• 08.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute - Update: Apotheken zwischen Aushungern und Überforderung

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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute - Update: Apotheken zwischen Aushungern und Überforderung

 

Versorgung gerät ins Wanken, weil politische Reformen an ökonomischen Realitäten vorbeigehen

Deutschlands Apotheken befinden sich in einem schleichenden Notstand – nicht durch äußere Erschütterungen, sondern durch gezielte politische Passivität und ökonomisches Aushungern. Die Fixvergütung bleibt eingefroren, das Skontoverbot blockiert wirtschaftliche Spielräume, der Personalmangel lässt Teams an ihre Grenzen stoßen. Ein einzelner krankheitsbedingter Ausfall genügt, um Notdienste kollabieren zu lassen. Beratungsgespräche werden zur bloßen Pflichterfüllung, weil Zeit, Kraft und Wertschätzung fehlen. Gleichzeitig droht auf europäischer Ebene mit der Abwasserrichtlinie ein weiterer Rückschlag für die inländische Pharmaindustrie, während globale Lieferketten Medikamente verzögern, verteuern und die Versorgung erschweren. Krankenhausapotheken bleiben trotz politischer Versprechen zur Ambulantisierung strukturell entwertet. Inmitten dieser systemischen Krise feiern Tarifpartner eine regionale Gehaltserhöhung – als letztes Aufleuchten in einem chronisch unterfinanzierten System, das dringend politische Konsequenz statt neuer Versprechungen braucht.

 

Nur wirtschaftlich stabile Apotheken sichern Versorgung und Innovation

Das Fixum allein reicht nicht, strukturelle Entlastung bleibt aus

In Düsseldorf versammelte sich der Apothekerverband Nordrhein zur 110. Mitgliederversammlung, und die Veranstaltung markierte nicht nur ein organisatorisches Ritual, sondern ein politisches Signal. Der langjährige Vorsitzende des Verbandes und aktuelle Präsident der Bundesvereinigung der Apotheker stellte in seiner Rede die entscheidenden Weichen für eine Neupositionierung des Berufsstandes im Kontext der veränderten politischen Landschaft. Der Wechsel in der Bundesregierung eröffnet aus Sicht der Apothekerschaft die Chance auf einen Neuanfang, der allerdings nicht in Symbolik, sondern in strukturellen Reformen sichtbar werden müsse. Im Mittelpunkt der Forderungen stehen zwei konkrete Maßnahmen: die rasche Anhebung des Fixums und die Aufhebung des Skontoverbots. Beide gelten als elementare Hebel, um die wirtschaftliche Stabilität der Apotheken zu gewährleisten, ohne die ein Ausbau des Leistungsangebots nicht zu realisieren sei.

Die Rückblicke auf die vergangenen Jahre offenbaren eine dramatische Entwicklung. Infolge politischer Passivität und ökonomischer Unterfinanzierung ist der Apothekenbestand in Deutschland deutlich zurückgegangen. In Nordrhein-Westfalen wie im gesamten Bundesgebiet beklagen Apotheker einen massiven Substanzverlust, der sich nicht durch Einzelmaßnahmen korrigieren lässt. Der Rückgang um rund 18 Prozent innerhalb einer Dekade ist nicht nur eine Zahl, sondern ein Warnsignal. Er trifft die Bevölkerung in einer Phase zunehmender demografischer Belastungen, in der eine flächendeckende und kompetente Versorgung mit Arzneimitteln wichtiger denn je wird. Vor allem die wachsende Zahl älterer Menschen macht eine stabile Apothekenlandschaft zu einer unverzichtbaren Grundlage jedes ernst zu nehmenden Gesundheitskonzepts.

Dass die neue Bundesregierung Apotheken wieder als erste Anlaufstelle der Versorgung benennen will, wird von der Apothekerschaft als Schritt in die richtige Richtung verstanden. Doch Ankündigungen allein reichen nicht aus. Der Berufsstand selbst signalisiert Bereitschaft, mehr Verantwortung zu übernehmen und das Leistungsangebot auszubauen – allerdings nur, wenn ökonomische Spielräume geschaffen werden. Die wirtschaftliche Realität vieler Betriebe steht diesem Ziel derzeit diametral entgegen. Die politische Zusicherung, das Fixum anzuheben, sei zwar ein Anfang, aber angesichts der tatsächlichen Kostenentwicklung eher ein symbolischer Akt als eine echte Entlastung. Ohne spürbare strukturelle Reformen droht der politische Wille erneut an der wirtschaftlichen Wirklichkeit zu scheitern.

Besonders kritisch bewertet der Berufsstand die Versäumnisse der vergangenen Regierungen. Der Stillstand der letzten Jahre hat nicht nur Vertrauen zerstört, sondern messbaren Schaden verursacht. Während andere Teile des Gesundheitswesens kontinuierlich durch gesetzliche Aufträge, Digitalisierungsoffensiven und Finanzierungspakte gestärkt wurden, standen die Apotheken weitgehend im Abseits. Die neue Bundesregierung muss diesen Rückstand nicht nur aufholen, sondern strukturell aufarbeiten. Nur durch konkrete Schritte in den ersten 100 Tagen lassen sich Glaubwürdigkeit und Dialogfähigkeit wiederherstellen. Die Apothekerschaft hat ihrerseits ein Zukunftskonzept verabschiedet, das neue Versorgungsstrukturen denkt, erprobt und vorschlägt. Darin liegt der Wille, Transformation nicht abzuwarten, sondern mitzugestalten – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen lassen das auch zu.

Abschließend bleibt der Appell an die politische Verantwortung: Apotheken sichern täglich den Zugang zu Arzneimitteln, tragen individuelle Verantwortung für Beratung, Logistik und Sicherheit – ohne verlässliche politische Rückendeckung aber gerät diese Verantwortung zunehmend in Schieflage. Wer Systemverantwortung ernst nimmt, muss Rahmenbedingungen schaffen, in denen Apotheken nicht nur überleben, sondern handeln können. Denn nur wirtschaftlich stabile Apotheken sind in der Lage, die gesellschaftlich geforderte Leistungsbereitschaft auch dauerhaft zu erfüllen.

Die Versammlung in Düsseldorf war mehr als ein jährliches Verbandstreffen. Sie war Ausdruck einer tiefen Zäsur zwischen politischem Anspruch und realer Versorgungsleistung. Apotheken sind seit Jahren überlastet, unterfinanziert und gleichzeitig mit steigenden Erwartungen konfrontiert. Dass dieser Widerspruch nicht länger tragfähig ist, wurde in Düsseldorf nicht klagend, sondern fordernd formuliert. Die Apothekerschaft hat erkannt, dass sie sich nur dann behaupten kann, wenn sie selbst aktiv an der politischen Agenda mitwirkt. Das verabschiedete Zukunftskonzept ist kein Katalog unrealistischer Forderungen, sondern ein durchdachtes Angebot an die Politik, den Wandel im Gesundheitswesen partnerschaftlich zu gestalten. Dabei geht es nicht um Privilegien, sondern um die Erhaltung öffentlicher Gesundheitsversorgung.

Politisch ist dieser Zeitpunkt ein kritisches Fenster. Der Regierungswechsel in Berlin bietet die Chance auf strukturelle Neuausrichtung, doch diese Gelegenheit kann schnell verpuffen, wenn die angekündigten Maßnahmen nicht zügig realisiert werden. Das Fixum, dessen Anhebung bereits im Koalitionsvertrag skizziert wurde, ist nur dann ein Hebel, wenn es nicht mit weiterer Bürokratie oder Aufschub verbunden ist. Ebenso dringend ist die Abschaffung des Skontoverbots, das Apotheken in ihrer wirtschaftlichen Autonomie massiv einschränkt. Die Mischung aus staatlicher Preisregulierung und unternehmerischem Risiko lässt keine nachhaltige Perspektive zu. Wer vom Berufsstand eine breitere Versorgung, pharmazeutische Dienstleistungen und Digitalisierung fordert, muss zuerst die strukturellen Blockaden beseitigen.

Gesellschaftlich steht noch mehr auf dem Spiel. Die demografische Entwicklung bringt eine wachsende Belastung des Systems mit sich, die nicht durch politische Prosa, sondern nur durch funktionierende Versorgungsketten aufgefangen werden kann. Jede geschlossene Apotheke reißt eine Lücke in die Infrastruktur, die nicht durch Telemedizin oder Botendienste gefüllt werden kann. Es braucht physisch erreichbare Orte der Arzneimittelversorgung – dezentral, qualifiziert und stabil. Dass dieser Grundpfeiler des Gesundheitssystems bislang derart vernachlässigt wurde, offenbart eine gefährliche Schieflage in der Prioritätensetzung der Gesundheitspolitik.

Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Unsicherheit braucht es vertrauensbildende Institutionen. Die Apotheke vor Ort erfüllt diese Rolle. Sie ist nicht nur ein Ort der Arzneimittelabgabe, sondern auch der sozialen Bindung und professionellen Beratung. Wenn die Politik diesen Ort weiterhin ausbluten lässt, riskiert sie nicht nur Versorgungslücken, sondern auch den Verlust gesellschaftlicher Kohärenz. Düsseldorf hat gezeigt, dass die Apothekerschaft bereit ist, sich dieser Verantwortung zu stellen. Jetzt ist es an der Politik, diese Bereitschaft nicht zu enttäuschen.

 

Werkstattbindung: Ein Risiko für die Arzneimittelversorgung in Deutschland

Versicherungsbedingungen müssen den Anforderungen des Gesundheitswesens angepasst werden

Die Werkstattbindung in der Kfz-Versicherung, eine Vereinbarung, die Versicherungsnehmer verpflichtet, im Schadensfall ausschließlich von der Versicherung autorisierte Werkstätten zu nutzen, wird von vielen Fahrzeughaltern als kostensparende Maßnahme betrachtet. Versicherer bieten im Gegenzug niedrigere Prämien und zusätzliche Leistungen wie vergünstigte Abschleppdienste oder Mietfahrzeuge während der Reparaturzeit an. Diese Vorteile resultieren aus Rahmenverträgen mit Partnerwerkstätten, die Reparaturen zu vereinbarten Konditionen durchführen.

Für Apothekenbetreiber jedoch, deren Geschäftsmodell auf der zuverlässigen und schnellen Auslieferung von Medikamenten basiert, kann diese Regelung erhebliche Nachteile mit sich bringen. Viele Apotheken nutzen speziell ausgestattete Fahrzeuge, um temperatursensible Arzneimittel sicher zu transportieren. Im Falle eines Schadens sind sie verpflichtet, eine Vertragswerkstatt der Versicherung aufzusuchen, unabhängig davon, ob diese auf die speziellen Anforderungen medizinischer Transportmittel vorbereitet ist. Dies kann zu inadäquaten Reparaturen führen, die die Integrität der transportierten Medikamente gefährden.

Ein weiteres Problem stellt die geografische Lage der autorisierten Werkstätten dar. In ländlichen Regionen, in denen viele Apotheken ansässig sind, befinden sich die nächsten Partnerwerkstätten oft in größerer Entfernung. Dies führt zu längeren Ausfallzeiten der Fahrzeuge, was die termingerechte Lieferung von Medikamenten verzögern kann. Solche Verzögerungen haben direkte Auswirkungen auf die Patientenversorgung und können im schlimmsten Fall die Gesundheit von Patienten gefährden.

Wirtschaftlich betrachtet, erscheinen die niedrigeren Versicherungsprämien zunächst vorteilhaft. Doch die potenziellen Umsatzeinbußen durch Betriebsunterbrechungen und die damit verbundenen Risiken für die Patientenversorgung können die anfänglichen Einsparungen schnell übersteigen. Regelmäßige Fahrzeugausfälle stören den Geschäftsfluss und können das Vertrauen der Kunden in die Zuverlässigkeit der Apotheke beeinträchtigen.

Die starre Anwendung der Werkstattbindungsklausel berücksichtigt nicht die spezifischen Bedürfnisse von Branchen, die auf die ununterbrochene Verfügbarkeit spezialisierter Fahrzeuge angewiesen sind. Für Apothekenbetreiber stellt dies ein erhebliches Risiko dar, das nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesundheitliche Konsequenzen haben kann. Es bedarf daher einer kritischen Überprüfung dieser Regelung durch die Versicherungsunternehmen. Flexibilität in der Werkstattwahl, insbesondere für systemrelevante Branchen wie die Pharmabranche, sollte ermöglicht werden, um sowohl Kosteneffizienz als auch die besonderen Anforderungen dieser Branchen zu berücksichtigen.

Die Werkstattbindung in der Kfz-Versicherung ist ein Instrument, das auf den ersten Blick ökonomische Vorteile für Versicherungsnehmer bietet. Doch bei genauerer Betrachtung offenbart sich, dass diese Regelung für bestimmte Branchen, insbesondere für Apothekenbetreiber, erhebliche Risiken birgt. Die Verpflichtung, im Schadensfall ausschließlich von der Versicherung autorisierte Werkstätten zu nutzen, ignoriert die spezifischen Anforderungen, die an die Fahrzeuge dieser Branche gestellt werden.

Apothekenfahrzeuge sind oft speziell ausgestattet, um temperatursensible Medikamente sicher zu transportieren. Nicht alle Partnerwerkstätten der Versicherungen verfügen über das nötige Know-how oder die technischen Voraussetzungen, um solche Fahrzeuge adäquat zu reparieren. Inadäquate Reparaturen können die Funktionalität der Fahrzeuge beeinträchtigen und somit die Sicherheit der transportierten Medikamente gefährden. Dies stellt nicht nur ein wirtschaftliches Risiko für die Apotheken dar, sondern kann auch direkte Auswirkungen auf die Gesundheit der Patienten haben.

Darüber hinaus führt die geografische Verteilung der autorisierten Werkstätten zu weiteren Problemen. In ländlichen Gebieten, in denen viele Apotheken ansässig sind, befinden sich die nächsten Partnerwerkstätten oft in größerer Entfernung. Dies führt zu längeren Ausfallzeiten der Fahrzeuge und kann die termingerechte Lieferung von Medikamenten verzögern. Solche Verzögerungen sind in der Arzneimittelversorgung nicht akzeptabel und können das Vertrauen der Patienten in die Zuverlässigkeit der Apotheken beeinträchtigen.

Die Versicherungswirtschaft ist daher gefordert, ihre Policen an die spezifischen Bedürfnisse systemrelevanter Branchen anzupassen. Eine flexible Handhabung der Werkstattbindung, die es Apotheken ermöglicht, im Schadensfall auch spezialisierte Werkstätten außerhalb des Partnernetzwerks aufzusuchen, wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Nur so kann gewährleistet werden, dass die ökonomischen Vorteile der Werkstattbindung nicht auf Kosten der Versorgungssicherheit gehen.

Es ist an der Zeit, dass die Versicherungsbranche erkennt, dass eine starre Anwendung der Werkstattbindungsklausel nicht nur für die Versicherten, sondern auch für das Gesundheitssystem negative Konsequenzen haben kann. Maßgeschneiderte Lösungen, die sowohl Kosteneffizienz als auch die besonderen Anforderungen von Branchen wie der Pharmabranche berücksichtigen, sind notwendig, um eine zuverlässige und sichere Arzneimittelversorgung zu gewährleisten.

 

Der HV-Tisch als Sollbruchstelle der Apotheke

Wie ein System aus Erwartungen, Margendruck und Unsicherheit versagt

In vielen Apotheken gilt der Handverkaufstisch als Ort mit Symbolkraft. Hier begegnen sich Fachkompetenz und Vertrauensbildung, wirtschaftliche Relevanz und gesundheitspolitischer Anspruch. Doch zunehmend wird ausgerechnet dieser zentrale Punkt des Apothekenalltags zum neuralgischen Problem. Mitarbeitende ziehen sich zurück, Beratungsgespräche bleiben oberflächlich oder werden ganz vermieden, und der direkte Kontakt zum Kunden droht zur Ausnahme zu werden. Hinter dieser Entwicklung stehen tiefgreifende strukturelle, psychologische und organisationale Probleme, die weit über individuelle Motive hinausreichen.

Was sich am HV-Tisch abzeichnet, ist keine Folge mangelnden Engagements, sondern Ausdruck eines Systems, das mit seiner eigenen Komplexität überfordert ist. Mitarbeitende erleben die Beratungssituation als Druckszenario, in dem medizinische Verantwortung, Kundenanspruch, technischer Aufwand und Zeitnot untrennbar miteinander verschränkt sind. Die Erwartung, jederzeit fachlich perfekt, empathisch und effizient zugleich zu agieren, überfordert nicht nur einzelne Personen, sondern das Team als Ganzes. Die daraus resultierende Distanz zum HV-Tisch ist kein persönliches Versagen, sondern ein Symptom kollektiver Erschöpfung.

Verstärkt wird diese Dynamik durch externe Entwicklungen: Versandapotheken und Plattformanbieter verschieben die Erwartungshaltung der Kundschaft, während gleichzeitig die wirtschaftlichen Spielräume schrumpfen. Sinkende Margen, steigende Betriebskosten und Personalengpässe setzen die Apotheken unter einen dauerhaften Effizienzdruck. Der HV-Tisch, früher ein Ort der Begegnung, wird zunehmend zum Ort der Überforderung – sowohl menschlich als auch strukturell. Besonders problematisch ist die Diskrepanz zwischen den kommunikativen Anforderungen und der mangelnden systemischen Unterstützung. Während andere Prozesse digitalisiert und automatisiert werden, bleibt das Beratungsgespräch das letzte analoge Element – aufgeladen mit emotionaler Verantwortung, aber ohne organisatorische Entlastung.

Hinzu kommt eine Führungskultur, die häufig mehr auf betriebswirtschaftliche Zielgrößen als auf zwischenmenschliche Dynamiken fokussiert. Wenn Kennzahlen wichtiger werden als Beratungsqualität, entstehen Widersprüche, die das Team nicht auflösen kann. Es fehlt an Zeit, an Rückendeckung und oft auch an gezielter Schulung. Die Folge: Mitarbeitende entziehen sich, entweder passiv durch Rückzug oder aktiv durch die Vermeidung anspruchsvoller Gesprächssituationen. Der Begriff der „HV-Drückebergerei“ verkennt dabei, dass es sich nicht um Unlust, sondern um einen Schutzmechanismus handelt.

Der Rückzug vom HV-Tisch offenbart ein Ungleichgewicht im Apothekenbetrieb: Zwischen Anspruch und Realität, zwischen Verantwortung und Handlungsspielraum, zwischen Mensch und System. Wer dieses Ungleichgewicht ignoriert, riskiert nicht nur Reibungsverluste im Betriebsablauf, sondern langfristig auch den Verlust des wichtigsten Alleinstellungsmerkmals stationärer Apotheken: der persönlichen Beratung. Deshalb braucht es keine symbolischen Motivationsprogramme, sondern strukturelle Antworten. Es braucht Raum für Gespräch statt Taktverdichtung, Fortbildung statt Druck, und eine Teamkultur, die Verantwortung nicht individualisiert, sondern kollektiv trägt.

Wenn Apotheken weiterhin ein Ort persönlicher Gesundheitsversorgung bleiben sollen, muss der HV-Tisch wieder zu dem werden, was er einmal war: ein Raum für fachliche Begegnung, menschliche Nähe und gegenseitiges Vertrauen. Solange Mitarbeitende sich dort zurückziehen müssen, um sich zu schützen, ist die Versorgung nicht sicher – und die Zukunft der öffentlichen Apotheke bleibt offen.

Der Handverkaufstisch ist nicht nur eine Einrichtung, er ist eine Schnittstelle. Hier entscheidet sich, ob Apotheken als Vertrauensorte wahrgenommen werden oder als überforderte Betriebsstätten mit Restfunktion. Dass immer mehr Mitarbeitende diese Schnittstelle meiden, sollte nicht als Ausnahme behandelt werden, sondern als zentrales Signal: Das System ist an seiner sensibelsten Stelle fragil geworden. Wer diesen Rückzug individualisiert, verkennt die strukturellen Ursachen. Der Rückzug vom HV-Tisch ist Ausdruck einer Überlastung, die aus der Kombination von Verantwortung, emotionaler Daueranspannung, technischer Überforderung und mangelnder Anerkennung entsteht.

Die Behauptung, Mitarbeitende müssten nur mehr Motivation zeigen, verkennt das Problem. Motivation braucht Ressourcen, Rückhalt, Qualifizierung und sinnvolle Rahmenbedingungen. Doch genau diese fehlen vielerorts. Stattdessen trifft ein komplexer Anspruch auf ein ausgedünntes Betriebssystem. Die Beratung, einst Königsdisziplin und Qualitätsmerkmal, gerät zur Belastung. Das ist nicht nur ein betriebswirtschaftliches, sondern ein gesundheitspolitisches Risiko. Denn der HV-Tisch ist nicht irgendeine Verkaufsfläche – er ist das letzte verbleibende Moment direkter Versorgung durch persönliche Kompetenz. Wenn dieser Raum nicht geschützt wird, ist die nächste Stufe nicht mehr Frust, sondern Funktionseinbruch.

Die Diskussion um den Rückzug vom HV-Tisch sollte daher nicht moralisch geführt werden, sondern strukturell. Wer die Ursachen verstehen will, muss Arbeitsverdichtung, Führungsstil, Fortbildungsstand und Systemdesign gleichermaßen analysieren. Es reicht nicht, über Engagement zu reden, wenn der Kontext dem Engagement im Weg steht. Die eigentliche Frage ist: Wieso gelingt es dem System nicht, seine wichtigste Kompetenzstelle zu schützen?

Dabei geht es nicht um Nostalgie, sondern um Zukunftssicherung. Eine Apotheke, die sich nicht mehr zutraut, Beratung zu leisten, verliert ihr Gesicht. Der digitale Wettbewerb ersetzt nicht die menschliche Zuwendung. Deshalb muss die Rückgewinnung des HV-Tisches zur Priorität werden – durch Entlastung, durch gezielte Personalentwicklung, durch klare Prozesse und eine Führungskultur, die Vertrauen nicht einfordert, sondern ermöglicht. Der Rückzug vom HV-Tisch ist keine Schwäche – er ist ein letzter Versuch, unter schlechten Bedingungen zu funktionieren. Die Antwort darauf ist nicht Kontrolle, sondern strukturelle Fürsorge.

 

Notdienstpflicht ohne Personal: Ein System am Limit

Der Fall einer erkrankten Apothekerin zeigt die Grenzen der aktuellen Notdienstregelungen auf.

Ein einziger Ausfall reicht aus, um das empfindliche Gleichgewicht des Apothekennotdienstes zu kippen. In Hessen sieht sich eine Apothekeninhaberin mit einer Ausnahmesituation konfrontiert: Aufgrund eines plötzlichen Krankenhausaufenthalts ist sie gesundheitlich nicht in der Lage, den ihr zugewiesenen Notdienst am Wochenende wahrzunehmen. Die Situation wird dadurch verschärft, dass sie über keinen angestellten approbierten Apotheker verfügt, der die Dienstzeit übernehmen könnte. Damit steht nicht nur ihre persönliche Verpflichtung zur Debatte, sondern auch die Versorgungssicherheit in der Region – ein Umstand, der das ohnehin angespannte System erneut auf die Probe stellt.

Die zuständige Landesapothekerkammer sieht sich mit einem klassischen Zielkonflikt konfrontiert: Auf der einen Seite steht die gesetzlich verankerte Pflicht zur Sicherstellung der Notdienstversorgung, auf der anderen Seite ein realistisches Problem der Personalverfügbarkeit in inhabergeführten Apotheken. Die Kammer reagiert nicht mit einem sofortigen Freibrief, sondern signalisiert Bereitschaft zur Einzelfallprüfung und sucht parallel nach pragmatischen Auswegen, die den Versorgungsauftrag nicht gefährden. Das Problem liegt nicht im fehlenden Willen zur Lösung, sondern in den begrenzten Spielräumen eines Systems, das in seiner Struktur auf durchgängige Funktionsfähigkeit setzt und kaum Resilienz gegenüber personellen Engpässen bietet.

Die betroffene Apothekerin befindet sich in einer Zwangslage, die symptomatisch für viele Einzelinhaber ist: Ohne ein stabiles Team aus approbierten Vertretungskräften bleibt der reibungslose Betrieb abhängig von der eigenen Gesundheit. In Zeiten wachsender Belastung durch bürokratische Pflichten, Lieferengpässe, stagnierende Honorare und einen zunehmend unattraktiven Berufsalltag wird der Beruf des Landapothekers zur persönlichen Dauerbelastungsprobe. Der Notdienst wird dabei zur Schnittstelle zwischen rechtlicher Pflicht und physischer Überforderung. In der Theorie ist er ein tragender Pfeiler der Arzneimittelversorgung. In der Praxis wird er jedoch allzu oft zur Sollbruchstelle in einem Berufssystem, das auf Selbstausbeutung statt auf Struktursicherheit baut.

Auch die Option, den Dienst kurzfristig mit einer benachbarten Apotheke zu tauschen, gestaltet sich in der Realität als schwierig. Die Bereitschaft zur kollegialen Unterstützung ist zwar oft vorhanden, doch auch andere Apotheken agieren am Limit. Der Druck auf das System steigt, wenn flexible Ausgleichsmöglichkeiten fehlen und jede Lücke zur Belastungsprobe für die gesamte Region wird. Die geografische Verteilung, die gesetzlich vorgeschriebene Mindestabdeckung und die enge Taktung der Dienstpläne lassen wenig Raum für Spontanlösungen. In der Konsequenz führt jede unvorhergesehene Krankheit dazu, dass nicht nur eine Apotheke, sondern ganze Versorgungsgebiete gefährdet sind.

Was der aktuelle Vorfall verdeutlicht, ist keine Ausnahme, sondern ein systemisches Problem: Der Apothekennotdienst ist nicht ausreichend krisenfest konzipiert. Die personelle Basis ist dünn, Vertretungsmodelle fehlen, und selbst in strukturell besser ausgestatteten Regionen sind kurzfristige Ausfälle kaum abfederbar. Das System verlangt maximale Einsatzbereitschaft, ohne Rücksicht auf die realen Belastungsgrenzen derer, die es tragen. Eine nachhaltige Lösung kann nicht in behelfsmäßigen Notlösungen bestehen, sondern muss auf strukturelle Reformen setzen, die den Notdienst flexibler, solidarischer und planbarer gestalten. Dazu gehören intelligente Rotationssysteme, regionale Poollösungen, finanzielle Anreize für Dienstübernahmen und digitale Koordinationsplattformen, die über den engen Kammerrahmen hinaus operieren.

Der Fall in Hessen ist damit exemplarisch für ein Apothekenwesen, das in seinen Grundpfeilern unter dem Druck der Realität ächzt. Die gesetzlich definierte Pflicht zur Notdienstbereitschaft kollidiert zunehmend mit einer Berufswirklichkeit, die auf Einzelverantwortung setzt, aber keine Absicherung im Krankheitsfall bietet. Der Ausfall einer einzelnen Person wird so zur Bedrohung für die Versorgung vieler. Dass der Notdienst trotz aller strukturellen Schwächen an diesem Wochenende möglicherweise gerettet werden kann, ist allein dem Engagement der Beteiligten vor Ort zu verdanken. Doch es bleibt ein Notbehelf in einem System, das dauerhaft nicht auf Improvisation bauen darf. Die Apotheke ist keine Feuerwehr, die nur funktioniert, wenn niemand krank wird. Wer den Anspruch der flächendeckenden Versorgung aufrechterhalten will, muss endlich dafür sorgen, dass dieser Anspruch nicht an der Belastungsgrenze Einzelner scheitert.

Der Notdienstfall aus Hessen steht nicht für eine bedauerliche Ausnahme, sondern für eine stille Normalität im deutschen Apothekenwesen, die sich kaum noch länger verdrängen lässt. In der Theorie wird der Nacht- und Notdienst als tragende Säule der Arzneimittelversorgung gefeiert. In der Praxis basiert er jedoch auf einem wackeligen Fundament: der körperlichen und psychischen Dauerverfügbarkeit Einzelner, eingebettet in ein starres System, das weder personelle Ausfälle noch strukturelle Engpässe kompensieren kann. Die Apothekerin, die am Wochenende aufgrund eines Krankenhausaufenthalts ausfällt, wird in ein Korsett gesetzlicher Verpflichtungen gezwungen, das keine Antwort auf Krankheit, Überlastung oder Ressourcenknappheit kennt. Die gesetzlich fixierte Notdienstpflicht verliert dort ihre Legitimation, wo sie zur unzumutbaren Belastung wird und ihre eigene Erfüllung verhindert.

Was sich in diesem Einzelfall zeigt, ist ein systemischer Konstruktionsfehler. Das Notdienstsystem ist nicht nur personell unterbesetzt, sondern auch politisch vernachlässigt. Die strukturelle Unsichtbarkeit dieses Problems speist sich aus einem Grundmechanismus: Es sind überwiegend Einzelkämpfer, die dieses Netz tragen – Apothekeninhaberinnen und -inhaber, die ihren Beruf als Versorgungsauftrag begreifen und Tag für Tag das leisten, was das System als selbstverständlich voraussetzt. Doch diese Selbstverständlichkeit hat einen Preis. Wer die Versorgungssicherheit in die Hände einzelner Personen legt, darf sich nicht wundern, wenn diese Struktur bei Krankheit oder Überlastung kollabiert. Der Ausfall einer Apothekerin kann heute ausreichen, um ganze Regionen in eine Versorgungslücke zu stürzen.

Noch schwerer wiegt, dass die politisch Verantwortlichen dieses Risiko seit Jahren in Kauf nehmen. Statt resilientere Strukturen zu schaffen, wird an einem Notdienstmodell festgehalten, das anachronistisch anmutet: wenig digital, kaum vernetzt, nicht krisenfest. Es fehlen flächendeckende Vertretungspools, flexible Dienstmodelle und echte finanzielle Anreize für die Übernahme von Notdiensten in Randlagen. Vor allem aber fehlt das Eingeständnis, dass der Notdienst nicht länger als Randaufgabe betrachtet werden darf, sondern als zentrales Versorgungsversprechen, das Planungssicherheit, personelle Reserve und strukturelle Unterstützung voraussetzt. Wer Apotheken die Verantwortung für die Nachtversorgung aufbürdet, muss auch die Bedingungen schaffen, unter denen diese Aufgabe erfüllbar bleibt – nicht nur in der Theorie, sondern auch im Krankheitsfall, in Notlagen und bei Personalnotstand.

Die Verweigerung der sofortigen Befreiung von der Notdienstpflicht durch die Kammer ist Ausdruck dieser Schieflage. Sie ist formell korrekt, aber praktisch folgenblind. Die Kammer bewegt sich in einem rechtlichen Rahmen, der keine echten Alternativen kennt, weil das System keine strukturellen Auswege bietet. Das Ergebnis ist eine ungewollte Eskalation: Eine kranke Apothekerin wird zur Brennperson in einem System, das längst auf Kante genäht ist. Die kollegiale Lösung, die in letzter Minute gefunden wurde, ist ein Beleg für die Solidarität im Beruf – aber auch ein Armutszeugnis für die politische Trägheit, mit der man den Notdienst seit Jahren verwaltet statt gestaltet.

Die Apothekenkrise wird oft auf Lieferengpässe, Nachwuchsmangel oder Bürokratie zurückgeführt. Doch der Notdienst zeigt: Die eigentliche Krise ist struktureller Natur. Sie betrifft die Frage, wie viele Einzelne ein Versorgungssystem überhaupt tragen können – und wie lange. Die Antwort darauf darf nicht länger vertagt werden. Ein Notdienst, der nur dann funktioniert, wenn niemand ausfällt, ist kein funktionierendes System, sondern ein kalkuliertes Risiko auf Kosten weniger. Die Politik muss dieses Risiko endlich ernst nehmen – und handeln, bevor aus Einzelfällen ein flächendeckender Notstand wird.

 

Globale Reise einer Clonazepam-Tablette: 63.000 Kilometer bis zur Apotheke

Von der Wirkstoffsynthese in Indien bis zur Abgabe in Kanada – eine Analyse der pharmazeutischen Lieferkette

Die moderne Arzneimittelproduktion ist ein komplexes Geflecht aus globalen Lieferketten, die Wirkstoffe, Hilfsstoffe und fertige Medikamente über Kontinente hinweg transportieren. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die Reise einer generischen Clonazepam-Tablette, die in Vancouver, Kanada, verschrieben und abgegeben wird.

Die Herstellung beginnt in Bangalore, Indien, wo der aktive Wirkstoff synthetisiert wird. Von dort aus wird der Wirkstoff über Mumbai und Rotterdam nach Deutschland transportiert, um dort einer Qualitätskontrolle unterzogen zu werden. Anschließend kehrt der Wirkstoff nach Mumbai zurück.

Parallel dazu werden die Hilfsstoffe, die unter anderem in Guangzhou, China, produziert wurden, über Shanghai nach Indien geliefert. In Indien erfolgt dann die Tablettierung, bei der der Wirkstoff mit den Hilfsstoffen kombiniert wird.

Nach der Tablettierung werden die Tabletten in die USA transportiert, wo sie beispielsweise in New Jersey nach Arzneibuchvorschriften geprüft werden. Anschließend erfolgt ein Verpackungsschritt in Tennessee. Von dort aus werden die Tabletten über Toronto nach Vancouver geliefert, wo sie schließlich an den Patienten abgegeben werden.

Insgesamt legt eine Clonazepam-Tablette auf ihrem Weg vom Ursprung bis zum Patienten etwa 63.162 Kilometer zurück – das entspricht etwa anderthalbmal dem Erdumfang. Diese immense Distanz verdeutlicht die Komplexität und Globalität moderner pharmazeutischer Lieferketten.

Die Umweltauswirkungen dieser langen Lieferketten sind erheblich. Der Transport von Wirkstoffen und fertigen Medikamenten über weite Strecken trägt erheblich zu den Treibhausgasemissionen bei. In Kanada beispielsweise trägt das Gesundheitssystem zu 4,6 % der nationalen Treibhausgasemissionen bei, wobei Arzneimittel einen wesentlichen Anteil ausmachen.

Um den ökologischen Fußabdruck von Arzneimitteln zu reduzieren, sind verschiedene Maßnahmen denkbar. Eine Möglichkeit besteht darin, die Lieferketten zu verkürzen, indem Produktionsschritte näher am Verbrauchsort angesiedelt werden. Eine andere Strategie ist der Einsatz erneuerbarer Energien in der Produktion und beim Transport.

Darüber hinaus könnte eine kritischere Verschreibungspraxis dazu beitragen, den Bedarf an bestimmten Medikamenten zu reduzieren. Indem unnötige Verschreibungen vermieden werden, lässt sich nicht nur der ökologische Fußabdruck verringern, sondern auch die Patientensicherheit erhöhen.

Die Analyse der Lieferkette einer Clonazepam-Tablette zeigt eindrucksvoll, wie globalisiert und komplex die moderne Arzneimittelproduktion ist. Gleichzeitig macht sie deutlich, dass es dringend notwendig ist, nachhaltigere und umweltfreundlichere Produktions- und Lieferprozesse zu entwickeln, um den ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.

Die Untersuchung der Lieferkette einer Clonazepam-Tablette offenbart nicht nur die beeindruckende Globalität der modernen Arzneimittelproduktion, sondern wirft auch kritische Fragen hinsichtlich Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Gesundheitspolitik auf.

Die Tatsache, dass ein Medikament auf seinem Weg vom Herstellungsort bis zum Patienten über 63.000 Kilometer zurücklegt, ist symptomatisch für ein Wirtschaftssystem, das Effizienz und Kostensenkung über ökologische und soziale Verantwortung stellt. Die Auslagerung von Produktionsschritten in Länder mit niedrigeren Lohn- und Produktionskosten mag kurzfristig wirtschaftlich sinnvoll erscheinen, führt jedoch langfristig zu erheblichen Umweltauswirkungen und erhöhten Risiken in der Versorgungssicherheit.

Die Konzentration der Wirkstoffproduktion in wenigen Ländern macht das globale Gesundheitssystem anfällig für Störungen. Naturkatastrophen, politische Instabilität oder Pandemien können die Lieferketten unterbrechen und zu Engpässen bei lebenswichtigen Medikamenten führen. Die COVID-19-Pandemie hat diese Verwundbarkeit deutlich gemacht und die Notwendigkeit einer diversifizierten und resilienten Produktionsstruktur unterstrichen.

Darüber hinaus trägt der Transport von Arzneimitteln über weite Strecken erheblich zu den globalen Treibhausgasemissionen bei. In einer Zeit, in der der Klimawandel eine der größten Herausforderungen darstellt, ist es unverantwortlich, diesen Aspekt zu ignorieren. Das Gesundheitssystem sollte nicht nur auf die Behandlung von Krankheiten ausgerichtet sein, sondern auch auf die Prävention und die Förderung einer gesunden Umwelt.

Eine mögliche Lösung liegt in der Regionalisierung der Arzneimittelproduktion. Durch die Verlagerung von Produktionsstätten näher an die Verbrauchsorte könnten Transportwege verkürzt und Emissionen reduziert werden. Zudem würde dies die Versorgungssicherheit erhöhen und Arbeitsplätze in den jeweiligen Regionen schaffen.

Ein weiterer Ansatz ist die Förderung von Nachhaltigkeit in der gesamten Lieferkette. Dies umfasst den Einsatz erneuerbarer Energien in der Produktion, die Verwendung umweltfreundlicher Verpackungen und die Implementierung effizienter Logistiksysteme.

Nicht zuletzt ist auch die Verschreibungspraxis zu hinterfragen. Eine kritische Bewertung der Notwendigkeit von Medikamenten kann dazu beitragen, den Verbrauch zu reduzieren und somit die Umweltbelastung zu verringern.

Die Analyse der Clonazepam-Lieferkette sollte als Weckruf dienen. Sie zeigt, dass es dringend notwendig ist, die Strukturen der Arzneimittelproduktion und -distribution zu überdenken und nachhaltigere, resilientere Systeme zu entwickeln. Nur so kann das Gesundheitssystem seiner Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt gerecht werden.

 

Brüssel muss neu rechnen: Kritik an Abwasserrichtlinie eskaliert

Pharmabranche, Umweltpolitik und Versorgungssicherheit stehen in gefährlichem Widerspruch

Die geplante Überarbeitung der europäischen Abwasserrichtlinie entwickelt sich zunehmend zu einem politischen und wirtschaftlichen Brennpunkt. Während die EU-Kommission mit strengeren Anforderungen an Kläranlagen den Gewässerschutz verbessern will, schlagen Pharmaproduzenten Alarm: Die vorgesehenen Kostenverteilungen seien weder fair noch sachlich fundiert, die volkswirtschaftlichen Folgen für die Arzneimittelversorgung gravierend unterschätzt. Nun hat das EU-Parlament reagiert und fordert eine vollständige Neubewertung der geplanten Regelungen.

Im Zentrum der Kritik steht die finanzielle Belastung durch den notwendigen Umbau zahlreicher kommunaler Kläranlagen. Insbesondere die vierte Reinigungsstufe, die gezielt auf Arzneimittelrückstände und Mikroverunreinigungen abzielt, würde vielerorts Investitionen im dreistelligen Millionenbereich erforderlich machen. Laut Einschätzungen der Industrie würden diese Kosten vor allem auf Abwassereinleiter umgelegt, wozu auch Pharmaproduzenten zählen. Diese sehen sich nun in der Doppelrolle als Verursacher und Opfer einer umweltpolitischen Maßnahme, deren tatsächlicher Nutzen nicht ausreichend durch belastbare Daten gedeckt sei.

Zugleich warnt die Branche davor, dass die neuen Anforderungen mittel- und langfristig auch die Lieferfähigkeit von Medikamenten beeinträchtigen könnten. Produktionsverlagerungen ins Nicht-EU-Ausland seien ebenso denkbar wie Engpässe durch Schließungen oder Standortwechsel. Die bislang von der Kommission vorgelegten Kosten-Nutzen-Rechnungen seien aus Sicht der betroffenen Unternehmen nicht nachvollziehbar und blendeten zentrale Faktoren wie Versorgungssicherheit, Standorttreue und regulatorische Abhängigkeiten aus. Der Vorwurf einer politisch motivierten Umweltgesetzgebung, die an den Realitäten industrieller Produktion vorbeigeht, steht dabei unausgesprochen im Raum.

Dass sich nun auch das EU-Parlament auf die Seite der Kritiker stellt, unterstreicht die Dringlichkeit des Problems. In einer parteiübergreifend getragenen Resolution wird die Kommission aufgefordert, sowohl die finanziellen als auch die strukturellen Folgen ihrer Richtlinie neu zu berechnen. Zudem müsse die Rolle der pharmazeutischen Industrie im Rahmen eines fairen Verursacherprinzips differenziert betrachtet werden. Die pauschale Umlage von Kosten könne in der jetzigen Form nicht akzeptiert werden, ohne das Gleichgewicht zwischen Umweltzielen und Versorgungssicherheit massiv zu gefährden.

Im weiteren Verlauf wird sich zeigen, ob die EU-Kommission bereit ist, auf die zunehmende Kritik einzugehen. Für die Gesundheitsversorgung Europas steht dabei mehr auf dem Spiel als eine technische Reinigungsstufe in Kläranlagen. Es geht um das Vertrauen in ein Versorgungssystem, das auf politisch tragfähige Rahmenbedingungen angewiesen ist – und nicht auf technokratisch kalkulierte Umweltauflagen, die unbeabsichtigt zur systemischen Belastungsprobe werden.

Die neue EU-Abwasserrichtlinie war ursprünglich als Meilenstein des Gewässerschutzes gedacht. Was als Fortschritt für die Umwelt verkauft wurde, droht nun zum Rückschritt in der Arzneimittelversorgung zu werden. Die politische Arithmetik, mit der Brüssel Umweltziele, Kostenschätzungen und Versorgungsfragen verrechnet, folgt offenbar einer simplen Logik: Wer Schadstoffe einleitet, soll auch für deren Beseitigung zahlen. Doch diese Logik gerät ins Wanken, wenn sie auf hochkomplexe industrielle Strukturen trifft, in denen eine einfache Kostenwahrheit weder existiert noch praktikabel ist.

Pharmaproduzenten tragen zweifellos eine Mitverantwortung für Umweltbelastungen – aber eben nicht allein. Die gesamte Gesundheitsinfrastruktur, von der Produktion bis zur Entsorgung, ist ein hochvernetztes System, das sich nicht in technischen Einzelmaßnahmen wie Reinigungsstufen auflösen lässt. Wenn dieses System durch überzogene oder unausgewogene politische Vorgaben in Schieflage gerät, sind nicht nur Unternehmen betroffen, sondern Patienten in ganz Europa. Die Arzneimittelversorgung ist kein Umweltopfer, das für Symbolpolitik geopfert werden darf.

Das Kernproblem liegt in der Verweigerung eines systemischen Blicks. Die Brüsseler Behörden betrachten Kläranlagen als isolierbare Infrastrukturprobleme, statt sie im Kontext der Gesundheitswirtschaft zu bewerten. Dass das EU-Parlament nun selbst Nachbesserung fordert, zeigt: Der politische Druck steigt. Die einst technokratisch eingefädelte Richtlinie ist zur politischen Projektionsfläche geworden – zwischen Umweltanspruch und realwirtschaftlicher Umsetzbarkeit.

Wer Versorgungssicherheit will, muss Regulierung vernetzt denken. Die Finanzierung von Umweltmaßnahmen darf nicht einseitig auf jene abgewälzt werden, die ohnehin unter Kostendruck und globalem Wettbewerbsdruck stehen. Was es braucht, ist ein faires, stufenweises und partnerschaftlich ausgehandeltes Modell, das Umweltschutz nicht gegen Gesundheitsversorgung ausspielt. Wenn Pharmaproduzenten das Gefühl haben, dass sie für ein System bezahlen sollen, das sie gleichzeitig destabilisiert, dann ist das nicht nachhaltig – weder ökologisch noch sozial.

 

Krankenhausapotheken fordern gesetzliche Gleichstellung

ADKA will ambulante Klinikversorgung, Stationsapotheker und strukturelle Aufwertung

Die Krankenhausapotheken in Deutschland stehen vor einer grundlegenden Neupositionierung. Der Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) fordert umfassende gesetzliche und strukturelle Veränderungen, die ihre Rolle in der Versorgungspraxis und im Klinikbetrieb deutlich stärken sollen. Im Zentrum steht die Forderung nach einer gesetzlich geregelten Gleichstellung bei der Versorgung von ambulanten Einrichtungen, die sich auf Klinikgeländen befinden, sowie nach der flächendeckenden Einführung von Stationsapothekern. Die bisherigen gesetzlichen Rahmenbedingungen, insbesondere der §14 Absatz 7 des Apothekengesetzes, grenzen Krankenhausapotheken in ihrer Versorgungskompetenz bislang stark ein. Während sie Medikamente an stationäre, teilstationäre und bestimmte ambulante Versorgungsformen abgeben dürfen, sind sie bei der Versorgung medizinischer Versorgungszentren (MVZ) auf dem Klinikcampus ausgeschlossen, selbst wenn diese vom gleichen Träger betrieben werden. Aus Sicht der ADKA ist dies ein nicht mehr zeitgemäßer Zustand, der dem Strukturwandel im Gesundheitswesen und der politischen Forderung nach Ambulantisierung entgegensteht. Der Verband plädiert dafür, die pharmazeutische Versorgung allen Patienten zu ermöglichen, die sich innerhalb der medizinischen Einrichtungen eines Krankenhausträgers befinden – unabhängig vom Status der Behandlung.

Darüber hinaus fordert die ADKA, dass Krankenhausapotheken künftig nicht nur als bloße Versorger wahrgenommen werden, sondern als aktiver Teil der klinischen Struktur gelten. Hierzu sollen sie als verbindliches Strukturmerkmal in die Leistungsgruppen der Krankenhausplanung aufgenommen werden. Leistungsgruppen in Bereichen mit komplexen oder besonders sensiblen Arzneimittelanforderungen – etwa Hämatologie, Onkologie, Neonatologie, Kinder- und Jugendmedizin sowie bestimmte chirurgische Spezialdisziplinen – sollen in Zukunft nur dann anerkannt werden, wenn eine eigene Krankenhausapotheke mit Herstellungslabor vorhanden ist. Auf diese Weise will die ADKA die patientenindividuelle Arzneimittelzubereitung gesetzlich absichern und an ein hohes pharmazeutisches Niveau binden. Ergänzend wird gefordert, pharmazeutische Dienstleistungen wie Medikationsanalysen verbindlich in den Klinikalltag zu integrieren, insbesondere in der Palliativmedizin, Infektiologie und Intensivmedizin. Voraussetzung dafür soll unter anderem die Beschäftigung von Fachapothekern mit spezialisierter Weiterbildung sein.

Ein weiteres zentrales Anliegen betrifft die Rolle der Stationsapotheker. Bislang ist deren Einsatz freiwillig und nur in wenigen Bundesländern institutionell verankert. Niedersachsen gilt mit seiner flächendeckenden Einführung in öffentlichen Krankenhäusern als Ausnahme. Die ADKA fordert eine bundeseinheitliche Verpflichtung zur Integration von Stationsapothekern in allen Kliniken. Ihre Aufgabe sei es, im interprofessionellen Team gemeinsam mit Ärzten und Pflegekräften die Arzneimitteltherapie aktiv mitzugestalten, Risiken zu erkennen und Medikationsfehler zu vermeiden. Perspektivisch sollen diese Leistungen auch telepharmazeutisch angeboten werden können, um regionale Versorgungslücken zu schließen. Gerade in kleineren Kliniken oder ländlichen Regionen könnten digitale Modelle die pharmazeutische Beratung ergänzen, ohne auf eine umfassende Qualitätssicherung zu verzichten.

Im Zusammenhang mit der Debatte über Lieferengpässe plädiert die ADKA zudem für eine rechtliche Gleichstellung der Krankenhausapotheken mit dem pharmazeutischen Großhandel. Derzeit sind Kliniken in der Lieferkette strukturell benachteiligt, was in Krisensituationen zu einer gefährlichen Unterversorgung führen kann. Der Verband fordert daher, die Verpflichtung der pharmazeutischen Industrie zur kontinuierlichen Belieferung auch auf Krankenhäuser auszuweiten. Die entsprechende Regelung im §52b Absatz 2 des Arzneimittelgesetzes müsse angepasst werden, um Krankenhäuser nicht länger als nachrangige Empfänger zu behandeln.

In der Gesamtschau stellt sich die ADKA nicht nur gegen bestehende gesetzliche Einschränkungen, sondern auch gegen konkurrierende Interessen anderer Apothekenverbände. Mit der Forderung, die Versorgung in bestimmten Leistungsbereichen ausschließlich durch Krankenhausapotheken sicherzustellen, geht sie offen in Konfrontation mit Verbänden wie dem Bundesverband der Versorgungsapotheker (BVVA) und dem Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA), die vor allem externe Klinikversorger repräsentieren. Der politische Druck ist damit programmiert. Die ADKA argumentiert mit der Patientensicherheit, dem strukturellen Reformbedarf und der Notwendigkeit, pharmazeutische Leistungen stärker an die ärztliche Versorgung anzubinden. Im Zuge der geplanten Krankenhausreform sieht sich der Verband in der Pflicht, seine Position frühzeitig in die Gesetzgebungsdebatten einzubringen, um die Weichen für eine moderne und sektorenübergreifende Arzneimitteltherapie zu stellen. Die Krankenhausapotheke soll demnach nicht mehr nur als Logistikdienstleister wahrgenommen werden, sondern als pharmazeutisches Kompetenzzentrum im Zentrum klinischer Versorgung.

Die Forderungen des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker markieren mehr als nur ein berufsständisches Interesse. Sie sind Ausdruck eines tiefgreifenden Umbruchs im Gesundheitssystem, der durch ökonomischen Druck, politischen Reorganisationswillen und strukturelle Ungleichgewichte geprägt ist. Während die Politik die Ambulantisierung als vermeintliche Effizienzstrategie vorantreibt, bleibt die Realität in der Arzneimittelversorgung oft starr in alten Zuständigkeitsgrenzen verhaftet. Der gesetzliche Ausschluss von Krankenhausapotheken bei der Versorgung medizinischer Versorgungszentren auf dem Klinikgelände ist ein Relikt vergangener Versorgungslogik – und steht im offenen Widerspruch zu den Zielen integrierter Patientenversorgung. Gerade wenn ein Träger sowohl Krankenhaus als auch MVZ betreibt, gibt es keinen rationalen Grund, warum die leistungsfähige Klinikapotheke nicht in die Versorgung eingebunden werden darf. Diese Regelung ist nicht nur ineffizient, sondern potenziell gefährlich, wenn dadurch Lücken oder Verzögerungen in der Arzneimittelbereitstellung entstehen.

Ebenso wenig nachvollziehbar ist, dass Stationsapotheker trotz nachgewiesener Wirksamkeit bei der Medikationssicherheit bislang kein bundesweiter Standard sind. In einem System, das sich fortwährend auf Qualitätssicherung und interprofessionelle Zusammenarbeit beruft, ist die flächendeckende Einführung längst überfällig. Die Medikationsanalyse gehört ebenso wie das ärztliche Aufklärungsgespräch oder die pflegerische Dokumentation zum Grundstandard moderner Patientenversorgung. Dass hier weiterhin nur Pilotprojekte oder regionale Ausnahmen existieren, ist nicht mehr tragbar – weder fachlich noch gesundheitspolitisch.

Die ADKA geht mit ihrer Forderung nach einer strukturellen Verankerung der Krankenhausapotheke in Leistungsgruppen einen konsequenten Schritt weiter. Indem sie patientenindividuelle Arzneimittelherstellung und fachlich qualifizierte pharmazeutische Betreuung zur Mindestvoraussetzung für bestimmte Leistungsbereiche erklärt, setzt sie ein klares Zeichen für Qualitätsorientierung statt Minimalversorgung. Dies ist insbesondere in Bereichen wie der Onkologie, Neonatologie oder Infektiologie notwendig, wo Medikationsfehler gravierende Folgen haben und standardisierte Arzneimittelversorgung nicht ausreicht.

Gleichzeitig ist klar: Diese Positionierung führt zwangsläufig zu einem Machtkonflikt mit anderen Apothekenverbänden. Die Forderung, bestimmte Versorgungsbereiche exklusiv den Krankenhausapotheken zuzuweisen, wird von jenen abgelehnt, die sich als externe Klinikversorger etabliert haben. Der Widerstand ist nicht nur ökonomisch motiviert, sondern berührt auch grundsätzliche Fragen der Zuständigkeit, Verantwortung und Versorgungslogik. Doch gerade in einem Umfeld zunehmender Knappheiten und systemischer Instabilitäten muss die Versorgungssicherheit Vorrang vor Marktinteressen haben. Die Gleichstellung von Krankenhausapotheken mit dem Großhandel bei Lieferengpässen ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern der Systemlogik. Kliniken können nicht erst dann Arzneimittel erhalten, wenn andere Ketten bereits bedient sind – sie brauchen planbare, kontinuierliche Belieferung, um Hochrisikoprozesse wie Intensivtherapie oder Infektionsbehandlung abzusichern.

Die Krankenhausreform wird an diesen Fragen nicht vorbeikommen. Sie muss die Rolle der Krankenhausapotheken neu denken und gesetzlich absichern, was im Alltag längst überfällig ist. Wer Qualität ernst meint, muss Apothekenstrukturen stärken, nicht regulieren, bis sie verschwinden. Wer Sicherheit fordert, muss pharmazeutische Expertise in die Leistungssystematik integrieren. Und wer Versorgung verlässlich gestalten will, muss bereit sein, bestehende Interessenstrukturen zu hinterfragen. Die ADKA hat den politischen Vorstoß gemacht – jetzt liegt es an den Entscheidungsträgern, Verantwortung zu übernehmen.

 

Dagmar Schmidt rückt ins Zentrum der SPD-Gesundheitspolitik

Die neue Vizefraktionschefin hält am Fremdbesitzverbot fest, Apothekenreform weiter blockiert

Die Neuausrichtung der SPD-Bundestagsfraktion markiert einen bedeutsamen Wendepunkt für die Gesundheitspolitik. Mit Matthias Miersch übernimmt ein profilierter Parlamentarier den Fraktionsvorsitz, der eine schärfere sozialdemokratische Handschrift in der Koalition angekündigt hat. Diese programmatische Zuspitzung umfasst auch das Gesundheitsressort, das künftig in der Verantwortung von Dagmar Schmidt liegt. Als neue stellvertretende Fraktionsvorsitzende wird sie neben Themen wie Arbeit, Bildung und Familie auch für Gesundheit zuständig sein – ein Bereich, den sie bereits in der vorhergehenden Legislatur als Vize betreute. Damals war Schmidt eine der wenigen Stimmen innerhalb der SPD, die die Proteste der Apothekerschaft gegen das geplante Apotheken-Reformgesetz ernst nahmen und öffentlich einordneten. Sie stellte sich gegen die Idee sogenannter Apotheken light und sprach sich eindeutig für die Aufrechterhaltung der persönlichen Verantwortung approbierter Apotheker sowie für das Fremdbesitzverbot aus. Ihre Berufung kann daher als Signal an die Standespolitik verstanden werden, dass bestimmte rote Linien sozialdemokratischer Gesundheitspolitik weiterhin gelten sollen.

Parallel dazu wird die gesundheitspolitische Sprecherposition innerhalb der SPD neu vergeben. Heike Baehrens, die diesen Posten lange prägte, hat nicht erneut kandidiert. Auch Dirk Heidenblut, bisher maßgeblich für Apothekenthemen zuständig, gehört dem neuen Bundestag nicht mehr an. Als möglicher Nachfolger bringt sich Christos Pantazis in Stellung. Der bisherige stellvertretende gesundheitspolitische Sprecher hatte sich bereits mehrfach zu den Fragen der Apothekenversorgung geäußert und betont, dass der Beruf des Apothekers nicht in Frage gestellt werden dürfe. Damit spricht er eine der zentralen Sorgen an, die in der Standespolitik seit der Vorstellung des ApoRG immer wieder laut wurden: Dass der Gesetzentwurf einer Öffnung für Investorenketten gleichkomme und bewährte Strukturen der Versorgung gefährde.

Während die Grünen mit Janosch Dahmen bereits ihre gesundheitspolitische Kontinuität gesichert haben, ist die personelle Neuaufstellung in der SPD im Gange. Die formellen Entscheidungen zu Ausschussbesetzungen und Sprecherposten werden Mitte Mai erwartet. Die konstituierenden Sitzungen der Arbeitsgruppen sollen bis zum 20. Mai abgeschlossen sein. Bis dahin wird sich entscheiden, ob Pantazis in der Fraktion aufsteigt und mit welchem Kurs das sozialdemokratische Gesundheitsteam künftig auftritt. Klar ist bereits jetzt, dass sich zentrale Konfliktlinien nicht auflösen: Das ApoRG ist zwar formell gescheitert, doch die dahinterstehenden Fragen bleiben ungelöst. Welche Rolle sollen Apotheken in einer sich wandelnden Versorgungslandschaft spielen? Welche Verantwortung trägt die Politik für die Sicherung einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung? Und wie weit darf Ökonomisierung gehen, ohne dass die Berufsidentität der Apotheker untergraben wird? Die SPD-Fraktion hat ihr Personal gestellt. Die Antworten muss sie erst noch geben.

Die Umbesetzung der SPD-Fraktionsspitze und der gesundheitspolitischen Zuständigkeiten geschieht nicht im luftleeren Raum. Sie ist eine unmittelbare Reaktion auf den politischen Scherbenhaufen, den das Apotheken-Reformgesetz in der vergangenen Legislatur hinterlassen hat. Dass dieses Projekt trotz monatelanger Ankündigungen nie ins Kabinett gelangte und schließlich im Strudel der Ampelkrise unterging, war weniger ein technisches als ein politisches Versagen. Die SPD trägt daran eine Mitverantwortung – und sie weiß es. Mit Dagmar Schmidt rückt nun eine Akteurin in den Mittelpunkt, die frühzeitig erkannt hat, dass das Projekt ApoRG in seiner ursprünglichen Form keinen politischen Konsens finden kann. Ihre klare Haltung zur Stärkung der Selbstständigkeit im Apothekenwesen ist nicht nur programmatisch bedeutend, sondern auch ein taktisches Signal an eine Wählerschicht, die sich von der Ampel-Politik zunehmend entfremdet fühlt.

Gleichzeitig zeigt die Personalrochade die strukturellen Leerstellen der SPD in der Gesundheitspolitik. Die Generation Baehrens und Heidenblut tritt ab, doch eine inhaltliche Neupositionierung ist noch nicht erkennbar. Ob Christos Pantazis diese Rolle ausfüllen kann, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Seine Aussagen zur flächendeckenden Versorgung und zum Berufsbild der Apotheker sind korrekt, aber sie ersetzen keine kohärente Strategie. Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet die SPD, die sich gerne als Garant der sozialen Daseinsvorsorge versteht, bei einem so zentralen Thema wie der Arzneimittelversorgung lange keine eindeutige Linie fand.

Die kommenden Wochen werden entscheidend sein. Denn nicht nur die Sprecherposten stehen zur Disposition, auch die Ausschusszuschnitte und die Frage, welche Fraktion welche Themenführerschaft beansprucht, müssen neu geklärt werden. Die SPD kann sich dabei nicht mehr hinter dem formellen Scheitern des ApoRG verstecken. Die Probleme der Apothekenlandschaft – wirtschaftlicher Druck, Nachwuchsmangel, überbordende Bürokratie – bestehen weiterhin. Wenn die neue Fraktionsführung diesen Themen mit der gleichen Ernsthaftigkeit begegnet wie Schmidt in ihren früheren Stellungnahmen, kann das Vertrauen zumindest teilweise zurückgewonnen werden. Wenn nicht, wird sich die SPD der gleichen Kritik stellen müssen, die bislang vor allem auf das Gesundheitsministerium und die Liberalen zielt: Gleichgültigkeit gegenüber den Realitäten der Versorgung.

 

Sachsens Apotheken stärken Personalbindung mit Gehaltserhöhung

Ein Plus von 160 Euro monatlich ab Juli 2025 soll die Attraktivität des Berufsbildes steigern

Ab dem 1. Juli 2025 tritt in Sachsen ein neuer Gehaltstarifvertrag für Apothekenangestellte in Kraft, der eine monatliche Gehaltserhöhung von 160 Euro für alle Berufsgruppen in öffentlichen Apotheken vorsieht. Diese Maßnahme wurde von der Apothekengewerkschaft ADEXA und dem Sächsischen Apothekerverband (SAV) vereinbart und soll die Attraktivität des Berufsbildes steigern sowie dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

Der Tarifvertrag gilt für eine Laufzeit von 18 Monaten bis zum 31. Dezember 2026. Die Gehaltserhöhung betrifft sowohl approbierte Apothekerinnen und Apotheker als auch pharmazeutisch-technische Assistentinnen (PTA), pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte (PKA) und Filialleitungen. Beispielsweise beträgt das tarifliche Bruttomonatsgehalt für approbierte Berufsanfänger ab Juli 2025 4.095 Euro, während PTA mit 2.601 Euro und PKA mit 2.338 Euro einsteigen. Ab dem sechsten Berufsjahr steigen diese Gehälter entsprechend an.

Auch die Ausbildungsvergütungen werden angepasst: Pharmazeutinnen und Pharmazeuten im Praktikum erhalten künftig 1.100 Euro monatlich, PTA-Praktikantinnen und -Praktikanten 850 Euro. Für PKA-Auszubildende beträgt die Vergütung 850 Euro im ersten, 900 Euro im zweiten und 950 Euro im dritten Ausbildungsjahr. Der tarifliche Bruttostundenlohn für PKA-Berufseinsteiger liegt ab Juli 2025 bei 13,51 Euro.

Die Notdienstpauschalen für Apothekerinnen, Apotheker und Pharmazieingenieure wurden ebenfalls auf Basis des erhöhten Tarifgehalts berechnet. Eine konkrete Klausel für Nachverhandlungen ist im neuen Tarifvertrag nicht enthalten. Dennoch wollen die Tarifpartner die angekündigte Erhöhung der Apothekenhonorierung sowie die Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns im Blick behalten. Sollte sich die Mindestlohnkommission für 2026 dem Zielwert von 60 Prozent des Medianlohns und damit den von der SPD geforderten 15 Euro annähern, müsste das gesamte Gehaltsgefüge nachgebessert werden.

Die tarifgebundenen Mitglieder des SAV haben dem neu verhandelten Gehaltstarifvertrag einstimmig zugestimmt. Mit dieser Einigung reagieren die Tarifparteien auf die zunehmenden Herausforderungen im Wettbewerb um qualifiziertes Personal. Faire Bezahlung wird als zentraler Baustein gesehen, um qualifiziertes Personal zu halten und junge Fachkräfte zu gewinnen. Dennoch stehen Apotheken im Wettbewerb um gut ausgebildetes Personal weiterhin im Schatten von Krankenkassen, Behörden und der pharmazeutischen Industrie.

Der bestehende Rahmentarifvertrag bleibt von den Änderungen unberührt. Die Möglichkeit für Apothekenangestellte in Sachsen, Zuschläge nach dem Tarifvertrag zur Vergütung von Fort- und Weiterbildungen zu erwerben, bleibt ebenfalls bestehen.

Die Entscheidung, die Gehälter für Apothekenangestellte in Sachsen ab Juli 2025 um 160 Euro monatlich zu erhöhen, ist ein Schritt in die richtige Richtung, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und die Attraktivität des Berufsbildes zu steigern. In einem zunehmend kompetitiven Arbeitsmarkt, in dem öffentliche Apotheken mit Krankenkassen, Behörden und der pharmazeutischen Industrie um qualifiziertes Personal konkurrieren, sind solche Maßnahmen unerlässlich.

Die Anpassung der Ausbildungsvergütungen und die Berücksichtigung von Notdienstpauschalen auf Basis des erhöhten Tarifgehalts zeigen, dass die Tarifpartner die Bedürfnisse der Angestellten ernst nehmen. Dennoch bleibt abzuwarten, ob diese Maßnahmen ausreichen, um langfristig qualifiziertes Personal zu halten und Nachwuchs zu gewinnen.

Ein kritischer Punkt ist das Fehlen einer konkreten Klausel für Nachverhandlungen im neuen Tarifvertrag. Angesichts der dynamischen Entwicklungen im Gesundheitswesen und der möglichen Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns wäre eine solche Klausel sinnvoll gewesen, um flexibel auf zukünftige Veränderungen reagieren zu können.

Zudem bleibt die Frage offen, wie die Apotheken die erhöhten Personalkosten finanzieren sollen, insbesondere wenn das Fixhonorar seit über zehn Jahren nicht angepasst wurde. Ohne eine entsprechende Erhöhung der Apothekenhonorierung könnten die finanziellen Belastungen für die Apothekenbetreiber steigen, was wiederum Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation haben könnte.

Insgesamt ist der neue Gehaltstarifvertrag ein positives Signal für die Apothekenangestellten in Sachsen. Er zeigt, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird und dass Maßnahmen ergriffen werden, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dennoch müssen weitere Schritte folgen, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der öffentlichen Apotheken zu sichern und ihre Rolle im Gesundheitswesen zu stärken.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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