Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
PARENTERALE REZEPTUREN
Berlin - „Irrsinnig",
„unseriös", „unkalkulierbar"- die Vorbehalte gegen die
Zyto-Ausschreibung der AOK Berlin-Brandenburg waren von Anfang an groß.
Zum Ärger über den Ausschreibungszeitpunkt nur zwei Wochen nach der
Einigung über die neue Hilfstaxe kam eine gehörige Portion Misstrauen -
schnell war unter den Apothekern von einer „Aushorchungsausschreibung"
die Rede. Die zahlreichen Rügen zeigten nun ihre erste Wirkung: Bis auf
weiteres darf die Kasse Angebote nicht öffnen.
Insgesamt sind mittlerweile drei Nachprüfungsverfahren bei der
Vergabekammer Brandenburg anhängig. Die Beschwerden der Apotheker
betreffen dabei nicht nur den vermeintlichen Missbrauch, sondern
richten sich gegen unterschiedliche praktische Aspekte der
Ausschreibung. Im Zentrum der Kritik stehen fehlende Angaben für die
Kalkulation, die Preisbindung sowie die Vorgabe, sich auf maximal ein
Los zu bewerben.
Die Ausschreibung stellt die zytostatikaherstellenden Apotheken vor
große Herausforderungen. Erstmalig müssen sie der Kasse ein Angebot
unterbreiten, zu welchem Preis sie die Versorgung mit parenteralen
Rezepturen übernehmen. Je nach Losgebiet müssen sie für 27 bis 38
Wirkstoffe verbindliche Milligrammpreise angeben. Bei mehreren
Bewerbern erhält der günstigste Anbieter den Zuschlag.
Im Gegensatz zur Vereinbarung der Hilfstaxe sind weder eine separate
Vergütung für Trägerlösungen und Primärpackmittel noch ein Zuschlag für
die Herstellungskosten vorgesehen. Alle entstehenden Kosten müssen über
den Milligrammpreis abgedeckt werden - egal ob eine Rezeptur 10 oder
100 Milligramm Wirkstoff enthält.
Ihrer Kalkulation können die Apotheken lediglich Annahmen zugrunde
legen, denn die Kasse gibt keine Mengen- oder Umsatzgarantien: Einziger
Anhaltspunkt sind die Mengen, die je Wirkstoff im ersten Halbjahr 2009
zu Lasten der Kasse abgerechnet wurden.
„Die Milligrammpreise sind aus diesen Angaben nicht zu berechnen",
sagte ein Berliner Apotheker gegenüber APOTHEKE ADHOC. Der
Gesamtverbrauch sage nichts über die Zahl der Zubereitungen aus. Weil
die Herstellungskosten die Hälfte des finanziellen Aufwands ausmachten,
sei die Zahl der Rezepturen für die Kalkulation entscheidend,
kritisierte eine andere Apothekerin.
Da es im onkologischen Bereich keine Standard-, sondern individuelle
Dosierungen gebe, lasse sich die Zahl der Rezepturen nicht berechnen.
„Dies erfordert eine so grobe Kalkulation, da kann ich auch gleich
raten", sagte eine weitere Apothekerin.
Viele Pharmazeuten bezweifeln außerdem, dass sich die Mengen aus 2009
ohne Weiteres für den Ausschreibungszeitraum hochrechnen lassen.
Wieviel Gramm der einzelnen Wirkstoffe pro Jahr im Losgebiet
verarbeitet werden müssten, hänge stark von der Art und Anzahl der
zukünftig zu versorgenden Patienten ab, geben die Apotheker zu bedenken.
Auch die ungewisse Preisentwicklung auf dem Zytostatikamarkt bereitet
vielen Apothekern Sorge. Durch direkte Verhandlungen mit den
Herstellern haben sie zwar bedingt Einfluss auf ihren Einkauf. Ändern
sich die Konditionen, müssen die Apotheken aber trotzdem zum gebotenen
Preis liefern.
Die AOK hat die Apotheken aufgefordert, trotz des
Vergabekammerbeschlusses weiter Angebote einzureichen - bis 2. März
läuft die Frist. Der ungewisse Ausgang der Ausschreibung ist
insbesondere für die Personal- und Ressourcenplanung der Apotheken eine
zusätzliche Herausforderung: Wer den Zuschlag erhält, muss bereits ab
1. April die Versorgung in seinem Losgebiet sicher stellen. Je nach
Zahl der zu beliefernden Praxen können die Zahl der Rezepturen und
damit die benötigten Kapazitäten deutlich steigen.
Die Folgen für Apotheken, die unterliegen oder auf eine Bewerbung
verzichten, sind stark von der bisherigen Zahl versorgter AOK-Patienten
abhängig - der Anteil schwankt von 15 bis 70 Prozent. Einstellungen
oder Entlassungen auf Verdacht wird jedoch kaum eine Apotheke vornehmen
wollen. Den geplanten Ausbau ihres Labors hat eine Apotheke jedoch
schon gestoppt. Hinzu kommt, dass die exklusive Versorgung der
AOK-Patienten zunächst auf ein Jahr begrenzt ist. Investitionen müssen
damit immer auch im Bewusstsein getätigt werden, dass im kommenden Jahr
eine andere Apotheke den Zuschlag erhält.
Viele Apotheker befürchten insbesondere die Zerstörung bestehender
Versorgungsstrukturen. Denn die Kooperation mit den Arztpraxen hat sich
bisher in Berlin nicht an Bezirksgrenzen orientiert. So arbeiteten
mehrere Apotheken in der Hauptstadt bisher mit onkologischen Praxen
zusammen, die in verschiedenen AOK-Losgebieten liegen. Ein Gebot kann
jedoch nur für eines der 13 Losgebiete abgegeben werden.
Angesichts der Schwierigkeiten ist die Mehrzahl der Berliner Apotheken
eigenen Angaben zufolge bislang noch unentschlossen, was die
Beteiligung an der Ausschreibung angeht. Allerdings treten die
Apotheken im Verfahren als Konkurrenten auf - kaum jemand möchte seinen
Mitbewerbern zum jetzigen Zeitpunkt mehr Informationen als nötig
liefern. Von den Verbänden können sie keine Hilfe bei der
Entscheidungsfindung erwarten - aus kartellrechtlichen Gründen können
sie keine Empfehlung abgeben.
Da die AOK europaweit ausgeschrieben hat, können sich auch Apotheken
außerhalb von Berlin bewerben. Für den Fall, dass nicht-regionale
Bieter den Zuschlag erhalten, befürchtet der Verband
zytostatikaherstellender Apotheken (VZA) eine Verschlechterung der
Versorgungsqualität: „Die Nähe zu den Onkologen hat sich bewährt",
sagte VZA-Präsident Peter Eberwein gegenüber APOTHEKE ADHOC. So
vergingen aktuell häufig nur 20 Minuten von der Bestellung bis zur
Lieferung in die Arztpraxis.
Der Berliner Apotheker-Verein (BAV) befürchtet, dass der Vorstoß der
AOK Berlin-Brandenburg Schule machen könnte: „Es ist nicht
auszuschließen, dass andere Krankenkassen - nicht nur AOKen - versucht
sein könnten, diesem Vorhaben nachzueifern", sagte BAV-Geschäftsführer
Friedrich-Wilhelm Wagner gegenüber APOTHEKE ADHOC. In der Folge werde
es bundesweit zu einem drastischen Konzentrationsprozess bei den
zytostatikaherstellenden Apotheken kommen.
Dass auch andere AOKen und Kassen auf den Zug der Exklusivversorgung
aufspringen, davon ist auch Eberwein überzeugt. Profitieren würden
seiner Ansicht nach vor allem die Rezepturherstellbetriebe: „Es werden
einige Großherstellbetriebe übrig bleiben, denn sie haben eine ganz
andere Verhandlungsmacht als einzelne Apotheken", so der VZA-Präsident.
In Berlin können sich Rezepturbetriebe als Unterauftragnehmer an der
Ausschreibung beteiligen.
Sorgen haben auch die Generikahersteller: Sie prophezeien nicht nur
einen erheblichen Preisverfall, sondern auch einen
Konzentrationsprozess bei Apotheken und Herstellern.
Gegenwind bekommt die Kasse auch vom Deutschen Apothekerverband (DAV):
„Wir halten Ausschreibungen einzelner Krankenkassen für überflüssig",
sagte ein Sprecher. In der Regel seien Ausschreibungen für die
Versorgung nachteilig, weil die zentrale Steuerung regelmäßig am Bedarf
vorbeiginge.
(APOTHEKE ADHOC) Désirée Kietzmann, Donnerstag, 25. Februar 2010, 14:35 Uhr
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