
Für Sie gelesen
Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Während politische Entscheidungen meist auf die nächste Wahl zielen, entfalten sich die größten Herausforderungen still im Hintergrund. Die demografische Verschiebung der Altersstruktur betrifft längst nicht mehr nur die Rentenkassen, sondern destabilisiert ganze Versorgungsketten – vom Arbeitsmarkt bis zur Patientenversorgung. Unternehmer, die jahrzehntelang lokale Strukturen geprägt haben, finden keine Nachfolger mehr, wie das Beispiel des Dresdner Apothekers zeigt, der aus Pflichtgefühl weiterarbeitet, ohne sich selbst zu entlohnen. Zugleich geraten globale Märkte unter Druck: Die US-Initiative zur Arzneimittelpreisbindung bedroht nicht nur die Margen der Hersteller, sondern reißt Lücken in die Versorgung und verunsichert internationale Lieferketten. Inmitten dieser strukturellen Unruhe verlieren Unternehmen wie Medios plötzlich ihr Management – ein Sinnbild für den Führungsverschleiß in Zeiten hoher Transformationslast. Doch Deutschland reagiert nicht mit langfristigen Konzepten, sondern mit taktischer Flickschusterei: Zwangsrabatte hier, Ausschussbesetzungen dort. Was fehlt, ist eine kohärente Strategie, die Demografie, Gesundheitsversorgung und ökonomische Widerstandsfähigkeit als Einheit denkt – und nicht als Einzelbaustellen politischer Krisenroutine.
Zukunftsbremse Demografie, politisches Kurzzeitdenken, wirtschaftliche Folgen
Wie fehlende Weitsicht ganze Volkswirtschaften destabilisieren kann – und was Deutschland daraus lernen muss
Täglich bindet das operative Geschäft Aufmerksamkeit, Energie und Zeit. Unternehmer sind oft zu sehr mit der Bewältigung des Hier und Jetzt beschäftigt, um sich strategisch mit langfristigen Megatrends auseinanderzusetzen. Die Folge ist eine systematische Verengung des Blicks – ausgerechnet in einem Moment, in dem globale Umbrüche die Fundamentstruktur der Gesellschaft infrage stellen. Der demografische Wandel ist einer dieser leise wirkenden, aber umso mächtigeren Faktoren. Er verändert nicht nur Märkte, sondern ganze Staaten. Wer sich als Unternehmer langfristig an einen Standort bindet, kann es sich nicht leisten, diese Entwicklung zu ignorieren.
Deutschland steht – wie viele andere westliche Industrienationen – vor einer dramatischen demografischen Zäsur. Die Alterung der Gesellschaft schreitet mit mathematischer Sicherheit voran, die Geburtenzahlen stagnieren oder sinken weiter, die sozioökonomische Last verlagert sich von der arbeitenden auf die versorgungsbedürftige Bevölkerung. Währenddessen wird das Thema Zuwanderung mehr von tagespolitischem Affekt als von strategischer Rationalität geprägt. Für Unternehmer, die ihren Betrieb über Jahre oder Jahrzehnte hinweg an einem Ort führen, bedeutet das: Sie sind nicht nur den lokalen Bedingungen unterworfen, sondern auch den makrostrukturellen Verschiebungen auf Bevölkerungsebene.
Es ist ein historisches Paradox, dass ausgerechnet in einer Ära technologischer Euphorie die einfachste aller wirtschaftlichen Wahrheiten in Vergessenheit zu geraten droht: Ohne Menschen gibt es keine Märkte. Es ist nicht die Zahl der Patente oder Roboter, die langfristig über wirtschaftliche Stabilität entscheidet, sondern die schlichte Tatsache, ob es genügend Köpfe gibt, die Ideen entwickeln, Produkte kaufen und Systeme tragen. In dieser Hinsicht ist Demografie kein Randthema, sondern das Fundament aller volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modelle.
China demonstriert derzeit auf erschreckende Weise, was passiert, wenn über Jahrzehnte eine rigide Bevölkerungspolitik gefahren wird, deren Wirkungen erst Jahrzehnte später spürbar werden. Die Folgen der Ein-Kind-Politik entfalten sich nun mit voller Wucht: Die Gesellschaft altert rapide, die Zahl der Erwerbstätigen schrumpft, die Innovationskraft erlahmt. Währenddessen droht das gesamte soziale Sicherungssystem in Schieflage zu geraten. Was wie ein entfernter Sonderfall erscheinen mag, ist in Wahrheit ein globales Lehrstück – auch für Europa.
Denn auch in Deutschland zeigt sich eine gefährliche Tendenz zur strategischen Trägheit. Die Familienpolitik bleibt inkonsistent, wirtschaftliche Anreize für Nachwuchs fehlen, gesellschaftliche Leitbilder sind diffus. Der dringend notwendige Umbau des Gesundheitswesens wird durch die demografische Entwicklung nicht nur dringlich, sondern auch existenziell. Weniger Beitragszahler, mehr Leistungsempfänger, steigender Pflegebedarf – die Systemlogik droht zu kippen. Unternehmer im Gesundheitsbereich, insbesondere Apotheker, Pflegedienstleister oder Betreiber medizinischer Versorgungszentren, sind davon direkt betroffen. Es geht nicht mehr nur um betriebswirtschaftliche Effizienz, sondern um Standortüberleben.
Gleichzeitig erweist sich Zuwanderung als doppelschneidiges Schwert: Sie könnte Lücken schließen, Innovationen befördern und soziale Systeme stabilisieren – wird aber häufig politisch instrumentalisiert, verwaltungstechnisch blockiert und gesellschaftlich nicht ausreichend vorbereitet. Dabei steht außer Frage: Eine alternde Gesellschaft ohne Zuwachs droht in eine demografische Rezession zu geraten – wirtschaftlich wie sozial.
Diese Entwicklungen erfordern ein Umdenken – gerade bei Unternehmern, die Entscheidungen über Jahrzehnte hinweg tragen müssen. Wer Investitionen tätigt, Arbeitsplätze schafft oder Kundenbindung aufbaut, braucht ein Verständnis für die Bevölkerungstrends der kommenden 10, 20 oder 30 Jahre. Demografie ist keine Statistikdisziplin für Bundesämter, sondern ein Frühwarnsystem für unternehmerische Planung. Strategisch zu denken heißt in diesem Fall: lokal zu handeln, aber global zu beobachten. Denn nur wer die Grundlagen seiner Umgebung versteht, kann in ihr langfristig bestehen.
Die kommende Ausgabe wird diesen Blick weiter vertiefen: mit konkreten Szenarien, Analysen zu Standortstrategien, internationalen Vergleichen und der Frage, wie Unternehmer sich im Spannungsfeld von Politikversagen und demografischer Realität klug positionieren können.
In der täglichen Hektik zwischen Rechnungsprüfung, Personalengpässen und regulatorischen Zumutungen wirkt ein Blick in die demografische Zukunft zunächst wie ein intellektuelles Luxusproblem. Doch das Gegenteil ist der Fall. Gerade in Zeiten zunehmender Unsicherheit wird deutlich, dass wirtschaftlicher Erfolg immer stärker von Rahmenbedingungen abhängt, die der einzelne Betrieb nicht unmittelbar beeinflussen kann – die aber sehr wohl vorausschauend einkalkuliert werden müssen. Und genau hier beginnt das eigentliche Dilemma: Die Gesellschaft altert schneller, als die Politik begreift. Und Unternehmer tragen die Kosten dafür.
Es mutet fast absurd an, dass eine Volkswirtschaft wie die deutsche, deren Sozialstaat auf kontinuierlicher Beitragszahlung beruht, die Relevanz von Bevölkerungsentwicklung systematisch unterschätzt. Statt Familienpolitik entschlossen zu gestalten, verzettelt man sich in ideologischen Grabenkämpfen. Statt Zuwanderung als strategisches Instrument zu begreifen, nutzt man sie als tagespolitisches Feindbild. Der Preis ist eine schleichende Erosion ökonomischer Tragfähigkeit – und mit ihr der Verlust an Gestaltungsfreiheit für jene, die vor Ort investieren, ausbilden, planen.
Die Apotheke in der Kleinstadt, die Pflegeeinrichtung am Stadtrand, das Ärztehaus im Mittelzentrum – sie alle sind auf eine demografisch stabile Umgebung angewiesen. Und sie sind es, die den Preis zahlen, wenn ganze Jahrgänge fehlen, wenn Fachkräfte ausbleiben, wenn Patienten immer älter und kränker werden. Wer Demografie nicht in seine strategischen Überlegungen einbezieht, riskiert betriebliche Fehlentscheidungen mit langfristiger Tragweite. Insofern ist der „demografische Faktor“ kein akademischer Nebenschauplatz, sondern ein unternehmerisches Fundament.
Dass China zum warnenden Beispiel werden konnte, liegt auch daran, dass dort jahrzehntelang planwirtschaftlich agiert wurde – mit brachialem Zugriff auf die privateste aller Entscheidungen: die Familiengründung. Doch der Westen sollte sich nicht zu sicher fühlen. Auch hier wird Bevölkerungsentwicklung durch politische Trägheit und strategische Mutlosigkeit dem Zufall überlassen. Die Folgen sind absehbar, nur der Zeithorizont unterscheidet sich. Es ist keine Frage mehr, ob demografische Verwerfungen kommen – sondern wie gut oder schlecht wir vorbereitet sind, wenn sie voll durchschlagen.
Ein Umdenken ist überfällig. Unternehmer, die heute bauen, einstellen oder expandieren, müssen sich nicht nur mit Zinsen, Subventionen oder Steuerlasten auseinandersetzen, sondern mit der entscheidenden Frage: Wie sieht die Welt morgen aus – und wer wird sie bevölkern? Strategische Planung bedeutet nicht, sich von der Zukunft überraschen zu lassen, sondern ihr mit klarem Blick zu begegnen. Das beginnt bei der Demografie.
Führungsvakuum bei Medios, Profitabilität im Visier, Umsatzgrenze in Reichweite
Nach dem überraschenden Rückzug zweier Topmanager will der Konzern stärker auf Margen und internationale Expansion setzen.
Der Berliner Spezialpharmakonzern Medios steht vor einem tiefgreifenden personellen Umbruch an der Unternehmensspitze – und das ausgerechnet in einem Moment, in dem die Geschäftszahlen neuen Aufwind signalisieren. Vorstandsvorsitzender Matthias Gärtner sowie Vorständin Mi-Young Miehler, zuständig für das operative Tagesgeschäft, verlassen das Unternehmen überraschend auf eigenen Wunsch. Während Miehler das Unternehmen bereits Ende Juni verlassen wird, bleibt Gärtner längstens bis zum Jahresende im Amt. Beide Manager scheiden laut Unternehmensmitteilung im besten Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat aus. Der Konzern betont, das Ausscheiden bereite den Weg für eine neue Phase der Entwicklung – ein Signal für strategische Neuausrichtung unter neuen Vorzeichen.
Gärtner, der dem Vorstand neun Jahre lang angehörte und als Finanzchef den Börsengang von Medios im Jahr 2016 wesentlich mitverantwortete, führte das Unternehmen zuletzt fünf Jahre als Vorstandsvorsitzender. Seine Mitstreiterin Mi-Young Miehler war acht Jahre an Bord und spielte laut Medios eine zentrale Rolle bei der operativen Integration zugekaufter Einheiten sowie bei der strategischen Expansion über Netzwerke. Beide Manager stehen in engem Zusammenhang mit dem Aufbau und der Positionierung von Medios als führendem Anbieter für Specialty Pharma in Deutschland. Die Leistung des Duos wird von Aufsichtsratschef Dr. Yann Samson ausdrücklich gewürdigt. In seiner Erklärung hebt er den Beitrag der beiden zur erfolgreichen Marktkonsolidierung, zur nahtlosen Integration von Akquisitionen und zur europäischen Expansion hervor – und dankt ihnen für ihr persönliches Engagement.
Trotz des Personalwechsels zeigt sich das Unternehmen finanziell stabil und strategisch ambitioniert. Der Aufsichtsrat hat laut Mitteilung einen professionellen Suchprozess für die Nachfolge von Matthias Gärtner angestoßen, der dem Ziel einer nachhaltig profitableren Geschäftsentwicklung gerecht werden soll. Künftig will der Konzern stärker auf Margen, Effizienz und Shareholder Value setzen – ein Paradigmenwechsel, der über bloßes Wachstum hinausgeht. Dabei bleibt das bestehende Vorstandsteam teilweise erhalten: Christoph Prußeit übernimmt als Chief Innovation Officer zusätzlich das Segment Arzneimittelversorgung und verantwortet künftig das gesamte Deutschlandgeschäft. Die Ressortverteilung wird verschlankt, die Führungsstruktur damit neu justiert. Neben Prußeit bleiben Falk Neukirch als Finanzchef und Constantijn van Rietschoten als Vorstand für das internationale Geschäft im Amt.
Die Neuausrichtung erfolgt vor dem Hintergrund robuster Geschäftszahlen. Im Geschäftsjahr 2023 konnte Medios den Konzernumsatz um 5,5 Prozent auf 1,9 Milliarden Euro steigern – trotz eines Umsatzrückgangs im margenstarken Bereich der patientenindividuellen Therapien. Dieser Bereich erzielte mit 213,6 Millionen Euro rund 5,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Die dominierende Sparte Arzneimittelversorgung hingegen legte um 1,4 Prozent auf 1,58 Milliarden Euro zu. Im neu konsolidierten Segment International Business – basierend auf der niederländischen Tochtergesellschaft Ceban Pharmaceuticals – kam es zu einem Umsatzzuwachs von 88,8 Millionen Euro seit Juni. Damit untermauert Medios seine europäische Wachstumsstrategie, die vor allem durch Zukäufe und neue Auslandsmärkte getragen wird.
Auch im ersten Quartal 2024 setzte sich der Wachstumstrend fort. Der Umsatz stieg um 6,2 Prozent auf 485 Millionen Euro, insbesondere durch deutliche Zuwächse im Spezialgroßhandel. In diesem Segment spielt die Tochtergesellschaft Cranach eine zentrale Rolle, die laut Unternehmen entscheidend zur angestrebten Umsatzmarke von 2 Milliarden Euro in diesem Jahr beitragen soll. Die Strategie der Produktdiversifizierung und der Fokus auf höhermargige Therapien machen sich zunehmend bezahlt. So stieg das Konzernergebnis nach Ertragsteuern von vier auf 6,4 Millionen Euro, begünstigt auch durch den Wegfall belastender Einmaleffekte aus dem Vorjahr. Gärtner selbst sprach bei der Bilanzvorlage von positiven Impulsen aus allen operativen Geschäftsbereichen sowie einem strategischen Fokus auf profitable Produkte.
Die zentrale Herausforderung in den kommenden Monaten liegt nun in der Neubesetzung der Schlüsselpositionen und der Stabilisierung der operativen Schlagkraft. Medios muss zeigen, dass die Wachstumsdynamik unabhängig von einzelnen Führungspersonen aufrechtzuerhalten ist. Das Unternehmen ist inzwischen nicht nur Marktführer in Deutschland im Bereich Specialty Pharma, sondern zählt auch europaweit zu den bedeutenden Akteuren. Mit dem angekündigten Umbau in der Führungsstruktur verfolgt der Konzern das Ziel, Entscheidungswege zu verkürzen, Verantwortung zu bündeln und flexibler auf regulatorische sowie marktwirtschaftliche Herausforderungen zu reagieren.
Die Börse reagierte auf die Nachricht vom Führungswechsel mit Zurückhaltung. Zwar wurde der Rückzug von Gärtner und Miehler nicht mit Verlusten quittiert, doch Beobachter sehen darin ein sensibles Signal. Der Erfolg der nächsten unternehmerischen Phase wird sich daran messen lassen, ob es Medios gelingt, nicht nur weitere Akquisitionen erfolgreich zu integrieren, sondern auch die Profitabilität spürbar zu steigern. In einer Branche, die zunehmend durch Kostendruck, regulatorische Komplexität und Marktveränderungen geprägt ist, zählt Effizienz mehr denn je.
Der angekündigte Rückzug von Matthias Gärtner und Mi-Young Miehler markiert für Medios nicht nur das Ende einer Ära, sondern den Einstieg in eine Phase strategischer Ungewissheit. Beide Führungskräfte haben den Konzern in einem Jahrzehnt vom Spezialanbieter zum marktführenden Player im deutschen Specialty-Pharma-Segment geformt, die Börsennotierung abgesichert, Akquisitionen gestemmt und operative Komplexität bewältigt. Ihr gleichzeitiger Abgang ist alles andere als eine Randnotiz. Er wirft vielmehr die Frage auf, ob Medios die Balance zwischen Wachstum und Konsolidierung aus eigener Kraft fortsetzen kann – oder ob die Erfolgsgeschichte zu sehr an Einzelpersonen hing.
Die offizielle Lesart vom „besten Einvernehmen“ klingt harmonisch, lässt aber auch Interpretationsspielraum. Dass zwei derart prägende Persönlichkeiten zeitgleich ihren Rückzug erklären, deutet auf eine strategische Richtungsentscheidung hin, die hinter den Kulissen bereits länger vorbereitet wurde. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Aufsichtsebene in einem Zeitpunkt konjunktureller Stärke und nach erfolgreichen Integrationserfolgen die Karten neu mischt. Man will offenbar die Gelegenheit nutzen, das Unternehmen auf die nächste Entwicklungsstufe zu heben – mit Fokus auf Profitabilität statt Expansion, auf Margenoptimierung statt Umsatzsteigerung um jeden Preis. Gärtners erklärter Verzicht auf eine Verlängerung seiner Amtszeit zeigt, dass dieser Übergang nicht erzwungen wurde – aber sehr wohl gewollt.
Strategisch betrachtet stellt sich die Frage, ob Medios seine neue Profitabilitätsmission in einem zunehmend regulierten Marktumfeld konsequent umsetzen kann. Der Pharmagroßhandel unterliegt strukturellem Preisdruck, während patientenindividuelle Therapien durch gesetzliche Rahmenbedingungen und Vergütungsmodelle nur begrenzt skalierbar sind. Höhere Margen lassen sich langfristig nur erzielen, wenn technologische Innovation, Prozessvereinfachung und kluge Portfoliosteuerung ineinandergreifen. Hier liegt die eigentliche Herausforderung des kommenden Managements: Eine Organisation, die stark auf Einzelpersonen ausgerichtet war, in eine strukturierte, skalierbare und resilientere Einheit zu überführen – ohne die Innovationskraft zu verlieren, die Medios bislang ausgezeichnet hat.
Der kurzfristige Erfolg der kommenden Monate wird sich an der internen Stabilität messen. Die Entscheidung, bestehende Vorstandsressorts neu zu verteilen, ist ein pragmatischer Schritt, der auf Kontinuität zielt. Doch mittelfristig braucht das Unternehmen neue Gesichter mit klarer strategischer Handschrift, um Investorenerwartungen und Marktdynamiken zu bedienen. Der Aufsichtsrat steht damit unter erheblichem Erfolgsdruck. Es reicht nicht, einen austauschbaren Manager mit Kennzahlenkompetenz zu finden. Es braucht jemanden, der operative Exzellenz mit visionärem Weitblick und regulatorischem Verständnis verbindet – eine seltene Kombination.
Für die Branche insgesamt ist der Fall Medios exemplarisch. Wachstum allein genügt nicht mehr. Wer im europäischen Pharmamarkt bestehen will, muss Strukturen schaffen, die auch ohne charismatische Spitzenkräfte funktionieren. Die Entkopplung von Unternehmensidentität und Managementperson zeigt sich als notwendige Reifeprüfung. Medios hat gute Voraussetzungen, sie zu bestehen – doch der Preis für Fehler in dieser Übergangsphase wäre hoch. Der Gewinn mag aktuell steigen, aber erst die nächsten Quartale werden zeigen, ob auch die Substanz langfristig trägt.
Kein Käufer, kein Lohn, nur Verantwortung
Ein Dresdner Apotheker geht für seine Angestellten an die Schmerzgrenze
Bertram Spiegler steht jeden Morgen pünktlich in seiner Carus-Apotheke in Dresden, obwohl er längst im Ruhestand ist. Nach drei Jahrzehnten am Standort direkt neben dem Universitätsklinikum war der Plan klar: Übergabe, Rückzug, Rente. Doch es kam anders. „Es gab Gespräche, aber niemand hat am Ende zugesagt“, sagt der 68-Jährige. Statt Abschied zu feiern, schultert er weiter die Verantwortung – ohne sich selbst zu entlohnen. Für seine Mitarbeitenden gibt es hingegen tarifübersteigenden Lohn. Die Kunden bemerken davon nichts. Die Regale sind gefüllt, das Licht brennt, die Beratung ist kompetent. Doch die Basis, auf der das alles ruht, ist brüchig.
Die Carus-Apotheke liegt in medizinischer Premiumlage, mit starkem Laufkundschaftspotenzial durch Klinik- und Facharztbetrieb. Doch wirtschaftlich rechnet sich der Betrieb kaum. Das liegt nicht nur am erhöhten Personalaufwand und der fairen Bezahlung, sondern auch an den politischen Rahmenbedingungen. Das Fixhonorar stagniert, die Margen sind durch gesetzliche Eingriffe ausgehöhlt, während die Kosten weiter steigen. Für Spiegler war klar: „Ich kann nicht erwarten, dass meine Leute das mittragen. Wenn jemand verzichten muss, dann ich.“
Dass es so weit kommt, ist in der deutschen Apothekenlandschaft längst kein Einzelfall mehr. Die Zahl der Apotheken sinkt, insbesondere in strukturell komplexen Lagen wie Großstadt-Randzonen oder Kliniknähe, wo Personal schwer zu finden ist und wirtschaftliche Risiken hoch sind. Spiegler hat mehrfach versucht, die Apotheke zu veräußern – ohne Erfolg. Einem jungen Kollegen sei die Unsicherheit zu groß gewesen, eine Filialleiterin winkte nach einem Besuch ab. Andere sprangen ab, als sie die Zahlen sahen. Zuletzt sei gar kein echtes Interesse mehr gekommen. Der Markt ist leergefegt.
Dabei hat Spiegler investiert: in Digitalisierung, neue Software, moderne Kommissionierer. Er hat pharmazeutische Dienstleistungen eingeführt und alle Schulungen mitgetragen. Aber auch das hat nicht gereicht. „Man spürt die Reformversäumnisse. Ich will kein Mitleid – aber einen Plan“, sagt er. Den sieht er weder bei den Kammern noch in der Politik. Der neu eingeführte pharmazeutische Fixzuschlag helfe vielleicht in der Fläche – in seinem Fall verpuffe er. Die Nachfrage sei da, aber die Personalkosten fressen jeden Euro Gewinn. An Urlaub oder Rücklagen sei nicht zu denken.
Trotzdem geht Spiegler jeden Tag zur Arbeit. Die Apotheke sei mehr als ein Unternehmen, sagt er, sie sei Verantwortung. „Es ist meine Pflicht, die Patienten zu versorgen – solange ich es kann.“ Die Konsequenz: kein Gehalt mehr für sich selbst. Im vergangenen Jahr habe er einen symbolischen Euro aus der Kasse genommen – der Rest sei ins Betriebskonto zurückgeflossen. Seine Rente reicht zum Leben, seine Frau arbeite noch. Doch dauerhaft sei das kein Zustand.
Auch die emotionalen Belastungen seien enorm. Das Gefühl, keine Perspektive bieten zu können – weder für neue Inhaber noch für die bestehenden Mitarbeitenden – wiege schwer. Zwei seiner langjährigen PTA hätten sich bereits umgesehen, wollten aber wegen ihm nicht gehen. Doch wie lange er noch durchhalte, sei unklar. Die Kunden merken von alledem wenig. Viele schätzen den Service, die Nähe zur Klinik, die fachkundige Betreuung. Doch kaum einer weiß, dass der Mann hinterm HV-Tisch auf ein Gehalt verzichtet, um das System am Laufen zu halten.
Eine Zukunft ohne ihn? Schwer vorstellbar. Die Apotheke könnte schließen, wenn sich bis Jahresende niemand findet. Dann bliebe ein weiterer weißer Fleck auf der Apothekenkarte, mitten in einer Region mit Versorgungsbedarf. Spiegler denkt über eine Stiftungslösung nach, spricht mit Apothekerverbänden, sucht letzte Optionen. Ein Modell mit Gemeinschaftsführung wäre denkbar, doch niemand will Verantwortung übernehmen, ohne Sicherheit. Und die fehlt im heutigen Apothekenmarkt auf allen Ebenen. Die Bürokratie wachse, der Reformstau lähme, und das Vertrauen in langfristige Perspektiven fehle.
Was bleibt, ist ein System, das Helden wie Bertram Spiegler stillschweigend verschleißt.
Bertram Spiegler ist kein Einzelfall, sondern ein Symbol. Ein Symbol für eine Branche, die sich im Stillstand selbst aufzehrt. Eine Branche, in der Engagement zur Selbstausbeutung wird, weil politische Lösungen fehlen, wirtschaftliche Planungssicherheit verweigert wird und die Belastung auf Einzelne übergeht. Wenn ein erfahrener Apotheker in bester Lage kein Gehalt mehr bezieht, um seine Mitarbeitenden zu halten und die Versorgung aufrechtzuerhalten, dann ist nicht seine Kalkulation gescheitert, sondern die Struktur selbst.
Dass Spiegler trotz aller Hürden nicht resigniert, ist bemerkenswert – und tragisch zugleich. Denn sein Fall ist mehr als ein persönliches Schicksal. Er ist ein Fingerzeig auf ein System, das keine Nachfolge mehr generiert, weil die Risiken die Chancen längst übersteigen. Es fehlt nicht an Idealismus oder Berufung. Es fehlt an politischen Weichenstellungen, die den Beruf wirtschaftlich tragfähig machen. Die Reformdebatten kreisen um Digitalisierung, Plattformstrategien und telepharmazeutische Modelle – doch in der Praxis entscheidet sich das Überleben oft an der Frage, ob sich ein Inhaber noch selbst entlohnen kann.
Die Realität der Apothekenlandschaft ist geprägt von Friktionen: zwischen politischer Rhetorik und betriebswirtschaftlicher Praxis, zwischen dem Versprechen von Entlastung und der tatsächlichen Regulierungslast, zwischen dem Anspruch der Versorgung und der finanziellen Realität. Wer wie Spiegler handelt, tut das aus Verantwortung – aber auch, weil das System ihn dazu zwingt. Und das ist kein Ausweis von Effizienz, sondern von strukturellem Versagen.
Es ist deshalb höchste Zeit, den Blick zu weiten. Nicht nur auf neue Honorarkomponenten oder digitale Module, sondern auf den Kern der Versorgung: Standortsicherheit, Nachfolgestrategien, betriebswirtschaftliche Perspektiven. Wenn ein Rentner in Dresden ohne Gehalt arbeitet, ist das kein Modell – es ist ein Notruf. Einer, den die Politik bislang überhört.
Trump gegen Arzneimittelpreise, Versorgung in Gefahr, Hersteller unter Druck
Die US-Pläne zur Preisbindung treffen deutsche Pharmaunternehmen hart und bedrohen globale Lieferketten.
Die jüngsten Vorstöße der US-Regierung unter Präsident Donald Trump zur Einführung von Preisobergrenzen für verschreibungspflichtige Medikamente haben in der internationalen Pharmabranche einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Während Trump das Vorhaben als Maßnahme gegen überhöhte Arzneimittelkosten und zur Entlastung der amerikanischen Patienten preist, reagiert die deutsche Industrie mit scharfer Kritik und warnt vor tiefgreifenden Folgen für die globale Versorgungssicherheit, wirtschaftliche Stabilität und innovationsbasierte Forschung. Vor allem der geplante Bezug von Preisvergleichen mit niedrigpreisigen Ländern und die damit verbundene angestrebte Angleichung an internationale Referenzpreise gelten aus Sicht der Hersteller als massiver Eingriff in den marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen.
Nach Angaben deutscher Branchenvertreter gefährden die Pläne nicht nur die Geschäftsmodelle exportorientierter Unternehmen, sondern untergraben auch das Vertrauen in vertraglich garantierte Erstattungsmodelle. Führende Pharmaverbände betonen, dass eine regulatorisch erzwungene Preisbindung in einem der wichtigsten Absatzmärkte zu Investitionsverschiebungen, Standortverlagerungen und letztlich zur Abkehr von zentralen Forschungsprojekten führen könne. In der Bundesrepublik sieht man die Gefahr, dass internationale Unternehmen künftig auf Lieferungen in die USA verzichten, wenn die Margen durch staatliche Preisdeckelungen unter Druck geraten – mit fatalen Rückwirkungen auf Produktion, Beschäftigung und Verfügbarkeit lebenswichtiger Arzneien auch in Europa.
Zugleich schürt der Vorstoß Washingtons politische Spannungen in multilateralen Wirtschaftsbeziehungen. Der Umstand, dass die USA bei Arzneimitteln auf den sogenannten Most-Favoured-Nation-Ansatz setzen wollen – also die Übernahme der niedrigsten internationalen Preisniveaus als Benchmark – wird von europäischen Unternehmen als einseitige Maßnahme zu Lasten der Exportländer gewertet. Eine solche Politik, so die Kritik, konterkariere die Prinzipien fairen Handels und verschärfe die globale Ungleichbehandlung von Forschungs- und Produktionsstandorten. In Berlin wächst unterdessen die Sorge, dass die Trump-Regierung mit populistischen Kurskorrekturen zentrale Pfeiler der internationalen Arzneimittelarchitektur destabilisiert, ohne tragfähige Alternativen zur Finanzierung von Innovationen anzubieten.
Die Bundesregierung selbst äußert sich zurückhaltend, verweist aber auf die Notwendigkeit stabiler und planbarer Rahmenbedingungen für forschende Unternehmen. Ein abruptes Umschwenken großer Märkte auf staatlich festgelegte Preismodelle würde nicht nur den transatlantischen Pharmaaustausch belasten, sondern auch das Risiko verschärfen, dass Deutschland selbst unter Druck gerät, vergleichbare Mechanismen einzuführen. Die Debatte über Arzneimittelpreise sei nicht durch nationalen Aktionismus zu lösen, sondern verlange eine abgestimmte Strategie der Industriestaaten, so das Echo aus dem Bundesgesundheitsministerium.
Experten beobachten mit Sorge, dass der zunehmende Druck auf die Pharmapreise global zu einer Verschiebung von Forschungsschwerpunkten führen könnte – weg von hochkomplexen Indikationen hin zu kurzfristig profitableren Therapiebereichen. Gerade chronisch kranke Patienten oder Menschen mit seltenen Erkrankungen könnten so langfristig benachteiligt werden, weil die wirtschaftlichen Anreize für die Entwicklung entsprechender Medikamente schrumpfen. Schon jetzt sind viele Hersteller zögerlich bei Investitionen in sogenannte Orphan Drugs, deren Preisgestaltung unter immer stärkeren politischen Druck gerät.
Insgesamt spiegelt sich in der Reaktion der deutschen Pharmaindustrie auf die Trump-Pläne ein wachsendes Unbehagen gegenüber einer Politisierung des Arzneimittelmarktes wider. Während Reformdruck und Kostenbewusstsein legitime Anliegen seien, dürfe das globale Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Tragfähigkeit, medizinischer Innovation und Versorgungssicherheit nicht aus populistischen Gründen zerstört werden. Der Konflikt um die Preisbindung in den USA wird somit zur Nagelprobe für das Selbstverständnis der internationalen Pharmaordnung – und für die Fähigkeit der Industrie, auf protektionistische Tendenzen mit langfristiger Weitsicht zu reagieren.
Die Ankündigung Donald Trumps, die Medikamentenpreise in den USA per internationalem Preisvergleich nach unten zu regulieren, ist weit mehr als ein innenpolitischer Vorstoß zur Wählerberuhigung. Sie ist ein geopolitisches Signal. Denn sie verrät, wie tief das Misstrauen gegenüber marktwirtschaftlicher Preisbildung inzwischen reicht – selbst in der Volkswirtschaft, die jahrzehntelang als Modell kapitalistischer Innovationskraft galt. Dass ausgerechnet die USA nun mit administrativer Härte gegen internationale Arzneimittelpreise vorgehen wollen, ist ein Fanal für alle forschenden Industrienationen.
Dabei greift der Vorschlag nicht nur tief in die Geschäftsmodelle global agierender Unternehmen ein, sondern stellt das gesamte Prinzip der Arzneimittelentwicklung infrage. Denn Preise spiegeln nicht nur Produktionskosten wider, sondern die risikobehaftete Vorleistung jahrzehntelanger Forschung. Wer Preise deckelt, deckelt auch Innovation – und riskiert, dass Investitionen in lebensrettende Therapien versiegen. Der Vorschlag ist deshalb nicht nur industriepolitisch fragwürdig, sondern auch medizinisch gefährlich. Denn wenn sich Hersteller aus den USA zurückziehen oder ihre Produkte dort nicht mehr anbieten, trifft das am Ende vor allem die Patienten – weltweit.
Hinzu kommt, dass die geplante Maßnahme einseitig erfolgt, ohne Rückbindung an internationale Vereinbarungen. Das unterminiert Vertrauen und destabilisiert jene Märkte, die bislang noch als verlässlich galten. Gerade in Zeiten globaler Gesundheitskrisen wäre aber das Gegenteil notwendig: ein robuster, multilateraler Rahmen, der faire Preise, Versorgungssicherheit und Innovationsanreize miteinander verbindet. Trumps Plan ist das Gegenteil davon. Er ist eine Absage an die Idee der globalen Verantwortung und ein riskanter Versuch, innenpolitisches Kapital mit außenwirtschaftlichen Kollateralschäden zu bezahlen.
Die deutsche Reaktion fällt bislang erstaunlich zurückhaltend aus – dabei sind auch die hiesigen Arbeitsplätze, Patente und Produktionskapazitäten betroffen. Wenn der US-Markt zur Preisdiktatur wird, gerät die Exportstrategie forschender Unternehmen ins Wanken. Wer hier schweigt, läuft Gefahr, in wenigen Jahren vor Trümmern einer globalen Ordnung zu stehen, in der Arzneimittel nicht mehr nach medizinischem Bedarf, sondern nach politischer Opportunität verteilt werden.
Trump testet derzeit, wie weit er in einem deregulierten Weltmarkt nationale Interessen durchdrücken kann. Die Pharmaindustrie wird zum Exempel. Die Frage, die bleibt, ist: Wer wehrt sich – und wer folgt ihm? Die deutsche Industrie hat ihre Antwort gegeben. Jetzt sind Politik und Öffentlichkeit gefragt.
Pflege, Politik, Patienten: SPD-Gesichter im Gesundheitsausschuss
Vom Westerwald bis nach Dortmund: Die SPD will mit Fachwissen und Berufserfahrung Gesundheitspolitik gestalten
Die SPD-Fraktion im Bundestag hat ihre personellen Weichen für den Gesundheitsausschuss der neuen Legislaturperiode gestellt. Während bei der Kabinettsbildung der unionsgeführten Regierung noch Zeit ins Land ging, nutzt die SPD nun das politische Momentum, um ihr gesundheitspolitisches Profil frühzeitig zu schärfen. Sechs ordentliche Mitglieder und fünf stellvertretende Vertreterinnen und Vertreter sollen künftig die Positionen der Sozialdemokratie im Ausschuss für Gesundheit vertreten. Die Auswahl der Namen signalisiert einen klaren Anspruch: fachlich gestützt, parlamentarisch versiert und zugleich nah an den praktischen Realitäten der Versorgung.
Mit Dr. Tanja Machalet zieht eine profilierte Sozialpolitikerin in das Gremium ein, die ihre langjährige Erfahrung aus dem Landtag in Rheinland-Pfalz und dem Ausschuss für Arbeit und Soziales einbringt. Als Bankkauffrau aus dem Westerwald verbindet sie ökonomisches Denken mit sozialpolitischer Bodenhaftung – ein seltenes Profil in gesundheitspolitischen Debatten. Ebenso entscheidend dürfte der Verbleib von Matthias Mieves im Gesundheitsausschuss sein. Der Kaufmann aus Kaiserslautern, Miteigentümer eines Pflegeunternehmens, gilt als digitalpolitisch bewandert und war einer der engsten Verteidiger der Politik von Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach – auch in der hitzigen Debatte um die Apothekenreform. Mit seinem Unternehmen in der ambulanten Intensivpflege ist Mieves zugleich einer der wenigen aktiven Unternehmer im Bundestag mit direktem Draht zum Pflegealltag.
Claudia Moll, Altenpflegerin aus Aachen, verstärkt das Ausschussteam mit praxisnaher Pflegeexpertise. Ihre Rolle als frühere Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung machte sie zu einer profilierten Stimme für pflegepolitische Belange. Auch Dr. Christos Pantazis bringt medizinische Fachkompetenz ein. Als Neurochirurg und früherer Landtagsabgeordneter in Niedersachsen repräsentiert er die medizinische Fachwelt ebenso wie die landespolitische Erfahrung. Stefan Schwartze, seit 2009 im Bundestag, war zuletzt Patient:innenbeauftragter der Bundesregierung und ist damit ein wichtiger Brückenbauer zwischen Politik, Versorgungsrealität und Bevölkerungsperspektive. Serdar Yüksel, gelernter Krankenpfleger, wurde 2025 erstmals in den Bundestag gewählt und bringt Erfahrungen aus dem nordrhein-westfälischen Landtag mit.
Diese personelle Zusammensetzung lässt aufhorchen: Pflege, Medizin, Verwaltung, Unternehmertum – die SPD präsentiert ein Ausschussteam, das die sektorübergreifenden Herausforderungen im Gesundheitswesen strukturell abbildet. Dabei fallen vor allem die praktischen Berufsbiografien auf, die deutlich von den klassischen Parlamentskarrieren abweichen. Die sechs ordentlichen Mitglieder decken ein Spektrum ab, das von der Intensivpflege über die Krankenhausmedizin bis zur Pflegepolitik reicht.
Auch bei den stellvertretenden Mitgliedern setzt die SPD auf Erfahrung und Kontinuität. Die frühere Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Dittmar kehrt in ihre alte Wirkungsstätte zurück. Die Ärztin aus Schweinfurt war bereits gesundheitspolitische Sprecherin und dürfte mit ihrer Expertise eine zentrale Rolle im Hintergrund spielen. Angelika Glöckner aus Pirmasens ist nach ihrer Rückkehr in den Bundestag 2021 wieder für Gesundheitspolitik relevant – als Volkswirtin mit Sozialausschuss-Hintergrund bringt sie ökonomisches Profil in das Themenfeld ein. Jens Peick aus Dortmund, als Verwaltungswirt bei Verdi aktiv, ergänzt das Team um einen gewerkschaftsnahen Impulsgeber. Dagmar Schmidt, erfahrene Fraktionsvize, ist nicht nur eine ausgewiesene Sozialpolitikerin, sondern auch eine entschiedene Verteidigerin der Reformlinien von Lauterbach. Dr. Lina Seitzl aus Konstanz steht für internationale Perspektiven und wissenschaftliche Fundierung – mit Stationen in St. Gallen und einem Fokus auf globale Gesundheit.
Auffällig ist nicht nur die personelle Vielfalt, sondern auch die politische Zielrichtung: Die SPD scheint den Gesundheitsausschuss bewusst mit Akteuren zu besetzen, die einerseits praktisches Erfahrungswissen mitbringen und andererseits bereits in zentrale gesundheitspolitische Debatten involviert waren. Dies könnte bedeuten, dass die Fraktion künftig wieder stärker in die inhaltliche Gestaltung eingreifen will – etwa bei der Fortentwicklung des Apothekenrechts, der Digitalisierung der Versorgung oder der Neuordnung der stationären Pflegefinanzierung. Dass mit Dagmar Schmidt und Matthias Mieves gleich zwei profilierte Lauterbach-Unterstützer in oder an den Ausschuss zurückkehren, dürfte zudem bedeutsam für die strategische Ausrichtung der Partei sein.
Dass ein sechstes stellvertretendes Mitglied noch nicht benannt wurde, ändert an dieser inhaltlichen Richtung nichts. Die SPD hat ihren gesundheitspolitischen Werkzeugkasten offenkundig neu sortiert – und das in einer Zeit, in der viele Fragen der Gesundheitsversorgung, Versorgungsinfrastruktur und Gerechtigkeitspolitik noch unbeantwortet im Raum stehen. Die Ausschussarbeit verspricht damit mehr als nur Pflichtprogramm: Sie wird zu einem Gradmesser für den politischen Neuanfang der Partei im gesundheitspolitischen Feld.
Die SPD vollzieht mit ihrer Ausschussbesetzung im Gesundheitsbereich eine bemerkenswerte Kursjustierung, die über bloße Postenvergabe hinausgeht. Nach Jahren, in denen sich das sozialdemokratische Gesundheitspersonal zunehmend auf Ministerien oder mediale Verteidigungskämpfe beschränkt hat, wird nun wieder auf parlamentarische Gestaltung gesetzt – mit klar erkennbaren Schwerpunkten. Pflege, Patientenbelange und Digitalisierung sind keine Nebenschauplätze mehr, sondern werden zur personellen Achse des sozialdemokratischen Programms gemacht.
Dabei ist auffällig, wie entschlossen die SPD auf biografische Authentizität setzt. Altenpflegerin Moll, Krankenpfleger Yüksel, Unternehmer Mieves, Neurochirurg Pantazis – die Parteistrategie zielt auf Anschlussfähigkeit an reale Versorgungssituationen. Dieser Perspektivwechsel war überfällig, denn in keiner anderen Partei war die Distanz zwischen Berufspolitik und Berufswelt in der Gesundheitspolitik zuletzt so spürbar. Die neue SPD-Linie setzt dieser Entfremdung handfeste Biografien entgegen.
Zugleich bleibt die Kontinuität der bisherigen Linie unübersehbar. Mit Sabine Dittmar und Dagmar Schmidt kehren zwei bekannte Kräfte in den gesundheitspolitischen Orbit der SPD zurück, die sich in der vergangenen Legislatur dezidiert hinter Minister Lauterbach gestellt hatten. Das könnte helfen, Reformvorhaben wie das Apothekenrecht, die Krankenhausstruktur oder die sektorübergreifende Vergütung erneut strategisch auf die Agenda zu bringen – jenseits des Streits um einzelne Paragraphen.
Doch auch ein Risiko ist erkennbar. Die personelle Nähe zur alten Lauterbach-Linie könnte die notwendige Kritikfähigkeit an deren Schwächen erschweren. Wer heute eine neue Linie verspricht, darf nicht nur auf bekannte Gesichter setzen, sondern muss auch mutige Kurskorrekturen einleiten. Die Herausforderungen im Gesundheitswesen verlangen nicht bloß Empathie, sondern auch strukturelle Konsequenz – bei der Finanzierung, der Personalgewinnung, der Patientenorientierung.
Ob die SPD diese Doppelbewegung schafft – politische Erneuerung durch erfahrene Praktiker, aber ohne starre Loyalität zur alten Minister-Agenda – wird sich im Ausschussalltag zeigen. Klar ist: Das neue Team besitzt die Chance, das gesundheitspolitische Profil der SPD nicht nur zu verwalten, sondern neu zu schreiben. Diese Chance kommt selten. Sie zu verpassen, wäre unverzeihlich.
Zwangsrabatt statt Beitragsanstieg, Milliardenlücke, Evidenznotstand
DAK-Chef Storm will neue Regeln, Hecken fordert realitätsnähere Nutzenbewertung in der Versorgung
Die gesetzlichen Krankenkassen stehen vor einem erneuten Ausgabenanstieg im Arzneimittelsektor. Die DAK-Gesundheit fordert angesichts eines prognostizierten Mehraufwands von fünf Milliarden Euro in diesem Jahr eine kurzfristige politische Reaktion. Vorstandschef Andreas Storm appelliert an die Bundesregierung, noch vor der Sommerpause ein Vorschaltgesetz zu beschließen, das eine dynamische Anhebung des Zwangsrabatts für Arzneimittelhersteller vorsieht. Eine Erhöhung um fünf Prozentpunkte könne nach Berechnungen der Krankenkasse Einsparungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro bringen. Die Maßnahme solle als Übergangsinstrument dienen, bis ein langfristig tragfähiges Finanzierungsmodell vorliegt.
Storm verweist auf die überproportionale Ausgabendynamik im Arzneimittelbereich: Während Krankenhäuser und der ambulante Sektor mit Wachstumsraten von 8,2 bzw. 6,4 Prozent zu Buche schlagen, stiegen die Ausgaben für Medikamente um 10,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Besonders die Preisentwicklung patentgeschützter Präparate trage zur Schieflage bei. Eine Analyse im Auftrag der DAK zeigt, dass diese Medikamente seit 2019 einen Anstieg von 26 Prozent verzeichnen, verglichen mit nur elf Prozent bei Generika. Zudem konzentrieren sich 35 Prozent der gesamten Arzneimittelausgaben auf nur zehn Präparate, während elf Prozent auf das oberste Umsatzprozent entfallen.
Die strukturellen Ursachen dieser Kostenkonzentration sehen die Experten im gegenwärtigen System der frühen Nutzenbewertung, dem sogenannten AMNOG-Prozess. Professor Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld und Professor Josef Hecken vom Gemeinsamen Bundesausschuss weisen auf eine Überkomplexität des Verfahrens hin, das zunehmend weder der Innovationsförderung noch der wirksamen Ausgabensteuerung diene. Auch das Ziel der Standortförderung sei durch das aktuelle Medizinforschungsgesetz nicht wirksam eingelöst worden.
Greiner kritisiert die Preisbindungspolitik und fordert eine Entkopplung der Nutzenbewertung seltener Arzneien (Orphan Drugs) von staatlichen Standortinteressen. Hecken unterstreicht, dass eine dynamische Anpassung der Erstattungsbeträge auf Basis von Langzeitdaten notwendig sei. Dafür müsse die Evidenzbasis über Kohortenstudien und Real-World-Daten gestärkt werden. Auch internationale Kooperationen bei Datenstandards und KI-gestützte Verfahren zur Nebenwirkungsanalyse seien notwendig, um die Versorgungsrealität besser in Preisentscheidungen zu integrieren.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) unterstützt diesen Kurs. Vorständin Dr. Sibylle Steiner betont, dass Orphan Drugs nur einen Bruchteil der Verordnungen ausmachen, aber einen erheblichen Kostenanteil verursachen. Die derzeitige Praxis berücksichtige die begrenzte Evidenz nicht ausreichend. Zugleich dürfe die Selbstverwaltung durch neue Dokumentationspflichten nicht weiter belastet werden. Eine stärkere Verzahnung mit der europäischen Nutzenbewertung (EU-HTA) und der systematische Aufbau valider Register könnten die Effizienz des Systems verbessern.
Trotz zahlreicher Reformansätze bleibe die grundsätzliche Herausforderung bestehen, so Greiner: Es existiere kein Maßnahmenpaket, das zugleich kostendämpfend und innovationsfördernd wirke, ohne politisch riskant zu sein. In dieser Lage will die DAK ein Signal setzen und fordert, die Dynamik der Ausgaben über flexible Herstellerabschläge besser einzufangen – als temporäres Werkzeug in einem systemisch ungelösten Spannungsfeld.
Die Forderung der DAK nach einem dynamisch erhöhten Herstellerabschlag wirkt auf den ersten Blick pragmatisch – sie ist es auch. Doch das eigentliche Problem liegt tiefer: Die Arzneimittelkosten explodieren nicht trotz politischer Regulierung, sondern wegen eines Systems, das sich selbst blockiert. Das AMNOG-Verfahren ist zum Paradox geworden – es bremst Innovationen, indem es sie scheinbar fördert, und verschärft die Kostenlast, obwohl es zur Steuerung geschaffen wurde. Wenn zehn patentgeschützte Präparate mehr als ein Drittel der Ausgaben verschlingen, ist nicht nur der Markt, sondern auch das Regulierungssystem entgleist.
Storms Vorschaltgesetz ist ein Notruf, keine Lösung. Es verschafft Zeit, aber keine Struktur. Was fehlt, ist eine ehrliche Debatte über Preis, Nutzen und Evidenz. Dass neue Wirkstoffe weniger als 16 Prozent der Ausgaben ausmachen, während Altpräparate mit überholtem Patentschutz die Versorgung dominieren, ist Ausdruck eines chronisch unbalancierten Systems. Die Politik hat sich in symbolischen Standortdebatten und ineffektiven Gesetzen wie dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz erschöpft, während der Preiswettbewerb durch Abwesenheit glänzt.
Heckens Forderung nach belastbarer Evidenz ist daher nicht technokratischer Formalismus, sondern der Kern der Lösung. Der Weg zu einer realitätsnahen Arzneimittelpolitik führt über mehr Daten, bessere Studien, transparente Register und internationale Harmonisierung. Künstliche Intelligenz kann hier helfen – nicht als Allheilmittel, aber als Instrument gegen die operative Blindheit der heutigen Nutzenbewertung. Doch auch die Industrie muss liefern: Wer Milliardenpreise für Therapien aufruft, muss valide Wirkung belegen – und nicht nur Marketing.
Der Ruf nach mehr Geld vom Staat oder von den Beitragszahlern wird laut bleiben, solange es keine ehrliche Umverteilung von Marktmacht gibt. Ein flexibler Herstellerabschlag mag eine Brücke schlagen – doch wohin, das bleibt offen. Ohne strukturelle Kurskorrektur wird aus der Brücke ein Umlenkungsmanöver. Wer Beiträge stabil halten will, muss Systemgrenzen verschieben. Alles andere ist Symptombehandlung mit Verfallsdatum.
Gesundheitspolitische Sprecherin der Union: Borchardt folgt auf Sorge
Mit Simone Borchardt setzt die CDU auf eine profilierte Krankenkassenexpertin – die SPD plant den nächsten Schritt mit Pantazis.
Die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag steht vor einem bedeutenden Wechsel an der Spitze ihrer gesundheitspolitischen Facharbeit. Wie aus mehreren Fraktionskreisen zu hören ist, soll Simone Borchardt, Bundestagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern, die Funktion der gesundheitspolitischen Sprecherin übernehmen. Sie folgt damit auf Tino Sorge, der künftig als parlamentarischer Staatssekretär ins Bundesgesundheitsministerium wechselt. Die formelle Bestätigung durch die Fraktion wird im Laufe des Tages erwartet, ist aber angesichts der parteiinternen Zustimmung nur noch Formsache.
Simone Borchardt bringt für diese Rolle nicht nur politische, sondern auch gesundheitssystemische Erfahrung mit. Die 1967 geborene Politikerin war lange Jahre in leitender Position bei der Barmer Krankenkasse tätig, zuletzt als Regionalgeschäftsführerin sowie als Referentin für Gesundheitspolitik. Ihr Wechsel in den Bundestag im Jahr 2021 erfolgte mit dem erklärten Ziel, die Versorgungsstrukturen zu modernisieren und dem Gesundheitswesen eine stärker sozial orientierte Stimme zu geben. Bereits in der vergangenen Legislatur war sie Mitglied im Gesundheitsausschuss und ist innerhalb der Fraktion für ihre fachlich fundierten Beiträge anerkannt.
Der Wechsel an der Spitze der gesundheitspolitischen Fraktionsarbeit kommt zu einem politisch sensiblen Zeitpunkt. Mit dem Apothekenreformgesetz, den weiter stockenden Digitalisierungsprojekten im Gesundheitswesen und der angespannten Situation bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung stehen gleich mehrere Großbaustellen auf der gesundheitspolitischen Agenda. Eine personelle Neuaufstellung in den Fraktionen könnte daher auch inhaltliche Kurskorrekturen nach sich ziehen.
Die SPD wiederum befindet sich parallel im Übergang. Die bisherige gesundheitspolitische Sprecherin Heike Baehrens hat sich nicht erneut um das Amt beworben. Mit dem Arzt und Bundestagsabgeordneten Dr. Christos Pantazis aus Braunschweig steht ein profilierter Mediziner als Nachfolgekandidat bereit. Auch wenn die SPD-Fraktion ihre Entscheidung offiziell noch nicht bekanntgegeben hat, gilt Pantazis als gesetzt. Der 48-jährige Facharzt für Innere Medizin war bereits auf Landesebene gesundheitspolitisch aktiv und bringt Erfahrungen aus dem Klinikalltag mit. Sollte seine Berufung erfolgen, wäre dies auch ein Signal für eine stärker praxisorientierte Ausrichtung der SPD-Gesundheitspolitik.
Unklar ist bislang, wie sich die Fraktionen im Gesundheitsausschuss personell insgesamt neu aufstellen. Während einige Namen bei der SPD bereits durchgesickert sind, hält sich die Union bedeckt. Die Besetzung des Ausschusses ist politisch relevant, da hier zentrale Weichen für Reformen gestellt werden. Auch für die künftige Zusammenarbeit zwischen Legislative und Exekutive ist sie von Bedeutung – insbesondere wenn ein bisheriger Sprecher, wie im Fall von Tino Sorge, die Seiten wechselt und in die Regierung geht.
Simone Borchardt wird vor allem die Aufgabe übernehmen, die gesundheitspolitischen Positionen der Unionsfraktion gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium deutlich zu machen – ein Ministerium, das nun auch durch die Personalie Sorge stärker mit der Union verbunden ist. Für die CDU könnte dies ein Vorteil sein, um eigene Konzepte zur Stärkung der Versorgungssicherheit, Digitalisierung und Apothekenstruktur mit mehr Einfluss zu begleiten. Die Gesundheitsbranche wird die weitere Ausgestaltung aufmerksam beobachten, da sich in der Zusammensetzung der politischen Führungsfiguren auch eine veränderte Priorisierung gesundheitspolitischer Schwerpunkte widerspiegeln kann.
Die Ernennung Simone Borchardts zur gesundheitspolitischen Sprecherin der Unionsfraktion ist mehr als ein bloßer Personalwechsel – sie steht für eine inhaltliche Akzentverschiebung, die sich im politischen Diskurs der kommenden Monate bemerkbar machen dürfte. Borchardt verkörpert eine Perspektive, die tief im System der Krankenkassen verankert ist, ohne dessen Struktur dogmatisch zu verteidigen. Genau dieser Hintergrund dürfte es ihr ermöglichen, den Spagat zwischen finanzieller Steuerung und patientennaher Versorgung politisch überzeugend zu moderieren.
Dass mit Tino Sorge ein langjähriger gesundheitspolitischer Vordenker der Union ins Bundesgesundheitsministerium aufrückt, kann als Versuch gedeutet werden, den Brückenschlag zwischen Ministerium und Fraktion zu institutionalisieren. Gerade im Streit um das Apothekenfixum, die Finanzierung der Pflege und die stockende Digitalisierung war der Ton zwischen Exekutive und Opposition zuletzt oft scharf. Die neue personelle Nähe birgt Chancen, birgt aber auch das Risiko, dass die Union künftig zu weich gegenüber dem Lauterbach-Ministerium auftritt – ein Balanceakt, den Borchardt bestehen muss.
Gleichzeitig ist bemerkenswert, dass auch die SPD ihre gesundheitspolitische Spitze umbaut. Mit Dr. Christos Pantazis, einem praktizierenden Arzt, stünde ein Sprecher bereit, der aus der Versorgung kommt und nicht aus der Verbandslandschaft. Dies könnte, sollte es zur Ernennung kommen, eine deutliche Reaktion auf die zunehmende Kritik an realitätsferner Gesundheitspolitik sein. Es ist ein leiser Paradigmenwechsel in der politischen Besetzung von Schlüsselposten im Bundestag, der signalisiert: Erfahrung in der Fläche wird wieder ernst genommen.
Die Frage wird sein, wie beide neuen Sprecher ihre Rollen verstehen. Wird Borchardt zur scharfen Analystin der Lauterbachschen Reformen oder zur Brückenbauerin für parteiübergreifende Lösungen? Wird Pantazis die Zersplitterung des medizinischen Diskurses in seiner Fraktion bündeln oder sich in der Praxis verheddern? Klar ist: Beide eint eine gewisse Systemnähe – bei Borchardt zur Krankenkasse, bei Pantazis zur Klinik. Die Hoffnung bleibt, dass dies zu einer fundierteren Debatte im Bundestag führt – weg von Ideologie, hin zu Problemlösungen.
Die gesundheitspolitischen Herausforderungen der kommenden Jahre dulden keinen Aufschub: Pflegekrise, Ärztemangel, Apothekenschwund, Systemdigitalisierung. Die neue Besetzung muss liefern – nicht nur in Schlagzeilen, sondern in Substanz. Wenn das gelingt, könnte dieser unscheinbare Personalwechsel zu einem Wendepunkt für die Gesundheitspolitik werden. Wenn nicht, bleibt er nur ein weiterer Beleg für die Austauschbarkeit politischer Positionen.
Burda baut Gesundheitsstrategie aus, neue Leitung für Netdoktor und digitale Projekte
Philipp Winkens wird Digital Director Health, Jens Richter wechselt in den Naturschutz
Der Medienkonzern Hubert Burda Media schärft sein Profil im wachsenden Geschäftsfeld der digitalen Gesundheit und stellt die Weichen für eine strukturelle und strategische Neuausrichtung. Mit der Schaffung der neuen Position eines „Digital Director Health“ bündelt das Unternehmen künftig sämtliche Aktivitäten in diesem zentralen Bereich unter einer klar definierten Führungsebene. Anlass für diesen Schritt ist der Weggang von Jens Richter, der bislang als Chefredakteur und Chief Operating Officer das Portal Netdoktor maßgeblich geprägt hat. Richter, 62-jähriger Mediziner und erfahrener Gesundheitsjournalist, wird das Unternehmen auf eigenen Wunsch verlassen, um sich künftig dem Natur- und Artenschutz zu widmen. Er übernimmt die Landesgeschäftsführung des Naturschutzbundes (Nabu) in Sachsen-Anhalt.
Die Nachfolge und der strategische Umbau erfolgen nicht zufällig zur gleichen Zeit. Mit Philipp Winkens besetzt Burda die neu geschaffene Stelle aus den eigenen Reihen. Winkens, 34, war bislang für die Geschäftsentwicklung und digitalen Aktivitäten von Netdoktor zuständig. Der studierte Pflegewissenschaftler verfügt über breite Erfahrung im Bereich Gesundheitskommunikation und Produktentwicklung. Seine Laufbahn führte ihn neben akademischer Lehrtätigkeit auch in die Geschäftsführung eines auf strategisches Produktmanagement spezialisierten Softwareunternehmens in Berlin. Diese Kombination aus inhaltlicher Tiefe, digitaler Expertise und unternehmerischem Blick macht ihn zur idealen Besetzung für eine Position, in der die unterschiedlichen Stränge des digitalen Gesundheitsportfolios zusammenlaufen sollen.
Burda signalisiert mit dieser Entscheidung eine inhaltliche und strukturelle Aufwertung des Bereichs Digital Health. Der neue Digital Director Health wird nicht nur Netdoktor führen, sondern auch die Koordination und Weiterentwicklung aller bestehenden sowie künftigen Health-Projekte des Verlags verantworten. Die Rolle ist eng mit dem „Competence Center Health“ verzahnt, in dem redaktionelle Kompetenzen und Content-Strategien für den Gesundheitsbereich gebündelt sind. Chief Digital Officer Martin Weese betonte in diesem Zusammenhang die Bedeutung interner Kontinuität und strategischer Zukunftsorientierung. Winkens bringe, so Weese, nicht nur fundierte fachliche Kompetenz im Gesundheitsbereich mit, sondern auch ein klares Verständnis für zukunftsfähige digitale Geschäftsmodelle in einem sensiblen, aber wachstumsstarken Marktsegment.
Mit der Personalie schließt sich zugleich ein Kapitel, das Burdas Stellung im digitalen Gesundheitsmarkt entscheidend geprägt hat. Jens Richter hatte Netdoktor seit 2013 als Chefredakteur und seit 2020 zusätzlich als COO geführt. Er hat das Portal nach der Übernahme durch Burda im Jahr 2019 erfolgreich in den Konzern integriert und zum führenden Anbieter digitaler Gesundheitsinformationen in der DACH-Region ausgebaut. Besonders hervorzuheben ist, dass Burda bereits 2021 die Plattformen in Österreich und der Schweiz in das Portfolio übernahm und so seine Reichweite im gesamten deutschsprachigen Raum massiv erweiterte.
Parallel zum Ausbau des Netdoktor-Netzwerks verfolgt Burda seit 2018 eine Doppelstrategie im Apothekenmarkt: Gemeinsam mit der Noweda engagiert sich der Verlag über den „Zukunftspakt Apotheke“ sowohl mit der reichweitenstarken Kundenzeitschrift „My Life“ als auch über die Beteiligung an der Onlineplattform IhreApotheken.de. Mit der neuen Leitung wird nun eine engere Verzahnung dieser parallel laufenden Aktivitäten angestrebt – sowohl auf organisatorischer Ebene als auch im Hinblick auf eine übergreifende Digitalstrategie im Gesundheitssektor. Die strukturelle Bündelung ist Ausdruck einer wachsenden Relevanz des Themas innerhalb des Konzerns, das mit konkretem Personal und klaren Verantwortlichkeiten operationalisiert wird.
Die digitale Gesundheitskommunikation ist längst zu einem strategischen Kerngeschäft von Burda geworden. Die Transformation ist dabei keineswegs abgeschlossen, sondern tritt in eine neue Phase ein, in der es nicht mehr nur um Reichweite und Contentproduktion geht, sondern um datenbasierte Geschäftsmodelle, Plattformintegration und skalierbare Services mit gesundheitsökonomischer Relevanz. Dass mit Winkens ein interner Kandidat gewählt wurde, der das System von innen kennt und zugleich mit externen Innovationsimpulsen vertraut ist, verstärkt das Signal für eine pragmatische, aber ambitionierte Digitalstrategie im Gesundheitsmarkt.
Der Personalwechsel an der Spitze von Netdoktor ist mehr als nur eine biografische Zäsur – er markiert den Einstieg Burdas in eine Phase strategischer Konsolidierung seiner digitalen Gesundheitsaktivitäten. Die Einrichtung einer übergreifenden Führungsposition mit direkter Verantwortung für alle Health-Projekte zeigt, dass der Verlag diesen Bereich nicht länger nur als ein erfolgreiches Einzelprodukt begreift, sondern als geschäftskritischen Entwicklungskern. In Zeiten, in denen Gesundheitskommunikation, digitale Präventionsangebote und Plattformstrategien zunehmend ineinandergreifen, ist diese Entscheidung überfällig – und folgerichtig.
Mit Philipp Winkens übernimmt kein bloßer Projektmanager das Ruder, sondern ein Gesundheitswissenschaftler mit digitalem Mindset. Sein Werdegang vereint klinisches Verständnis, akademische Tiefe und unternehmerisches Denken. Genau diese Mischung ist notwendig, wenn ein Medienhaus seine Rolle im dynamischen Feld der digitalen Gesundheit neu definieren will. Denn es geht längst nicht mehr um Reichweite und Inhalte allein, sondern um Vertrauen, Plattformrelevanz und technologische Anschlussfähigkeit.
Der Abgang von Jens Richter hingegen ist doppelt bemerkenswert: Zum einen hat er mit ruhiger Hand eine der sichtbarsten Gesundheitsmarken im Netz aufgebaut und dabei sowohl publizistisch als auch strategisch Maßstäbe gesetzt. Zum anderen wechselt er nicht etwa in einen anderen Medienkonzern, sondern in eine vollständig andere gesellschaftliche Sphäre – den Naturschutz. Diese Entscheidung ist Ausdruck einer Haltung, die in der Führungsetage großer Medienhäuser selten geworden ist: der bewusste Rückzug aus einer exponierten Position zugunsten eines ökologischen Engagements. Dass Burda diesen Abschied mit Respekt und ohne demonstrative Nachtreten inszeniert, spricht für ein professionelles Selbstverständnis in der Nachfolgepolitik.
Dass Burda den Schritt zur organisatorischen Neuausrichtung gerade jetzt vollzieht, ist aber auch ein Zeichen für die wachsende Komplexität des Gesundheitsmarkts. Zwischen neuen Datenschutzrichtlinien, KI-gestützten Diagnosehilfen, regulatorischen Hürden und einer Vielzahl konkurrierender Plattformmodelle wird es immer schwieriger, den Überblick zu behalten – geschweige denn, ihn strategisch zu gestalten. Wer hier nicht integriert denkt und operativ bündelt, verliert an Wirkung, Relevanz und wirtschaftlicher Skalierbarkeit.
Die Berufung von Winkens als Digital Director Health ist deshalb nicht nur eine Personalie, sondern eine Kampfansage. Es ist der Versuch, in einem zunehmend fragmentierten Markt mit einem klaren Zentrum wieder Handlungshoheit zu gewinnen. Die Zukunft von Burda im Gesundheitsbereich hängt davon ab, ob dieser Versuch gelingt.
Panikattacken, Suizidgedanken, Psychosen in der Apotheke erkennen
Wie pharmazeutisches Personal Menschen in psychischer Not unterstützen kann
In deutschen Apotheken treten psychische Krisen immer häufiger in den Vordergrund. Ob als erste Anlaufstelle für Menschen mit Angst, als stiller Notruf bei suizidalen Gedanken oder als Ort, an dem Psychosen erstmals sichtbar werden – die Offizin wird zunehmend zu einem Brennpunkt mentaler Ausnahmezustände. In einem Land, in dem rund 17 Millionen Erwachsene jährlich an psychischen Erkrankungen leiden, aber nur ein Bruchteil professionelle Hilfe sucht, rücken Apotheken in eine neue Rolle. Etwa 18 Prozent dieser Betroffenen wenden sich laut Erhebungen an Fachärztinnen oder Therapeuten. Viele hoffen zunächst in der Apotheke auf schnelle Linderung oder ein erklärendes Gespräch.
Besonders häufig suchen Menschen mit Symptomen einer Depression, Panikattacke oder affektiven Störung pharmazeutische Hilfe. Sie klagen über innere Unruhe, Schlafstörungen, Gewichtsverlust, Stimmungsschwankungen oder Schmerzen ohne klare Ursache. Für pharmazeutisches Personal ergeben sich daraus erhebliche Anforderungen – inhaltlich, emotional und organisatorisch. Die psychischen Signale sind vielschichtig, oft schwer einzuordnen und nicht immer eindeutig. Dennoch ist schnelles, einfühlsames und klares Handeln gefragt.
Im Fall einer Panikattacke äußern sich die Symptome oft dramatisch. Betroffene berichten von Herzrasen, Hyperventilation, Kribbeln, Übelkeit, Brustenge und Todesangst. Die Betroffenen wirken häufig orientierungslos, zittrig oder panisch – eine Belastung nicht nur für die Person selbst, sondern auch für das Personal in der Apotheke. Die Herausforderung liegt darin, die Attacke weder zu bagatellisieren noch zu dramatisieren. Der Grundsatz lautet: Ruhe bewahren, Sicherheit ausstrahlen, Atemübungen anleiten, Reize setzen, notfalls medizinische Hilfe aktivieren. Riechstäbchen, saure Tropfen oder einfache Atemtechniken können in der Akutsituation Erleichterung verschaffen.
Bei suizidgefährdeten Personen steigt der Druck auf Apothekenteams nochmals erheblich. Zwar sind Apotheken keine therapeutischen Einrichtungen, aber häufig der letzte erreichbare Ort vor einem möglichen Suizidversuch. Warnzeichen wie Rückzug, Hoffnungslosigkeit, emotionale Leere, selbstentwertende Aussagen oder das Verschenken wichtiger Gegenstände müssen ernst genommen werden. Aussagen wie „Ich halte das nicht mehr aus“ dürfen nicht ignoriert werden. Der direkte Kontakt zu ärztlichem Notdienst, psychiatrischer Krisenhilfe oder TelefonSeelsorge sollte in solchen Momenten sofort angeboten oder sogar eingeleitet werden.
Die Grenzen pharmazeutischer Verantwortung zeigen sich besonders deutlich bei psychotischen oder manischen Symptomen. Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Realitätsverlust, Größenideen oder starkes Misstrauen können das Apothekenteam in eine Eskalationssituation führen. Gerade wenn ein akuter psychischer Ausnahmezustand vorliegt und eine Eigen- oder Fremdgefährdung nicht ausgeschlossen werden kann, ist professionelle Hilfe unabdingbar. Es gilt, ruhig zu bleiben, Eskalationen zu vermeiden, Aggressionen nicht zu provozieren – und im Zweifelsfall die Polizei oder einen Notarzt einzuschalten.
Gleichzeitig kann die Apotheke ein Ort des Vertrauens und der Stabilisierung sein. Die Wiederentdeckung der heilberuflichen Rolle in der psychosozialen Grundversorgung bietet eine Chance, die gesellschaftliche Relevanz der Vor-Ort-Apotheke neu zu definieren. Im Idealfall gelingt eine Balance aus empathischer Ansprache, pragmatischer Handlungsfähigkeit und rechtlicher Sicherheit. Klar ist jedoch auch: Ohne Schulung im Umgang mit psychischen Krisen, ohne Leitlinien und ohne interdisziplinäre Rückbindung kann diese Verantwortung leicht überfordern.
In Zeiten multipler Belastungen – ob durch Pandemiefolgen, wirtschaftliche Unsicherheiten oder soziale Isolation – wird die Apotheke mehr denn je zur Lebensschnittstelle für Menschen in der Krise. Wenn dabei bereits ein Gespräch, ein verständnisvoller Blick oder der Verweis auf professionelle Hilfe den Unterschied macht, ist viel gewonnen. Doch dafür braucht es Mut zur Auseinandersetzung mit der Realität psychischer Not – und den Willen, die Rolle der Apotheke nicht nur als Abgabestelle, sondern als heilberuflichen Ort neu zu begreifen.
Psychische Erkrankungen haben längst ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft – doch sie haben ihn nicht im Berufsalltag der Apotheken. Noch nicht. Was bislang in Fortbildungen allenfalls unter dem Schlagwort „Arzneimittelsicherheit bei Antidepressiva“ oder in Bezug auf Wechselwirkungen behandelt wird, drängt nun mit einer anderen Wucht in die Offizin: Menschen in Krisen, in Panik, mit Depressionen, mit dem diffusen Wunsch nach Linderung, manchmal mit stummen Suizidabsichten. Sie stehen am HV-Tisch und fragen nicht immer nach Ibuprofen. Sie fragen nach Halt, Orientierung, Entlastung – oft ohne Worte.
Dass Apotheken hier zunehmend gefordert sind, ist nicht Ausdruck fachlicher Überforderung, sondern ein Versagen der übrigen Versorgungsstruktur. Hausärztliche Versorgung bricht in vielen Regionen ein, Psychotherapieplätze sind auf Monate hin ausgebucht, psychiatrische Notdienste sind überlastet. Wer in Not ist, geht dorthin, wo Menschen zuhören – und Apotheken sind derzeit eine der letzten stabilen Instanzen mit offenen Türen.
Die Frage ist nicht mehr, ob Apotheken sich mit psychischen Erkrankungen befassen sollen, sondern wie. Die Idee der „seelischen Ersten Hilfe“ in der Apotheke ist keine Utopie, sondern ein realistischer Beitrag zur gesundheitlichen Grundversorgung. Doch dazu braucht es mehr als Intuition. Es braucht Schulung in Gesprächsführung, Krisenintervention, Symptomdeutung. Es braucht klare Leitlinien, wann ein Gespräch reicht und wann ein Anruf beim ärztlichen Notdienst notwendig wird. Und es braucht Rückendeckung – rechtlich, organisatorisch, politisch.
Denn was heute noch Engagement Einzelner ist, könnte morgen ein strukturelles Versorgungsangebot sein. Schon jetzt ist die Nachfrage nach psychischer Unterstützung in Apotheken keine Ausnahme mehr, sondern Alltag. Der Umgang mit Panikattacken, mit dem stummen Rückzug depressiver Menschen, mit den wahnhaften Gedanken eines psychotischen Kunden – das alles gehört längst zur Realität der pharmazeutischen Arbeit.
Wenn sich Apotheker und PTA dieser Realität stellen, dann nicht aus therapeutischem Ehrgeiz, sondern aus Mitverantwortung. Sie schließen Lücken, die andere reißen. Sie erkennen, was andere übersehen. Und sie tun es – oft unbemerkt – mit großer Professionalität. Was ihnen fehlt, ist institutionelle Anerkennung, finanzielle Förderung und vor allem: gesellschaftlicher Rückhalt.
Psychische Erkrankungen machen nicht vor der Apothekentür Halt. Im Gegenteil: Sie klopfen an – leise, verzweifelt, manchmal laut. Wer dort arbeitet, hat nicht nur die Aufgabe, Medikamente abzugeben. Sondern auch, Menschlichkeit. Das verdient nicht nur Respekt – sondern politische Unterstützung.
Nirsevimab wieder lieferbar, Zusatzvereinbarung beendet, RSV-Prophylaxe neu geregelt
Nach Monaten des Engpasses steht der RSV-Antikörper wieder vollständig zur Verfügung – Apotheken dürfen keine Teilmengen mehr abgeben.
Mit sofortiger Wirkung hat das Bundesgesundheitsministerium den Versorgungsmangel für Nirsevimab-haltige Arzneimittel aufgehoben. Damit endet eine Phase der Unsicherheit, in der Apotheken, Kliniken und Eltern von Säuglingen auf ausländische Präparate zurückgreifen mussten. Der monoklonale Antikörper Nirsevimab – vermarktet unter dem Namen Beyfortus – steht nun wieder in ausreichender Menge in deutscher Originalverpackung zur Verfügung. Die temporären Importgenehmigungen, die Abgabe fremdsprachiger Ware und insbesondere die Zusatzvereinbarung zur Abgabe von Teilmengen verlieren damit ihre rechtliche Grundlage. Ein entsprechender Passus in §3 der Vereinbarung zwischen GKV-Spitzenverband und Deutschem Apothekerverband erklärt das sofortige Außerkrafttreten mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger.
Die Sonderregelungen waren notwendig geworden, nachdem im September 2024 ein offizieller Versorgungsmangel festgestellt wurde. Grund dafür war die neue Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko), wonach alle Neugeborenen und Säuglinge im ersten Lebensjahr vor Beginn der RSV-Saison eine Immunisierung mit Nirsevimab erhalten sollten. In der Folge stieg die Nachfrage sprunghaft, insbesondere für jene Kinder, die zwischen April und September geboren wurden und bis spätestens November prophylaktisch behandelt werden sollten. Auch Neugeborene, die während der laufenden RSV-Saison zwischen Oktober und März geboren werden, sollen möglichst früh eine Gabe erhalten. Die hohe Zahl an Indikationsfällen traf auf begrenzte Produktions- und Lieferkapazitäten, wodurch es in der Versorgung rasch zu Engpässen kam.
Besonders kritisch war dabei, dass es keine zugelassene Alternative zur RSV-Prophylaxe für diese Altersgruppe gab. Um die saisonale Schutzstrategie dennoch aufrechterhalten zu können, wurde mit Unterstützung des Paul-Ehrlich-Instituts die Einfuhr nicht-deutscher Packungen in englischer, französischer und spanischer Aufmachung ermöglicht. Dies sicherte in Kombination mit der Zusatzvereinbarung über Teilmengen zumindest eine Mindestverfügbarkeit für besonders gefährdete Patientengruppen. Diese Maßnahmen sind nun nicht mehr erforderlich – mit unmittelbaren Folgen für Apotheken und Krankenkassen.
Insbesondere die Möglichkeit, angebrochene Vials in Teilmengen abzugeben, war mit der Zusatzvereinbarung rechtlich flankiert worden. Diese Regelung, die rückwirkend ab dem 24. September 2024 galt, erlaubte eine Flexibilisierung im Umgang mit begrenzten Ressourcen. Mit der Aufhebung des Mangels entfällt diese Option ersatzlos. Apotheken dürfen Beyfortus nun ausschließlich in vollständiger, unverletzter Originalverpackung abgeben. Auch die Importregelungen laufen aus: Der Vertrieb fremdsprachiger Präparate ist ab sofort nicht mehr zulässig, was sowohl logistische als auch abrechnungstechnische Umstellungen erfordert.
Die Wiederherstellung der Versorgungssicherheit kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die RSV-Saison gerade wieder anläuft. Typischerweise steigen die Infektionszahlen im Oktober an und erreichen im Januar und Februar ihren Höhepunkt. RSV-Infektionen zählen laut Robert Koch-Institut bei Säuglingen zu den häufigsten Gründen für stationäre Krankenhausaufenthalte. Eine flächendeckende Prophylaxe mit Nirsevimab gilt als zentraler Bestandteil der Strategie zur Vermeidung schwerer Verläufe. Die nun wieder gesicherte Verfügbarkeit erlaubt es Praxen und Kliniken, die Impfstrategie gemäß der Stiko-Empfehlung ohne Einschränkungen umzusetzen.
Parallel dazu richtet sich der Fokus der RSV-Prophylaxe auf eine weitere besonders vulnerable Gruppe: Menschen ab 75 Jahren. Ihnen empfiehlt die Stiko den proteinbasierten Impfstoff Abrysvo als einmalige Standardimpfung, idealerweise vor Beginn der RSV-Saison im September oder Anfang Oktober. Anders als bei Säuglingen ist diese Impfung aktiv immunisierend und nicht auf monoklonale Antikörper angewiesen. Dennoch gelten auch hier klare zeitliche Vorgaben, um einen wirksamen Schutz für die kommende Erkältungssaison zu gewährleisten.
Mit dem Ende der Sonderregelungen stellt sich für Apotheken nun die Frage, wie der Übergang in die reguläre Versorgungspraxis schnell und fehlerfrei gelingen kann. Besonders bei noch gültigen Rezepten, die auf Basis der Altregelungen ausgestellt wurden, bedarf es einer umsichtigen Prüfung. Eine rückwirkende Abrechnung auf Basis der entfallenen Zusatzvereinbarung ist nicht mehr möglich. Der Zeitdruck in der Versorgung vulnerabler Gruppen bleibt, doch die Rahmenbedingungen kehren zu regulären Standards zurück – ein Kraftakt für die Logistik, ein Signal der Stabilität für Familien und ein Anlass zur Umstellung in Apothekenbetrieben.
Das Ende des Nirsevimab-Engpasses markiert mehr als nur die Rückkehr zur regulären Arzneimittelversorgung – es ist ein lakonischer Testlauf für das, was künftig zur Normalität werden könnte: punktuelle Mangelphasen bei stark gefragten Impfstoffen und Arzneimitteln, ausgelöst durch epidemiologische Verschiebungen, gesundheitspolitische Entscheidungen und globale Lieferkettenrisiken. Dass das Bundesgesundheitsministerium nun grünes Licht für die Rückabwicklung aller Notmaßnahmen gibt, ist zunächst positiv. Doch die Freude über die gesicherte Verfügbarkeit wird in Apothekenbetrieben rasch von einer administrativen Realität abgelöst, in der alte Sonderregeln enden, ohne dass die Übergänge juristisch oder praktisch sauber orchestriert wurden.
Gerade die Zusatzvereinbarung zur Teilmengenabgabe war für viele Apotheken ein rettender Anker – im Versorgungsalltag ebenso wie in der Dokumentation gegenüber Kassen. Nun fällt dieser Anker mit sofortiger Wirkung. Damit ist nicht nur eine organisatorische Umstellung verbunden, sondern auch ein abrechnungstechnisches Risiko. Fehlerhafte Abgaben, auch wenn sie in gutem Glauben erfolgen, könnten zu Retaxationen führen – und das in einer Zeit, in der die Apothekenlandschaft ohnehin unter wirtschaftlichem Druck steht. Die rechtliche Klarheit, dass die Zusatzvereinbarung mit dem Tag der Veröffentlichung im Bundesanzeiger erlischt, lässt wenig Spielraum für Kulanz oder pragmatische Lösungen. Wieder einmal trifft der bürokratische Schnitt mitten in den laufenden Betrieb.
Hinzu kommt eine nicht unwesentliche psychologische Komponente: Viele Apotheken haben in den vergangenen Monaten unter erheblichem Mehraufwand ausländische Packungen beschafft, Patienten aufgeklärt, Teilmengen dokumentiert und Impfstrategien mit betreuenden Kinderärzten abgestimmt. Dass all dies nun binnen Stunden obsolet ist, vermittelt nicht den Eindruck einer verlässlichen Versorgungspolitik. Vielmehr offenbart sich ein System, das selbst in der Rückkehr zur Normalität Reibungsverluste erzeugt – zulasten derer, die die Versorgung am Laufen halten.
Zwar ist die vollständige Verfügbarkeit von Nirsevimab ein gesundheitspolitischer Erfolg, doch es bleibt der Eindruck, dass Deutschland strukturell nicht darauf vorbereitet ist, neue Impfempfehlungen mit entsprechender Bevorratung zu flankieren. Die Immunisierung aller Neugeborenen mit Beyfortus ist medizinisch sinnvoll, aber logistisch offenbar noch nicht beherrschbar. Dass dieselbe Problematik künftig auch bei anderen alters- oder saisonabhängigen Impfstoffen auftreten kann, liegt auf der Hand. Die Versorgungskrise war womöglich nur ein Vorgeschmack – und die nun endende Zusatzregelung ein kurzfristiger Ersatz für ein nicht ausreichend krisenfestes Verteilungssystem.
Was bleibt, ist eine Aufgabe für die Zukunft: Die Integration epidemiologisch begründeter Impfstrategien in ein stabil skalierbares Versorgungssystem – und die Entlastung der Apotheken durch rechtssichere, digitale Prozesse, die in Mangelphasen wie auch in der Rückkehr zur Normalität funktionieren, ohne neue Unsicherheit zu schaffen.
Bayer schwächelt bei Claritin, punktet mit Nubeqa, streicht Stellen in Frankfurt
Bayer verzeichnet Rückgänge bei Allergiepräparaten, expandiert mit neuen Krebsmedikamenten und reagiert auf Kostendruck im Agrarsektor mit Standortschließung.
Der Bayer-Konzern hat zum Jahresauftakt 2025 einen gemischten Geschäftsverlauf verzeichnet: Während das Pharmasegment besser abschnitt als von Analysten prognostiziert, dämpften Rückgänge im Bereich Consumer Health und eine strukturelle Krise im Pflanzenschutz das Gesamtergebnis. Mit einem Quartalsumsatz von 13,7 Milliarden Euro blieb das Unternehmen auf Vorjahresniveau, das bereinigte operative Ergebnis (Ebitda) sank jedoch um mehr als sieben Prozent auf knapp 4,1 Milliarden Euro. Trotz des Gewinnrückgangs von einem Drittel auf 1,3 Milliarden Euro zeigte sich Bayer operativ widerstandsfähiger als erwartet.
Treiber der positiven Pharmadynamik waren vor allem Neueinführungen wie das Krebsmedikament Nubeqa (Darolutamid) sowie Kerendia (Finerenon), das zur Behandlung chronischer Nierenerkrankung bei Typ-2-Diabetes eingesetzt wird. Beide Produkte erzielten deutliche Umsatzzuwächse. Auch hormonbasierte Kontrazeptiva wie Mirena und die YAZ-Produktfamilie legten signifikant zu. Der Umsatz verschreibungspflichtiger Arzneimittel stieg insgesamt auf 4,5 Milliarden Euro – ein Plus von vier Prozent. Belastend wirkte hingegen der massive Rückgang von 31,2 Prozent beim Blutgerinnungshemmer Xarelto (Rivaroxaban), das infolge generischer Konkurrenz, insbesondere in Europa und Japan, erhebliche Marktanteile verlor.
Im Segment Consumer Health konnte Bayer nur in einzelnen Produktkategorien zulegen. Der Umsatz stieg leicht auf 1,5 Milliarden Euro. Während Magen-Darm-Produkte wie Iberogast, Rennie und Alka-Seltzer in Nordamerika und Asien/Pazifik stark nachgefragt wurden, verzeichnete der Konzern bei Allergiemitteln (etwa Claritin) und Nahrungsergänzungsmitteln wie Elevit, Redoxon und Supradyn rückläufige Erlöse. Damit offenbart sich eine gewisse Schwäche im Selbstmedikationsgeschäft, das zunehmend durch Versandhandel und generische Konkurrenz unter Druck gerät.
Die größere strategische Zäsur betrifft jedoch die Agrarsparte: Bayer kündigte an, seinen traditionsreichen Standort im Industriepark Höchst in Frankfurt bis Ende 2028 vollständig aufzugeben. Betroffen sind rund 500 Mitarbeiter, die derzeit vor allem in der Forschung und Produktion von Herbiziden tätig sind. Die dort bislang angesiedelte Forschung soll künftig in Monheim gebündelt, die Produktion teilweise nach Dormagen und Knapsack verlagert oder verkauft werden. Zusätzlich plant der Konzern auch in Dormagen einen Abbau von etwa 200 Stellen – bei derzeit rund 1200 Beschäftigten. Ziel sei es, die Produktion kosteneffizienter zu gestalten und sich stärker auf strategisch differenzierende Technologien zu konzentrieren.
Als Hauptursache für den Umbau nennt Bayer ruinösen Preisdruck asiatischer Hersteller, insbesondere aus China und Indien. Diese Unternehmen hätten in den vergangenen Jahren erhebliche Überkapazitäten aufgebaut und drängten mit teils unter Herstellungskosten liegenden Preisen auf den Weltmarkt. Für Bayer, das seit Jahren mit rückläufigen Glyphosat-Preisen zu kämpfen hat, bedeutet dies eine existenzielle Herausforderung. Der Konzern spricht von regulatorischen Hürden, die europäische Produktionsstandorte zusätzlich belasten. In dieser Gemengelage sei ein umfassender Umbau alternativlos.
Der Betriebsrat und die Gewerkschaft kritisierten die Entscheidung als historischen Dammbruch. Erstmals in der Unternehmensgeschichte werde ein deutscher Produktionsstandort vollständig aufgegeben. Sie forderten eine offene Prüfung von Alternativen zur Standortschließung. Bayer selbst betont, dass nicht alle Arbeitsplätze in Frankfurt verloren gingen – für Teile der Produktion werde ein Käufer gesucht, andere würden in das verbleibende Standortnetz integriert.
Konzernchef Bill Anderson setzt damit den 2023 begonnenen Konsolidierungskurs fort. Bereits in den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Verwaltungsstellen gestrichen. Zum Jahresende 2024 lag die Mitarbeiterzahl konzernweit bei 93.000 – ein Rückgang von rund 7.000 Stellen im Vergleich zum Vorjahr. Für das Gesamtjahr 2025 erwartet Bayer einen Umsatz zwischen 45 und 47 Milliarden Euro und ein bereinigtes Ebitda von 9,3 bis 9,8 Milliarden Euro – ohne Währungseffekte. Unter Einbezug von Wechselkursschwankungen könnte der operative Gewinn allerdings bis zu 100 Millionen Euro unter dieser Prognose liegen.
Der Bayer-Konzern vollzieht einen tiefgreifenden strategischen Umbau, dessen Tragweite sich nicht allein in Zahlen oder Bilanzprognosen ablesen lässt. Vielmehr markiert die angekündigte Schließung des Frankfurter Standorts einen symbolischen Wendepunkt: Erstmals in der Unternehmensgeschichte wird ein deutscher Standort vollständig aufgegeben – eine Entscheidung mit Sprengkraft weit über die betroffenen 500 Stellen hinaus. Der Rückzug aus Frankfurt ist nicht nur Folge asiatischer Dumpingpreise oder regulatorischer Erschwernisse, sondern Ausdruck einer neuen Konzernlogik, die sich von gewachsenen industriellen Strukturen emanzipiert und ganz auf profitgetriebene Fokussierung setzt.
Die Betonung auf Innovation, Monheim als neuer Forschungshub und die Verlagerung nach Dormagen klingen auf dem Papier strategisch kohärent. Doch die Realität sieht oft brutaler aus: Forschung folgt Kapitalkalkül, nicht regionaler Verantwortung. Die Entscheidung gegen Frankfurt ist eine Absage an gewachsene Belegschaftsstrukturen, an Mitbestimmung auf Augenhöhe und letztlich an das industrielle Erbe eines Konzerns, der einst als Paradebeispiel deutscher Industriearchitektur galt.
Zugleich zeigt sich, wie fragmentiert Bayer mittlerweile wirtschaftet. Während sich im Pharmasektor mit Nubeqa und Kerendia echte Erfolgsgeschichten abzeichnen, fällt Xarelto mit voller Wucht zurück – ein Paradebeispiel für die Risiken von Blockbuster-Abhängigkeiten. Auch das Consumer-Health-Segment entpuppt sich als fragiler denn je: Der Margendruck auf Nahrungsergänzungsmittel, die Schwäche der Allergiemittel und das verzweifelte Hoffen auf Magen-Darm-Stabilität zeigen, wie ungleich die Entwicklung im Apothekenmarkt verläuft.
Bayers Umbau ist aus unternehmerischer Sicht konsequent, aber er ist auch das Symptom einer globalen Strukturkrise in der Chemie- und Pharmabranche. Wer sich dem Preiskrieg mit asiatischen Generikaherstellern stellen muss, hat kaum Spielraum für Rücksicht. Doch die Frage bleibt, ob Europa sich dauerhaft aus der eigenen Produktionshoheit verabschieden will – und ob der Preis der Effizienz nicht eine gesellschaftliche Hypothek ist, die am Ende zu hoch sein wird.
In diesem Sinn ist der Rückzug aus Frankfurt nicht nur ein unternehmenspolitischer Einschnitt – sondern ein Lehrstück darüber, wie stille Erosion aussieht: strategisch geplant, betriebswirtschaftlich sauber kalkuliert und dennoch bitter für die industrielle Substanz Deutschlands. Bayer mag im Pharmabereich noch glänzen – doch sein Schatten fällt weiter, als es eine Bilanz je erfassen könnte.
Von Engin Günder, Fachjournalist
Wir kennen Ihr Geschäft, und das garantiert Ihnen eine individuelle und kompetente Beratung
Sie haben einen Beruf gewählt, der weit mehr als reine Erwerbstätigkeit ist. Sie verfolgen im Dienste der Bevölkerung hohe ethische Ziele mit Energie, fachlicher Kompetenz und einem hohen Maß an Verantwortung. Um sich voll auf Ihre Aufgabe konzentrieren zu können, erwarten Sie die optimale Absicherung für die Risiken Ihrer Berufsgruppe.
Sie suchen nach Möglichkeiten, Ihre hohen Investitionen zu schützen und streben für sich und Ihre Angehörigen nach einem angemessenen Lebensstandard, auch für die Zukunft.
Risk Management: Professionelles Sicherheitsmanagement
Versicherungskosten-Check: Geld sparen mit dem richtigen Überblick
Sicherheitkompass: Die umfassenden Lösungen der ApoSecur
MyLeitfaden: Das Leben steckt voller Risiken - Wir begleiten Sie sicher in Ihre Zukunft
MyBusiness: Ihr betriebliches Sicherheitspaket
MyPrivate: Ihr privates Sicherheitspaket
MyTeam: Versicherungslösungen speziell für Angestellte
Business All-Inklusive: Eine einzige Versicherung für alle betrieblichen Gefahren
Business Modular: Risiken so individuell wie möglich absichern
Business Rechtschutz: Mit berufsständischem Rechtsschutz immer auf der sicheren Seite
Business Verdienstausfall: Existenzsicherung - Ihr Ausfall bedeutet Stillstand
Business Kfz-Flotten-Versicherung: Die beste Kfz-Versicherung der Zukunft
Sicher in die Zukunft – www.mysecur.de