• 18.04.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: ePA-Start stockt, Medikamentenengpässe dauern an, Apotheken kämpfen, Studien geben Hoffnung

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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: ePA-Start stockt, Medikamentenengpässe dauern an, Apotheken kämpfen, Studien geben Hoffnung

 

Schleppende Digitalisierung, wachsende Versorgungsrisiken, finanzielle Belastungen im Gesundheitswesen und neue Erkenntnisse zu Therapie und Verbraucherverhalten im Überblick

Die elektronische Patientenakte soll das Herzstück der digitalen Gesundheitsversorgung werden, doch in der Praxis hapert es gewaltig: Technische Probleme, geringe Akzeptanz und schleppende Umsetzung lassen Zweifel am Erfolg aufkommen – obwohl der Pflichtstart kurz bevorsteht. Gleichzeitig will die EMA mit Echtzeitdaten gegen Medikamentenengpässe vorgehen und schneller auf Versorgungsprobleme reagieren. Für Apotheken zeichnet sich mit der geplanten Erhöhung des Fixhonorars ab 2026 erstmals eine politische Reaktion auf wirtschaftliche Belastungen ab, während das StaRUG als diskretes Instrument zur Restrukturierung immer mehr an Bedeutung gewinnt. Ein Urteil zur Berufsunfähigkeit bringt Klarheit für Versicherte, wenn eine Verweistätigkeit wegfällt. Auch im Miet- und Verkehrsrecht gibt es Bewegung: Wer farbige Wände hinterlässt, muss unter Umständen nicht renovieren, Falschparker hingegen zahlen fürs Abschleppen. In der CDU gilt Jens Spahn als Favorit für den Fraktionsvorsitz, während TikTok-Shops mit unkontrollierter Nahrungsergänzung Gesundheitsrisiken schüren. Hoffnung bringen neue Studien zur Asthmatherapie und zu Stammzellbehandlungen bei Parkinson – und ein Blick auf den Eierlikör, dessen Ursprung in einer cremigen Avocadomischung aus dem Amazonas liegt.

 

Elektronische Patientenakte: Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander

Die elektronische Patientenakte (ePA) soll ein zentraler Baustein der digitalen Gesundheitsversorgung in Deutschland werden. Mit ihr sollen Patientendaten sektorübergreifend verfügbar sein, um Diagnosen zu beschleunigen, Therapien besser abzustimmen und Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Doch die Realität in den Arztpraxen, Apotheken und Kliniken zeigt ein anderes Bild: Die Einführung verläuft schleppend, technische Probleme sind an der Tagesordnung, und das Vertrauen bei Patienten wie Leistungserbringern ist nach wie vor begrenzt.

Zwar existiert die ePA formal seit 2021, doch ihr tatsächlicher Nutzen bleibt bislang hinter den Erwartungen zurück. Nach Angaben der gematik haben erst wenige Versicherte überhaupt Daten in ihrer Akte gespeichert, und die Zahl der Ärzte, die aktiv damit arbeiten, ist überschaubar. Grund dafür ist nicht zuletzt die mangelhafte Anbindung der ePA an bestehende Praxis- und Krankenhaussoftwaresysteme. Immer wieder kommt es zu Schnittstellenfehlern, langen Ladezeiten oder Komplettausfällen. Hinzu kommt ein erheblicher Schulungsaufwand, der von vielen Einrichtungen im ohnehin angespannten Betriebsalltag kaum zu leisten ist.

Auch auf Seiten der Patienten bleibt die Skepsis groß. Zwar verspricht die ePA mehr Transparenz und Kontrolle über die eigenen Gesundheitsdaten, doch der Zugang gestaltet sich umständlich. Die Nutzung setzt unter anderem eine NFC-fähige Gesundheitskarte, eine PIN sowie ein Smartphone mit spezifischer App voraus. Viele ältere oder technikferne Menschen fühlen sich von diesem Zugang ausgeschlossen. Zudem sorgt die Debatte um Datenschutz und Datensicherheit für Zurückhaltung. Der Umgang mit besonders sensiblen Informationen wie psychiatrischen Befunden oder HIV-Status bleibt für viele ein kritischer Punkt.

Die Politik reagierte zuletzt mit der Umstellung auf ein sogenanntes Opt-out-Verfahren: Ab 2025 sollen alle gesetzlich Versicherten automatisch eine ePA erhalten, sofern sie dem nicht ausdrücklich widersprechen. Ziel ist es, die Nutzung massiv zu steigern und die ePA zum Standardinstrument im Versorgungsalltag zu machen. Doch ob dies angesichts der technischen und organisatorischen Defizite tatsächlich gelingt, ist fraglich. Kritiker warnen vor einem weiteren Vertrauensverlust, wenn Patienten das Gefühl bekommen, zur Digitalisierung gedrängt zu werden, ohne dass das System zuverlässig funktioniert.

Auch im Apothekenalltag wirft die ePA viele Fragen auf. Zwar können Apotheken künftig Medikationsdaten einsehen und ergänzen, doch fehlt es vielerorts noch an klaren Abläufen, wie die neuen Aufgaben in die Versorgung integriert werden sollen. Der zusätzliche Aufwand – etwa bei der Überprüfung von Wechselwirkungen – ist noch nicht verbindlich geregelt. Auch die Frage, wie sich diese Leistungen wirtschaftlich abbilden lassen, bleibt offen.

Die elektronische Patientenakte steht damit exemplarisch für die Herausforderungen der digitalen Transformation im Gesundheitswesen: gut gemeint, aber in der Umsetzung kompliziert, unübersichtlich und technisch noch nicht ausgereift. Solange die Infrastruktur nicht stabil funktioniert, die Beteiligten nicht ausreichend einbezogen werden und der Nutzen nicht unmittelbar erlebbar ist, bleibt die ePA für viele mehr Last als Hilfe.

Die Idee hinter der elektronischen Patientenakte ist zweifellos richtig – sie könnte die Qualität der medizinischen Versorgung deutlich verbessern, Bürokratie abbauen und den Informationsfluss zwischen Ärzten, Apotheken und Patienten revolutionieren. Doch zwischen Theorie und Praxis klafft eine tiefe Lücke. Die Politik versucht, mit gesetzlichem Druck ein Projekt voranzutreiben, das technisch und strukturell noch nicht bereit ist für den Alltag. Wer Digitalisierung auf dem Papier beschließt, muss auch sicherstellen, dass sie an der Praxisrezeption, im Apothekenalltag und in den Händen der Versicherten funktioniert. Die ePA droht sonst, ein weiteres Beispiel für gut gemeinte, aber schlecht gemachte Digitalprojekte zu werden – mit dem Risiko, Vertrauen zu verspielen, das schwer wiederzugewinnen ist.

 

Elektronische Patientenakte vor dem Pflichtstart: Vertrauensvorschuss ohne Grundlage?

Die elektronische Patientenakte (ePA) soll ab Ende April bundesweit verfügbar sein – allerdings zunächst auf freiwilliger Basis. Die gesetzlich verankerte Pflicht zur Nutzung durch Leistungserbringer wie Ärzte, Zahnärzte und Apotheker tritt voraussichtlich erst zum 1. Oktober in Kraft. Während das Bundesgesundheitsministerium den „sanften Einstieg“ als pragmatische Übergangslösung bezeichnet, formiert sich sowohl Zuspruch als auch erheblicher Widerstand aus Teilen des Gesundheitswesens.

Insbesondere vonseiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) wird der stufenweise Rollout begrüßt. KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner betont, dass der Start unter freiwilligen Bedingungen den Praxen Luft verschaffe, um sich technisch anzupassen, ohne sofortige Konsequenzen fürchten zu müssen. Gleichwohl fordert sie klare Verbesserungen: Die bisherigen technischen Rückmeldungen aus den Testregionen seien bestenfalls durchwachsen. Vielerorts habe die Infrastruktur versagt, Anwendungen seien instabil oder funktionierten nur eingeschränkt, was im Praxisalltag zu Frust und Mehrarbeit geführt habe.

Auch aus dem Hausärztinnen- und Hausärzteverband kommt deutliche Kritik. Die bisherigen ePA-Erfahrungen hätten „kaum überzeugt“, so die Vorsitzenden Professor Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier. Zahlreiche Hausarztpraxen hätten mit unausgereiften Schnittstellen, mangelhafter Kompatibilität und fehlendem Support zu kämpfen gehabt. Vor diesem Hintergrund wirke das angekündigte Pflichtdatum im Oktober wie eine politische Zielvorgabe, die mit der Realität in vielen Praxen kaum vereinbar sei. Ohne umfassende Nachbesserungen könnte die ePA zu einem weiteren digitalen Instrument werden, das mehr Bürokratie als Nutzen schafft.

Kritik gibt es zudem an der Informationspolitik der Krankenkassen. Der gesetzliche Auftrag zur Aufklärung der Versicherten über Nutzen, Funktionsweise und Datenschutz der ePA wird nach Einschätzung vieler Ärzte und Apotheker nur unzureichend erfüllt. Statt aktiver Aufklärung gebe es lediglich formale, oft missverständliche Informationsschreiben. Die Folge: Patienten seien verunsichert oder desinteressiert – und das Aufklärungsdefizit lande auf dem Schreibtisch der ohnehin überlasteten Leistungserbringer. Test-Apotheker wie Kai-Peter Siemsen werfen den Kassen sogar „Arbeitsverweigerung auf dem Rücken der Praxen“ vor.

Ein besonders scharfer Ton kommt aus der Freien Ärzteschaft, die sich in ihrer Grundhaltung klar gegen die ePA positioniert. Die Organisation verweist auf nach wie vor bestehende Sicherheitslücken, die bereits im Dezember vom Chaos Computer Club öffentlich gemacht wurden. Entgegen der Darstellung des Bundesgesundheitsministeriums seien diese nicht vollständig geschlossen worden. Dr. Silke Lüder, stellvertretende Vorsitzende, warnt vor einem „gefährlichen Vertrauensvorschuss“, der weder durch unabhängige Sicherheitsnachweise noch durch technologische Transparenz gedeckt sei. Dass dennoch der Eindruck vermittelt werde, das Projekt sei sicher, sei aus ihrer Sicht eine „verantwortungslose Verharmlosung der Risiken“.

Demgegenüber fordern einige Krankenkassen, allen voran die AOK Rheinland/Hamburg, mehr Tempo bei der Umsetzung. Vorstandsvorsitzender Günter Wältermann sieht im schrittweisen Rollout eine unnötige Verzögerung. Man habe als Kassen bereits „geliefert“ und erwarte nun, dass auch die Leistungserbringer und die Politik ihren Teil beitragen. Deutschland liege im internationalen Vergleich weit zurück, es fehle der politische Wille, das Tempo der Digitalisierung zu erhöhen.

Der Widerstand gegen die ePA offenbart ein tieferes strukturelles Problem: Zwischen politischem Gestaltungsanspruch, regulatorischem Zwang und technischer Wirklichkeit klafft eine erhebliche Lücke. Das Misstrauen vieler Akteure in die Qualität der Umsetzung, in den Datenschutz sowie in die Verlässlichkeit staatlicher IT-Projekte ist tief verwurzelt – nicht zuletzt durch die Erfahrungen mit früheren Digitalisierungsversuchen wie der Telematikinfrastruktur oder dem E-Rezept. Die Debatte um die ePA ist somit auch ein Spiegelbild des Misstrauens gegenüber digitaler Politikgestaltung im Gesundheitswesen.

Der „sanfte“ Start der elektronischen Patientenakte wirkt auf den ersten Blick wie ein vernünftiger Kompromiss – doch bei genauerer Betrachtung entlarvt sich die Maßnahme als politisch motivierter Notausgang. Denn was offiziell als vorsichtiger Einstieg verkauft wird, ist in Wirklichkeit ein Eingeständnis, dass das System weder technisch noch kommunikativ einsatzbereit ist. Der Eindruck entsteht, dass das Bundesgesundheitsministerium einen verbindlichen Termin braucht, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren – koste es, was es wolle.

Die ePA wäre ein Meilenstein – wenn sie funktioniert. Doch daran bestehen erhebliche Zweifel. Die Berichte aus Testregionen zeichnen ein ernüchterndes Bild: Instabile Anwendungen, lange Ladezeiten, fehlende Kompatibilität mit Praxissoftware, Datenschutzbedenken und keinerlei echte Integration in bestehende Versorgungsabläufe. Wer diese Probleme verharmlost, riskiert nicht nur das Scheitern eines wichtigen Projekts, sondern auch das Vertrauen einer ganzen Berufsgruppe.

Besonders irritierend ist, wie stiefmütterlich die Versicherten behandelt werden. Obwohl sie die Hauptnutznießer der ePA sein sollen, wurden sie bislang kaum einbezogen. Aufklärung findet allenfalls rudimentär statt. Wer verstanden werden will, muss zuerst verständlich sprechen. Stattdessen überlassen die Krankenkassen die Informationsarbeit den Ärzten und Apothekern – und diese wiederum stehen vor einem Kommunikationsdesaster, das sie nicht verursacht haben.

Noch schwerer wiegt das Misstrauen bei Sicherheitsfragen. Es genügt nicht, zu behaupten, alle Probleme seien gelöst. Die Öffentlichkeit erwartet unabhängige Prüfberichte, technische Transparenz und ein klares Bekenntnis zu Datenschutz auf höchstem Niveau. Wer diese Grundlagen ignoriert, verspielt das Vertrauen nicht nur in die ePA, sondern in die gesamte Digitalstrategie im Gesundheitswesen.

Wenn die ePA tatsächlich ab Oktober verpflichtend wird, darf es keine Ausreden mehr geben. Dann muss das System stabil, sicher und benutzerfreundlich funktionieren – und zwar flächendeckend. Der aktuelle Zustand ist davon weit entfernt. Ein verfrühter Zwang zur Nutzung, ohne dass die nötige technische Reife erreicht ist, wäre ein digitalpolitischer Blindflug. Deutschland braucht eine funktionierende ePA, nicht ein digitales Placebo, das Vertrauen kostet und Probleme verschärft.

Der Ball liegt jetzt bei der Politik, den Herstellern und der Gematik. Sie müssen liefern – transparent, überprüfbar und mit echter Rücksicht auf die Realitäten in der Versorgung. Andernfalls wird die elektronische Patientenakte nicht zum Symbol eines modernen Gesundheitssystems, sondern zum Mahnmal verpasster Chancen.

 

Mehr Überblick, weniger Mangel: EMA will Arzneimittelengpässe mit Daten bekämpfen

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) will künftig umfassender gegen Lieferengpässe bei Arzneimitteln vorgehen. Dafür erhält die Behörde erstmals direkten Zugang zu Echtzeitdaten des US-Gesundheitsunternehmens IQVIA, das auf die Analyse von Medikamentenverbrauch spezialisiert ist. Mit dieser Maßnahme reagiert die EMA auf die anhaltenden Versorgungsprobleme in zahlreichen EU-Staaten, die insbesondere seit der Corona-Pandemie stark zugenommen haben.

Nach Angaben von IQVIA sind aktuell rund 9.000 Arzneimittel in Europa von Lieferengpässen betroffen – darunter Schmerzmittel, Blutdrucksenker, Antibiotika und auch onkologische Präparate. Die Engpässe betreffen sowohl häufig eingesetzte Generika als auch spezielle Therapien und können gravierende Auswirkungen auf die medizinische Versorgung haben. In einigen Fällen mussten Patienten demnach über ein Jahr auf ein benötigtes Medikament warten.

Durch den neuen Zugang zu den Analyseplattformen von IQVIA kann die EMA künftig grenzüberschreitende Muster und Versorgungsrisiken früher erkennen. Ziel ist es, nationale Behörden bei der Planung und Reaktion auf drohende Versorgungsengpässe zu unterstützen. Die Partnerschaft soll es ermöglichen, Veränderungen im Arzneimittelverbrauch – etwa saisonale Schwankungen oder gestiegene Nachfrage durch neue Behandlungsleitlinien – zeitnah zu identifizieren und gezielte Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Für Apotheken, die tagtäglich mit Lieferschwierigkeiten konfrontiert sind, könnte dieser datenbasierte Ansatz eine Entlastung bedeuten. Wie aus einem Faktenblatt der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände hervorgeht, zählen Lieferengpässe bei acht von zehn Apothekenteams zu den größten Belastungsfaktoren im Berufsalltag. Der damit verbundene organisatorische Mehraufwand – etwa durch die Suche nach Alternativen oder Rücksprachen mit Ärzten – hat die Arbeit in vielen Betrieben zusätzlich erschwert.

Die EMA unterstreicht, dass die Kooperation mit IQVIA kein Ersatz für gesetzgeberische Maßnahmen sei, sondern ein ergänzendes Instrument zur besseren Steuerung der Arzneimittelversorgung. Auch die nationalen Behörden sollen von den gewonnenen Erkenntnissen profitieren und ihre Frühwarnsysteme verbessern können.

Angesichts der zunehmenden Fragilität globaler Lieferketten und einer wachsenden Zahl betroffener Medikamente ist die Datennutzung ein entscheidender Schritt hin zu mehr Transparenz und Reaktionsfähigkeit. Die EMA stärkt mit dem Schritt ihre Rolle als koordinierende Instanz für die Versorgungssicherheit in der Europäischen Union.

Die Entscheidung der EMA, auf externe Datenanalysen zurückzugreifen, ist überfällig. Während Apotheken und Patienten seit Jahren unter immer häufiger auftretenden Lieferengpässen leiden, fehlte es auf europäischer Ebene bisher an verlässlichen, aktuellen Informationen zur Lage in den Mitgliedstaaten. Der Zugang zu den umfangreichen Verbrauchsdaten von IQVIA kann helfen, blinde Flecken zu schließen und Versorgungslücken früher zu erkennen – vorausgesetzt, die Daten werden konsequent ausgewertet und in konkretes Handeln übersetzt.

Doch Daten allein lösen kein strukturelles Problem. Die Ursachen für Arzneimittelengpässe sind komplex: Produktionsverlagerungen, fehlende Lagerkapazitäten, fehlende Anreize für Generikahersteller und politische Zurückhaltung bei der Lagerbevorratung spielen gleichermaßen eine Rolle. Die neue Partnerschaft kann diese Probleme nicht beheben – sie kann aber dazu beitragen, klüger und schneller zu reagieren, wenn sich die Versorgungslage zuspitzt.

Entscheidend wird sein, ob die gewonnenen Erkenntnisse auch tatsächlich Eingang in eine europäische Strategie für mehr Versorgungssicherheit finden. Transparenz darf nicht am Bildschirm enden – sie muss in politische und logistische Maßnahmen münden, die spürbare Entlastung bringen.

 

Fixhonorar auf dem Prüfstand – Reformvorschläge bringen Hoffnung, aber auch offene Fragen

Mit der nun bekannt gewordenen Einigung zwischen CDU und SPD auf eine deutliche Erhöhung des Apothekenhonorars zeichnet sich erstmals seit Jahren eine spürbare Veränderung in der Vergütungssystematik für verschreibungspflichtige Arzneimittel ab. Ab dem Jahr 2026 soll das Fixhonorar pro Rx-Packung von derzeit 8,35 Euro auf 9,50 Euro steigen. Andere Berichte sprechen von bis zu 10,00 Euro – was einem Zuwachs von 1,65 Euro pro Packung entsprechen würde. Damit reagiert die Politik auf die seit Langem bestehenden wirtschaftlichen Belastungen, denen sich viele Apothekenbetriebe gegenübersehen. Doch so deutlich das Signal auf dem Papier wirkt, so viele Unsicherheiten bleiben bei der praktischen Umsetzung.

Besonders auffällig ist, dass ein regional differenziertes Festhonorar von bis zu 11,00 Euro in ländlichen Gebieten vorgesehen ist. Diese Förderung soll jedoch gedeckelt sein – konkret auf 75 Millionen Euro jährlich – und aus dem Budget für pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) entnommen werden, das ursprünglich zur Honorierung von Zusatzleistungen wie Blutdruckmessung oder Medikationsanalyse eingeführt wurde. Fachvertreter kritisieren diese Umverteilung, da sie aus ihrer Sicht notwendige Strukturförderung zulasten bestehender Versorgungsansätze betreibt.

Zusätzlich sollen Apotheken jährlich 25 Millionen Euro für Präventionsmaßnahmen erhalten – rechnerisch 1.500 Euro pro Apotheke. Bislang bleibt jedoch unklar, welche konkreten Leistungen darunterfallen und wie die Abrechnung erfolgen soll. Der Vorschlag wirft auch hier Fragen zur praktischen Relevanz und zum bürokratischen Aufwand auf.

Als weiterer Eckpfeiler der Reform gilt die Rückkehr zu legalen Großhandels- und Herstellerrabatten. Skonti sollen unter bestimmten Bedingungen wieder erlaubt sein – ein Punkt, der vielen Betrieben eine wirtschaftliche Entlastung bringen könnte. Die erhofften Effekte sind jedoch schwer kalkulierbar, denn sie hängen stark von der Preisstruktur der bezogenen Produkte sowie den Verhandlungsspielräumen mit Lieferanten ab. Je nach Apothekengröße und Einkaufsvolumen könnten diese Skonti Erträge von jährlich 13.000 bis 15.000 Euro bedeuten.

Eine zentrale Forderung vieler Apothekerinnen und Apotheker könnte dagegen tatsächlich erfüllt werden: Die geplante Abschaffung oder starke Einschränkung der Retaxationspraxis durch die gesetzlichen Krankenkassen. Bisher mussten Apotheken bei kleinsten formalen Fehlern – etwa beim Stempel, der Dosierungsangabe oder dem Verordnungsdatum – teils hohe Beträge zurückzahlen. Diese Form der Rückforderung gilt in der Branche seit Jahren als willkürlich und existenzbedrohend. Sollte es hier zu einer rechtssicheren Entschärfung kommen, wäre dies ein großer Fortschritt im Alltag der Versorgung.

Trotz dieser Verbesserungen ist Skepsis angebracht. Zwar könnten – je nach Ausgangspunkt – jährliche Entlastungen von bis zu 80.000 Euro pro Apotheke entstehen, doch ist ein erheblicher Teil davon nur rechnerisch erfassbar, etwa durch Arbeitszeitersparnis infolge vereinfachter Abgaberegeln. Zudem bleibt offen, ob und wie die angekündigten Änderungen am Ende tatsächlich umgesetzt werden. Erfahrungsgemäß fließen Koalitionsabsichten nicht eins zu eins in Gesetzestexte. Bereits bei der Formulierung durch das Bundesgesundheitsministerium könnten Teile des Pakets verwässert oder gestrichen werden. Auch der Verlauf parlamentarischer Verfahren birgt zahlreiche Unwägbarkeiten, nicht zuletzt angesichts der angespannten Haushaltslage des Bundes.

Hinzu kommt, dass ab dem Jahr 2027 eine grundsätzliche Systemumstellung geplant ist: Die Apothekenhonorare sollen dann zwischen Kassen und Apotheken ausgehandelt werden. Das bedeutet einen Bruch mit der bisherigen gesetzlichen Fixierung. Ob dies zu einer flexibleren, aber fairen Vergütung führt, hängt stark davon ab, ob es den Apothekenverbänden gelingt, auf Augenhöhe mit den Krankenkassen zu verhandeln. Andernfalls droht eine Schwächung der Verhandlungsposition und letztlich eine weitere ökonomische Erosion der Versorgung.

Nicht wenige Beobachter sehen in dem neuen Maßnahmenpaket Parallelen zu einem im Jahr 2023 eingereichten Perspektivpapier, das unter dem Namen „Seyfarth-Papier“ kursierte. Dass Teile davon nun politische Beachtung finden, lässt sich als Erfolg langjähriger fachlicher Lobbyarbeit interpretieren – doch der politische Prozess steht erst am Anfang. Ob das Papier in Gänze Wirkung entfalten wird, bleibt offen.

Das vorgelegte Maßnahmenpaket ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung – aber kein Durchbruch. Nach Jahren der Stagnation und wachsender Unzufriedenheit in der Apothekerschaft kommt Bewegung in die Diskussion um eine auskömmliche Honorierung. Dennoch bleibt zu betonen: Es handelt sich um politische Absichtserklärungen, nicht um beschlossene Realität. Und gerade darin liegt die Gefahr.

Die Aufbruchsstimmung, die nun mancherorts erzeugt wird, täuscht über zentrale Unwägbarkeiten hinweg. Die Deckelung der ländlichen Zuschläge, die Finanzierung aus bestehenden pDL-Töpfen, die Unklarheit bei den Präventionsleistungen und die strukturelle Unsicherheit durch das ab 2027 geplante Verhandlungsmodell werfen gewichtige Fragen auf. Wird das Honorar künftig zum Spielball von Budgetzwängen? Wird die flächendeckende Versorgung verhandelbar? Der Grat zwischen Chance und Risiko ist schmal.

Auch die geplante Rückkehr der Skonti ist ambivalent. Ihre Wirkung hängt nicht allein vom rechtlichen Rahmen ab, sondern maßgeblich von der wirtschaftlichen Macht der Apotheken im Einkauf. Kleinere Betriebe werden hier möglicherweise erneut das Nachsehen haben – die wirtschaftliche Ungleichheit innerhalb der Branche könnte sich vergrößern.

Besonders brisant bleibt die angekündigte Reform der Retaxationspraxis. Sollte diese Maßnahme tatsächlich entschärft werden, wäre das eine historische Korrektur eines jahrzehntelang bestehenden Missstands. Doch selbst hier sind Zweifel angebracht. Wie klar und rechtssicher die neue Regelung gestaltet wird, ist offen. Und: Krankenkassen haben in der Vergangenheit immer wieder kreative Wege gefunden, um Einfluss auf die Apothekenvergütung zu nehmen.

Es ist daher Vorsicht geboten. Wer jetzt lautstark ruft, dass das alles nicht reicht, läuft Gefahr, sich in der öffentlichen Wahrnehmung zu isolieren. Umgekehrt wäre es aber auch falsch, die Reformpläne kritiklos zu bejubeln. Notwendig ist eine nüchterne Bewertung, gepaart mit kluger Strategie.

Die Apotheken stehen an einem Scheideweg: Sie können den Einstieg in eine neue Vergütungspolitik gestalten – oder die Debatte mit Maximalforderungen überreizen. Was jetzt zählt, ist Augenmaß. Wer es verliert, riskiert, dass sich ein seltenes politisches Entgegenkommen in heiße Luft auflöst.

 

Restrukturierung statt Insolvenz – Apotheken und das StaRUG als stille Sanierungsoption

Immer mehr inhabergeführte Apotheken geraten angesichts steigender Betriebskosten, stagnierender Honorare und wachsender Konkurrenz durch Versandhandel und Filialisierung unter wirtschaftlichen Druck. Während Umsatzeinbußen und sinkende Margen lange Zeit als temporäre Phänomene interpretiert wurden, zeigt sich mittlerweile in zahlreichen Fällen eine strukturelle wirtschaftliche Schieflage. In diesem Kontext gewinnt das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) als alternatives Sanierungsinstrument zunehmend an Bedeutung.

Das StaRUG, das zum 1. Januar 2021 in Kraft trat, erlaubt Unternehmen, sich außerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens wirtschaftlich zu restrukturieren – unter der Voraussetzung, dass noch keine Zahlungsunfähigkeit im engeren Sinne besteht. Es richtet sich an Betriebe, bei denen eine sogenannte drohende Zahlungsunfähigkeit festgestellt wurde. Diese liegt laut § 18 Abs. 2 Insolvenzordnung dann vor, wenn ein Unternehmen in der Lage ist, seinen laufenden Verpflichtungen derzeit nachzukommen, aber absehbar nicht mehr fähig sein wird, zukünftige Zahlungsverpflichtungen bei Fälligkeit vollständig zu bedienen.

Zur Einschätzung dieses Stadiums kommt in der Praxis die Liquiditätskennzahl (LKZ) zum Einsatz. Ein Wert über 1,0 signalisiert Zahlungsfähigkeit. Sinkt die Kennzahl jedoch unter 1,0 und nähert sich der Schwelle von 0,9 oder unterschreitet diese sogar, gilt dies als eindeutiges Warnsignal für eine drohende Zahlungsunfähigkeit – und eröffnet formal die Möglichkeit zur Anwendung des StaRUG.

Doch der Zugang zu diesem präventiven Restrukturierungsverfahren ist nicht automatisch gegeben. Eine zentrale Bedingung ist die sogenannte Zuverlässigkeit des Unternehmers. Apothekenbetreiber dürfen keine gravierenden Rückstände bei Steuerzahlungen oder Sozialversicherungsbeiträgen aufweisen. Der Gesetzgeber schließt Apotheken, die bereits in erheblichem Umfang Verpflichtungen gegenüber Finanzamt oder Krankenkassen nicht nachkommen, von der Anwendung des StaRUG ausdrücklich aus.

Wird die Anwendungsvoraussetzung erfüllt, bildet die Erstellung eines umfassenden Restrukturierungsplans den Kern des Verfahrens. Dieser Plan muss eine präzise Analyse der Ursachen der wirtschaftlichen Krise enthalten, eine realistische Prognose der Unternehmensentwicklung, konkrete Maßnahmen zur finanziellen Sanierung sowie einen klar strukturierten Zeitplan. Gläubiger, deren Forderungen betroffen sind, müssen mit einer qualifizierten Mehrheit von 75 Prozent dem Plan zustimmen, damit dieser wirksam wird.

Im Apothekenbereich zeigt sich in der Praxis, dass wirtschaftliche Schieflagen häufig nicht auf das gesamte Unternehmen zurückzuführen sind, sondern auf bestimmte Geschäftsfelder. So kann beispielsweise die Heimversorgung oder das manuelle Verblistern hohe Fixkosten verursachen, die bei unzureichender Rentabilität den Gesamtbetrieb belasten. In einem typischen Fall führte die Trennung vom defizitären Versorgungsbereich zu einer wirtschaftlichen Entlastung der Hauptapotheke. Parallel erfolgten Kostensenkungsmaßnahmen im Offizinbetrieb, etwa durch eine optimierte Personalplanung, eine gezieltere Warenwirtschaft und Anpassungen bei Miet- und Leasingverträgen.

Ein zusätzlicher Bestandteil vieler Sanierungspläne ist die Einbindung von Kreditgebern. Diese müssen häufig zu Zugeständnissen bereit sein, etwa in Form von Tilgungsaussetzungen oder der Vereinbarung reduzierter Zinssätze während der Sanierungsphase. Diese Maßnahmen können die Liquidität temporär sichern und die Umsetzung des Restrukturierungsplans stützen.

Das StaRUG erlaubt auch die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans. Diese Möglichkeit schafft zusätzliche Rechtssicherheit, insbesondere wenn mit einem oder mehreren Gläubigern keine Einigung erzielt werden kann. Gleichzeitig bietet der gerichtliche Schutz vor Einzelzwangsvollstreckungen einen gewissen Handlungsspielraum für die Umsetzung der Maßnahmen.

Die Erfahrung zeigt jedoch: Ohne frühzeitige betriebswirtschaftliche Analyse und konsequente Umsetzung bleibt auch das StaRUG wirkungslos. Rückläufige Umsätze, sinkende Packungszahlen, Margenverluste oder eine anhaltend niedrige Umsatzrendite sind keine Phänomene, die sich von selbst auflösen. Ein strukturiertes Risikofrüherkennungssystem gehört daher zur unternehmerischen Verantwortung jedes Apothekeninhabers – nicht erst im Krisenfall, sondern als dauerhaftes Führungsinstrument.

Das StaRUG ist kein Allheilmittel, aber ein wirkungsvolles Werkzeug für alle Apotheken, die bereit sind, sich wirtschaftlichen Realitäten zu stellen, bevor es zu spät ist. Es ermöglicht eine geordnete Restrukturierung in einem Stadium, in dem die Insolvenz noch vermeidbar ist – vorausgesetzt, der Apothekeninhaber erkennt die Zeichen der Zeit und agiert rechtzeitig. Doch genau daran scheitert es häufig.

Viele Betreiber unterschätzen die Dynamik wirtschaftlicher Entwicklungen oder vertrauen auf eine baldige Verbesserung der äußeren Rahmenbedingungen. Doch wer dauerhaft mit niedriger Rendite arbeitet, strukturelle Verluste in einzelnen Bereichen hinnimmt und nicht aktiv gegensteuert, riskiert den Verlust der unternehmerischen Handlungsfähigkeit. Das Festhalten an unrentablen Geschäftsfeldern oder das Aufschieben notwendiger Anpassungen hat nicht selten existenzbedrohende Folgen.

Der präventive Restrukturierungsrahmen des StaRUG stellt hohe Anforderungen an Planung, Kommunikation und Umsetzung. Die Zustimmung der Gläubiger, die Koordination mit Kreditinstituten, die Begleitung durch Fachberater und möglicherweise durch das Restrukturierungsgericht verlangen ein professionelles Vorgehen. Gleichzeitig bietet das Verfahren Schutz, Struktur und Verhandlungsraum – insbesondere in einem wirtschaftlich fragilen Umfeld wie dem derzeitigen Apothekenmarkt.

Es liegt letztlich in der Verantwortung jedes Apothekeninhabers, die eigenen Zahlen nüchtern zu betrachten, Krisensymptome nicht zu verdrängen und erforderliche Maßnahmen einzuleiten. Das StaRUG liefert dafür das juristische und strukturelle Fundament. Entscheidend bleibt der Wille zur Veränderung – und der Mut, diesen Schritt zu gehen, bevor das Fenster der Sanierung sich schließt.

 

Berufsunfähigkeit nach Wegfall des Verweisungsberufs: Rückkehr zum Ursprung oder Ende des Versicherungsschutzes?

In der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) gilt die sogenannte konkrete Verweisung als zentrales Instrument zur Leistungsprüfung. Sie erlaubt dem Versicherer, Leistungen zu verweigern oder einzustellen, wenn der Versicherte trotz gesundheitlicher Einschränkungen eine andere, mit dem bisherigen Beruf vergleichbare Tätigkeit tatsächlich ausübt. Diese Tätigkeit muss der bisherigen Lebensstellung entsprechen, insbesondere im Hinblick auf Einkommen, Verantwortung und Qualifikation. Doch was passiert, wenn diese neue Tätigkeit später entfällt – sei es infolge betrieblicher Kündigung, gesundheitlicher Rückschritte oder persönlicher Entscheidung? Welche Rolle spielt dann der ursprünglich versicherte Beruf, und wann lebt ein Anspruch auf Versicherungsleistungen wieder auf?

Diese Fragen haben erhebliche praktische Relevanz und führen regelmäßig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Denn während Versicherte erwarten, dass ihr Schutz bei anhaltender gesundheitlicher Einschränkung weiterhin greift, argumentieren manche Versicherer mit dem Ende der Leistungszuständigkeit, wenn einmal eine alternative Tätigkeit aufgenommen wurde. Die rechtliche Bewertung ist dabei vielschichtig – mit deutlichen Unterschieden zwischen der Auffassung der Rechtsprechung und Teilen der juristischen Fachliteratur.

Grundlage der Diskussion ist die Funktionsweise der konkreten Verweisung. Hat ein Versicherter nach Eintritt gesundheitlicher Beeinträchtigungen einen neuen Beruf aufgenommen, der der bisherigen Lebensstellung in Status und Einkommen entspricht, kann die Versicherung die Leistungen verweigern – unter der Bedingung, dass diese Tätigkeit auch tatsächlich dauerhaft ausgeübt wird. Die bloße theoretische Möglichkeit reicht nicht. Damit soll verhindert werden, dass Versicherte trotz stabiler und gleichwertiger Tätigkeit Leistungen beanspruchen, obwohl sie wirtschaftlich gesehen nicht auf sie angewiesen wären.

Die Problematik zeigt sich jedoch deutlich, wenn sich diese neue Tätigkeit später als nicht tragfähig erweist. Ein typisches Beispiel ist ein handwerklich tätiger Versicherter, etwa ein Fliesenleger, der seinen Beruf aufgrund körperlicher Beschwerden nicht mehr ausüben kann, aber im Anschluss als Verkaufsberater in einem Fachgeschäft arbeitet. Wird diese Tätigkeit später aufgrund einer Insolvenz oder betriebsbedingten Kündigung beendet, stellt sich die Frage, ob die Versicherung wieder in die Leistungspflicht eintritt. Gleiches gilt, wenn der Versicherte seine Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr fortsetzen kann – etwa durch schrittweise Reduzierung bis zur Aufgabe.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) ist in solchen Fällen der Schutz der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht automatisch verwirkt. Die konkreten Versicherungsbedingungen sehen eine Verweisung ausschließlich auf tatsächlich ausgeübte Tätigkeiten vor. Wird eine solche Tätigkeit nicht mehr ausgeübt, entfällt auch die Grundlage für die Verweisung. In diesem Fall sei erneut zu prüfen, ob im ursprünglich versicherten Beruf weiterhin eine Berufsunfähigkeit vorliegt. Besteht eine gesundheitlich bedingte Einschränkung fort, kann ein erneuter oder fortbestehender Leistungsanspruch entstehen – unabhängig vom Grund der Beendigung der neuen Tätigkeit. Damit stellt der BGH klar, dass die Ursache des Wegfalls des Verweisungsberufs – etwa eine betriebsbedingte Kündigung oder persönliche Entscheidung – keine Rolle spielt.

Demgegenüber warnt ein Teil der juristischen Fachwelt vor einem möglichen Gestaltungsmissbrauch. Demnach bestehe das Risiko, dass Versicherte gezielt Tätigkeiten aufnehmen, um eine Verweisung zu begründen, und diese später wieder beenden, um erneut Leistungen zu beanspruchen. Die Beendigung aus nicht gesundheitlichen Gründen – so das Argument – sei kein versichertes Risiko und dürfe daher nicht zu einer Wiederaufnahme der Leistungspflicht führen. Aus Sicht dieser Kritiker müsse das Risiko der Arbeitslosigkeit oder privaten Umstände vom Versicherten selbst getragen werden, da es sich nicht um eine gesundheitlich bedingte Berufsunfähigkeit handelt.

Die Realität zeigt jedoch, dass Lebensläufe selten linear verlaufen. Gesundheitszustände verändern sich, Arbeitgeber geraten in wirtschaftliche Schwierigkeiten, Tätigkeiten werden reduziert oder aufgegeben. In solchen Fällen eine Berufsunfähigkeitsversicherung dauerhaft auszuschließen, würde deren Zweck konterkarieren. Entscheidend ist daher, ob eine Berufsunfähigkeit im zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf – sei es der ursprüngliche oder ein später aufgenommener Beruf – weiterhin vorliegt.

Für Versicherte bedeutet das Urteil des BGH eine Stärkung ihrer Position. Wer aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen eine andere Tätigkeit aufnehmen muss, darf nicht befürchten, bei deren späterem Wegfall schutzlos dazustehen. Allerdings bleibt jede Prüfung einzelfallbezogen – abhängig von konkreter Berufsausgestaltung, Einkommensentwicklung, Gesundheitslage und Dauer der Tätigkeit. Dokumentation, ärztliche Nachweise und berufliche Angaben gewinnen damit zentrale Bedeutung bei der Geltendmachung von Ansprüchen.

Die Diskussion um den Wegfall des Verweisungsberufs in der Berufsunfähigkeitsversicherung zeigt eindrücklich, wie schwer es ist, langfristige Lebensrisiken in starre Vertragslogiken zu pressen. Die Argumentation der Versicherungswirtschaft, eine einmal ausgeübte Tätigkeit müsse dauerhaft zur Verweisung taugen, blendet wesentliche Aspekte der Lebenswirklichkeit aus: Märkte verändern sich, Unternehmen scheitern, Krankheiten verlaufen nicht linear. Wer heute noch belastbar ist, kann morgen durch Rückfälle erneut eingeschränkt sein. Wer eine neue Tätigkeit aufnimmt, tut dies oft aus der Notwendigkeit heraus – nicht als strategisches Mittel, sich Leistungen zu erschleichen.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist deshalb nicht nur juristisch sauber, sondern auch lebensnah. Sie erkennt an, dass Versicherungsschutz kein punktueller, sondern ein andauernder Schutzmechanismus ist, der sich an der tatsächlichen Leistungsfähigkeit und beruflichen Realität des Einzelnen orientieren muss. Nicht die Ursache für die Aufgabe einer Tätigkeit darf im Mittelpunkt stehen, sondern die Frage, ob eine gesundheitlich bedingte Einschränkung fortbesteht – unabhängig davon, in welcher Konstellation sie auftritt.

Gleichzeitig darf dies nicht als Blankoscheck verstanden werden. Versicherte tragen eine Mitwirkungspflicht, müssen den Verlauf ihrer beruflichen und gesundheitlichen Situation offenlegen und darlegen, weshalb eine Tätigkeit nicht fortgesetzt werden kann. Auf Seiten der Versicherer braucht es dafür klare Kriterien, transparente Verfahren und die Bereitschaft, Einzelfälle differenziert zu bewerten. Pauschale Ablehnungen unter Berufung auf längst beendete Verweisungstätigkeiten schaden nicht nur den Betroffenen, sondern auch dem Vertrauen in die BU-Versicherung insgesamt.

Wenn der Versicherungsfall kein einmaliger Zustand, sondern ein fortlaufender Prozess ist, muss auch die juristische Bewertung dynamisch bleiben. Der Wegfall eines Verweisungsberufs ist kein Randphänomen – sondern eine regelmäßig auftretende Herausforderung, die nach rechtlich klaren und menschlich gerechten Lösungen verlangt. Der BGH hat einen wichtigen Schritt getan. Es bleibt abzuwarten, ob die Versicherungswirtschaft diese Linie konsequent mitträgt – oder weiter versucht, sich über das Vertragskleingedruckte ihrer Leistungspflicht zu entziehen.

 

Bunte Wände bei Auszug: Vermieter bleibt auf Renovierungskosten sitzen

Ein Mieter verlässt nach 13 Jahren seine Wohnung – zurück bleibt ein farbenfrohes Bild: knallige Wände und zahlreiche unverschlossene Dübellöcher. Für den Vermieter Anlass genug, die Räume auf eigene Kosten zu renovieren und anschließend die Ausgaben vom ehemaligen Mieter zurückzufordern. Doch das Amtsgericht Hanau erteilte dieser Forderung eine klare Absage. In seinem Urteil stellte das Gericht fest, dass der Vermieter keinen Anspruch auf Kostenerstattung hat, da die zugrunde liegenden Klauseln zur Schönheitsreparatur im Mietvertrag unwirksam waren.

Konkret ging es um mehrere Regelungen, die dem Mieter während des Mietverhältnisses sowie bereits beim Einzug Renovierungsverpflichtungen auferlegten. Diese enthielten feste Fristen und verpflichteten den Mieter, die Wohnung bereits vor dem Einzug zu streichen. Nach Auffassung des Gerichts stellen solche Vorgaben eine unangemessene Benachteiligung des Mieters dar. Sie verstoßen gegen die gesetzliche Regelung, wonach Schönheitsreparaturen grundsätzlich Aufgabe des Vermieters sind – es sei denn, sie werden durch wirksame vertragliche Regelungen zulässig auf den Mieter übertragen.

Das Gericht stellte weiter klar, dass der Vermieter während der gesamten Mietdauer verpflichtet war, die notwendigen Schönheitsreparaturen selbst durchzuführen. Da er dieser Verpflichtung nicht nachkam, konnte er die nun entstandenen Kosten nicht rückwirkend auf den Mieter abwälzen. Zudem müsse sich der Vermieter bei etwaigen Schadenersatzansprüchen die Kosten anrechnen lassen, die ihm durch unterlassene Renovierungsarbeiten erspart geblieben sind. Damit wurde die Klage vollständig abgewiesen.

Das Urteil macht deutlich: Unwirksame Klauseln im Mietvertrag können Vermietern teuer zu stehen kommen. Die rechtliche Verantwortung für den Zustand der Wohnung bei Rückgabe richtet sich nach den wirksamen mietvertraglichen Absprachen und den gesetzlichen Vorgaben – nicht nach subjektiven Erwartungen an den optischen Zustand.

Das Urteil aus Hanau dürfte für viele Vermieter ein Weckruf sein. Wer in Mietverträgen auf standardisierte Renovierungsklauseln setzt, ohne deren rechtliche Tragfähigkeit zu prüfen, riskiert im Streitfall den Totalverlust möglicher Ansprüche. Die Entscheidung bestätigt einmal mehr die Linie der Rechtsprechung, wonach eine Überwälzung der Schönheitsreparaturen auf Mieter nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist. Unwirksame Klauseln führen nicht nur zur Unwirksamkeit einzelner Verpflichtungen, sondern kehren die Verantwortung im Zweifel komplett um – zulasten des Vermieters.

Zugleich zeigt der Fall, dass auch optisch auffällige oder laienhaft behandelte Räume nach Auszug nicht automatisch einen Schaden im juristischen Sinne darstellen. Die Grenze zwischen Geschmackssache und Substanzverletzung verläuft nicht dort, wo Tapeten bunt sind oder Dübellöcher sichtbar bleiben. Wer als Vermieter auf rechtssichere Grundlagen verzichten will, muss mit den Konsequenzen leben – und im Zweifel eben selbst zum Farbeimer greifen.

 

Privatparkplatz blockiert: Abschleppkosten muss Falschparker tragen

Ein blockierter Stellplatz in einer Münchner Tiefgarage hat rechtliche Folgen für eine Falschparkerin nach sich gezogen. Das Amtsgericht München entschied in einem aktuellen Urteil, dass der betroffene Stellplatznutzer berechtigt war, den Wagen auf eigene Veranlassung abschleppen zu lassen. Die Kosten in Höhe von 765,06 Euro muss die Fahrerin des blockierenden Fahrzeugs übernehmen.

Am 22. Juni 2024 hatte eine Frau ihren BMW Z4 so in der Tiefgarage eines Wohnhauses abgestellt, dass die Zufahrt zu einem privat angemieteten Stellplatz versperrt war. Der Nutzer dieses Stellplatzes konnte sein Fahrzeug daraufhin nicht ausparken. Da die Halterin des BMW weder auffindbar noch kontaktierbar war, beauftragte der Stellplatzinhaber ein Abschleppunternehmen mit der Entfernung des Wagens. Die entstandenen Kosten stellte er der Falschparkerin in Rechnung.

Diese zeigte sich jedoch uneinsichtig und hinterlegte den Betrag lediglich zur Rückerlangung ihres Fahrzeugs beim Amtsgericht. Anschließend erhob sie Klage gegen das Abschleppunternehmen mit der Begründung, die Maßnahme sei unverhältnismäßig gewesen. Der Stellplatznutzer hatte seine Forderung auf Kostenerstattung zuvor an das Unternehmen abgetreten.

Das Amtsgericht München wies die Klage in seinem Urteil vom 20. Januar 2025 ab. Es stellte fest, dass das unberechtigte Abstellen eines Fahrzeugs vor einem privaten Stellplatz eine Besitzstörung und zugleich einen Eingriff in das Eigentum des Nutzers darstellt. Ein solcher Zustand sei nicht hinnehmbar und berechtige dazu, ein Abschleppunternehmen ohne vorherige Kontaktaufnahme mit dem Falschparker zu beauftragen. Ein Einschalten der Polizei sei auf privatem Grund weder erforderlich noch erfolgversprechend.

Die Richter betonten, dass der Stellplatzinhaber nicht verpflichtet sei, Nachforschungen zur Identität des Parkenden anzustellen. Vielmehr gelte, dass der ungehinderte Zugang zum eigenen Stellplatz jederzeit gewährleistet sein müsse. Wer diesen Zustand eigenmächtig und ohne Genehmigung stört, müsse mit unmittelbaren Konsequenzen rechnen.

Das Urteil stärkt die Rechte von Parkplatzinhabern und schafft Klarheit im Umgang mit blockierten Stellplätzen auf privatem Grund. Es bestätigt, dass das Abschleppen in solchen Fällen rechtmäßig ist – und die entstandenen Kosten in vollem Umfang dem Verursacher anzulasten sind.

Das Urteil des Amtsgerichts München bringt dringend benötigte Rechtssicherheit für all jene, die sich regelmäßig mit blockierten Stellplätzen konfrontiert sehen. In dicht bebauten Innenstädten sind private Parkflächen ein knappes Gut – ihre Verfügbarkeit ist für viele Mieter und Eigentümer unverzichtbar. Wer sich dennoch über Besitzverhältnisse hinwegsetzt und andere in ihrer Mobilität einschränkt, kann nicht auf Nachsicht hoffen.

Bemerkenswert ist, dass das Gericht dem Parkplatzinhaber ausdrücklich keine weiteren Pflichten auferlegt: Weder eine Recherche nach dem Fahrzeughalter noch das Hinzuziehen der Polizei wird verlangt. Diese Klarheit ist wichtig, denn gerade auf Privatgelände stehen Betroffene oft ratlos da, während der Verkehr faktisch lahmgelegt ist.

Wer fremde Stellplätze nutzt, riskiert nicht nur Ärger, sondern muss im Ernstfall auch tief in die Tasche greifen. Das Urteil sendet ein deutliches Signal: Privateigentum endet nicht an der Garageneinfahrt.

 

Spahn als Favorit für Fraktionsspitze der Union – Personalpoker vor Kanzlerwahl

Nach dem Rückzug von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann aus den Gesprächen über eine Kabinettsbeteiligung verdichten sich die Hinweise auf personelle Entscheidungen innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Jens Spahn, ehemaliger Bundesgesundheitsminister und derzeit stellvertretender Fraktionsvorsitzender, gilt parteiintern als aussichtsreichster Kandidat für den Vorsitz der Unionsfraktion. Nach Informationen aus Parteikreisen wird seine Nominierung als Wunschlösung von CDU-Chef Friedrich Merz angesehen. Eine formelle Entscheidung ist jedoch noch nicht gefallen.

Offen bleibt vor allem die Haltung des CSU-Vorsitzenden Markus Söder, der einer solchen Personalie zustimmen müsste. Die CSU äußerte sich bislang nicht öffentlich zu den internen Überlegungen. In Berlin wird damit gerechnet, dass Merz und Söder erst nach der Zustimmung zum Koalitionsvertrag einen gemeinsamen Personalvorschlag präsentieren. Dieser muss anschließend von den 208 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion bestätigt werden.

Spahn, der als wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion profiliert ist, wird parteiintern sowohl für seine strategische Weitsicht als auch für seinen Machtinstinkt geschätzt. Zugleich gibt es kritische Stimmen, die seine Eigenständigkeit und frühere Alleingänge skeptisch bewerten. Insbesondere in einer möglichen schwarz-roten Koalition könnte die Fraktionsführung eine zentrale Rolle bei der internen Abstimmung und politischen Disziplin spielen.

Auch der bisherige Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei wird weiterhin als Kandidat für den Fraktionsvorsitz gehandelt. Seine enge Anbindung an Merz und sein taktisches Geschick im Parlamentsbetrieb stärken seine Position. Dennoch gilt eine Berufung Freis ins Kanzleramt als wahrscheinlicher.

Parallel laufen Überlegungen zur Besetzung des Wirtschaftsministeriums. Neben Spahn wird auch der CDU-Bundesvize und Energiepolitiker Andreas Jung genannt. Die endgültige Entscheidung dürfte im Kontext der laufenden Koalitionsverhandlungen und Parteibeschlüsse fallen. Am 28. April soll ein kleiner Parteitag der CDU über den Koalitionsvertrag abstimmen, parallel läuft eine Mitgliederbefragung innerhalb der SPD bis zum 29. April.

Friedrich Merz führt derzeit die Unionsfraktion noch selbst. Sollte die Koalition zustande kommen, wird er am 6. Mai zur Wahl zum Bundeskanzler im Bundestag antreten. Erst danach dürfte die Personaldebatte um seine Nachfolge an der Fraktionsspitze formell entschieden werden.

Die Debatte um Jens Spahn als möglichen neuen Fraktionsvorsitzenden zeigt, wie stark die Personalpolitik der Union derzeit unter Spannung steht. Während Spahn über Erfahrung und Durchsetzungskraft verfügt, polarisiert er zugleich – auch innerhalb der eigenen Reihen. Wer in der Fraktion das Ruder übernimmt, muss nicht nur loyal zur künftigen Regierung stehen, sondern auch zwischen Parteidisziplin und parlamentarischer Selbstständigkeit navigieren können. Die Union steht vor einer Richtungsentscheidung: Setzt sie auf kontrollierte Kontinuität oder auf selbstbewusste Eigenprofilierung? Wer die Fraktion künftig führt, wird mitentscheiden, wie geschlossen die Union als größte Regierungsfraktion auftreten kann – und wie stabil die neue Koalition wirklich sein wird.

 

Gefährlicher Trend: Nahrungsergänzungsmittel aus dem Tiktok-Shop im Visier

Immer mehr junge Menschen in Deutschland greifen zu Nahrungsergänzungsmitteln – befeuert durch Empfehlungen von Influencerinnen und Influencern in sozialen Netzwerken. Fachleute schlagen Alarm: Die zunehmende Vermarktung dieser Produkte über Plattformen wie TikTok, insbesondere durch die Einführung des TikTok-Shops, könnte gesundheitliche Risiken verschärfen und eine unkontrollierte Einnahme befördern.

Nahrungsergänzungsmittel gelten rechtlich als Lebensmittel und benötigen keine behördliche Zulassung wie Arzneimittel. Dennoch suggerieren viele Darstellungen in sozialen Medien eine gesundheitsfördernde oder sogar heilende Wirkung. Studien zeigen, dass Werbeinhalte oft irreführend sind, Höchstmengen überschritten werden und Risiken selten ausreichend thematisiert werden. Eine Untersuchung der Medizinischen Hochschule Hannover ergab, dass rund zwei Drittel der von Influencern beworbenen Produkte über den empfohlenen Tagesdosen lagen. Hinweise auf mögliche Nebenwirkungen, Wechselwirkungen mit Medikamenten oder Kontraindikationen fehlten dabei meist vollständig.

Besonders kritisch sehen Experten die zunehmende Emotionalisierung in den Verkaufsmechanismen sozialer Netzwerke. Follower empfinden Influencer nicht selten als Vertrauenspersonen. Wird ein Produkt als besonders hilfreich dargestellt, steigt die Bereitschaft, es ebenfalls auszuprobieren – meist ohne ärztliche Rücksprache. Der TikTok-Algorithmus verstärkt diese Wirkung, indem er ähnliche Inhalte kontinuierlich vorschlägt und Nutzer in einer inhaltlichen Blase hält.

Mit dem TikTok-Shop verkürzt sich der Weg vom Konsum eines Videos zur Bestellung eines Produkts auf wenige Sekunden. Für Jugendliche steigt damit das Risiko unreflektierter Spontankäufe erheblich. Psychologen warnen vor einem wachsenden Suchtpotenzial durch impulsives Online-Shopping. Gerade in der besonders beeinflussbaren Altersgruppe könne dies zu psychischen und gesundheitlichen Problemen führen.

Ein weiteres Problem ist der fehlende Informationsgehalt der kurzen Videoclips. Produktinformationen zu Inhaltsstoffen, Dosierung, Risiken oder geeigneten Zielgruppen bleiben in der Regel unvollständig oder gänzlich aus. Damit bleibt Nutzerinnen und Nutzern häufig verborgen, dass etwa Biotin Labortests verfälschen kann oder eine Überdosierung von Vitamin D zu Nierenschäden führen kann.

Gesundheitsbehörden weisen darauf hin, dass gesunde Menschen mit ausgewogener Ernährung in der Regel keine Nahrungsergänzungsmittel benötigen. Dennoch konsumiert laut Erhebungen eine Mehrheit der Bevölkerung entsprechende Präparate – häufig wöchentlich. Der Einfluss von sozialen Medien gilt als zentraler Treiber dieser Entwicklung.

Verbraucherschützer fordern deshalb strengere Kontrollen und eine Anpassung des gesetzlichen Rahmens. Die bestehenden Kennzeichnungspflichten reichen nach Einschätzung vieler Expertinnen und Experten nicht aus, um Konsumenten wirksam zu schützen. Auch die Verantwortung der Plattformen selbst rückt stärker in den Fokus. Die Frage, inwieweit sie haftbar gemacht werden können, wenn gesundheitlich bedenkliche Produkte ohne ausreichende Aufklärung verkauft werden, bleibt bislang offen.

Was als harmlose Schönheitsroutine beginnt, kann schnell in eine gefährliche Gesundheitsfalle führen. Die sozialen Medien haben sich zu einem mächtigen Absatzkanal für Nahrungsergänzungsmittel entwickelt – mit verführerischer Ästhetik und zweifelhafter Transparenz. Wenn junge Menschen einem Algorithmus ausgeliefert sind, der Gesundheit als Lifestyle inszeniert und Verkaufsdruck auf Knopfdruck erzeugt, wird es höchste Zeit, digitale Konsumräume stärker zu regulieren.

Nicht die Eigenverantwortung der Konsumenten steht in Frage, sondern das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen gezieltem Marketing und unzureichendem Schutz. Es ist kein Zufall, dass Influencer selten über Risiken sprechen – solche Botschaften verkaufen sich schlechter. Der Gesetzgeber darf nicht länger zusehen, wie sich kommerzielle Interessen mit fragwürdigen Gesundheitsversprechen vermischen. Wer Präparate mit medizinischer Relevanz vertreibt, muss sich auch an medizinische Standards halten. Gesundheit darf keine Frage von Trend und Klickzahlen sein.

 

Inhalative Corticoide: Nachmittagsdosierung könnte Asthmakontrolle verbessern

Die Tageszeit der Anwendung inhalativer Corticosteroide könnte maßgeblichen Einfluss auf den Therapieerfolg bei Asthma haben. Hinweise auf eine optimierte Wirkung bei nachmittäglicher Inhalation liefert eine aktuelle Studie, die in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. In der Untersuchung zeigte sich, dass die Gabe eines Controllers wie Beclomethason am Nachmittag zu einer besseren Lungenfunktion und niedrigeren Entzündungswerten in der Nacht führen kann als morgendliche oder aufgeteilte Dosierungen.

Asthma bronchiale folgt einem tageszeitlichen Muster: Die stärksten Atemwegsverengungen und Entzündungsreaktionen treten typischerweise nachts auf. Zugleich reagieren bestimmte Immunzellen nach bisherigen Erkenntnissen am besten am Nachmittag auf Corticosteroide. Die Studie untersuchte diesen Zusammenhang in einem crossover-basierten Versuchsaufbau mit 25 erwachsenen Probanden mit leichtem bis mittelschwerem allergischem Asthma.

Die Teilnehmenden wurden über jeweils 28 Tage hinweg drei verschiedenen Dosierungsschemata zugewiesen: eine morgendliche Einzeldosis, eine nachmittägliche Einzeldosis und eine zweimal tägliche Anwendung mit jeweils halber Dosis. Nach jeder Phase folgte eine Pause von zwei bis drei Wochen, anschließend wechselten die Teilnehmer das Schema. Die Lungenfunktion sowie Entzündungsparameter wurden in regelmäßigen Abständen über 24 Stunden gemessen.

Das auffälligste Ergebnis zeigte sich bei der Lungenfunktion um 22 Uhr: Die einmal tägliche Gabe am Nachmittag führte zu einem signifikanten Anstieg des Lungenvolumens gegenüber der morgendlichen Dosierung. Auch die Entzündungswerte, insbesondere nachts und in den frühen Morgenstunden, waren in dieser Gruppe am niedrigsten. Beeinträchtigungen der körpereigenen Cortisolproduktion wurden hingegen nicht festgestellt.

Die Studienautoren betonen, dass die Ergebnisse trotz der statistischen Signifikanz mit Vorsicht zu interpretieren seien. Die geringe Teilnehmerzahl, die relativ kurze Beobachtungsdauer sowie die fehlende Kombination mit langwirksamen Beta-Agonisten, wie sie in der Standardbehandlung vorgesehen ist, schränken die Übertragbarkeit auf die breite Patientengruppe ein. Zudem war die Symptomlast der Probanden vergleichsweise niedrig.

Fachleute weisen darauf hin, dass auch die Therapietreue berücksichtigt werden muss. Bereits jetzt ist die Einhaltung inhalativer Therapien bei Asthma in der Praxis unzureichend. Eine zusätzliche Vorgabe zur Tageszeit könnte diese Herausforderung weiter verstärken. Dennoch halten Beobachter eine weitere Erforschung chronopharmakologischer Ansätze für sinnvoll, insbesondere bei schwerem Asthma, wo selbst kleinere therapeutische Fortschritte einen entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität haben können.

Die neuen Erkenntnisse zur optimalen Tageszeit für die Anwendung inhalativer Corticoide verdeutlichen, wie stark die Wirkung von Medikamenten vom biologischen Rhythmus des Körpers abhängen kann. Dass die Lungenfunktion nachts am stärksten eingeschränkt ist, ist seit Langem bekannt. Die gezielte Ausrichtung der Medikamentengabe auf diese Schwächephase ist daher ein logischer Schritt. Dennoch mahnt die geringe Fallzahl zur Zurückhaltung bei voreiligen Schlussfolgerungen.

Gerade im Bereich der Asthmatherapie, in der Therapietreue und Alltagskompatibilität ohnehin herausfordernd sind, darf die Wissenschaft keine zusätzlichen Hürden aufbauen, ohne den Nutzen eindeutig belegen zu können. Es bleibt abzuwarten, ob größere Studien die nachmittägliche ICS-Anwendung als neuen Therapiestandard etablieren können. Bis dahin sollte der Fokus weiterhin auf einer individuell angepassten, regelmäßigen und korrekt durchgeführten Inhalation liegen – unabhängig von der Uhrzeit.

 

Stammzelltherapie bei Parkinson: Klinische Studien zeigen sichere Anwendung und erste Wirksamkeitshinweise

Die Forschung zur Behandlung der Parkinson-Krankheit hat mit der Transplantation dopaminerger Vorläuferzellen einen bedeutenden Fortschritt erzielt. Zwei aktuelle Studien, veröffentlicht im renommierten Fachjournal „Nature“, zeigen, dass die Anwendung solcher Zelltransplantate bei Parkinson-Patienten nicht nur technisch machbar, sondern auch über einen längeren Zeitraum hinweg sicher ist. Auch erste Hinweise auf eine klinische Wirkung bei motorischen Symptomen liegen vor – ein Hoffnungsschimmer für Patienten, obwohl eine endgültige therapeutische Bewertung noch aussteht.

Parkinson ist durch den fortschreitenden Verlust dopaminproduzierender Nervenzellen im Mittelhirn gekennzeichnet, insbesondere in der Substantia nigra. Dadurch sinkt der Dopaminspiegel im Striatum, was typische motorische Störungen wie Rigor, Tremor und Bradykinese zur Folge hat. Der Versuch, diese degenerativen Veränderungen durch Zellersatz zu kompensieren, reicht bereits mehrere Jahrzehnte zurück. Frühere Versuche mit fetalen Stammzellen scheiterten jedoch an schwer kontrollierbaren Nebenwirkungen, insbesondere therapielimitierenden Dyskinesien. Neuere Ansätze basieren auf besser kontrollierbaren Zelllinien – entweder aus embryonalen Stammzellen oder aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen).

In Japan wurde unter Leitung von Professor Dr. Nobukatsu Sawamoto an der Universität Kyoto eine Phase-I/II-Studie mit sieben Patienten im Alter zwischen 50 und 69 Jahren durchgeführt, bei denen idiopathischer Morbus Parkinson diagnostiziert worden war. Die eingesetzten Zellen stammten aus einer klinisch validierten iPS-Zelllinie. Nach deren Differenzierung bestand das Transplantat zu rund 60 Prozent aus dopaminergen Vorläuferzellen und zu 40 Prozent aus bereits differenzierten dopaminergen Neuronen. Besonderes Augenmerk legten die Forschenden auf die Reinheit der Zellpopulation – serotonerge Zellen, die mit der Entstehung transplantatinduzierter Dyskinesien in Verbindung gebracht werden, waren in den Präparaten nicht nachweisbar.

Die Zellen wurden bilateral in die Zielregionen des Gehirns transplantiert. Drei Patienten erhielten eine niedrigere Dosis von rund 2,1 bis 2,6 Millionen Zellen pro Hemisphäre, vier Patienten eine höhere Dosis von etwa 5,3 bis 5,5 Millionen Zellen. Alle Studienteilnehmer wurden über 15 Monate mit dem Immunsuppressivum Tacrolimus behandelt, um Abstoßungsreaktionen zu verhindern.

Die Nachbeobachtungszeit betrug 24 Monate. Während dieses Zeitraums wurden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen beobachtet. Insgesamt wurden 73 unerwünschte Ereignisse dokumentiert, darunter Juckreiz an den Applikationsstellen als häufigste Nebenwirkung. In der Bildgebung zeigten sich keine Hinweise auf Tumorbildungen oder entzündliche Veränderungen. Einzelne Fälle von Dyskinesien traten nur während sogenannter On-Zeiten auf und wurden auf die parallel fortgeführte Parkinson-Medikation zurückgeführt – ein deutlicher Unterschied zu früheren Studien mit fetalen Zellen, bei denen transplantatbedingte Dyskinesien häufiger waren.

Erste Hinweise auf eine mögliche klinische Wirksamkeit zeigten sich im Phase-II-Teil der Studie: Bei sechs der sieben Patienten wurden Verbesserungen in den motorischen Symptomen festgestellt, gemessen mit der MDS-UPDRS-III-Skala. Vier Patienten zeigten eine signifikante Reduktion ihrer motorischen Einschränkungen im Off-Zustand, fünf berichteten über Verbesserungen im On-Zustand. Die durchschnittlichen Verbesserungen betrugen 9,5 Punkte (Off) bzw. 4,3 Punkte (On), was prozentual 20,4 bzw. 35,7 Prozent entspricht. Auch die Hoehn-Yahr-Skala, ein weiteres Bewertungsinstrument für Parkinson-Symptomatik, zeigte bei vier Patienten Verbesserungen. Auffällig war das bessere Ansprechen jüngerer Patienten unter 60 Jahren, was auf eine altersabhängige Effektivität hindeutet.

Eine zweite Studie in den USA, durchgeführt am Memorial Sloan Kettering Cancer Center unter der Leitung von Dr. Viviane Tabar, untersuchte zwölf Patienten mit idiopathischem Parkinson, die mit dem Zellpräparat Bemdaneprocel behandelt wurden. Dieses Produkt basiert auf dopaminergen Vorläuferzellen, die aus humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) gewonnen werden. In zwei Dosisgruppen – 0,9 und 2,7 Millionen Zellen – wurden die Zellen bilateral in das Putamen transplantiert. Auch hier wurde eine zwölfmonatige immunsuppressive Therapie verabreicht.

Die Sicherheitsbewertung über einen Zeitraum von 18 Monaten fiel ebenfalls positiv aus. Es wurden weder Tumoren noch immunvermittelte Nebenwirkungen oder transplantatinduzierte Dyskinesien dokumentiert. In der höher dosierten Gruppe zeigten sich zudem signifikante Verbesserungen der motorischen Symptome. Der MDS-UPDRS-III-Score verbesserte sich im Off-Zustand im Schnitt um 23 Punkte, was als klinisch bedeutsam gilt. Auch die Dauer der symptomfreien On-Zeiten verlängerte sich im Mittel um 2,7 Stunden pro Tag. Weitere explorative Endpunkte, darunter Lebensqualität und motorische Funktion im On-Zustand, zeigten ebenfalls positive Trends, wobei aufgrund der geringen Probandenzahl keine statistischen Tests durchgeführt wurden.

Beide Studien demonstrieren die technische Machbarkeit und Verträglichkeit der dopaminergen Zelltherapie bei Parkinson und markieren damit einen potenziellen Wendepunkt in der Behandlung dieser chronisch-progressiven Erkrankung. Dennoch betonen unabhängige Experten, dass auf Basis dieser kleinen Studien keine definitiven Aussagen über die klinische Wirksamkeit getroffen werden können. Große randomisierte Studien sind erforderlich, um die Effekte zu validieren und Langzeitrisiken zu identifizieren. Erste weiterführende Studien sind bereits in Planung.

Die vorliegenden Studien zur dopaminergen Zelltherapie bei Parkinson markieren einen bedeutsamen Moment in der Geschichte der neurodegenerativen Forschung. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten scheint der Schritt von der Vision zur praktischen Anwendung tatsächlich in greifbare Nähe zu rücken. Während frühere Zelltransplantationen häufig mit schweren Nebenwirkungen oder enttäuschender Wirkung verbunden waren, gelingt es nun offenbar, unter kontrollierten Bedingungen nicht nur sichere, sondern auch funktionell vielversprechende Ergebnisse zu erzielen.

Dennoch darf Euphorie nicht die notwendige wissenschaftliche Zurückhaltung verdrängen. Beide Studien basieren auf kleinen Patientenzahlen, die eine valide Aussage über Wirksamkeit und langfristige Sicherheit nicht erlauben. Der beobachtete Nutzen, so vielversprechend er erscheinen mag, beschränkt sich derzeit auf motorische Symptome – und auch diese wurden bislang nur über einen begrenzten Zeitraum bewertet. Für viele Patienten mit fortgeschrittenem Parkinson sind jedoch nicht die motorischen, sondern die kognitiven, affektiven und vegetativen Beschwerden entscheidend für die Lebensqualität. Ob diese ebenfalls von einem dopaminergen Zellersatz profitieren, ist derzeit unklar.

Zudem steht die Behandlung unter dem Vorbehalt umfangreicher technischer, ethischer und ökonomischer Fragen. Die Herstellung standardisierter Zellpräparate ist aufwendig, teuer und mit regulatorischen Hürden verbunden. Die Langzeitfolgen – etwa eine mögliche Tumorbildung oder Abstoßung – müssen über viele Jahre hinweg beobachtet werden. Die notwendige Immunsuppression bringt eigene Risiken mit sich, insbesondere bei älteren oder multimorbiden Patienten.

Dennoch ist die Forschung auf dem richtigen Weg. Der Fokus muss nun auf einer klugen Weiterentwicklung basieren: größere, multizentrische Studien mit klaren Einschlusskriterien, langfristiger Nachbeobachtung und differenzierter Bewertung nicht nur der motorischen, sondern auch der nicht-motorischen Symptome. Nur so lässt sich der tatsächliche Stellenwert dieser innovativen Therapieform objektiv beurteilen.

Was bleibt, ist ein realistischer Optimismus. Die Zelltherapie ist noch keine Revolution in der Parkinson-Behandlung – aber sie könnte die Grundlage für einen zukünftigen Therapiewandel bilden. Voraussetzung dafür ist, dass wissenschaftliche Gründlichkeit und therapeutische Verantwortung über wirtschaftliche Interessen und vorschnelle Erwartungen gestellt werden.

 

Vom Amazonas zur Abfüllstraße: Die chemische und kulturelle Reise des Eierlikörs

Eierlikör, das cremige alkoholische Getränk, das heute insbesondere in Deutschland als saisonale Delikatesse gilt, hat eine lange und überraschend internationale Geschichte. Ursprünglich stammt die Rezeptidee vermutlich aus dem Amazonasgebiet Südamerikas. Dort bereiteten indigene Völker eine dickflüssige, süßlich-aromatische Mischung aus Avocado-Fruchtfleisch, Rohrzucker und lokalen Spirituosen zu. Diese als „Abacate“ bekannte Spezialität gelang durch koloniale Handelswege schließlich nach Europa – doch mit einer entscheidenden Hürde: Avocados waren im kühlen Mitteleuropa kaum erhältlich.

Statt der exotischen Frucht setzten europäische Köche im 17. Jahrhundert auf heimische Zutaten. Die weiche Konsistenz und das Fett der Avocado ersetzte man durch Eigelb und Sahne. Zucker sorgte für die nötige Süße, und hochprozentiger Alkohol konservierte das neue Getränk. So entstand das, was man heute als Eierlikör kennt – eine Variante, die sich rasch im deutschsprachigen Raum verbreitete, insbesondere als Dessertlikör in der bürgerlichen Küche und als Bestandteil festlicher Anlässe wie Ostern und Weihnachten.

Heute ist Deutschland nicht nur bedeutender Konsument, sondern auch führender Produzent von Eierlikör in der EU. In großtechnischen Anlagen wird das Getränk unter Einhaltung strenger Hygienestandards hergestellt. Die moderne Produktion beginnt mit der sorgfältigen Auswahl pasteurisierter Eigelbe, die mit Zucker und gegebenenfalls Milchbestandteilen vermischt werden. Der Alkohol – meist Neutralalkohol aus landwirtschaftlichen Quellen wie Zuckerrübenmelasse oder Getreide – wird in einer exakt berechneten Menge beigefügt, um die gewünschte Konsistenz und Haltbarkeit zu garantieren.

Die chemische Stabilität des Produkts ist ein zentrales Anliegen. Die Emulsion aus Fett (Eigelb), Wasser (Sahne und Milch), Zucker und Alkohol muss homogen bleiben und darf sich weder absetzen noch gerinnen. Dafür sind präzise Temperaturkontrollen nötig, ebenso wie das Einhalten definierter pH-Werte. Zusätze wie natürliche Aromen, Vanilleextrakt oder Sahneverstärker können – müssen aber nicht – ergänzt werden. Der Gesetzgeber erlaubt in der EU eine Mindesteiermenge von 140 g Eigelb pro Liter Likör und einen Alkoholgehalt von mindestens 14 Volumenprozent.

Besonderes Augenmerk gilt der mikrobiologischen Sicherheit. Die fertige Mischung wird daher meist durch Pasteurisierung keimfrei gemacht, um ein sicheres Produkt mit monatelanger Haltbarkeit zu garantieren. Während kleine Manufakturen weiterhin auf traditionelle Handarbeit setzen, dominieren heute industrielle Hersteller den Markt. Rund zwei Drittel des europäischen Eierlikörs stammen aus Deutschland. Dabei bedienen sich Produzenten automatisierter Anlagen mit exakter Steuerung der Prozessparameter – von der Emulsion bis zur Abfüllung.

Auch sensorisch hat sich das Produkt weiterentwickelt: Der Geschmack wird heute durch die Maillard-Reaktion beim Erhitzen leicht verändert – eine chemische Reaktion zwischen Zucker und Eiweiß, die Röstaromen erzeugt. Diese Nuancen verleihen dem Getränk Tiefe und tragen zum beliebten cremig-süßen Profil bei.

Die Popularität des Eierlikörs ist ungebrochen. Jährlich werden in Deutschland mehrere Millionen Liter produziert. Neben klassischen Flaschen findet sich der Likör mittlerweile auch in Pralinen, Torten oder als Bestandteil von Cocktails – was den Spagat zwischen Tradition und moderner Genusswelt verdeutlicht.

Eierlikör ist weit mehr als ein Osterschnaps mit Retro-Charme – er ist ein Paradebeispiel für die stille Globalisierung unserer Alltagskultur. Was als indigene Fruchtzubereitung in Südamerika begann, hat sich in Europa zu einem Symbol bürgerlicher Festlichkeit entwickelt – transformiert durch kulinarische Notwendigkeit und weiterveredelt durch industrielle Standardisierung. Der heutige Eierlikör ist dabei weniger ein Produkt natürlicher Tradition als vielmehr das Ergebnis chemischer und technologischer Präzision.

In einer Zeit, in der Lebensmittel zunehmend unter dem Gesichtspunkt von Authentizität und Herkunft betrachtet werden, offenbart der Eierlikör einen spannenden Widerspruch: Er suggeriert Hausgemachtes, ist jedoch das Resultat hochmoderner Lebensmitteltechnologie. Das bedeutet nicht zwangsläufig eine qualitative Abwertung. Im Gegenteil: Die industrielle Herstellung sichert mikrobiologische Sicherheit, gleichbleibende Qualität und die Verfügbarkeit eines Getränks, das ohne technische Hilfsmittel kaum dauerhaft genießbar wäre.

Doch mit jeder Pasteurisierung und Emulgierung entfernt sich der Eierlikör ein Stück weit von seiner ursprünglichen kulturellen Bedeutung. Er wird zu einem austauschbaren Produkt, dessen Herkunft heute nur wenigen bekannt ist. Gerade deshalb lohnt der Blick zurück: auf seine Reise über Kontinente und Jahrhunderte, auf die kreative Adaption von Zutaten, auf die Bedeutung von Chemie als stiller Mitspieler im Getränkeglas.

So bleibt der Eierlikör nicht nur eine Spirituose, sondern auch ein Spiegel kulinarischer Geschichte – ein Produkt, das im Spannungsfeld zwischen Ursprung und Optimierung, zwischen Tradition und Technik seinen Platz behauptet. Wer das nächste Mal ein Glas erhebt, sollte wissen: Hier verbindet sich nicht nur Ei mit Alkohol, sondern auch eine ganze Welt von Kultur, Wandel und Wissenschaft.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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