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Steuer & Recht |
Der Gesetzgeber hat es ermöglicht, Jahreshauptversammlungen virtuell oder in Form einer Präsenzveranstaltung durchzuführen. Das ist leider nur ein Kompromiss. Denn die Chancen, die hybride Sitzungen vor allem Minderheitsaktionären bieten, fanden in dem neuen Gesetz keine Berücksichtigung.
Vor Kurzem hat der deutsche Gesetzgeber die Möglichkeit, dass Aktiengesellschaften ihre Jahreshauptversammlungen virtuell ausrichten, gesetzlich verstetigt. Nachdem ein erster Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) auf massive Kritik seitens der Aktionärsvertreter und Gewerkschaften gestoßen war, hatte man dann einen überarbeiteten Regierungsentwurf vorgelegt. Dieser wurde dem Rechtsausschuss zugeleitet, der am 22. Juni 2022 eine Sachverständigenanhörung zu der Thematik durchführte. Danach gab es noch kleinere Änderungsanträge, zum Beispiel wurde die virtuelle Versammlung auch auf Genossenschaften ausgedehnt. Die neue Fassung gibt den Aktionärinnen und Aktionären nun weitgehend ihre Mitwirkungs- und Fragerechte zurück, die im ersten Entwurf noch extrem eingeschränkt waren.
Grundsätzlich wurde die Notfallgesetzgebung des deutschen Gesetzgebers hinsichtlich einer virtuellen Hauptversammlung als Reaktion auf die Einschränkungen der Corona-Pandemie von den Aktionären und Verbänden begrüßt, damit wichtige Entscheidungen in den Gesellschaften nicht blockiert wurden. Die damit verbundenen Einschränkungen für die Aktionäre wurden jedoch eher zähneknirschend hingenommen. Nach Ablauf der als vorläufig gedachten Regelungen im August 2022 wären die alten Vorgaben wieder in Kraft getreten. Vor allem die Minderheitsaktionäre hätten damit gut leben können, denn eine virtuelle Hauptversammlung in ihrer temporären Ausprägung hatte viele wichtige Rechte der Aktionäre stark beschränkt oder ganz entzogen. Nicht zuletzt deshalb wurde von den Interessenvertretern der Aktionäre wiederholt Kritik an der beabsichtigten unveränderten Fortführung der Notfallregelung geübt.
Das jetzt vorliegende Gesetz wird es den Unternehmen fortan erlauben, ihre Hauptversammlungen virtuell im Internet abzuhalten. Die Präsenzveranstaltung bleibt zwar weiter möglich und sollte auch von den Unternehmensleitungen angestrebt werden, insbesondere dann, wenn wichtige und kontrovers diskutierte Strukturmaßnahmen sowie andere zentrale Konzernentscheidungen anstehen. Dass dies geht, hat kürzlich die Hauptversammlung der Telekom AG gezeigt, die in Präsenz der Anteilseigner stattfand. Die rege Diskussion im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens hat aber deutlich gemacht, dass die Vorgaben in der Pandemie von einigen Unternehmen als Gelegenheit genutzt wurden, in ihrem Bereich unangenehme Aktionärsrechte abzuschaffen. So kann man die Hauptversammlung via Internet sehr leicht als Frontalvortrag gestalten und dabei nur handverlesene Fragen zulassen und beantworten.
Insbesondere die Lobbygruppen der Unternehmen, namentlich der Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI), das Deutsche Anwaltsinstitut e. V. (DAI) sowie die Wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht e. V. (VGR), hatten sich für eine Fortführung der Notfallregelung starkgemacht. Damit einher geht der Wunsch, den Einfluss sowie die Kontrollfähigkeit der Aktionäre massiv zu beschneiden. Vor allem Vorstände und Aufsichtsräte einiger großer Unternehmen arbeiten zusammen mit Anwälten und Verbänden seit Langem an diesem Ziel.
Insoweit irritiert auch die Prämisse des frühen Referentenentwurfs, wonach das Format der virtuellen Hauptversammlung von der Praxis gut angenommen worden sei und sich im Großen und Ganzen bewährt habe. Das Gegenteil ist der Fall. Es gab vonseiten der Aktionäre massive Kritik und auch von manchen Unternehmen. Viele virtuelle Hauptversammlungen wurden praktisch ohne jeglichen Echtzeit-Input der Aktionäre durchgeführt. Dadurch wurde die Debattenkultur und damit die Aktionärsdemokratie beschädigt. Die jetzige Fassung ist erheblich besser und erlaubt die notwendige Interaktion zwischen Aktionären und Management sowie einen Austausch zwischen den Aktionären. Das Frage- und Rederecht ist wieder ohne große Einschränkungen während der Hauptversammlung möglich. Die Verlagerung aller wichtigen Entscheidungen ins Vorfeld der Hauptversammlung ist erst einmal vom Tisch. Dennoch gibt es weiterhin Bestrebungen, das gesamte Hauptversammlungsformat unter dem Scheinargument der Entzerrung zu überarbeiten. Daher ist zu befürchten, dass der Gesetzgeber in näherer Zukunft zum Nachteil der Aktionäre noch einmal nachbessert. Die virtuelle Hauptversammlung darf aber nicht als effizientere Möglichkeit zur Durchführung einer Hauptversammlung angesehen werden. Vielmehr sollte sie genutzt werden, um eine engere Bindung der Aktionäre an die Gesellschaft zu ermöglichen und auch den Austausch der Aktionäre untereinander zu fördern.
Angesichts der tatsächlich hohen Akzeptanz spricht sehr viel für hybride Versammlungsmodelle. Solche sind derzeit im Gesetz aber nicht vorgesehen, obgleich alles dafür spricht, dieses Versammlungsformat weiterzuentwickeln. Schließlich gibt es eine Reihe von technischen Möglichkeiten, die bislang noch nicht zum Einsatz gekommen sind. Zudem gibt es keine faktische Grundlage für die Annahme, dass Minderheitsaktionäre kein Interesse an zweigleisigen Modellen hätten. Vielmehr ist sogar zu erwarten, dass bei der Implementierung hybrider Versammlungsformen die Teilnehmerzahlen noch weiter steigen würden. Vor diesem Hintergrund ist die hybride Versammlung sogar als Idealmodell anzusehen, da die Aktionäre dann frei wählen können, ob sie virtuell oder physisch an einer Hauptversammlung teilnehmen.
Das Wahlrecht zwischen einer virtuellen Hauptversammlung und einer Präsenzveranstaltung darf nicht zu einer dauerhaften Flucht in das Internet führen. Das aktuelle Gesetz ist nur ein bedauerlicher Mittelweg. Eine Präsenzhauptversammlung eröffnet einen intensiveren Austausch von Vorstand und Aufsichtsrat mit den nicht in den Organen vertretenen Aktionären. Daher spricht alles dafür, den Minderheitsaktionären die Durchsetzung einer Präsenzhauptversammlung zu ermöglichen. Das Quorum sollte zudem ermöglichen, eine Präsenzhauptversammlung auch zur Beschlussfassung über eine Strukturmaßnahme zu nutzen, wie etwa den zwangsweisen Ausschluss von Minderheitsaktionären (Squeeze-out).
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