunde nicht aktiv widersprach. Das Kammergericht hatte dieser Praxis in Teilen bereits eine Absage erteilt. Der BGH ging nun darüber hinaus: Eine solche Fiktion könne gerade bei Entgelten für Hauptleistungen nicht Grundlage für neue Zahlungsverpflichtungen sein. Der vertragliche Grundsatz, dass Änderungen eines Vertrags gegenseitige Zustimmung erfordern, sei nicht disponibel. Es sei weder treu noch redlich, einem Verbraucher durch bloßes Schweigen neue Entgelte aufzubürden. Dass viele Banken genau dies systematisch taten, wird damit zum strukturellen Vertragsbruch.
Im Zentrum der Entscheidung steht die Feststellung, dass die Sparkasse sämtliche Entgelte, die auf Grundlage der Zustimmungsfiktion erhoben wurden, ohne Rechtsgrund erhalten hat. Diese Praxis sei mit § 307 BGB unvereinbar und führe zu einem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch der Verbraucher gemäß § 812 Abs. 1 BGB. Anders als viele Banken argumentiert hatten, sei es unerheblich, ob die Kunden ihre Konten weiter genutzt hätten. Denn die Auslegung von Willenserklärungen sei immer einzelfallbezogen und könne nicht im Rahmen eines Musterverfahrens generalisiert werden. Der Senat lehnte daher das entsprechende Feststellungsziel zur konkludenten Zustimmung als unzulässig ab. Was bleibt, ist eine klare Linie: Schweigen ist keine Zustimmung, auch nicht im jahrelangen Dauergebrauch. Der Verweis auf faktisches Verhalten ersetzt keine Vertragserklärung.
Besonders umstritten war die Frage, wann Rückforderungsansprüche verjähren. Viele Verbraucher hofften, dass die Verjährungsfrist erst mit dem BGH-Urteil von 2021 zu laufen begann – also mit der offiziellen höchstrichterlichen Feststellung der Unwirksamkeit. Der Senat erteilte dieser Hoffnung eine Absage. Die dreijährige Verjährungsfrist beginne mit dem Schluss des Jahres, in dem der Saldoabschluss des Kontos genehmigt wurde. Dies ist nach AGB regelmäßig sechs Wochen nach Zugang der Abrechnung der Fall. Die Kenntnis der Unwirksamkeit der zugrunde liegenden Klausel sei für den Fristbeginn nicht erforderlich. Maßgeblich sei nur, dass Verbraucher wussten, dass ein neues Entgelt erhoben wurde – nicht, ob sie dessen rechtliche Angreifbarkeit einschätzen konnten. Rechtsunkenntnis schützt nicht vor Rechtsverfall. Der Kommentar zur Entscheidung fällt daher nüchtern aus: Der BGH fordert von Verbraucherinnen und Verbrauchern mehr rechtliches Eigeninteresse, während er Banken die Illusion nimmt, sich auf jahrelanges Stillschweigen berufen zu können.
Damit stellt sich die Entscheidung auch gegen die sogenannte Dreijahreslösung, die aus dem Energielieferrecht stammt und auf ergänzende Vertragsauslegung setzt. Dort gilt, dass nach drei Jahren stillschweigender Zahlung eine Genehmigung vermutet wird. Der BGH machte nun klar, dass dieses Modell auf Bankverträge nicht übertragbar sei. Die Sonderstruktur von Girokonten und die spezifischen Transparenzanforderungen im Zahlungsdienstrecht ließen keine analoge Anwendung zu. Die Musterbeklagte konnte sich daher auch nicht darauf berufen, dass ihre Leistungen einen objektiven Gegenwert gehabt hätten, der eine Rückforderung ausschließt. Auch die Hilfswiderklage der Bank wurde abgewiesen. Denn für die Rückerstattung kommt es nicht auf die Frage an, ob Kunden im Gegenzug Leistungen erhalten haben, sondern ob ein rechtlicher Grund für die Entgelterhebung vorlag. Der BGH bejaht zwar das Fortbestehen wirksamer Giroverträge, verneint aber das Recht, ohne wirksame Entgeltvereinbarung zusätzliche Zahlungen zu verlangen.
Zudem stellte der BGH klar, dass die systematische Verwendung unwirksamer Klauseln im Bankwesen kein Vertrauensschutzargument sei. Es habe niemals eine gesicherte höchstrichterliche Rechtsprechung zugunsten solcher Zustimmungsfiktionen gegeben. Bereits 2007 sei entschieden worden, dass grundlegende Vertragsänderungen keiner Fiktion, sondern eines echten Änderungsvertrags bedürfen. Wer sich als Bank auf jahrzehntelange Praxis beruft, die von Anfang an im Widerspruch zu den Grundregeln des Vertragsrechts stand, könne daraus keine Schutzbehauptung ableiten. Die Anwendung dieser Argumentation zeigt, wie sehr das Urteil auch eine Abrechnung mit der Bankenkultur der stillen Anpassung ist.
Für Verbraucher bedeutet das Urteil Klarheit und Rückgewinn von Rechtssicherheit. Wer auf Basis unwirksamer AGB-Klauseln Kontoführungsentgelte gezahlt hat, kann diese zurückverlangen – sofern die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Wer seine Salden etwa in den Jahren 2018 bis 2020 genehmigte, kann aktuell noch Ansprüche geltend machen. Gleichzeitig verlangt das Urteil von Kundinnen und Kunden, ihre Rechte künftig aktiver wahrzunehmen. Das Vertrauen in die Korrektheit bankseitiger Mitteilungen wird juristisch nicht belohnt, wenn es zur Untätigkeit führt. Der rechtzeitige Widerspruch gegen Entgeltänderungen wird zum einzig effektiven Mittel, um spätere Verluste zu vermeiden.
Für die Bankenbranche bedeutet das Urteil einen Rückschritt zur Transparenzpflicht und eine endgültige Absage an verdeckte Entgeltanpassungen. Künftige Preisänderungen bedürfen nicht nur der vorherigen Information, sondern auch der echten vertraglichen Zustimmung – ausdrücklich, nachweisbar und dokumentierbar. Für die Gestaltung von Preisverzeichnissen, Kommunikationsabläufen und Vertragsupdates bedeutet das einen erheblichen organisatorischen Mehraufwand. Zugleich ist das Urteil ein deutliches Signal an alle Institute, bei der Ausgestaltung von AGB nicht auf vermeintliche Gewohnheitsrechte zu vertrauen, sondern konsequent an der Wirksamkeit und Transparenz zu arbeiten.
Mit diesem Urteil schafft der Bundesgerichtshof ein klares Ende der Schweigepraxis im Bankwesen, stellt die bereicherungsrechtliche Rückforderung auf feste Füße und gibt dem Vertragsrecht seine Grundlinie zurück: Zustimmung braucht Erklärung, Vertrag braucht Willen, Zahlung braucht Grund. Wer diese Prinzipien über Jahre hinweg ignorierte, darf sich nicht wundern, dass nun Rückforderungen im Raum stehen.
Bitcoin bleibt Spekulation, System bleibt stabil, Vertrauen bleibt entscheidend
Warum die Kryptowährung trotz Hype und Kursgewinnen keine führende Rolle im Weltwährungssystem einnehmen wird
Als Bitcoin im Nachgang der Finanzkrise 2008 konzipiert wurde, galt die digitale Währung ihren Verfechtern als revolutionäre Alternative zu den als korrupt und instabil empfundenen traditionellen Finanzsystemen. Die zugrundeliegende Technologie – die Blockchain – versprach Transparenz, Unabhängigkeit und eine geldpolitisch entkoppelte Form der Wertübertragung. Diese Vision beflügelte vor allem libertäre und technikaffine Milieus, deren Glaube an eine dezentrale Geldordnung einen beinahe ideologischen Charakter annahm. Und doch, trotz millionenfacher Adressen, Milliardenbewertungen und institutioneller Investments, bleibt Bitcoin auch 16 Jahre nach seiner Entstehung ein Randakteur. Der Hype ist real, die Systemrelevanz nicht.
Zunächst ist es die Volatilität, die Bitcoin als Zahlungsmittel weitgehend disqualifiziert. Wer in einer Woche um zehn Prozent auf- oder abwertet, eignet sich kaum für planbare Preiskalkulationen, Alltagsgeschäfte oder verlässliche Kreditvergabe. Genau hier beginnt der systemische Widerspruch: Je mehr Bitcoin als Anlageobjekt fungiert, desto weniger kann er Währung sein. Der spekulative Charakter verschärft sich durch die geringe Umlaufgeschwindigkeit – Bitcoins werden gehortet, nicht zirkuliert. Die Deflationserwartung, tief in das Design des Coins eingeschrieben, führt nicht zu einem stabilen Preisniveau, sondern zu einem spekulationsgetriebenen Halteverhalten. Ökonomisch ist das eine Sackgasse.
Hinzu kommt die strukturelle Begrenzung der Transaktionskapazität. Die Bitcoin-Blockchain erlaubt nur wenige Transaktionen pro Sekunde – ein Bruchteil dessen, was etablierte Zahlungssysteme wie Visa oder Mastercard täglich abwickeln. Die Lösungsvorschläge reichen vom Lightning Network bis zu Off-Chain-Systemen, doch sie schaffen neue Komplexität und mindern die propagierte Transparenz. Zudem steigen in Phasen hoher Netzwerkauslastung die Gebühren – bis hin zu absurden Höhen, die einfache Transaktionen unerschwinglich machen. Wer eine Pizza mit Bitcoin bezahlt, zahlt im Zweifel mehr für die Transaktionsgebühr als für das Essen selbst.
Nicht minder gravierend sind die regulatorischen Unsicherheiten. Während Staaten wie El Salvador Bitcoin zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärten, haben andere Länder – darunter China, Indien und mehrere afrikanische Nationen – den Handel massiv eingeschränkt oder gänzlich verboten. In der EU müssen sich Dienstleister an umfassende Vorschriften zur Geldwäscheprävention halten. Diese Zersplitterung der regulatorischen Landschaft verhindert eine globale Integration und zwingt Unternehmen in ein rechtliches Niemandsland. Für Konzerne ist das ein Risiko, für Verbraucher ein Unsicherheitsfaktor.
Auch das Narrativ vom „digitalen Gold“ trägt nur bedingt. Zwar teilt Bitcoin mit Gold die Eigenschaft, nicht beliebig vermehrbar zu sein – doch Gold ist physisch, anerkannt, und seit Jahrtausenden tief im kollektiven Vertrauen verankert. Bitcoin dagegen existiert nur digital, ist verletzbar durch Hacks, von Strom abhängig und für Laien kaum verständlich. Während Gold auch im Krisenfall seinen materiellen Wert behält, kann Bitcoin durch einen simplen Private-Key-Verlust vollständig entwertet werden. Die technische Zugangshürde und die Gefahr irreversibler Verluste sind aus Nutzersicht kein marginales Problem, sondern ein grundlegendes Hemmnis.
Ein weiteres Argument, das Bitcoin-Fans gerne ins Feld führen, ist die geldpolitische Unabhängigkeit. Doch auch diese Idee ist trügerisch. Bitcoin mag zwar keinen Zentralbankchef kennen, aber es ist keineswegs immun gegenüber Machtkonzentration: Wenige Wallets kontrollieren einen Großteil aller Coins, große Mining-Pools dominieren die Validierung, und technologische Upgrades hängen von wenigen Core-Entwicklern ab. Dezentralität in der Theorie ist nicht automatisch Dezentralität in der Praxis. Wenn sich Machtverhältnisse innerhalb der Bitcoin-Infrastruktur verfestigen, widerspricht das dem ursprünglichen Ideal einer demokratisierten Geldordnung.
Trotz alledem ist nicht zu leugnen, dass Bitcoin eine bedeutende kulturelle und wirtschaftliche Rolle eingenommen hat. Als Symbol für digitale Souveränität, als Vehikel für technologische Innovationen und als Antrieb für die Debatte über zukünftige Geldformen ist Bitcoin wirkmächtig. Auch der Boom anderer Kryptowährungen, von Ethereum bis zu Stablecoins, wäre ohne den Bitcoin-Hype undenkbar gewesen. In Nischenmärkten, etwa im Darknet oder bei kapitalfluchtbedingten Transaktionen in autoritären Regimen, erfüllt er nach wie vor eine spezifische Funktion. Aber all das macht ihn nicht zu einem tragfähigen Ersatz für staatlich regulierte Währungen.
Die eigentliche Herausforderung liegt heute darin, Bitcoin realistisch einzuordnen – jenseits von Euphorie und Untergangsszenarien. Weder ist er der Totengräber des Fiat-Geldes, noch ein bedeutungsloser Gag. Bitcoin ist ein Spiegel technologischer Disruption, ein Katalysator ökonomischer Debatten, ein spekulatives Anlagevehikel mit globaler Ausstrahlung. Doch das reicht nicht, um ein alternatives Weltwährungssystem zu begründen. Die Anforderungen an Geld – Stabilität, Liquidität, regulatorische Sicherheit, gesellschaftliche Akzeptanz – erfüllt Bitcoin derzeit nicht. Und es spricht wenig dafür, dass sich das kurzfristig ändern wird.
Währungen brauchen Vertrauen, institutionelle Einbettung, gesamtgesellschaftliche Funktionalität. Bitcoin bietet bislang nur eine Geschichte – eine faszinierende, radikale, polarisierende. Doch bis aus dieser Geschichte ein belastbares System wird, vergehen nicht nur Blockzeiten, sondern Generationen. Die Nebenrolle ist kein Versagen, sondern die logische Konsequenz aus technischen, rechtlichen und sozialen Grenzen. Wer das akzeptiert, kann Bitcoin nutzen – aber sollte ihn nicht überschätzen.
Versorgung bröckelt, Politik zaudert, Verbände drängen
Warum der Tag der Apotheke zum Prüfstein wird, was Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz fordern und wie lange Apotheken das noch aushalten
Der 7. Juni markiert alljährlich den Tag der Apotheke – ein symbolträchtiges Datum, das diesmal mehr ist als bloße Gelegenheit für Dankesreden und Grußworte. Es wird zur Mahnung. Denn während Gesundheitsministerien und Koalitionsverhandler die Reform der Apothekenlandschaft zwar vertraglich bejahen, fehlt nach Ansicht der Apothekerverbände weiterhin jegliche Bewegung in der Umsetzung. Die Stimmen aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, zwei besonders betroffenen Bundesländern, sind daher so unmissverständlich wie alarmierend: Das Apothekensterben hat sich zur strukturellen Krise verdichtet, der Koalitionsvertrag droht zur folgenlosen Willensbekundung zu verkommen, und die Zeit für Korrekturen läuft ab.
Tatjana Zambo, Präsidentin des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg, nutzt den Aktionstag für eine klare Botschaft an die Regierung: Wer Flächendeckung wolle, müsse endlich handeln. Ein Viertel der Apotheken sei wirtschaftlich instabil, sieben Prozent operierten bereits mit negativen Betriebsergebnissen – diese Zahlen markieren kein temporäres Tief, sondern eine Erosion der Grundstruktur. Ihre Mahnung ist unmissverständlich: Jede weitere Verzögerung beschleunigt den Schwund. Der Koalitionsvertrag anerkenne zwar das Missverhältnis zwischen stagnierendem Apothekenhonorar und gestiegenen Betriebs- und Personalkosten, doch die dringend erwartete Honoraranpassung sei weiter nicht in Sicht. Dabei ist das Problem seit Jahren dokumentiert, die Rezepte für Stabilität liegen längst auf dem Tisch – nur niemand in der Regierung scheint sie entschlossen anzuwenden.
Die Entwicklung lässt sich auch zahlenbasiert nachzeichnen: Allein 2024 schlossen bundesweit 530 Apotheken – 79 davon in Baden-Württemberg. 2023 waren es 85. Rheinland-Pfalz meldete 33 Apothekenschließungen, im Jahr zuvor 37. Was sich hinter diesen Zahlen verbirgt, ist mehr als ein betriebswirtschaftliches Phänomen – es ist ein sozialer Strukturverlust. Apothekerinnen und Apotheker, die jahrzehntelang in ländlichen Räumen, in Quartieren mit hoher Alterung oder chronischem Versorgungsbedarf tätig waren, geben ihre Standorte auf – weil ihnen wirtschaftlich die Luft ausgeht. Der Nachwuchs fehlt, Nachfolger bleiben aus, während die regulatorischen Anforderungen steigen und die politische Unterstützung ausbleibt.
Petra Engel-Djabarian vom Apothekerverband Rheinland-Pfalz unterstreicht die soziale Dimension: Apotheken sind weit mehr als Arzneimittelabgabestellen – sie sind Anker im Alltag, Begleiter für chronisch Erkrankte, Beratungsinstanz für Familien und verlässliche Konstante für ältere Menschen. Wo sie verschwinden, reißt eine Versorgungslücke auf, die sich durch Versandhandel oder Telemedizin nicht stopfen lässt. Auch die technokratische Hoffnung auf Medikationsautomaten wie in Rieseby ersetzt keine persönliche Nähe, kein pflegendes Gespräch, keine verantwortungsvolle Prüfung von Wechselwirkungen. Engel-Djabarian spricht darum von einer gesamtgesellschaftlichen Pflicht, die Leistungen der Apotheken zu schützen – nicht nur mit Sonntagsreden, sondern mit handfesten politischen Maßnahmen.
Die politische Lage hingegen bleibt paradox. Die neue Bundesregierung, seit gut einem Monat im Amt, hat im Koalitionsvertrag vieles versprochen, aber nichts konkretisiert. Die dort festgehaltene Absicht zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken wirkt wie ein Placebo ohne Wirkstoff, wenn weder Zeitplan noch finanzielle Ausgestaltung genannt werden. Währenddessen schreiten Schließungen weiter voran – oft ohne mediale Aufmerksamkeit, aber mit dramatischen Folgen für die betroffenen Gemeinden. Gerade im ländlichen Raum geraten ganze Regionen in eine gefährliche Spirale aus medizinischer Unterversorgung, sozialer Entkopplung und infrastrukturellem Rückbau.
Der Tag der Apotheke wird damit nicht zum feierlichen Anlass, sondern zur symbolischen Anklage. Die Berufsgruppen stellen nicht nur Forderungen, sie dokumentieren die eigene Belastungsgrenze. Der Rückgang der Apothekenzahl auf unter 17.000 – bei über 80 Millionen Einwohnern – ist kein bedauerlicher Nebeneffekt, sondern eine systemische Warnung. Was es brauche, ist ein sofortiger politischer Handlungsrahmen: die rasche Umsetzung der Honoraranpassung, die Entbürokratisierung von Dienstleistungen, Investitionshilfen für digitale Ausstattung sowie gezielte Förderprogramme für Nachwuchs- und Übernahmemodelle in strukturschwachen Regionen.
Dass Verbände dies heute fordern müssen, während dieselben Forderungen schon seit Jahren auf Fachveranstaltungen, bei Anhörungen und in Verbändegesprächen artikuliert wurden, ist Ausdruck einer politischen Verweigerungshaltung, die den Ernst der Lage offenbar nicht erkennt oder ignoriert. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz markieren mit ihren Mahnungen nicht nur regionale Brennpunkte – sie legen offen, dass die Apothekenkrise längst nicht mehr punktuell, sondern systemisch ist.
Wenn dieser Tag der Apotheke einen Sinn haben soll, dann jenen, die Regierung zur Verantwortung zu zwingen – nicht irgendwann, sondern jetzt. Ohne Taten bleibt die Apothekenzukunft ein Rückzugsgefecht.
Transparenz ohne Taktgefühl, Kontrolle ohne Kompetenz, Vertrauen ohne Vorbereitung
Wie die elektronische Patientenakte intime Details preisgibt, Aufklärung scheitert und Arzt-Patienten-Verhältnisse belastet werden
Das Ziel war Transparenz, das Resultat ist Grenzverschiebung: Mit der elektronischen Patientenakte (EPA) steht dem deutschen Gesundheitswesen ein Instrument zur Verfügung, das sowohl Hoffnung auf Effizienz als auch Zweifel an der Datenethik weckt. Millionen von Versicherten sind inzwischen mit einer Akte ausgestattet, die ihre gesamte Krankengeschichte digital abbildet – von banalen Blutbildern bis hin zu traumatisierenden Diagnosen. Die Nutzung der EPA soll ab Oktober 2025 für alle Leistungserbringer verpflichtend werden. Doch was als Fortschritt gepriesen wird, offenbart bei näherem Hinsehen einen eklatanten Mangel an Aufklärung, Sensibilität und datenschutzrechtlicher Feinsteuerung.
Im Zentrum der Kritik steht nicht nur die Technik, sondern vor allem das Tempo ihrer Einführung – flankiert von einer Aufklärungsarchitektur, die ihrem Anspruch offensichtlich nicht gerecht wird. Während das Bundesgesundheitsministerium (BMG) betont, dass Patienten ihre Akte nach dem Opt-out-Prinzip jederzeit individualisieren, spricht die Realität in den Praxen eine andere Sprache. Gynäkologe Andreas Jepsen-Föge berichtet von Verlegenheiten im Sprechzimmer, wenn Patientinnen durch das plötzliche Sichtbarwerden ihrer Vergangenheit überrascht werden – etwa bei einem übersehenen Vorsorgetermin, einer heimlichen künstlichen Befruchtung oder einem sexuellen Trauma. Die EPA lässt nichts aus, wenn die Standardfreigabe nicht aktiv eingegrenzt wird.
Das Grundproblem liegt im Missverhältnis zwischen digitalem Zugriff und menschlicher Kommunikation. Was als Hilfestellung für Mediziner gedacht war – die schnelle Information über Vorerkrankungen, Medikationspläne und Behandlungsverläufe – wird in der Praxis zum unfreiwilligen Seelenstriptease. Denn kaum ein Patient weiß exakt, welche Informationen in welcher Detailtiefe enthalten sind. Die Lösch-, Schatten- und Zugriffsrechte existieren zwar, sind jedoch nur über eine komplexe App steuerbar, die vielen älteren oder weniger technikaffinen Patienten kaum zugänglich ist. Wer nichts tut, gibt alles preis.
Das Vertrauen zwischen Arzt und Patient, ohnehin ein sensibles Gut, wird so auf eine neue Probe gestellt. Denn je mehr Ärztinnen und Ärzte sehen, ohne dass die Betroffenen ihnen aktiv etwas mitteilen, desto größer wird das Risiko für Missverständnisse, falsche Rückschlüsse oder gar Beziehungsbrüche. Jepsen-Föge beschreibt im Interview mit dem SWR nicht nur peinliche Momente, sondern auch ethische Zweifel. Muss wirklich jede Information, auch wenn sie eine andere medizinische Fachrichtung betrifft oder viele Jahre zurückliegt, automatisch verfügbar sein? Die EPA kennt keine sozialen Zwischentöne. Ihre Logik ist radikal sachlich, während die Wirklichkeit des Gesundheitssystems vor allem vom Zwischenmenschlichen lebt.
Das Bundesgesundheitsministerium verweist auf zahlreiche Maßnahmen zur Information der Bevölkerung: Plakataktionen, Marktstände, Infobriefe der Krankenkassen. Doch die Wirkung dieser Kampagnen bleibt zweifelhaft. Eine repräsentative Civey-Umfrage vom Februar zeigt, dass fast ein Viertel der Versicherten die EPA noch gar nicht kennt – Monate vor der verpflichtenden Einführung. Noch auffälliger ist die extrem niedrige Widerspruchsquote: Nur etwa fünf Prozent der Versicherten haben der Einrichtung ihrer Akte widersprochen. Ursprünglich hatte die Bundesregierung mit einer Quote von 20 Prozent gerechnet. Ein Indiz dafür, wie viele Bürgerinnen und Bürger das Opt-out-System entweder nicht verstanden haben oder sich der Tragweite nicht bewusst sind.
Das Design der EPA folgt einem zentralistischen Grundgedanken: Wer teilnimmt, liefert seine medizinischen Informationen vollständig – sofern nicht anders konfiguriert. Doch wie soll ein durchschnittlicher Patient entscheiden, welche Praxis welche Daten sehen darf, wenn selbst Fachleute Probleme haben, die Übersicht zu behalten? Die Versorgungsrealität ist komplex. Was bei einem Facharzt hilfreich sein kann, ist bei einem anderen potenziell übergriffig. Ein Beispiel: Die Information über eine psychische Vorerkrankung kann in einer hausärztlichen Behandlung relevant sein, beim Zahnarzt aber völlig unnötig und möglicherweise stigmatisierend.
Diese Überinformation birgt Risiken für beide Seiten. Ärztinnen und Ärzte müssen künftig nicht nur entscheiden, welche Informationen sie wie nutzen, sondern auch, was sie besser ignorieren. Eine neue Form der professionellen Zurückhaltung wird notwendig – mit hohen ethischen Anforderungen. Gleichzeitig entsteht eine neue Pflicht zur Sensibilität, ohne dass das System selbst diese einfordert. Das Gesetz ermöglicht Zugriff, aber kein Taktgefühl. Und wer eine Information gesehen hat, kann sie nicht mehr »nicht wissen«.
Auch aus rechtlicher Sicht ist die EPA ein komplexes Konstrukt. Zwar wird die Datenhoheit formell bei den Patientinnen und Patienten belassen, doch der faktische Druck zur Standardfreigabe wirkt unterschwellig: Wer nicht widerspricht, gibt sein Innerstes preis. Juristen kritisieren daher den konstruktiven Zwang des Systems, der eine asymmetrische Verantwortung erzeugt: Die Last der Regulierung liegt beim Individuum, nicht beim System. In einem digital vernetzten Gesundheitswesen müsste eigentlich das Prinzip „Minimaldatensatz“ gelten – also nur das Notwendige für die jeweilige Behandlung. Die EPA kehrt dieses Prinzip um.
Besonders prekär wird es, wenn es um gesellschaftlich sensible Informationen geht: Schwangerschaftsabbrüche, HIV-Status, psychiatrische Diagnosen, Missbrauchserfahrungen. Diese Daten können Leben retten – aber auch Beziehungen zerstören oder Scham hervorrufen, wenn sie ungewollt offenbar werden. Der Vertrauensverlust, der sich daraus ergibt, ist nicht nur persönlicher Natur, sondern stellt auch eine Bedrohung für die Funktionsweise des Gesundheitssystems selbst dar. Denn wer sich nicht mehr sicher fühlt, wird weniger offen kommunizieren – und möglicherweise notwendige Behandlungen vermeiden.
Das Spannungsverhältnis zwischen technischer Vollständigkeit und menschlicher Verletzlichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die EPA-Debatte. Sie zeigt beispielhaft, wie Digitalisierung ohne flankierende Kulturarbeit scheitern kann. Die Technik funktioniert – aber das Vertrauen fehlt. Es ist nicht die EPA, die versagt, sondern das System, das sie ohne ausreichende Vorbereitung in die Fläche bringt. Es ist die Aufklärung, die ihre Zielgruppe nicht erreicht. Und es ist eine Politik, die Modernisierung mit Digitalisierung verwechselt, ohne die psychologischen und sozialen Nebenwirkungen mitzudenken.
Wenn nun also die verpflichtende Nutzung für Apotheken, Praxen und Krankenhäuser bevorsteht, ist es höchste Zeit, den Blick nicht nur auf technische Infrastruktur und App-Funktionalität zu richten, sondern auf die stille Krise des Vertrauens. Denn ohne Vertrauen wird die EPA nicht zum Fortschritt, sondern zum Stigma. Und ohne echte Aufklärung bleibt Transparenz eine Drohung.
Apotheken sichern Gesundheitskompetenz, stabilisieren Hitzeschutzstrukturen, entlasten vulnerable Gruppen
Warum der Musterhitzeschutzplan des BMG mehr ist als ein Sommerprogramm, wie Apothekenteams zwischen Wetterwarnung und Versorgungssicherheit agieren und welche Rolle ihnen im Wandel des öffentlichen Gesundheitsschutzes zukommt
Wenn die Temperaturen steigen, geraten nicht nur Städte unter Hitzedruck, sondern auch Gesundheitssysteme, die sich bislang eher auf Infektionen, Notfälle und chronische Erkrankungen eingestellt hatten. Doch mit der statistisch zunehmenden Intensität und Häufigkeit von Hitzewellen wird der Klimawandel auch zu einem akuten Gesundheitsrisiko – und damit zur konkreten Herausforderung für Apotheken. Der Musterhitzeschutzplan des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), erarbeitet in Zusammenarbeit mit der Bundesapothekerkammer und dem Aktionsbündnis Hitzeschutz, markiert einen strategischen Wendepunkt: Apotheken sind nicht mehr nur infrastrukturelle Partner im Arzneimittelkreislauf, sondern systemrelevante Knotenpunkte in der klimaresilienten Daseinsvorsorge.
Dabei geht es längst nicht mehr nur um korrekt temperierte Medikamentenlagerung oder um Kühlung in Notdienstzimmern. Der neue Plan integriert Apotheken in ein nationales Frühwarn- und Reaktionssystem, das organisatorisch, baulich, arbeitsrechtlich und kommunikativ dimensioniert ist – und das nicht zuletzt das betriebliche Qualitätsmanagement (QMS) zur Grundlage hat. Bei Hitzewarnstufe 1 – ausgerufen ab einer gefühlten Temperatur von 32 Grad an zwei aufeinanderfolgenden Tagen – tritt ein Bündel von Maßnahmen in Kraft, das von der Identifikation hitzegefährdeter Mitarbeitender über angepasste Dienstzeiten bis hin zu proaktiver Patientenansprache reicht.
Dieser Maßnahmenkatalog ist nicht als starre Verordnung gemeint, sondern als dynamischer Orientierungsrahmen. Apotheken vor Ort können – und sollen – die Empfehlungen an ihre jeweilige Struktur und Lage anpassen. In ländlichen Regionen mit älterer Bevölkerung steht oft die Versorgungssicherheit durch Botendienste im Zentrum, in städtischen Lagen eher der Zugang zu kühlen Räumen und die kurzfristige Personalplanung. Der Plan enthält deshalb nicht nur technische Empfehlungen – etwa zur Wartung von Klimaanlagen, dem Einsatz von Jalousien oder Lüftungssystemen –, sondern auch betriebspsychologische und organisatorische Vorschläge: Dienstpläne können flexibilisiert, gefährdungsbeurteilende Maßnahmen im Arbeitsschutz erweitert und Raumkonzepte überdacht werden.
Bemerkenswert ist dabei der intersektorale Anspruch: Die Apotheken werden ausdrücklich in die Kommunikation mit Pflegeeinrichtungen, Hausärzten und kommunalen Hitzeschutzkonzepten eingebunden. Wenn der Deutsche Wetterdienst (DWD) die Hitzewarnstufe 2 – ab einer gefühlten Temperatur über 38 Grad – ausruft, ist vorgesehen, dass Apotheken ihre externe Kommunikation intensivieren, vulnerable Gruppen gezielter ansprechen und ihre internen Betriebsabläufe kurzfristig anpassen.
Diese neue Rolle setzt aber voraus, dass Apothekenteams entsprechend vorbereitet und ausgestattet sind. Der Musterplan sieht deshalb nicht nur technische Nachrüstungen vor, sondern auch Weiterbildung und Teamorganisation: Hitzeschutz wird zur betrieblichen Kulturfrage. Wasserspender, Schulungen, Kommunikationsroutinen – alles das ist Teil einer neuen betrieblichen Normalität zwischen Arzneimittelsicherheit und Gesundheitsprävention.
Auch langfristig ist der Plan ambitioniert. Apotheken sollen nicht nur passive Empfänger von Hitzedaten oder Patientenfragen sein, sondern aktiv Einfluss nehmen: auf Stadtplanung, auf lokale Infrastruktur, auf die Entwicklung öffentlicher Räume. Begrünung, schattenspendende Gestaltung, die Unterstützung kommunaler Projekte wie Trinkbrunnen oder „Cooling Spaces“ sind keine Nebenschauplätze mehr, sondern Bestandteile einer gesundheitsorientierten Klimaadaptation, in der Apotheken systemisch mitdenken und mitwirken.
Zugleich zeigt der Plan eine neue Denkweise im BMG: Statt linearer Zuständigkeiten treten netzwerkartige Schutzsysteme in den Vordergrund. Was im „Musterhitzeschutzplan für Apotheken“ jetzt formuliert ist, steht neben vergleichbaren Plänen für Sportvereine, Pflegeeinrichtungen, Kommunen und Schulen – allesamt mit dem Ziel, Handlungskompetenz im Angesicht klimabedingter Gesundheitsgefahren lokal zu verankern.
Doch das Konzept hat auch seine Grenzen. Der Erfolg des Plans hängt entscheidend von seiner Operationalisierung vor Ort ab – und damit von Personalressourcen, Investitionsbereitschaft und praktischer Umsetzbarkeit in einer Zeit, in der Apotheken ohnehin durch Fachkräftemangel, wirtschaftlichen Druck und strukturelle Überforderung belastet sind. Der Wille zur Umsetzung ist vielerorts vorhanden, doch ohne strukturelle Unterstützung droht der Plan auf der Ebene des guten Willens zu verharren.
Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion auf Analysen des RKI zur Übersterblichkeit durch Hitzebelastung: Allein in einzelnen Jahren kam es zu mehreren Tausend hitzebedingten Todesfällen. Die Einführung standardisierter Schutzkonzepte ist vor diesem Hintergrund nicht nur medizinisch geboten, sondern moralisch zwingend. Auch wenn sich die Wirksamkeit solcher Maßnahmen nicht exakt quantifizieren lässt – ihre Notwendigkeit ist durch die epidemiologischen Zahlen belegt.
Ein Zeichen für den strategischen Ernst der Lage ist die Einbindung des Hitzeschutzplans in die bundesweite LÜKEX-Krisenübung 2026. Dass Apotheken dabei als vollwertige Systemakteure mitgedacht werden, ist ein Paradigmenwechsel, den man nicht unterschätzen sollte. Denn zwischen Medikamentensicherheit, Personalverantwortung, Notfallversorgung und Standortbindung liegt heute eine neue Schlüsselrolle, die Apotheken nicht freiwillig, sondern faktisch zugesprochen wird.
Was daraus folgt, ist eine politische Verpflichtung: Wer Apotheken in den Hitzeschutzplan aufnimmt, muss auch dafür sorgen, dass sie den Plan umsetzen können – mit Ressourcen, mit Rechtssicherheit, mit Rückendeckung. Denn im Zweifel geht es nicht nur um kühl gelagerte Arzneimittel, sondern um Menschenleben.
Arznei aus der Box, Vertrauen auf Zeit, Stillstand durch Politik
Wie ein Medikamenten-Terminal in Rieseby Apothekenschließung kompensiert, den Vertrauensverlust riskiert und politisches Nichthandeln anklagt
Im schleswig-holsteinischen Rieseby, einer Gemeinde mit rund 3000 Einwohnern, endete am 30. Juni ein Kapitel Gesundheitsversorgung: Die Schulhaus-Apotheke, seit Jahrzehnten zentrale Anlaufstelle für Arzneimittel und Beratung, schließt – mangels Nachfolge, mangels Perspektive. An ihre Stelle tritt nun ein Automat. Im örtlichen Edeka, zwischen Frühlingszwiebeln und Lottoannahme, sollen ab sofort Medikamente per elektronischer Gesundheitskarte bestellt und per Boten zugestellt werden. Der Apotheker Matthias Fischer, Betreiber des neuen Terminals und Inhaber zweier Apotheken in Schleswig und Groß Wittensee, nennt das Gerät eine Brückentechnologie – eine Notlösung, keine Antwort auf das Versorgungsproblem.
Die nüchterne Technik steht im Kontrast zur Tragweite ihres Einsatzes: Nicht nur ersetzt sie eine Apotheke, sondern sie markiert auch den Übergang in eine neue Versorgungsrealität – eine, in der das Persönliche dem Praktischen weicht und das soziale Geflecht einer Apotheke durch ein Interface ersetzt wird. Der Apothekerverband Schleswig-Holstein reagiert mit scharfer Ablehnung: Der Terminal sei kein Ersatz für eine echte Apotheke, sondern Ausdruck politischer Versäumnisse und wirtschaftlicher Not. Auch Fischer sieht das Terminal nicht als Zukunft, sondern als Notwehr gegen einen schleichenden Systemkollaps. Seine Botschaft an die Politik ist klar: Wer weiterhin bei der Vergütungsfrage untätig bleibt, riskiert flächendeckende Versorgungslücken, besonders auf dem Land.
Dass die Suche nach einer Nachfolge für die Schulhaus-Apotheke scheiterte, lag nicht an mangelnder Initiative. Fischer selbst, Bürgermeisterin Doris Rothe-Pöhls und die langjährige Apothekeninhaberin Sigrun Kramer bemühten sich über Monate um eine Lösung. Doch wo Investitionen in Digitalisierung, niedrige Margen und unsichere Perspektiven zusammentreffen, helfen gute Absichten wenig. Am Ende blieb nur die pragmatische Entscheidung für ein Terminal. Bestellt wird bis 13 Uhr, geliefert wird am selben Tag – zumindest theoretisch. Für ältere und weniger digital affine Menschen, so Fischer, stehe am Terminal vormittags Personal bereit, um zu helfen. Später soll eine Videoberatung folgen. Und dennoch: Die Apotheke als Raum der Begegnung, des Gesprächs, der informellen Diagnostik – sie fehlt.
Hans-Günter Lund, Vorsitzender des Apothekerverbands Schleswig-Holstein, warnt vor einem gefährlichen Präzedenzfall. Das Terminal dürfe keine Blaupause für andere Orte sein, sondern müsse als temporäre Ausnahme verstanden werden. Die Politik dürfe sich nicht von Automatensystemen entlasten lassen, sondern müsse die strukturelle Unterfinanzierung der Apotheken endlich beenden. Die Kernkritik ist bekannt: Seit über einem Jahrzehnt stagniert das Fixhonorar, während Betriebskosten, regulatorische Anforderungen und digitale Infrastrukturinvestitionen steigen. Hinzu kommt das Skontoverbot, das Apotheken wirtschaftlich weiter belastet. In der Summe entsteht ein Umfeld, in dem Investitionen kaum noch zu rechtfertigen sind – besonders in ländlichen Regionen, wo der Umsatz ohnehin begrenzt ist.
Fischers Fall illustriert exemplarisch, wie weit persönliche Verantwortung und professionelle Weitsicht reichen – und wo sie an systemische Grenzen stoßen. In Rieseby wohnt er selbst. Er kennt die Menschen, die Bedürfnisse, die Unsicherheit. Auch in anderen Orten hat er versucht, Apotheken zu erhalten – teils mit Erfolg. Doch solche Einzelinitiativen können kein Modell für die Fläche sein. Der Rückzug des Staates aus der Gewährleistung einer wohnortnahen Arzneimittelversorgung wird stillschweigend hingenommen, solange punktuelle Innovationen wie Terminals als Ersatz verkauft werden. Genau das aber sei eine gefährliche Illusion, sagt Lund – denn Beratung, Vertrautheit und das sichere Gefühl, im Zweifel auch ohne Termin Hilfe zu bekommen, lasse sich nicht digitalisieren.
Die Politik schweigt. Während in urbanen Regionen Apothekenumsätze durch Laufkundschaft, Pflegeheime und Rezeptvolumen stabil bleiben, kämpfen Landapotheken mit schwindender Frequenz, Personalmangel und Rationalisierung. Gleichzeitig fehlt ein Investitionsanreiz für junge Apotheker, eine Offizin in strukturschwachen Regionen zu übernehmen. Die Folge ist ein sich selbst verstärkender Rückzug aus der Fläche – bis hin zum letzten Rezeptdrucker. Und der Automat? Er liefert Tabletten, aber keine Lösung.
Mit dem Terminal von Rieseby steht nun ein technisches Provisorium dort, wo früher pharmazeutische Kompetenz mit menschlicher Nähe kombiniert wurde. Es erfüllt seinen Zweck, aber nicht seine Mission. Für Fischer ist klar: »Wenn in Kiel eine Apotheke schließt, fällt das kaum auf. Wenn in Rieseby die einzige Apotheke verschwindet, dann sind ganze Bevölkerungsgruppen abgehängt.« Was bleibt, ist eine Maschine – und die Hoffnung, dass jemand zuhört. Nicht in der Warteschleife der Videoberatung, sondern im politischen Raum, in dem über die Zukunft der flächendeckenden Versorgung entschieden wird.
Neue Zielstruktur, neue Hoffnung, neue Risikoabwägung
Wie CAR-T-Zellen erstmals gegen solide Tumoren wirken, das Therapieparadigma verschieben und Sicherheitsfragen neu definieren
Noch vor wenigen Jahren galt es als nahezu ausgeschlossen, dass CAR-T-Zellen – jene genetisch umprogrammierten Immunzellen, die B-Zell-Malignome gezielt angreifen – je über das Terrain hämatologischer Erkrankungen hinaus erfolgreich eingesetzt werden könnten. Die Barrieren, die einer Übertragung dieser Therapiestrategie auf solide Tumoren im Weg standen, schienen zu hoch: die mangelnde Penetrierbarkeit des Tumorgewebes, das Fehlen tumorspezifischer Zielstrukturen, das Risiko schwerer Off-Target-Effekte und nicht zuletzt die komplexe Immunabwehr im Mikromilieu solider Tumoren. Doch nun markiert eine chinesische Phase-II-Studie einen wissenschaftlichen Bruch mit dieser Ausgangslage – und einen potenziellen Paradigmenwechsel in der Onkologie: Satricabtagen autoleucel, kurz satri-cel, ein gegen das Claudin-Protein CLDN18.2 gerichtetes CAR-T-Zell-Präparat, zeigt erstmals in einem randomisierten Setting klinische Wirksamkeit bei soliden gastrointestinalen Tumoren. Diese Entwicklung ist weit mehr als ein technischer Fortschritt – sie könnte den Zugang zur zellulären Immuntherapie für Millionen austherapierter Patientinnen und Patienten mit Magenkrebs oder gastroösophagealem Karzinom fundamental verändern.
Die am Peking University Cancer Hospital koordinierte Studie unter der Leitung von Professor Dr. Changsong Qi, publiziert im renommierten Fachjournal The Lancet, gilt als Meilenstein. Zum ersten Mal wurde ein CAR-T-Produkt in einer randomisierten, kontrollierten Phase-II-Studie bei soliden Tumoren erprobt – nicht nur als Machbarkeitsnachweis, sondern mit klinisch relevanten Ergebnissen. Insgesamt wurden 156 Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem, mehrfach vorbehandeltem Magen- oder Übergangskarzinom eingeschlossen. Entscheidendes Kriterium war der Nachweis einer Überexpression des Zielmoleküls Claudin 18.2, das in bis zu 60 Prozent dieser Tumoren selektiv und hochreguliert auftritt – ein Vorteil, den bisher kaum ein anderes Oberflächenprotein bei soliden Tumoren in dieser Präzision bot.
Die Funktionsweise des Tight-Junction-Proteins Claudin 18.2 spielt hierbei eine doppelte Rolle: Es bildet normalerweise Versiegelungsstrukturen zwischen Epithelzellen und verhindert den unkontrollierten parazellulären Stoffaustausch. In Tumoren jedoch bleibt es häufig überexprimiert und schlecht reguliert – eine Schwäche, die sich das satri-cel-Präparat therapeutisch zunutze macht. Der chimäre Antigenrezeptor auf den autologen T-Zellen erkennt CLDN18.2 mit hoher Affinität und aktiviert die Immunzelle zur gezielten Zerstörung des exprimierenden Tumorgewebes. Was in Theorie elegant klingt, musste sich nun erstmals im direkten Vergleich gegen Standardtherapien wie Nivolumab oder Paclitaxel behaupten.
Und die Ergebnisse liefern bemerkenswerte Signale: Mit einer objektiven Ansprechrate (ORR) von 35 Prozent im satri-cel-Arm gegenüber nur 4 Prozent in der Kontrollgruppe übertraf das Zelltherapeutikum alle bisherigen Benchmarks. Das mediane Gesamtüberleben stieg um 2,4 Monate, das Sterberisiko sank um rund 31 Prozent – ein für diese Indikation beachtlicher Effekt, insbesondere angesichts der Tatsache, dass alle eingeschlossenen Patienten als austherapiert galten. Doch noch aussagekräftiger als das Überleben sind die klinisch messbaren Tumorantworten – ein Beleg, dass die Zellen tatsächlich ankommen, erkennen und vernichten.
Wie bei allen CAR-T-Therapien bleibt jedoch die Toxizität ein dominantes Thema. Fast alle Patientinnen und Patienten (99 Prozent) im Verumarm erlebten zumindest moderate Nebenwirkungen. Das Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS), ein typisches Syndrom infolge massiver Immunaktivierung, trat erwartungsgemäß häufig auf – meist in milder bis moderater Ausprägung, aber mit der Notwendigkeit eines engmaschigen Monitorings. Die Therapie erforderte somit nicht nur eine präzise Patientenselektion, sondern auch eine belastbare Infrastruktur für Nebenwirkungsmanagement – ein Faktor, der über den klinischen Alltag hinaus auch für die regulatorische Zukunft entscheidend ist.
Die grundsätzliche Bedeutung dieser Studie liegt jedoch nicht allein in ihren Zahlenwerten, sondern in der Erschließung eines bislang verschlossenen Behandlungsfeldes. Die Tatsache, dass solide Tumoren – mit ihren komplexen Barrieren und Immunresistenzmechanismen – überhaupt klinisch relevant auf CAR-T-Zellen ansprechen, eröffnet neue therapeutische Achsen. Zugleich stellt sie aber auch die Frage nach dem idealen Einsatzzeitpunkt. Noch beschränkt sich der Einsatz von satri-cel auf die letzte Therapielinie, wenn alle anderen Optionen versagt haben. Doch die Hypothese, dass ein früherer Einsatz – etwa als Konsolidierung nach Primärchemotherapie oder als Teil multimodaler Regime – eine höhere Ansprechrate und längere Remissionen erzielen könnte, liegt nahe. Hier beginnt nun die Phase der translationalen Strategieentwicklung.
Besonders relevant ist dabei die Auswahl des Targets. Der Erfolg von satri-cel basiert nicht zuletzt auf der klugen Wahl eines tumorassoziierten, aber nicht ubiquitären Oberflächenproteins – ein Unterschied zu CD19, das in B-Zell-Malignomen fast durchgängig exprimiert wird. Claudin 18.2 hingegen zeigt Tumorspezifität ohne vollständige Exklusivität. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen: Wie lassen sich Off-Tumor-Toxizitäten verhindern, wie wird die Selektion potenzieller Patienten standardisiert, wie entwickeln sich Resistenzmechanismen? Diese Fragen sind entscheidend für die nächste Generation solider CAR-T-Zielstrukturen – ob es sich um weitere Claudine, andere Tight-Junction-Komponenten oder gänzlich neue Marker handelt.
Die Relevanz dieses Fortschritts ist nicht auf Magenkarzinome beschränkt. Schon heute werden CLDN18.2-gerichtete Studien bei Bauchspeicheldrüsenkrebs, Speiseröhrenkarzinomen und sogar Bronchialtumoren vorbereitet. Auch Kombinationstherapien mit Checkpoint-Inhibitoren, Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten oder stromamodulierenden Mitteln befinden sich in Planung. Mit jeder neuen Studie erweitert sich die klinische Landkarte – und gleichzeitig wächst der Anspruch, die Balance zwischen Wirksamkeit und Sicherheit nicht nur experimentell, sondern auch systematisch zu beherrschen.
So markiert diese Studie nicht das Ende einer Entwicklung, sondern ihren technischen Anfang. Dass CAR-T-Zellen jetzt erstmals in der Domäne solider Tumoren einbrechen, ist weniger eine Sensation als ein tiefgreifendes Signal für die Neuvermessung onkologischer Therapiewelten. Es ist die Pflicht der internationalen Forschungsgemeinschaft, aus dieser Öffnung keine Episode, sondern einen robusten therapeutischen Zweig zu formen – mit präzisem Targeting, smarter Zellsteuerung und breitem Zugang für Patientengruppen, denen bislang keine kurative Hoffnung gegeben werden konnte.
Mehr Sicherheit ermöglichen, Nebenwirkungen erkennen, Risiken gemeinsam tragen
Wie Psychiaterin und Apothekerin antidepressiv behandelnde Patienten stärken, welche Rolle QT-Zeit und Blutungsrisiko spielen und warum Beratung so entscheidend ist
Es sind nicht die Nebenwirkungen selbst, die eine psychiatrische Pharmakotherapie riskant machen – es ist der Umgang mit ihnen. Diese Botschaft zogen Dr. Julia Reiff und Dr. Pamela Reißner aus ihrer gemeinsamen Arbeit und ihrer Präsentation beim Pharmacon-Kongress in Meran. Denn zwischen Absetzphänomenen, QT-Zeit-Verlängerungen und einem oft unterschätzten Blutungsrisiko entfaltet sich eine gefährliche Gemengelage aus medizinischer Komplexität, individueller Vulnerabilität und kommunikativen Missverständnissen. Doch gerade in diesem Spannungsfeld gewinnen interprofessionelle Beratung, individualisierte Risikobewertung und strukturierte Patientenführung ihre größte Bedeutung.
Nicht selten beginnen die Herausforderungen schon bei Therapieakzeptanz und Adhärenz. Antidepressiva machen zwar nicht abhängig, wie die Expertinnen betonen, aber das bedeutet keineswegs, dass das plötzliche Absetzen folgenlos bleibt. Im Gegenteil: Wer aus Angst vor Nebenwirkungen seine Medikation ohne Rücksprache beendet, riskiert ausgeprägte Absetzphänomene – unter dem Akronym FINISH zusammengefasst. Diese reichen von grippeartigen Symptomen über Schlaflosigkeit, Übelkeit, sensorische Reizphänomene bis hin zu massiver innerer Unruhe. „Solche Symptome verunsichern viele Patienten zutiefst und führen oft zu einer vollständigen Ablehnung weiterer Therapieoptionen“, so Reißner. Es brauche daher ein Frühwarnsystem, das nicht nur die Symptome kennt, sondern auch deren Wirkung auf die Patientensicherheit und deren subjektives Erleben ernst nimmt.
Das setzt jedoch voraus, dass das therapeutische Team auf Augenhöhe kooperiert. „Die Beratung in der Apotheke ist nicht nur ergänzend, sondern kann ein kritisches Korrektiv sein“, betont Reißner. Wenn Patienten etwa ein Rezept für Sertralin oder Mirtazapin einlösen, müssten nicht nur Kontraindikationen, sondern auch Kontextfaktoren wie Alter, Komedikation und Elektrolythaushalt geprüft werden. Psychiaterin Reiff verweist dabei auf ein praxisbewährtes Grundprinzip in ihrer Klinik: „Jeder Patient erhält bei Aufnahme ein EKG. Die QT-Zeit ist ein fixer Bestandteil der Eingangsuntersuchung.“ Dass die meisten Psychopharmaka diese Zeit verlängern können, sei bekannt – aber klinisch erst relevant, wenn zusätzliche Risiken wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Medikamenteninteraktionen hinzukommen.
Die Risikobewertung muss dynamisch und individuell sein – etwa, wenn es um serotonerge Überstimulation geht. Das vielzitierte Serotonin-Syndrom sei zwar „in der Theorie präsent, in der Praxis aber sehr selten“, so Reißner. Gleichwohl müssten Apothekerinnen und Apotheker die Anfangssymptome wie Unruhe, Tremor oder Schlaflosigkeit erkennen und in der Beratung kontextualisieren können. „Manche Migränepatienten etwa sorgen sich bei Kombinationen mit Triptanen, dabei ist das Risiko hier minimal“, erklärt sie. Entscheidend sei, die serotonergen Mechanismen zu verstehen und kombinatorische Verstärkungen wie bei gleichzeitiger Gabe von SSRI und MAO-Hemmern zu vermeiden.
Doch nicht nur das Herz und das zentrale Nervensystem verdienen Aufmerksamkeit – auch das gastrointestinale System kann betroffen sein. Besonders die Kombination von SSRI mit NSAR oder ASS stellt eine Blutungsgefahr dar, deren Relevanz je nach Patient dramatisch schwanken kann. „Es gibt hier keine pauschale Antwort, sondern nur die differenzierte Bewertung“, betont Reißner. Reiff ergänzt: „Bei jungen, gesunden Menschen ist das Risiko oft vernachlässigbar. Bei älteren Patienten mit Demenz oder Multimedikation hingegen kann es zur Gefahr werden.“ Der kluge Griff zur PPI-Gabe als Begleitschutz, das Wechseln auf ein Analgetikum mit geringerem Blutungsrisiko oder die Wahl eines antidepressiven Wirkstoffs mit geringerer Tendenz zur Plättchenhemmung – all das setzt voraus, dass Risiken aktiv antizipiert, nicht reaktiv entschärft werden.
Im Zentrum aller Maßnahmen steht letztlich die Frage, ob Patientinnen und Patienten das Ausmaß möglicher Nebenwirkungen überhaupt einschätzen und in angemessener Weise darauf reagieren können. Reißner spricht hier von „therapiesichernder Kompetenz“, die nicht nur im Arztgespräch entsteht, sondern durch begleitende Apothekerberatung stabilisiert wird. Viele Patienten erhalten ihre Arzneimittel in der Apotheke – doch erkennen sie auch, wenn sich ihr Zustand verändert? Wissen sie, wann Unruhe ein Zeichen für ein Syndrom ist oder nur eine temporäre Begleiterscheinung? Haben sie Zugang zu Betreuungspersonen oder können sie sich selbst versorgen?
Reiff und Reißner plädieren daher nicht nur für medizinische Präzision, sondern für empathische, durchdachte Kommunikation. Das Tandem zwischen Klinik und Offizin sei entscheidend – nicht nur als Sicherheitsnetz, sondern als aktiv gestaltende Kraft. In einer Zeit, in der die Therapie psychischer Erkrankungen immer stärker durch Komplexität, Polypharmazie und chronische Verläufe geprägt ist, darf die Arzneimittelsicherheit nicht auf Nebenwirkungslisten reduziert werden. Sie beginnt mit Fragen, nicht mit Vorgaben. Und sie braucht Fachwissen, aber noch mehr: die Fähigkeit, zuzuhören.
Benzodiazepine verlieren an Bedeutung, SSRI gewinnen an Flexibilität, Psychotherapie wird zum Therapieanker
Warum Verhaltenstherapie oft wirksamer ist, welche Substanzen bei Angststörungen tatsächlich indiziert sind und wann Zurückhaltung die bessere Arznei ist
Angst ist kein einheitliches Phänomen – und ihre Behandlung keine Frage einfacher Rezepte. Was in der öffentlichen Wahrnehmung oft wie ein Fall für „Beruhigungstabletten“ erscheint, ist bei fachlich korrekter Einordnung eine hochdifferenzierte Aufgabe zwischen Psychopathologie, Pharmakodynamik und therapeutischer Feinabstimmung. Beim Fortbildungskongress Pharmacon in Meran betonte Professor Dr. Andreas Reif, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt am Main, dass die gängige Gleichsetzung von Angst mit Benzodiazepinen nicht nur überholt, sondern häufig auch gefährlich sei. Die klinische Realität fordere andere Antworten – therapeutisch, diagnostisch und ethisch.
Die Unterscheidung beginnt bereits beim Begriff selbst. Reif wies darauf hin, dass syndromale Angstzustände – etwa im Rahmen von Demenzen oder Psychosen – strikt von klassischen Angststörungen zu trennen seien. Der Unterschied sei nicht nur semantisch, sondern fundamental für die Therapieentscheidung. Während bei ersteren die medikamentöse Behandlung in seltenen Fällen notwendig und dann extrem maßvoll einzusetzen sei, stünden bei letzteren differenzierte psychotherapeutische und psychopharmakologische Optionen zur Verfügung – mit klarer Priorisierung: „Nicht jedes Zittern ist ein Fall für die Tablettenschublade.“
Soziale Phobien, Prüfungsängste oder die generalisierte Angststörung (GAD) markieren zentrale Diagnosen innerhalb der Angststörungen im engeren Sinn. Reif unterstrich, dass insbesondere bei sozialer Phobie die Verhaltenstherapie erste Wahl sei – nicht nur wegen der Nachhaltigkeit, sondern auch wegen der geringen Nebenwirkungsrate. Gerade diese psychotherapeutischen Ansätze geraten in der Versorgungspraxis jedoch oft ins Hintertreffen – sei es aus Kapazitätsgründen, wegen fehlender Vernetzung oder durch die Erwartungshaltung von Patientinnen und Patienten, rasch ein „wirksames Medikament“ zu erhalten.
Doch auch medikamentös stehen valide Optionen bereit – nur eben selten in der von Laien oder Nicht-Fachkräften vermuteten Form. SSRI wie Sertralin oder Escitalopram und SNRI wie Venlafaxin seien laut Reif universelle Werkzeuge für Depression wie Angst. „Wie ein Schweizer Taschenmesser“, so sein klinisches Bild. Ihr Vorteil: breite Wirksamkeit, akzeptables Nebenwirkungsprofil, gute Steuerbarkeit. Ihr Nachteil: eine gewisse Latenz, die auf Patientenseite oft mit Irritation begegnet wird. Hier liegt eine der zentralen kommunikativen Aufgaben der behandelnden Fachkräfte: Aufklärung über Wirklatenz, mögliche Erstverschlechterung und den psychopharmakologischen Verlauf sind essenzieller Bestandteil jeder Pharmakotherapie – und nicht delegierbar.
Besonderes Augenmerk legte Reif auf die differenzierte Betrachtung der sogenannten Reservemedikamente. Trizyklika wie Clomipramin oder Opipramol besitzen ein breites Wirkungsspektrum, aber auch ein erhebliches Interaktionspotenzial, was ihren Einsatz bei multimorbiden Patienten oder polypharmazeutischen Regimen erschwert. Noch problematischer sei allerdings der reflexartige Griff zu Benzodiazepinen. Diese Mittel, einst Standardrepertoire psychiatrischer Notfallmedizin, gelten heute als riskantes Pflaster: Toleranzentwicklung, Abhängigkeitsgefahr und kognitive Nebenwirkungen machen sie zu hochproblematischen Kandidaten – nicht nur bei Langzeitgebrauch. Die zeitliche Begrenzung auf maximal vier Wochen ist nicht nur eine formale Leitlinienempfehlung, sondern eine medizinisch-ethische Notwendigkeit.
Dass es auch im Grenzbereich der Angstsymptomatik, etwa bei dementiellen Syndromen, einer sensiblen Behandlung bedarf, machte Reif am Beispiel Quetiapin oder Risperidon deutlich – aber stets unter der Prämisse einer niedrig dosierten, klar indizierten Anwendung und niemals als Ersatz für pflegerische und strukturelle Zuwendung. In der Demenz sei ein sicheres, ruhiges Umfeld oft wirksamer als jede Pharmakotherapie. Ein ähnlicher Befund zeigt sich bei Depressionen, wo Angstzustände sowohl Symptom als auch Komorbidität sein können. Der Vorteil: Viele Antidepressiva wirken auf beide Dimensionen, sofern richtig titriert und langfristig begleitet.
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) spitzt sich die therapeutische Debatte zu: Hier sind in Deutschland lediglich Sertralin und Paroxetin zugelassen, wobei Reif explizit auf die Dominanz der Psychotherapie verweist – evidenzbasiert, strukturiert und methodisch fundiert. Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie oder narrative Expositionstherapie seien nicht nur Optionen, sondern der zentrale Pfeiler der Behandlung. Eine rein pharmakologische Strategie hingegen führe selten zum Ziel – und schon gar nicht zur Integration des Erlebten.
Ein Sonderfall innerhalb der Pharmakotherapie ist Pregabalin – eigentlich ein Antikonvulsivum, aber mit zugelassener Indikation für GAD. Die Substanz sei wirksam, räumte Reif ein, doch ihre Missbrauchsgefahr wachse rapide. Die Reaktionen reichen von euphorisierenden Effekten bis zu Suchtverläufen, insbesondere bei vulnerablen Gruppen. Aus diesem Grund sei Pregabalin nur noch mit größter Zurückhaltung zu verordnen – und nicht als unkritische Alternative zum Benzodiazepin misszuverstehen.
Das Fazit ist so klar wie unbequem: Die Angst vor der Angst darf nicht mit vorschneller Medikation beantwortet werden. Vielmehr verlangt die Behandlung ein präzises diagnostisches Vorgehen, eine hohe Aufklärungskompetenz und die Bereitschaft, auch unbequeme Empfehlungen – wie etwa die Wartezeit auf eine Verhaltenstherapie – aktiv zu vertreten. In der Zwischenzeit bietet die Pharmakotherapie durchaus wirksame Mittel. Doch nur, wenn sie mit Bedacht, Systematik und Verantwortung eingesetzt werden.
Hitzeschäden vermeiden, Wirkung verstehen, Beratung nutzen
Wie Apotheken Patientenschutz bei hohen Temperaturen gewährleisten, Wirkstoffrisiken erkennen und zur Vorsorge beitragen
In einer Zeit, in der Hitzewellen keine Ausnahme, sondern zunehmend eine Regel darstellen, wächst die Bedeutung des Medikamentschutzes über die reine Lagerung hinaus. Während der Deutsche Wetterdienst mit immer häufigeren und längeren Hitzeperioden rechnet, reagiert die Bundesapothekerkammer mit präzisen Hinweisen zur Arzneimittelsicherheit – sowohl für Patientinnen und Patienten als auch für die Betriebsführung von Apotheken. Am Hitzeaktionstag, der am 4. Juni 2025 bundesweit begangen wird, rückt damit ein Thema in den Mittelpunkt, das bislang selten öffentlich verhandelt wurde: die Wechselwirkung von Außentemperaturen mit pharmakologischer Wirkung, Lagerqualität und Versorgungsverantwortung im Gesundheitswesen.
Die Apotheke wird dabei zur letzten Instanz der Korrektur, wenn es um Temperaturfolgen auf die Arzneimittelsicherheit geht. Die Kampagne der Bundesapothekerkammer unterstreicht, dass nicht nur die Haltbarkeit und Wirksamkeit vieler Medikamente in Gefahr gerät, wenn die Kühlkette unterbrochen oder die empfohlene Lagergrenze von 25 Grad Celsius überschritten wird. Auch die Wirkung im Körper selbst kann sich bei Hitze gravierend verändern – ein Risiko, das in der Bevölkerung bislang vielfach unterschätzt wird. Der persönliche Kontakt in der Offizin avanciert zum entscheidenden Schutzfaktor: Denn je wärmer die Tage, desto kritischer wird der Beratungsbedarf – sei es zur Wirkung von Entwässerungsmitteln, zur Verträglichkeit von Pflastern bei veränderter Hautdurchblutung oder zur Dosierung von Schlaf- und Beruhigungsmitteln unter Dehydrationsbedingungen.
Dr. Armin Hoffmann, Präsident der Bundesapothekerkammer, verweist auf zwei Kernrisiken, die in Verbindung mit Hitze auftreten: Zum einen verändert sich die Pharmakokinetik – also die Geschwindigkeit, mit der Wirkstoffe im Organismus aufgenommen, verteilt, metabolisiert und ausgeschieden werden. Insbesondere Diuretika, Antihypertensiva und Psychopharmaka können bei gestörtem Flüssigkeitshaushalt ihre Wirkung intensivieren oder unkontrollierbar werden lassen. Zum anderen ist auch die galenische Stabilität gefährdet: Wirkstoffe, Hilfsstoffe oder die gesamte Darreichungsform können bei unsachgemäßer Lagerung Schaden nehmen – ob sichtbar oder nicht. Eine Zäpfchenverflüssigung mag offensichtlich sein, ein Dosierungsfehler bei einem überhitzten Asthmaspray bleibt dagegen meist unerkannt. Die Folge sind Wirkungsverluste, Überdosierungen oder Nebenwirkungen, die weder Patient noch Ärztin unmittelbar der Ursache zuordnen können. Apotheken tragen die Verantwortung, genau hier aufzuklären – auch im Sinne ihrer pharmazeutischen Sorgfaltspflicht.
Die Temperaturregel für Apothekenbetriebe selbst ist klar geregelt: Arzneimittel müssen bei maximal 25 °C gelagert werden. Doch in Zeiten von Glasfassaden, fehlenden Klimaanlagen oder defekten Kühleinheiten wird selbst diese Basiskompetenz zum logistischen und technischen Kraftakt. Kühlpflichtige Medikamente – etwa Insuline oder bestimmte biologische Präparate – müssen zwischen 2 und 8 °C dauerhaft gelagert werden, was besonders bei Stromausfällen oder Transportverzögerungen ein Problem darstellt. Der Ratschlag „Kühlkette beachten“ ist längst zu einer strategischen Managementaufgabe geworden, bei der auch die Versicherbarkeit von Schäden, etwa bei Klimaanlagenausfällen oder Lieferproblemen, eine immer größere Rolle spielt.
Hinzu kommt: Die Auswirkungen des Klimawandels betreffen nicht nur die Apotheke als Betriebseinheit, sondern auch den Menschen als biologisches System. Bei Hitze verändern sich nicht nur die Hautdurchblutung oder der Flüssigkeitshaushalt – auch die Organfunktionen können sich verschieben, was wiederum Einfluss auf Arzneimittelmetabolisierung und -ausscheidung nimmt. Ein älterer Patient mit eingeschränkter Nierenfunktion, der bei 35 Grad Außentemperatur ein Diuretikum einnimmt, unterliegt völlig anderen Wirkprofilen als bei Normaltemperaturen. Ähnliches gilt für transdermale Systeme: Pflaster mit Opioiden, Nikotin oder Hormonen können bei gesteigerter Hautperfusion plötzlich erhöhte Wirkstoffmengen ins Blut abgeben. Die Konsequenz sind Vergiftungen, Schwindelanfälle oder Herzrhythmusstörungen – alles vermeidbar, wenn rechtzeitig über die Apotheken beraten wurde.
Der Hitzeaktionstag ist daher weit mehr als eine symbolische Kampagne. Er ist Ausdruck eines wachsenden Verantwortungsfeldes, das sich zwischen gesundheitlicher Aufklärung, medizinischer Risikoprävention und betrieblicher Krisenresilienz bewegt. Die ABDA stellt dafür bundesweit Informationsmaterialien zur Verfügung – etwa zur Heimlagerung, zur Wirkung von Hitze auf verschiedene Wirkstoffklassen, zur Aufklärung von Pflegepersonal und zur Risikoeinschätzung für Patientengruppen mit chronischen Erkrankungen. Dass es dabei nicht nur um Thermometerwerte geht, sondern um einen Paradigmenwechsel in der pharmazeutischen Versorgung, macht die öffentliche Kommunikation der Bundesapothekerkammer deutlich: Die Apotheke ist kein statischer Warenumschlagspunkt, sondern eine dynamische Schutzstruktur – insbesondere in Zeiten klimatischer Extrembelastungen.
Dass manche Arzneimittel auch nach dem Abkühlen nicht mehr anwendbar sind, weil die thermische Instabilität irreversible Veränderungen auslöst, rückt dabei die Beratungsleistung noch einmal ins Zentrum. Ein entnommenes Insulinpräparat, das versehentlich über Stunden im Auto lag, darf nicht „zurückgekühlt“ und weiterverwendet werden. Ebenso gefährlich: die schleichende Entwertung von Lagerbeständen, wenn die Maximaltemperaturen im Apothekensystem über Wochen nicht überwacht wurden. In Zeiten von Klimaveränderung, Lieferengpässen und wachsender Eigenverantwortung der Patienten wird die korrekte Arzneimittelbehandlung damit auch zu einer Frage von Infrastruktur, Schulung und Bewusstseinsbildung – Themen, die am Hitzeaktionstag 2025 unübersehbar mit der Kompetenz und Funktion der Apotheken verknüpft werden.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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