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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Eine Woche der Umbrüche und Entlarvungen: In Berlin verabschiedete sich Olaf Scholz mit dem Großen Zapfenstreich aus dem Amt, während Karl Lauterbachs politische Zukunft unklarer denn je erscheint. Mit der Wahl des US-Amerikaners Leo XIV. zum Papst setzte auch der Vatikan ein starkes Zeichen des Wechsels. Gleichzeitig wurde in Deutschland die Fragilität der digitalen Gesundheitsinfrastruktur schmerzhaft deutlich – ein massiver Cyberangriff auf den Hessischen Apothekerverband brachte zentrale Systeme zum Erliegen. Die Apotheken spüren die Folgen ebenso wie das E-Rezept-System, das weiter unter instabiler Telematikinfrastruktur ächzt. Auch die viel beschworene Digitalisierung der Medizin offenbart ihre Schattenseiten: KI-Anwendungen beeinflussen Therapieentscheidungen, obwohl tragfähige Belege für ihren Nutzen fehlen. Während sich die Politik symbolträchtig verabschiedet, kämpfen Apotheken mit bürokratischer Überlast, wirtschaftlicher Unsicherheit und wachsender Verantwortung. Ein Besuch des CDU-Gesundheitspolitikers Tom Unger in einer sächsischen Apotheke offenbarte zumindest punktuell die Realität – doch Reformen bleiben aus. Zugleich belegen aktuelle Studien die Bedeutung pharmazeutischer Beratung bei chronischen Erkrankungen, deren Umsetzung jedoch an Systemgrenzen stößt. Die EMA warnt vor psychischen Nebenwirkungen bei Finasterid, setzt den Einsatz von Ixchiq bei Älteren aus und erkennt geschlechtsspezifische Unterschiede bei COPD. Bei Schlaganfällen warnen Experten vor den atypischen Symptomen bei Frauen. Die Woche zeigt: Von der Politik bis zur Pharmazie fehlt es an Systemstabilität, Evidenz und Weitblick.
Merz, Leo XIV. und Lauterbachs letzter Auftritt
Politik, Kirche, Gesundheitswesen – eine Woche voller Weichenstellungen
Eine politische Zeitenwende, ein kirchliches Novum und ein personeller Neustart im Gesundheitsministerium – diese Woche stellte gleich mehrere Weichen, deren Auswirkungen weit über den Moment hinausreichen. In Berlin endete die Kanzlerschaft von Olaf Scholz mit einem Großen Zapfenstreich. Der scheidende Kanzler, der sich durch stille Disziplin und beharrliches Regierungshandwerk auszeichnete, verabschiedete sich mit einem musikalischen Fingerzeig: Aretha Franklins „Respect“ war mehr als ein Song – es war ein nachdrücklicher Appell an politische Diskussionskultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt in unruhigen Zeiten.
Während Scholz abtrat, übernahm Friedrich Merz im zweiten Wahlgang das Kanzleramt. Der CDU-Vorsitzende, über Jahre hinweg Inbegriff des politischen Durchhaltevermögens, erreichte sein Ziel unter dem Eindruck einer engen Mehrheit und einer zum Teil gespaltenen Bundestagskulisse. Der Regierungswechsel verläuft damit formal korrekt, doch ohne überbordende Euphorie. Die neue Koalition steht unter Zugzwang: Erwartet werden konkrete Maßnahmen zur Entlastung des Mittelstands, zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme und zur Lösung der wirtschaftlichen Stagnation.
Parallel blickte die Weltöffentlichkeit nach Rom: Nach vier Wahlgängen wurde der US-Amerikaner Robert F. P. zum neuen Papst gewählt. Der 67-jährige Jesuit nimmt den Namen Leo XIV. an und steht sinnbildlich für eine strategische Öffnung der katholischen Kirche Richtung Globalisierung und Relevanzgewinn im angelsächsischen Raum. Friedrich Merz, der mit ironischer Gelassenheit auf die vier Wahlgänge anspielte, erkannte im Vergleich mit seinem eigenen Kanzlerwahlgang durchaus diplomatisches Potenzial. In Berlin traf die Papstwahl auf nüchterne Beobachtung, in kirchennahen Kreisen aber auch auf Hoffnung – ein Amerikaner als Pontifex birgt kulturelle wie politische Signalwirkung.
Zurück auf deutschem Boden kam es zu einem weiteren Wechsel: Karl Lauterbach, langjähriger Gesundheitsminister, verabschiedete sich emotional aus dem Amt. In seiner Rede betonte er die strukturellen Schwächen des Gesundheitswesens, die Unfähigkeit zur Digitalisierung, die Ineffizienz des Systems und die Notwendigkeit, auch gegen Lobbyinteressen konsequent Reformen durchzusetzen. Seine Nachfolgerin Nina Warken übernahm das Ressort mit leisen Tönen, deutete aber an, dass sie dem Ministerium einen anderen Stil geben wolle – weniger medial, mehr konsensgetrieben, pragmatisch.
Insbesondere die Apothekerschaft verfolgt diesen Wechsel mit gespannter Aufmerksamkeit. In der Branche herrscht große Erwartung an die neue Regierung, die laut Koalitionsvertrag das Fixhonorar für Apotheken erhöhen und die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) stärken will. Thomas Preis, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda), forderte nach seinen ersten 100 Tagen im Amt rasche Schritte. In seiner Zwischenbilanz hob er das gemeinsam mit der Politik erarbeitete Zukunftspapier hervor, das Apotheken als erste Anlaufstelle für Prävention, Beratung und Versorgung neu positionieren will. Doch Preis machte deutlich: Ohne schnelle Umsetzung drohen Vertrauensverlust und strukturelle Erosion, gerade in ländlichen Regionen.
Die Woche steht damit exemplarisch für politische und institutionelle Übergänge. Was wie eine zufällige Ballung von Ereignissen wirkt, markiert in Wirklichkeit eine tiefere Verschiebung: neue politische Machtzentren, eine kirchliche Umorientierung, eine gesundheitspolitische Richtungsentscheidung. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die neuen Akteure den Erwartungen gerecht werden – und wie viel von der symbolischen Kraft dieser Woche tatsächlich in Handeln übersetzt wird.
Diese Woche brachte eine Dichte an Zäsuren, wie sie im deutschen und internationalen Kontext selten in solcher Konzentration auftreten. Mit dem Abschied von Olaf Scholz endet eine Kanzlerschaft, die unter schwierigen geopolitischen Vorzeichen stand und deren Erfolge häufig nicht sichtbar, sondern administrativ gelagert waren. Dass Scholz mit „Respect“ aus dem Amt ging, war ein bemerkenswertes Schlussbild – und eine politische Selbstvergewisserung. Der nachfolgende Kanzler Friedrich Merz tritt an mit dem Versprechen, Ordnung und wirtschaftliche Vernunft zurückzubringen. Doch seine Mehrheit ist fragil, und der politische Spielraum dürfte enger sein als die öffentliche Inszenierung vermuten lässt.
Die Wahl von Papst Leo XIV. bringt eine tektonische Verschiebung in der katholischen Kirche. Noch nie war ein US-Amerikaner Papst, und noch nie lag das Zentrum der Weltkirche so deutlich außerhalb Europas. Dass ein Jesuit den Namen Leo wählt, kann als Signal für eine kämpferische Erneuerung gelesen werden – eine, die Konflikt nicht scheut, sondern in der Auseinandersetzung mit den globalen Widersprüchen des Glaubens bestehen will. Der Papst ist damit nicht nur religiöse, sondern geopolitische Figur.
In Deutschland steht das Gesundheitsministerium nach dem Abgang Lauterbachs vor einem Neuanfang. Die Kritik an seinem Führungsstil war ebenso laut wie berechtigt: Ein Minister, der mehr auf medialen Effekt als auf direkte Gespräche mit Leistungserbringern setzte, hinterlässt eine strukturell erschöpfte Landschaft. Die neue Amtsinhaberin Nina Warken steht vor der Aufgabe, Vertrauen zurückzugewinnen – durch Sacharbeit, Dialog und schnelles Handeln. Die Worte allein werden nicht reichen.
Der Abda-Präsident Thomas Preis verkörpert eine Branche im Aufbruch, aber auch unter Druck. Die pDL werden in der politischen Kommunikation als Erfolg verkauft, doch die Realität ist differenzierter. Nur ein Bruchteil der Apotheken rechnet bislang Dienstleistungen ab – nicht aus Desinteresse, sondern wegen struktureller Überlastung, Unsicherheit und fehlender politischer Verlässlichkeit. Preis hat recht: Ohne Reformumsetzung bleibt das Apothekenwesen ein Spielball symbolischer Politik.
Diese Woche war kein Zufallsprodukt. Sie war Ausdruck einer systemischen Umbruchphase, in der Altbewährtes geht und Neues sich erst beweisen muss. Der Anspruch an alle Akteure – in Regierung, Kirche und Gesundheitssystem – ist derselbe: Nicht nur reden, sondern handeln. Nicht nur repräsentieren, sondern verändern. Wer das verpasst, wird beim nächsten Wahlgang mehr als einen Anlauf brauchen.
Cyberbedrohung für Apothekenstrukturen – Versicherungsfrage wird zentral
IT-Angriff auf HAV macht klar: Digitale Resilienz braucht branchenspezifische Absicherung
Ein gezielter Cyberangriff hat zentrale IT-Strukturen des Hessischen Apothekerverbands (HAV) sowie verbundener Organisationen lahmgelegt. Bereits am 27. April wurde der Verband Opfer eines schwerwiegenden digitalen Angriffs, wie er nun in einem internen Rundschreiben am 8. Mai öffentlich machte. Dabei wurden sicherheitsrelevante Teile der Systeme verschlüsselt, unter anderem bei der Gesellschaft für Verkaufsförderung in Apotheken und Vermögensverwaltung (GVA) sowie der Wirtschaftsakademie Deutscher Apotheker (WDA). Das Ausmaß des Schadens ist weiterhin Gegenstand laufender forensischer Analysen.
Laut Angaben des HAV konnten erste Maßnahmen zur Schadensbegrenzung zügig eingeleitet werden. Ein spezialisiertes IT-Forensik-Team analysiert derzeit den Ablauf des Angriffs, parallel dazu arbeiten externe Fachkräfte an der Wiederherstellung der kompromittierten Systeme. Nach bisherigen Erkenntnissen seien keine sensiblen Mitgliedsdaten oder personenbezogene Informationen von Seminar- und Studienteilnehmenden betroffen. Diese Einschätzung stützt sich auf eine Auswertung der bisherigen Zugriffsprotokolle.
Die Angreifer hatten offenbar Schwachstellen ausgenutzt, um Zugriff auf interne Serverstrukturen zu erhalten und Teile davon zu verschlüsseln. Dass das Sicherheitskonzept des HAV dennoch nicht vollständig versagt hat, führt der Verband auf eine strikte Umsetzung der Datensicherungsstrategie und die Nutzung robuster Backup-Systeme zurück. »Dank konsequenter Einhaltung der Datensicherungskonzepte und vorhandener Backups kommen wir erfreulich gut voran«, heißt es in dem Schreiben.
Der Vorfall wurde inzwischen sowohl der zuständigen Datenschutzaufsicht als auch der Polizei gemeldet. Das Hessische Landeskriminalamt (LKA) wurde eingeschaltet und unterstützt den Verband bei der weiteren Aufklärung. Eine Strafanzeige gegen Unbekannt ist gestellt, die Ermittlungen laufen. Welche Schwachstellen konkret ausgenutzt wurden und ob interne Sicherheitsprotokolle ausgereicht haben, um ähnliche Angriffe künftig abzuwehren, bleibt eine der offenen Fragen.
Nicht nur aus Sicht der HAV-Mitglieder, sondern auch für andere Institutionen im Gesundheitswesen ist der Vorfall ein Warnsignal. Die zunehmende Vernetzung von Apotheken, Verbänden und Weiterbildungsinstitutionen schafft Synergien, aber auch neue Angriffsflächen. Die Tatsache, dass auch die WDA betroffen ist, zeigt, wie tiefgreifend die digitale Verwundbarkeit von Apothekenorganisationen mittlerweile ist. Während der HAV bemüht ist, die technischen Folgen einzugrenzen, stellt sich bereits jetzt die strategische Anschlussfrage: Wie können sich Apotheken und ihre Strukturen wirksam gegen digitale Erpressung, Datendiebstahl und Systemstillstand wappnen?
Branchenexperten rücken in diesem Zusammenhang das Thema Versicherungsschutz in den Vordergrund. Die finanziellen und strukturellen Risiken, die aus einer digitalen Lahmlegung resultieren, betreffen nicht nur die IT selbst, sondern auch Schulungsprogramme, wirtschaftliche Dienstleistungen und indirekt sogar die Patientenversorgung. Eine rein technische Lösung greift zu kurz. Vielmehr braucht es ein integratives Risikomanagement, das auch versicherungstechnisch die spezifischen Bedrohungslagen für Apotheken abdeckt.
Der Cyberangriff auf den Hessischen Apothekerverband ist mehr als ein technisches Störereignis – er ist ein strukturelles Alarmsignal. Dass zentrale Verbandssysteme verschlüsselt wurden, ohne dass es zu einem sofortigen Kollaps der Mitgliedsstruktur kam, ist in erster Linie der vorbereiteten Backup-Strategie des HAV zu verdanken. Doch diese Erfolgsmeldung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Apotheken und ihre Institutionen systemisch anfällig bleiben.
In einem Sektor, in dem Digitalisierung zunehmend auch Pflicht und nicht mehr nur Option ist, offenbart sich mit solcher Brutalität, was oft ignoriert wird: IT-Risiken sind heute gleichbedeutend mit Betriebsrisiken. Der Angriff trifft nicht nur Server, sondern gesamte Strukturen – und zwar dort, wo Organisation, Weiterbildung und wirtschaftliche Steuerung ineinandergreifen. Die Tatsache, dass auch die Wirtschaftsakademie und die GVA betroffen sind, belegt, wie engmaschig das Netz aus Verantwortung und digitaler Infrastruktur mittlerweile geworden ist.
Es wäre fahrlässig, diesen Vorfall als isolierten Einzelfall zu betrachten. Der Angriff auf den HAV könnte in dieser Form morgen auch auf einen größeren Apothekenverbund oder einen anderen regionalen Verband zielen. Der Gedanke, dass kleinere oder mittelgroße Organisationen aufgrund mangelnder Sichtbarkeit weniger gefährdet seien, hat sich längst als trügerisch erwiesen.
Ein branchenspezifischer Versicherungsschutz gegen Cyberrisiken darf daher nicht länger als Zusatzleistung verstanden werden, sondern muss zum Standardinstrumentarium jedes verantwortungsbewussten Apothekenbetriebs und Verbandes gehören. Es braucht Produkte, die nicht nur generisch digitale Risiken versichern, sondern die Komplexität des Apothekenbetriebs und seiner Trägerinstitutionen konkret abbilden – inklusive der Folgen für Weiterbildungsangebote, Abrechnungsprozesse und juristische Pflichten.
Der HAV hat im konkreten Fall Glück im Unglück gehabt. Doch auf Glück darf sich keine Struktur verlassen, die im Gesundheitswesen Verantwortung trägt. Es ist Zeit für eine neue Sicherheitskultur – digital, rechtlich und versicherungstechnisch.
Digitalisierung mit Systemdefekt
Wie das E-Rezept an der Telematikinfrastruktur scheitert und Apotheken belastet
Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens sollte mit dem E-Rezept eine neue Ära einläuten. Stattdessen ist ein Reformprojekt entstanden, das für Apotheken zunehmend zur wirtschaftlichen und organisatorischen Belastung geworden ist. Seit dem offiziellen Start des E-Rezepts berichten Apotheken in ganz Deutschland von wiederholten technischen Ausfällen, verzögerten Datenabrufen und kompletten Systemzusammenbrüchen. Das zentrale Problem liegt in der labilen Telematikinfrastruktur – jenem digitalen Rückgrat, das die elektronische Rezeptübertragung zwischen Arztpraxen, Apotheken und Krankenkassen koordinieren soll, derzeit jedoch eher durch Fehlfunktionen auffällt als durch Effizienz.
In der Praxis bedeutet das für Apothekerinnen und Apotheker ein nicht planbares Arbeiten im Ausnahmezustand. Rezeptdaten, die eigentlich binnen Sekunden abrufbar sein sollten, stehen teils minutenlang nicht zur Verfügung oder lassen sich gar nicht laden. Die Folgen sind Warteschlangen, genervte Kunden und im schlimmsten Fall die komplette Blockade der Arzneimittelversorgung. Dabei trifft es nicht nur vereinzelte Standorte, sondern regelmäßig ganze Regionen, in denen die TI-Server entweder überlastet oder schlichtweg nicht erreichbar sind.
Für Apotheken ist dieser Zustand eine doppelte Hypothek. Einerseits entstehen täglich Umsatzeinbußen, weil Kunden ihre Medikamente nicht sofort mitnehmen können. Andererseits droht der dauerhafte Vertrauensverlust, wenn Patienten sich zunehmend anderen, störungsärmeren Alternativen wie Online-Apotheken zuwenden. Besonders junge, digitalaffine Kundengruppen, die ohnehin wenig Bindung zur stationären Apotheke haben, kehren dem klassischen Betrieb den Rücken – nicht aus Unmut gegenüber dem pharmazeutischen Personal, sondern wegen fehlender technischer Verlässlichkeit.
In wirtschaftlich angespannten Zeiten bedeutet das nicht nur Imageverlust, sondern reale Bedrohung für die Existenz vieler Betriebe. Jede nicht bediente Rezeptabgabe reduziert die Marge, verzögert die Lagerrotation und sorgt für zusätzliche Arbeitszeit ohne Gegenleistung. In Verbindung mit bereits bekannten Strukturproblemen – etwa dem Margendruck, der Personalnot oder Lieferengpässen – beschleunigen die E-Rezept-Störungen den ökonomischen Erosionsprozess vieler Apotheken. Besonders dramatisch ist dies in Regionen, in denen die digitale Infrastruktur generell schwächer ausgebaut ist und analoge Ausweichmöglichkeiten fehlen.
Hinzu kommt: Trotz zahlreicher Warnungen aus dem Berufsstand reagiert die Politik bisher nicht mit der nötigen Konsequenz. Die gematik, als zentrale Instanz für den Betrieb der Telematikinfrastruktur zuständig, verweist zwar regelmäßig auf Verbesserungen und Updates – doch an der Grundproblematik hat sich bislang nichts geändert. Auch kurzfristige Entlastungsmaßnahmen oder verbindliche Ausfallregelungen fehlen. Die Folge: Jede Apotheke bleibt auf den operativen Schäden sitzen und muss selbst sehen, wie sie mit dem digitalen Risiko umgeht.
Im Gespräch mit Apothekeninhabern wird deutlich, wie groß die Frustration ist. Viele berichten davon, dass sie in ihrer Offizin inzwischen eigene Backup-Prozesse entwickeln oder bewusst auf E-Rezepte verzichten, wenn ein Papierausdruck vorliegt. Einige befürchten, dass die wachsende Zahl technischer Probleme langfristig zu einer faktischen Zwei-Klassen-Versorgung führen könnte – mit benachteiligten Regionen, in denen E-Rezepte de facto nicht mehr praktikabel sind.
Der ursprüngliche Anspruch, mit dem E-Rezept eine moderne, patientenfreundliche und effiziente Arzneimittelversorgung zu ermöglichen, droht damit ins Gegenteil zu kippen. Ohne grundlegende Reformen an der digitalen Infrastruktur, klare Zuständigkeiten für Systemausfälle und eine faire Risikoverteilung zwischen Apotheken und Systembetreibern wird das E-Rezept zu einem Lehrstück gescheiterter Gesundheitsdigitalisierung – und zu einer ernsten Gefahr für das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Apotheke.
Die Debatte über das E-Rezept ist längst nicht mehr nur eine Diskussion über Digitalisierung, sondern ein Indikator für strukturelle Defizite im deutschen Gesundheitswesen. Was als zukunftsweisender Meilenstein geplant war, entwickelt sich zum Paradebeispiel für eine technokratisch aufgesetzte Reform ohne ausreichende Rückkopplung mit der Praxis. Die Probleme, die Apotheken derzeit täglich erleben, sind keine Anlaufkinderkrankheiten – sie sind systemisch. Und sie sind Ausdruck eines politischen Umgangs mit Digitalisierung, der zwar große Visionen formuliert, aber die Realitäten der Versorgung oft ignoriert.
Dass ausgerechnet Apotheken, die als Letztes in der Versorgungskette stehen und unmittelbar mit den Patienten interagieren, die Hauptlast tragen, ist ein Armutszeugnis für das Zusammenspiel von Behörden, Industrie und Berufsverbänden. Die gematik, die für die Telematikinfrastruktur verantwortlich ist, kommt ihrer Pflicht zur Sicherstellung eines stabilen Betriebs bislang nur unzureichend nach. Und das Bundesgesundheitsministerium, das solche Entwicklungen politisch steuern müsste, schweigt sich in entscheidenden Momenten aus. Diese Leerstelle der Verantwortung gefährdet nicht nur die Akzeptanz des E-Rezepts, sondern erschüttert das Vertrauen in eine digital organisierte Gesundheitsversorgung insgesamt.
Die ökonomischen Folgen werden dabei viel zu selten öffentlich diskutiert. Dass jede technische Störung konkrete Umsatzeinbußen, Lagerprobleme und Personalmehrbelastung mit sich bringt, ist betriebswirtschaftlich hochrelevant – und dennoch kein Thema im politischen Raum. Stattdessen wird das Narrativ gepflegt, man müsse eben Geduld haben, bis die Systeme stabil laufen. Doch Geduld ist kein tragfähiges Geschäftsmodell, und Apotheken sind keine Testlabore für unzureichend abgesicherte IT-Infrastrukturen.
Die Lösung kann nicht darin bestehen, dass einzelne Apotheken Notfallstrategien oder parallele Systeme entwickeln, um ihre Arbeitsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Notwendig ist ein struktureller Umbau der Verantwortlichkeiten und eine Neujustierung der digitalen Architektur. Die Rolle der Apotheken muss gestärkt, ihre Betriebssicherheit garantiert, und ihre wirtschaftliche Last ausgeglichen werden. Wer digitale Gesundheitsversorgung will, muss auch digitale Ausfallsicherheit garantieren – alles andere ist politisch naiv und ökonomisch fahrlässig.
Die Apotheke der Zukunft braucht keine unausgereiften Systeme, sondern verlässliche digitale Werkzeuge. Das E-Rezept darf kein Symbol für Systemversagen sein, sondern muss zu einem Ausdruck für Patientennähe, Effizienz und Versorgungssicherheit werden. Dafür braucht es mehr als politische Willensbekundungen – es braucht Konsequenz, technische Kompetenz und einen echten Dialog mit denjenigen, die das System jeden Tag am Laufen halten.
Zu wenig kontrolliert, zu schnell etabliert
KI-Anwendungen beeinflussen Therapien, ohne validierte Evidenz
Künstliche Intelligenz hat in der Medizin längst Einzug gehalten. In der Radiologie, Onkologie, bei bildgebenden Verfahren oder bei der Auswertung großer Datenmengen spielt sie zunehmend eine operative Rolle – und doch fehlt es weiterhin an tragfähiger wissenschaftlicher Evidenz. Diese Warnung formulierte Dr. Thomas Kaiser, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), beim ADKA-Jahreskongress in Berlin. Seine Kritik: Trotz der hohen Erwartungen an KI in der Medizin existiert bislang kaum belastbares Studienmaterial, das ihren tatsächlichen Nutzen belegt.
Besonders deutlich zeigt sich das in den Zulassungsverfahren der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA. Zwar steigt die Zahl der medizinischen Produkte mit KI-Komponente rasant – vor allem in der Radiologie –, doch über die zugrunde liegenden Daten bleibt die Behörde auffällig schweigsam. Dass viele dieser Produkte auf früheren Versionen ohne KI basieren, werde oft als Rechtfertigung für eine vereinfachte Zulassung herangezogen. Doch die Relevanz der KI-Komponente sei dadurch keineswegs geklärt. Laut Kaiser sei nicht nachvollziehbar, ob und wie stark die künstliche Intelligenz tatsächlich medizinische Entscheidungen beeinflusst – und damit Risiken für Patientinnen und Patienten mit sich bringt.
Auch die Studienlage spiegelt diese strukturelle Unsicherheit wider. Zwar wächst die Zahl der Publikationen zu KI in der Medizin exponentiell, doch der Anteil hochwertiger Studien bleibt gering. Erst seit 2022 gelten spezifische CONSORT-Kriterien für die Bewertung solcher Studien – ein spätes Einsetzen von methodischen Standards in einem Feld, das sich längst rasant entwickelt. Deutschland, so Kaiser, verschlafe derzeit die Gelegenheit, selbst zu einem führenden Standort für qualitativ hochwertige KI-Forschung im Gesundheitswesen zu werden. Fehlende Anreize, Datenschutzbarrieren und eine fragmentierte Dateninfrastruktur behinderten verlässliche Studien erheblich.
Ein zentrales Problem dabei ist die Abhängigkeit von Trainingsdaten. KI-Anwendungen spiegeln die Qualität und Herkunft der Daten wider, mit denen sie entwickelt wurden. Sind diese Daten unvollständig, verzerrt oder nicht repräsentativ, wirkt sich das direkt auf die Validität der Entscheidungen aus, die solche Systeme später treffen. In Deutschland führt das aufgrund von Datenschutzvorgaben, mangelnden Routinedaten und systemischen Codierungsfehlern zu erheblichen Unsicherheiten. Der Gedanke, eine KI einfach auf bestehende deutsche Gesundheitsdaten loszulassen, sei absurd, so Kaiser. Ohne eine grundlegend verbesserte Datenlage sei keine seriöse Anwendung zu rechtfertigen.
Dennoch sieht Kaiser auch Chancen: In bestimmten Szenarien könnte KI künftig helfen, Datenlücken zu schließen oder unzureichende Real-World-Evidenz zu verbessern – etwa durch intelligente Modellierung von Patientendaten und Therapieoutcomes. Doch das setzt robuste Studien voraus, die derzeit fehlen. Für Kaiser ist daher klar: Nicht die KI selbst ist das Problem, sondern der gesellschaftliche und politische Wille, sie um jeden Preis in die Versorgung zu bringen – ohne vorherige Evaluation. Solange KI nicht denselben methodischen Prüfungen unterzogen wird wie jedes andere medizinische Verfahren, bleibt ihre Anwendung ein riskantes Experiment am Patienten.
Die Euphorie über künstliche Intelligenz in der Medizin ist groß – vielleicht zu groß. Was technologisch fasziniert, wird allzu oft vorschnell als Heilsversprechen in die Regelversorgung überführt, obwohl die Beweislage lückenhaft ist. Genau das kritisiert Dr. Thomas Kaiser vom IQWiG mit bemerkenswerter Deutlichkeit. Seine Analyse offenbart ein systemisches Defizit: Die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts wird nicht von einer entsprechenden Tiefe der wissenschaftlichen Evaluation begleitet. Der Hype ersetzt die Sorgfalt – mit potenziell gravierenden Folgen.
Medizinische Innovationen brauchen Vertrauen. Dieses Vertrauen basiert auf verlässlicher Evidenz, auf kontrollierter Erprobung und auf nachvollziehbarer Regulierung. KI in der Medizin aber entzieht sich bislang vielen dieser Prinzipien. Ihre Zulassung erfolgt teils intransparent, ihr tatsächlicher Beitrag zur Therapiefindung bleibt häufig unklar, und die Trainingsgrundlagen der Modelle sind kaum überprüfbar. Das widerspricht allem, was evidenzbasierte Medizin ausmacht.
Noch schwerer wiegt die politische Komponente: Der Druck, digitale Lösungen schnell in die Versorgung zu bringen, ist enorm. Dabei scheint vielen Akteuren entfallen zu sein, dass Digitalisierung kein Selbstzweck ist. Sie muss Patientennutzen erzeugen – messbar, überprüfbar, valide. Solange das nicht gegeben ist, bleibt jede KI-Anwendung im Gesundheitswesen ein Spiel mit der Sicherheit von Menschen.
Kaisers Forderung nach methodischer Nüchternheit ist daher mehr als berechtigt. Sie erinnert daran, dass medizinischer Fortschritt nicht durch Technologie allein entsteht, sondern durch deren verantwortungsvolle Integration. Dafür braucht es nicht weniger KI – sondern mehr Wissenschaft. Nur wenn wir lernen, die Grenzen und Voraussetzungen der Technologie anzuerkennen, können wir ihr Potenzial wirklich nutzen. Der Rest ist Show.
Politik trifft Realität
Landtagsabgeordneter Unger sieht, wie sehr Sachsens Apotheken kämpfen
Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag, Tom Unger, hat die Apotheke von Thomas Dittrich in Großröhrsdorf besucht und dort einen Einblick in den realen Alltag der Versorgung erhalten. Organisiert wurde der Besuch vom Sächsischen Apothekerverband. Der Ortstermin entfaltete mehr als symbolische Wirkung, denn Unger zeigte sich sichtlich betroffen von den Herausforderungen, mit denen Apotheken täglich konfrontiert sind – von der angespannten Versorgungslage über bürokratische Hürden bis hin zu den wirtschaftlichen Engpässen.
Der Besuch des CDU-Politikers fällt in eine Zeit, in der die wirtschaftliche Situation vieler Apotheken in Sachsen und bundesweit zunehmend kritisch wird. Laut Verband wurde das Apothekenhonorar seit mehr als einem Jahrzehnt nicht an die reale Kostenentwicklung angepasst. Parallel dazu steigen Personal- und Energiekosten kontinuierlich, Lieferengpässe erschweren die Versorgung, und gesetzlich vorgeschriebene Prozesse verursachen einen zunehmend hohen Verwaltungsaufwand. Für viele Inhaberinnen und Inhaber bedeutet das eine wirtschaftliche Gratwanderung.
Tom Unger machte in seiner Bilanz deutlich, dass ihn die Eindrücke aus der Apotheke nachhaltig beeinflusst haben. Er sprach von einem „beeindruckenden Engagement“ der Apothekenteams und forderte ausdrücklich, dass die wohnortnahe Versorgung in Sachsen politisch besser abgesichert werden müsse. Dabei nannte er konkret die Notwendigkeit neuer gesetzlicher Rahmenbedingungen, die dem Alltag in der Offizin gerecht werden. Die Hospitation habe verdeutlicht, wie engmaschig und gleichzeitig verletzlich das Netz der Arzneimittelversorgung sei.
Apotheker Thomas Dittrich, der neben seiner Funktion als Verbandsvorsitzender auch dem Vorstand des Deutschen Apothekerverbands (DAV) angehört, nutzte den Besuch, um die Problemlagen offen darzustellen. »Unsere Probleme sind konkret«, erklärte Dittrich und verwies auf die tägliche Überforderung vieler Teams durch Lieferengpässe, Fachkräftemangel und die zunehmende Digitalisierung ohne funktionierende technische Grundlagen. Besonders kritisch sei, dass die politischen Entscheidungen oft an der Realität der Betriebe vorbeigehen und Apotheken gezwungen seien, unter wirtschaftlich kaum tragbaren Bedingungen weiterzuleisten.
Die Resonanz auf den Termin war positiv – nicht zuletzt, weil der Austausch direkt und ohne Distanz stattfand. Es war kein Wahlkampfgespräch, sondern ein konkreter Versuch, die politischen Entscheidungsträger mit den realen Schwächen des Systems zu konfrontieren. Dass dabei ein konstruktives Gespräch möglich war, wurde von beiden Seiten betont. Unger versprach, die Anliegen in die Fraktion zu tragen, Dittrich hofft auf politische Folgeaktivitäten.
Im Raum steht mehr als nur die Forderung nach besserer Bezahlung: Es geht um die strukturelle Sicherung der Arzneimittelversorgung. Der Besuch hat gezeigt, dass politische Verantwortung beginnt, wenn Entscheidungsträger bereit sind zuzuhören – und das System nicht aus dem Blick von oben, sondern aus der Nähe betrachten.
Die Hospitation von Tom Unger in einer sächsischen Apotheke wirkt wie ein kleines politisches Ereignis – und doch offenbart sie einen gravierenden Systemfehler: Dass es in Deutschland immer noch einer Einladung durch die Apothekerschaft bedarf, um der Politik die Realität vor Augen zu führen. Was hier als lobenswerte Geste eines engagierten Landtagsabgeordneten erscheint, wirft bei genauer Betrachtung ein grelles Licht auf die Entfernung zwischen Gesundheitsgesetzgebung und gelebtem Versorgungsalltag.
Unger hat sich Zeit genommen, zugehört, hingeschaut – und das ist in der heutigen Politiklandschaft nicht selbstverständlich. Doch der eigentliche Skandal liegt darin, dass Apotheken überhaupt hospitiert werden müssen, um sichtbar zu machen, was längst als statistisch evident gilt: wirtschaftliche Unterdeckung, strukturelle Überforderung, drohende Versorgungslücken. Wenn die Politik Versorgungssicherheit garantieren will, muss sie beginnen, das Fundament zu stabilisieren – und nicht nur auf Sonntagsreden setzen.
Die Worte des CDU-Politikers über das beeindruckende Engagement der Apotheken sind richtig und anerkennend – doch sie lösen kein Problem. Entscheidend ist, ob aus dieser persönlichen Erkenntnis auch parlamentarische Konsequenzen erwachsen. Wer die Lage erkannt hat, muss handeln. Und wer handelt, darf nicht mehr die Illusion aufrechterhalten, dass Apotheken wie selbstverständlich funktionieren – unabhängig von Honorar, Personal oder Systemdruck.
Was die Apotheke in Großröhrsdorf gezeigt hat, war kein Einzelfall, sondern der Normalzustand. Was Dittrich geschildert hat, war keine Beschwerde, sondern eine Zustandsbeschreibung. Und was Unger erlebt hat, war nicht nur ein Besuch, sondern eine Lektion: Politische Verantwortung bedeutet, sich der Realität zu stellen – nicht erst, wenn das System kippt, sondern solange es noch trägt.
Pharmazeutische Beratung senkt Nebenwirkungsrisiko
Studie zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zeigt klare Vorteile klinischer Pharmazie
Eine fundierte pharmazeutische Beratung durch klinische Apotheker kann das Risiko therapiebedingter Nebenwirkungen bei Patientinnen und Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) signifikant senken. Das ist das zentrale Ergebnis einer beim ADKA-Jahreskongress in Berlin vorgestellten und ausgezeichneten Promotionsarbeit. Preisträger Dr. Johannes Plechschmidt, Fachapotheker für Klinische Pharmazie am Universitätsklinikum Erlangen, untersuchte in der AdPhaNCED-Studie, ob eine intensivere Einbindung pharmazeutischer Expertise in die klinische Versorgung die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) und den Behandlungserfolg verbessern kann – mit nachweisbarem Erfolg.
CED-Erkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa nehmen in der Bevölkerung zu und erfordern häufig den Einsatz sogenannter Biologika, darunter TNF-alpha-Antikörper wie Infliximab und Adalimumab. Diese Präparate gelten als wirksam, jedoch auch als nebenwirkungsträchtig. Laut Plechschmidt müssen bis zu zehn Prozent der Patientinnen und Patienten eine laufende Therapie mit Infliximab aufgrund unerwünschter Wirkungen abbrechen. Angesichts dieser Zahlen gewinnt die gezielte Prävention und Behandlung von Nebenwirkungen zunehmend an Bedeutung – ein Ansatz, bei dem Apothekerinnen und Apotheker eine zentrale Rolle übernehmen könnten.
Die im Rahmen der Promotionsarbeit konzipierte und durchgeführte AdPhaNCED-Studie verfolgte einen interdisziplinären Therapieansatz. Insgesamt wurden über 100 Patientinnen und Patienten in die Auswertung einbezogen, die sich bereits in einer laufenden Anti-TNF-alpha-Therapie befanden. Sie wurden randomisiert entweder einer Standardversorgung oder einer zusätzlichen, strukturierten pharmazeutischen Betreuung zugeteilt. Diese bestand aus regelmäßigen Beratungsgesprächen durch klinische Apotheker, einem kontinuierlichen Nebenwirkungsmonitoring sowie gezielter Information und Aufklärung zu Therapie und Medikamenten.
Die Ergebnisse sprechen für sich: Nach zwölf Monaten zeigten sich in der Interventionsgruppe signifikant weniger Nebenwirkungen pro Patient und Monat (0,20 vs. 0,30 im Vergleich zur Kontrollgruppe). Darüber hinaus traten schwerwiegende Nebenwirkungen – definiert als Grad 2 oder höher – in der Gruppe mit pharmazeutischer Beratung seltener auf. Besonders bemerkenswert: Die vollständige Rückbildung bestehender Nebenwirkungen war ebenfalls deutlich häufiger, wenn klinische Apotheker aktiv in die Behandlung eingebunden waren.
Diese Effekte sind nicht nur statistisch signifikant, sondern auch medizinisch und ökonomisch bedeutsam. Therapieabbrüche durch Nebenwirkungen verursachen vermeidbare Kosten, erschweren die Langzeittherapie und mindern die Lebensqualität der Betroffenen. Die von Plechschmidt und seinem Team publizierten Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Inflammatory Bowel Diseases“ bestätigen die These, dass eine gezielte pharmazeutische Intervention nicht nur die Sicherheit, sondern auch die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten steigern kann.
Der ADKA, Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker, würdigte die Arbeit im Rahmen seines Jahreskongresses mit dem Promotionspreis für Krankenhauspharmazie. Die Preisvergabe unterstreicht nicht nur die wissenschaftliche Relevanz, sondern auch den wachsenden Bedarf an systematisch eingebundener pharmazeutischer Kompetenz in Klinikteams. Für Plechschmidt steht fest: „Klinische Pharmazeuten sollten integraler Bestandteil eines interdisziplinären Behandlungsteams bei CED sein.“
Die Auszeichnung der Arbeit von Dr. Johannes Plechschmidt markiert mehr als eine wissenschaftliche Anerkennung – sie ist ein deutlicher Fingerzeig auf eine Lücke im Versorgungssystem. Noch immer wird die klinisch-pharmazeutische Expertise in vielen Krankenhäusern und Ambulanzen als bloße Begleitfunktion behandelt, obwohl die Studienlage längst eine andere Sprache spricht. Es sind gerade die sogenannten „weichen Faktoren“ wie Beratung, Monitoring und strukturierte Interaktion, die den Unterschied in der Versorgungsqualität machen – insbesondere bei komplexen Erkrankungen wie CED, die oft chronisch verlaufen, therapeutisch anspruchsvoll sind und die Lebensqualität massiv beeinträchtigen.
Die Erkenntnisse der AdPhaNCED-Studie sollten eine längst überfällige Debatte anstoßen: Wie kann pharmazeutisches Wissen besser in klinische Entscheidungsprozesse integriert werden? Der medizinische Alltag ist heute von Polypharmazie, Therapielücken und Adhärenzproblemen geprägt – genau hier setzen klinische Pharmazeuten an. Ihre Arbeit ist kein Add-on, sondern ein entscheidendes Element patientenzentrierter Versorgung. Die systematische Erfassung von Nebenwirkungen, deren differenzierte Bewertung sowie die kompetente Kommunikation mit Patient und Arzt sind Aufgaben, die gerade im Spannungsfeld zwischen Wirksamkeit und Sicherheit unverzichtbar sind.
Dass in der Interventionsgruppe signifikant weniger schwerwiegende Nebenwirkungen auftraten und Therapieabbrüche seltener waren, spricht eine klare Sprache. Es zeigt sich, dass AMTS nicht nur ein abstraktes Konzept ist, sondern konkrete gesundheitliche und ökonomische Auswirkungen hat. In einer Zeit, in der die Kosten des Gesundheitswesens explodieren und gleichzeitig die Patientenzufriedenheit sinkt, wäre es ein Versäumnis, diese Potenziale ungenutzt zu lassen. Der ADKA-Preis setzt hier ein wichtiges Signal. Er fordert implizit: Mehr klinische Pharmazie, mehr Verantwortung, mehr Integration – zum Wohl der Patienten.
Finasterid: Wirksam gegen Haarverlust, riskant für die Seele
EMA erkennt Nutzen, mahnt aber zur Vorsicht bei psychischen Symptomen
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat in einer aktuellen Sicherheitsbewertung psychische Risiken im Zusammenhang mit der Einnahme von Finasterid- und Dutasterid-Tabletten neu eingeordnet. Insbesondere für Finasterid wurde ein Zusammenhang mit dem Auftreten suizidaler Gedanken festgestellt. Das Medikament wird in niedriger Dosierung (1 mg) gegen androgenetischen Haarausfall eingesetzt und in höherer Dosierung (5 mg) bei benigner Prostatahyperplasie. Die EMA sieht den Nutzen in beiden Anwendungsgebieten weiterhin als überwiegend an, fordert aber stärkere Hinweise auf potenzielle psychische Nebenwirkungen.
Betroffen ist vor allem die niedrig dosierte Variante zur Behandlung von Haarausfall. Patienten, die unter gedrückter Stimmung, Depression oder Suizidgedanken leiden, sollen das Präparat sofort absetzen und ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Neu ist, dass künftig auch explizit auf mögliche sexuelle Funktionsstörungen hingewiesen wird, etwa reduzierte Libido oder erektile Dysfunktion, da diese Symptome mit Stimmungsveränderungen korrelieren können. Eine neue Patientenkarte soll helfen, diese Risiken frühzeitig zu erkennen. Die Finasterid-Hautsprays bleiben von diesen Maßnahmen ausgenommen.
Für Dutasterid, das in Deutschland primär bei der Prostatabehandlung zum Einsatz kommt, liegen laut EMA keine eindeutigen Belege für psychische Nebenwirkungen vor. Dennoch geht die Behörde von einem sogenannten Klasseneffekt aus, da beide Substanzen den gleichen pharmakologischen Wirkmechanismus über die Hemmung der 5α-Reduktase aufweisen. Entsprechend fordert der Pharmakovigilanz-Ausschuss PRAC, künftig auch bei Dutasterid-Produkten Warnhinweise vor Stimmungsschwankungen in die Produktinformationen aufzunehmen.
Die EMA betont, dass es sich bei den festgestellten Effekten um seltene, aber ernstzunehmende Risiken handelt, die bei einer breiten Anwendung ins Gewicht fallen können. Der Nutzen überwiege laut aktueller Datenlage jedoch in allen zugelassenen Indikationen. Wichtig sei die konsequente ärztliche Überwachung insbesondere bei Patienten, die über psychische Auffälligkeiten oder sexuelle Nebenwirkungen berichten.
Damit wird eine Debatte wiederaufgenommen, die bereits seit Jahren von Betroffenen, Medizinern und Patientenanwälten geführt wird. Mehrere Studien hatten bereits auf einen Zusammenhang zwischen Finasterid und depressiven Verstimmungen hingewiesen, insbesondere bei jüngeren Männern, die das Medikament zur Behandlung von Haarverlust einnahmen. Die EMA reagiert nun erstmals mit einer erweiterten regulatorischen Maßnahme und signalisiert Handlungsbedarf auch auf ärztlicher Ebene.
Für Apotheker und Ärzte ergibt sich daraus die Pflicht zur genauen Information und Überwachung betroffener Patienten. Gerade in der Selbstmedikation oder beim Off-Label-Gebrauch muss das Risiko psychischer Nebenwirkungen in der Beratung thematisiert werden. Dabei steht nicht allein das Risiko der Suizidalität im Vordergrund, sondern ein Spektrum aus emotionaler Abflachung, depressiven Episoden und sexuellen Dysfunktionen, das Patienten stark belasten kann.
Die neue Bewertung der EMA zu Finasterid und Dutasterid ist keine Bagatelle. Sie verdeutlicht, dass auch scheinbar harmlose Medikamente zur Behandlung kosmetisch motivierter Beschwerden tief in das seelische Gleichgewicht eingreifen können. Es ist eine lehrreiche Erinnerung daran, dass die Grenze zwischen Lebensqualität und Risiko oft schmal verläuft – und dass Nutzen-Risiko-Abwägungen bei Arzneimitteln niemals statisch sein dürfen.
Besonders brisant ist, dass Finasterid zur Behandlung von Haarausfall vor allem von jungen Männern eingesetzt wird – einer Zielgruppe, die ohnehin in besonderem Maße für psychische Belastungen anfällig ist. Wer psychische Symptome bagatellisiert, riskiert, nicht nur einen Therapieabbruch, sondern im schlimmsten Fall eine Eskalation bis hin zur Suizidalität. Die EMA handelt hier folgerichtig: Sie fordert konkrete Warnhinweise und stärkt damit die Aufmerksamkeit aller Beteiligten – von der pharmazeutischen Beratung bis zur ärztlichen Diagnose.
Kritisch bleibt die Unschärfe bei Dutasterid. Auch wenn die EMA auf Grundlage des gleichen Wirkmechanismus einen Klasseneffekt annimmt, bleibt der konkrete Beleg bislang aus. Das bedeutet nicht, dass man hier Entwarnung geben sollte – wohl aber, dass weitere Studien notwendig sind, um Spekulationen durch Daten zu ersetzen. Pharmazeutische Vorsicht ist wichtig, darf aber nicht mit regulatorischer Willkür verwechselt werden.
Auch die neue Patientenkarte für Finasterid ist mehr als nur ein symbolischer Schritt. Sie signalisiert, dass sexuelle Funktionsstörungen nicht bloß »Nebenwirkungen« im klassischen Sinne sind, sondern potenziell Trigger für psychische Folgeprobleme. Gerade in der Beratungspraxis ist das ein bislang oft vernachlässigter Zusammenhang. Wer Patienten auf diese Möglichkeit aufmerksam macht, schützt nicht nur die Arzneimittelsicherheit, sondern auch die psychische Stabilität.
Am Ende bleibt die Erkenntnis: Auch Medikamente, die scheinbar in den Bereich der Lifestyle-Behandlung fallen, tragen eine hohe Verantwortung mit sich. Die EMA hat in diesem Fall sensibel reagiert – jetzt liegt es an den Behandelnden, diesen Impuls ernst zu nehmen und nicht zuletzt auch auf eine psychopharmakologisch aufgeklärte Gesellschaft hinzuwirken.
Schlaganfall trifft Frauen stiller
Typische Warnzeichen fehlen oft, während untypische Symptome dominieren
Ein Schlaganfall ist ein medizinischer Notfall, bei dem jede Minute zählt. Doch während bei Männern oft klassische Symptome wie Lähmungen, Sprachstörungen oder ein herabhängender Mundwinkel auftreten, gestaltet sich die Diagnose bei Frauen häufig schwieriger. Das liegt nicht an biologischer Zufälligkeit, sondern an einem spezifischen Muster: Frauen erleben Schlaganfälle nicht seltener, aber anders. Und dieses „anders“ kann verhängnisvoll sein. Die Deutsche Hirnstiftung warnt anlässlich des Welt-Schlaganfall-Tags eindringlich davor, die weibliche Symptomatik zu unterschätzen – denn sie täuscht häufig über die Schwere des Geschehens hinweg.
In der Praxis zeigt sich: Viele Frauen berichten bei einem akuten Schlaganfall nicht vorrangig von Lähmungen oder Sprachproblemen, sondern klagen zunächst über Übelkeit, starke Kopfschmerzen, Schwindel oder ein Gefühl der Verwirrtheit. Diese unspezifischen Beschwerden werden allzu leicht als harmlose Befindlichkeitsstörungen fehlgedeutet – etwa als Migräne, Kreislaufschwäche oder Nebenwirkung von Medikamenten. In der Folge wird wertvolle Zeit verschenkt. Dabei entscheidet eben diese Zeit darüber, ob Patientinnen gerettet, bleibende Schäden verhindert oder gar das Leben erhalten werden kann.
Ein prominentes Beispiel ist die sogenannte Blickabweichung – eine augenscheinlich subtile, aber hochrelevante Veränderung der Blickrichtung, die ein deutliches Anzeichen für einen akuten Schlaganfall darstellen kann. Ebenso tritt bei Frauen signifikant häufiger ein sogenannter Neglect auf: eine Aufmerksamkeitsstörung, bei der eine Körperhälfte nicht mehr wahrgenommen wird, obwohl die Sinnesorgane vollständig funktionieren. Beides sind Symptome, die in der Öffentlichkeit kaum bekannt, medizinisch jedoch hochalarmierend sind.
Hinzu kommt: Frauen, die an Migräne mit Aura leiden, haben ein nachweislich erhöhtes Risiko, im Laufe ihres Lebens einen Schlaganfall zu erleiden. Dies betrifft insbesondere jüngere Patientinnen, bei denen das Schlaganfallrisiko sonst häufig unterschätzt wird. Gerade in dieser Risikogruppe kommt es besonders häufig zu Fehleinschätzungen, da die neurologischen Ausfallerscheinungen einer Migräne-Aura – etwa Sprachstörungen oder Sehstörungen – leicht mit den tatsächlichen Schlaganfall-Symptomen verwechselt oder schlicht als bekanntes Symptom der Grunderkrankung abgetan werden.
Umso wichtiger ist daher der konsequente Einsatz einfacher diagnostischer Hilfsmittel wie des sogenannten FAST-Tests, der mit vier leicht merkbaren Prüfpunkten helfen kann, einen Schlaganfall rechtzeitig zu erkennen. Das Akronym steht für Face (Gesicht), Arms (Arme), Speech (Sprache) und Time (Zeit). Doch selbst dieser Test stößt bei Frauen an seine Grenzen, wenn diffuse Symptome das Krankheitsbild überlagern. Auch deshalb ruft die Hirnstiftung zu mehr Sensibilisierung für weibliche Schlaganfall-Symptome auf – sowohl in der Bevölkerung als auch bei medizinischem Fachpersonal.
Der Blick auf aktuelle Studien bestätigt diese geschlechtsspezifischen Unterschiede. So konnten Forscher der Universität Essen belegen, dass bestimmte Symptome bei Frauen statistisch signifikant häufiger auftreten – und zwar nicht nur in der subjektiven Wahrnehmung, sondern objektiv messbar. Besonders gravierend ist dabei der Umstand, dass diese Symptome seltener mit einem Schlaganfall assoziiert werden und daher im klinischen Alltag oft übersehen bleiben.
Dass der Schlaganfall bei Frauen leiser und weniger klassisch daherkommt, macht ihn nicht weniger gefährlich – im Gegenteil: Die Unsichtbarkeit der Symptome kann dazu führen, dass notwendige Maßnahmen verzögert oder gar nicht ergriffen werden. In einem Notfall, bei dem jede Minute zählt, ist das ein Risiko, das tödlich enden kann.
Ein Schlaganfall ist ein Wettlauf gegen die Zeit – doch bei Frauen beginnt dieses Rennen häufig mit einem Nachteil. Die Symptome sind da, sie sind real, sie sind gefährlich – aber sie sprechen eine andere Sprache. Keine, die sich klar in das bekannte Muster einfügt, sondern eine, die Umwege nimmt, sich tarnt, verstellt und missverstanden wird. Es ist eine medizinische Ungleichheit, die nicht biologisch festgelegt ist, sondern gesellschaftlich verstärkt wird – durch Wissenslücken, Vorurteile und unzureichende Aufklärung.
Dass Frauen häufiger diffuse Beschwerden äußern und damit bei einem Schlaganfall Gefahr laufen, nicht ernst genommen zu werden, ist kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem. Es betrifft nicht nur Patientinnen, sondern auch Fachpersonal, das auf typische Muster trainiert ist. Es betrifft nicht nur die medizinische Notaufnahme, sondern auch Hausärztinnen, Angehörige, Freundinnen – das ganze soziale Netzwerk, das im Ernstfall zu spät reagiert.
In einer medizinischen Realität, die zunehmend geschlechtersensibel agieren will, darf diese Erkenntnis nicht länger folgenlos bleiben. Es braucht gezielte Schulungen, neue Leitlinien, andere Diagnosetools – und vor allem: eine breite öffentliche Debatte über die blinden Flecken in unserem Gesundheitswissen. Dass der FAST-Test vielen hilft, ist gut. Dass er für viele Frauen nicht genügt, ist alarmierend.
Die leisen Signale des weiblichen Schlaganfalls dürfen nicht länger überhört werden. Es geht um Leben, um Lebensqualität, um medizinische Gerechtigkeit. Wer Symptome anders erlebt, darf nicht schlechter behandelt werden. Das wäre keine Medizin – das wäre Ignoranz.
EMA stoppt Ixchiq-Einsatz bei Älteren
Nach Todesfällen auf La Réunion soll der Chikungunya-Impfstoff bei Senioren vorerst nicht mehr verwendet werden
Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat eine Sicherheitsbewertung des Chikungunya-Impfstoffs Ixchiq® eingeleitet. Hintergrund sind mehrere schwerwiegende unerwünschte Ereignisse nach Impfungen bei älteren Menschen, darunter zwei Todesfälle. Die EMA reagiert mit einem vorläufigen Verzicht auf den Einsatz der Lebendvakzine bei Menschen ab 65 Jahren. Das teilte die Behörde am 7. Mai mit.
Der Impfstoff Ixchiq®, ein Lebendimpfstoff mit abgeschwächten Chikungunya-Viren, war im Juni 2024 von der EMA für Erwachsene zugelassen worden, insbesondere für den Einsatz in endemischen Regionen oder für Reisende dorthin. Seit März 2025 ist das Präparat auch in Deutschland erhältlich. Nun steht es unter verstärkter Beobachtung, nachdem das Pharmakovigilanz-Komitee PRAC innerhalb weniger Wochen 17 Fälle schwerer Nebenwirkungen bei Geimpften im Alter zwischen 62 und 89 Jahren registriert hat.
Besonders im Fokus stehen zwei Todesfälle, die sich im französischen Übersee-Département La Réunion ereigneten, wo aktuell eine groß angelegte Impfkampagne läuft. In einem Fall entwickelte ein 84-jähriger Mann eine Enzephalitis, in einem zweiten verstarb ein 77-jähriger Parkinson-Patient nach einer Aspiration infolge verschlechterter Schluckfähigkeit. Ob der Impfstoff ursächlich war, ist bislang unklar, allerdings wurden alle Betroffenen in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung hospitalisiert.
Da Ixchiq im Zulassungsverfahren vor allem an Erwachsenen unter 65 Jahren erprobt wurde, und keine ausreichende Datenlage zu älteren Menschen vorliegt, empfiehlt der PRAC nun einen vorsorglichen Ausschluss dieser Altersgruppe von weiteren Impfungen. Für jüngere Erwachsene bleibt das Präparat bei entsprechender Indikation weiterhin zugelassen, sofern keine individuellen medizinischen Kontraindikationen bestehen.
Die EMA verweist zudem auf eine generelle Kontraindikation bei Personen mit Immundefiziten. Als Lebendvakzine kann Ixchiq bei Immungeschwächten schwere Verläufe auslösen – unabhängig vom Alter. Die Behörde mahnt daher zur sorgfältigen Patientenselektion.
Bisher wurden weltweit rund 43.400 Dosen Ixchiq® verimpft. Eine statistische Häufung schwerer Ereignisse in dieser Größenordnung sei zwar nicht eindeutig belegt, reiche aber aus, um regulatorisch zu reagieren. Ziel sei es, das Nutzen-Risiko-Verhältnis fortlaufend neu zu bewerten und die Zulassung im Zweifel anzupassen.
Auch andere Gesundheitsbehörden haben inzwischen reagiert. Bereits am 16. April empfahl der Beratende Ausschuss für Immunisierungspraktiken der US-amerikanischen CDC eine Altersgrenze für Ixchiq, und am 25. April setzte die französische Haute Autorité de Santé die Priorisierung von Personen über 65 bei der Impfkampagne auf La Réunion aus. Die laufenden Impfungen bei Menschen im Alter von 18 bis 64 Jahren wurden hingegen fortgesetzt.
Chikungunya ist eine tropische Virusinfektion, die durch Mücken übertragen wird und grippeähnliche Symptome auslöst. In seltenen Fällen kann sie zu schwerwiegenden neurologischen Komplikationen oder Organversagen führen. Gerade für gefährdete Bevölkerungsgruppen sollte der Impfschutz sorgfältig abgewogen werden. Die EMA will die Auswertung aller verfügbaren Daten in Kürze abschließen und gegebenenfalls neue Empfehlungen zur Anwendung von Ixchiq veröffentlichen.
Die Entscheidung der EMA, den Einsatz von Ixchiq bei älteren Menschen vorübergehend auszusetzen, ist richtig – und überfällig. Bei einem Lebendimpfstoff, der auf eine vergleichsweise junge Datenlage gestützt wurde und bei dem zwei Todesfälle mit möglichem Kausalzusammenhang gemeldet wurden, kann man keine Abwägung nach dem Prinzip Hoffnung betreiben. Die Stärkung der Pharmakovigilanz nach Markteinführung ist ein zentrales Element moderner Arzneimittelsicherheit – und zeigt hier ihre Notwendigkeit.
Zugleich offenbart der Fall strukturelle Defizite im Umgang mit neuen Impfstoffen. Dass in den klinischen Studien zur Zulassung kaum Daten zu älteren Menschen erhoben wurden, ist nicht nur wissenschaftlich problematisch, sondern auch ethisch fragwürdig – gerade wenn diese Altersgruppe aufgrund erhöhter Reiserisiken oder chronischer Erkrankungen oft zu den Hauptzielgruppen gehört. Wenn Hersteller in der Entwicklung vulnerable Gruppen systematisch ausklammern, dürfen sich Behörden nicht mit Allgemeinplätzen zur Risikoabwägung begnügen.
Ebenso wenig darf übersehen werden, dass die Kommunikation der EMA in der Frühphase zu zögerlich war. Der Hinweis auf mögliche Vorerkrankungen als Erklärung für die Todesfälle mag formal korrekt sein – doch ist er in seiner Wirkung ambivalent. Denn gerade bei älteren Patienten mit Vorerkrankungen ist die Risikoabschätzung besonders sensibel, und sie verlangen nach klaren, vorsorglichen Handlungsanweisungen statt juristisch abgesicherter Relativierungen.
Positiv zu bewerten ist, dass internationale Behörden schnell reagiert haben. Die Harmonisierung von Empfehlungen in den USA, Frankreich und nun auch durch die EMA zeigt, dass das globale Überwachungssystem funktioniert – zumindest, wenn Fälle klar genug dokumentiert sind. Dennoch darf die Frage nicht unter den Tisch fallen, ob es angesichts des moderaten Schweregrads der Chikungunya-Erkrankung im Verhältnis zu den potenziellen Impfkomplikationen nicht generell sinnvoll wäre, die Indikation für Ixchiq enger zu fassen.
Der Fall Ixchiq sollte als Anlass dienen, auch andere Lebendimpfstoffe für Erwachsene kritisch auf ihre Datenbasis, Zulassungslogik und Sicherheitskommunikation hin zu überprüfen. Nicht jede Schutzmaßnahme rechtfertigt jedes Risiko – besonders dann nicht, wenn die wissenschaftliche Evidenz noch Lücken aufweist. Hier ist Wachsamkeit gefordert – von Industrie, Behörden und medizinischer Praxis gleichermaßen.
COPD-Risiko bei Frauen nicht allein durch Rauchen erklärbar
US-Daten deuten auf geschlechtsspezifische physiologische Unterschiede hin
Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) gilt weltweit als bedeutende Krankheitslast, die zu erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität führt und für eine hohe Morbiditäts- und Mortalitätsrate verantwortlich ist. Während Rauchen als zentraler Risikofaktor gut etabliert ist, rückt ein epidemiologisches Paradoxon zunehmend in den Fokus: Frauen sind von COPD offenbar häufiger betroffen als Männer, obwohl sie im Durchschnitt weniger rauchen. Eine aktuelle Analyse aus den USA stellt nun zentrale Erklärungsmodelle infrage und liefert neue Hinweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Krankheitsentstehung.
Die Studie, veröffentlicht im Fachjournal »BMJ Open Respiratory Research«, basiert auf einer repräsentativen Auswertung der US-amerikanischen Gesundheitsbefragung NHIS. Über 23.000 Personen ab 40 Jahren wurden 2020 telefonisch befragt – unter anderem zu ihrem Rauchverhalten und einer ärztlichen COPD-Diagnose. Die Prävalenz lag bei Frauen mit 7,8 Prozent signifikant höher als bei Männern mit 6,5 Prozent. Besonders bemerkenswert: Unter den COPD-Betroffenen hatten 26,4 Prozent der Frauen nie geraucht – bei den Männern lag dieser Anteil nur bei 14,3 Prozent. Noch auffälliger ist der Unterschied bei den nie rauchenden Erkrankten insgesamt: Fast doppelt so viele Frauen (3,2 Prozent) wie Männer (1,7 Prozent) litten an COPD, obwohl sie nie zur Zigarette gegriffen hatten.
Auch in anderen Aspekten zeigt sich, dass Frauen tendenziell später und weniger intensiv rauchten: Sie begannen seltener im Jugendalter, konsumierten im Schnitt weniger Zigaretten pro Tag und wiesen niedrigere Packungsjahre auf. Dennoch war der statistische Risikoanstieg für eine COPD-Erkrankung pro zehn gerauchte Packungsjahre bei beiden Geschlechtern nahezu identisch – 18 Prozent bei Frauen, 19 Prozent bei Männern. Diese nahezu gleiche Risikoentwicklung spricht laut den Studienautoren deutlich gegen die lange vertretene Annahme, dass Frauen empfindlicher auf die toxischen Effekte des Rauchens reagieren würden als Männer.
Vielmehr legen die Daten nahe, dass die Ursachen für die höhere Erkrankungsrate bei Frauen jenseits des Rauchverhaltens liegen müssen. Die Forschenden verweisen etwa auf anatomisch-physiologische Unterschiede: Frauen haben im Durchschnitt kleinere Atemwege, die anfälliger für strukturelle Veränderungen und funktionelle Einschränkungen sein könnten. Auch könnten geschlechtsspezifische Unterschiede in der Immunantwort oder inflammatorischen Reaktionen eine Rolle spielen, was bislang zu wenig untersucht wurde.
Zugleich räumen die Autoren ein, dass ihre Studie auch methodische Einschränkungen aufweist. So fehlen Informationen zur beruflichen Schadstoffbelastung, zur genetischen Disposition oder zu Umwelteinflüssen. Auch handelt es sich um eine reine Querschnittsbefragung auf Basis von Selbstauskünften, die nicht den Anspruch kausaler Beweiskraft erfüllt. Dennoch sei die hohe Zahl der betroffenen Nichtraucherinnen ein Warnsignal für die medizinische Praxis, Diagnostik und Prävention nicht allein an Raucherbiografien auszurichten.
Aus der Analyse ergibt sich somit ein deutlicher Forschungsauftrag: Wenn klassische Risikofaktoren wie Rauchen geschlechtsübergreifend vergleichbare Auswirkungen zeigen, aber Frauen dennoch signifikant häufiger an COPD erkranken, müssen andere Ursachen erfasst und erklärt werden. Nur so lassen sich künftig differenzierte, geschlechtersensible Strategien zur Vorbeugung, Früherkennung und Therapie entwickeln. Die Gleichsetzung von COPD mit einer typischen Rauchererkrankung greift bei Frauen offenbar zu kurz.
Die Erkenntnisse aus der US-Studie markieren einen Wendepunkt in der Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Krankheitsrisiken bei COPD. Dass Frauen überdurchschnittlich häufig betroffen sind, obwohl sie im Mittel weniger rauchen, stellt ein zentrales Dogma der Lungenmedizin infrage. Bislang galt: Wer weniger raucht, ist seltener krank. Doch diese lineare Logik bricht auseinander, sobald epidemiologische Daten einer differenzierten Betrachtung unterzogen werden. Der Blick auf die betroffenen Nichtraucherinnen entlarvt die Verkürzung der Risikodebatte auf Tabakkonsum als unzureichend – und zugleich als medizinisch potenziell gefährlich, wenn dadurch Frühdiagnosen verpasst oder Präventionsstrategien falsch kalibriert werden.
Das alte Narrativ von der weiblichen »Überempfindlichkeit« gegenüber Nikotin wirkt dabei zunehmend wie ein bequemer Ersatz für fehlendes Wissen. Es wird nicht mehr halten können, wenn die empirischen Daten dem widersprechen. Dass Frauen bei gleichem Rauchverhalten kein höheres Erkrankungsrisiko aufweisen, sondern die Unterschiede an anderer Stelle liegen müssen, eröffnet die Möglichkeit für ein grundsätzliches Umdenken in der COPD-Forschung. Statt eindimensionaler Risikozuschreibungen braucht es ein Verständnis der strukturellen, physiologischen und immunologischen Faktoren, die die weibliche Lunge möglicherweise anfälliger machen – auch jenseits des Nikotins.
Diese Umdeutung ist nicht nur wissenschaftlich überfällig, sondern auch gesundheitspolitisch relevant. In einer Zeit, in der Prävention und Gesundheitsaufklärung zentral gedacht werden, muss COPD als Erkrankung neu positioniert werden: nicht länger als klassische Raucherkrankheit, sondern als multifaktorielles Syndrom mit geschlechtsspezifischer Dynamik. Der medizinische Blick auf Frauen darf sich nicht auf Gynäkologie, Schwangerschaft und Brustkrebs beschränken – er muss auch chronische Lungenerkrankungen einschließen, wenn die Versorgungsrealität dem epidemiologischen Wandel folgen soll.
Dazu gehört auch eine neue Sensibilität in der ärztlichen Praxis. Zu oft wird COPD bei Frauen zu spät oder gar nicht diagnostiziert, weil sie nicht ins klassische Risikoprofil passen. Die aktuelle Studie macht deutlich, dass diese diagnostische Lücke nicht nur ein individuelles Problem ist, sondern Ausdruck eines strukturellen Blindflecks. Ihn zu schließen, wäre ein erster Schritt zu einer gerechteren, präziseren und wirksameren Gesundheitsversorgung.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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