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Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
GERICHTSURTEIL
In seinem Urteil vom 30.05.2011 (I-3 U 205/10) hat sich Oberlandesgericht (OLG) Hamm u. a. mit der Frage befasst, ob ein Zahnarzt bei einer Versorgung von Frontzähnen mit Veneers zu viel Zahnsubstanz zerstört hat. Das Urteil ist von Interesse, da es interessante Ausführungen zu den Standards bei einer Veneer-Behandlung macht, wobei es eingehend auf die Aufklärungspflichten des Zahnarztes eingeht.
Der Fall:
In dem konkreten Fall ließ sich eine Patientin Veneers an den Oberkieferfrontzähnen einsetzen. Nach der durchgeführten Versorgung reklamierte die Patientin, dass vor Aufbringen der Veneers die Frontzähne behandlungsfehlerhaft zu weit abgeschliffen worden seien. Bei den dann aufgebrachten Keramikschalen habe es sich schon definitionsgemäß nicht mehr um Veneers, sondern um Teilkronen gehandelt. Es sei fehlerhaft gewesen, dass über die Tiefe des Zahnschmelzes hinaus bis in das Dentin präpariert worden sei, was für das Aufbringen von Veneers viel zu viel gewesen sei. Zulässig sei nur ein Abtrag von 0,3 bis 0,5 mm der Zahnhartsubstanz. Zudem machte die Patientin geltend, dass sie von Seiten des Zahnarztes nicht ordnungsgemäß über die Risiken der Behandlung mit Veneers aufgeklärt worden sei, und zwar insbesondere nicht über die Schädigung der Pulpa sowie eine dauerhafte teils hochgradige thermische Empfindlichkeit und Abszedierung. Zudem sei sie über den Verlauf der Behandlung, insbesondere die Abschleifmaßnahmen sowie über Behandlungsalternativen, nicht aufgeklärt worden. Gegenüber ihrem Zahnarzt machte die Patientin einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von mindestens 8.000,00 Euro geltend und forderte zudem noch Kosten in Höhe von 177,12 Euro für eine zahnärztliche Nachbehandlung und Einholung eines Privatgutachtens ein.
Die Entscheidung:
Auf die Berufung der Patientin hin, änderte das OLG Hamm das Urteil der Vorinstanz ab und verurteilte den Zahnarzt an die Patientin Schmerzensgeld in Höhe von 8.177,12 Euro zzgl. Zinsen zu zahlen. Darüber hinaus wird in dem Urteil festgestellt, dass der Zahnarzt verpflichtet ist, einen weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, der der Patientin aus der Behandlung bzgl. der Präparation ihrer vier Schneidezähne zukünftig noch entsteht.. Interessant ist, wie das OLG Hamm zu dieser Entscheidung kommt.
Kein Behandlungsfehler festgestellt
Dem Zahnarzt wird selbst kein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen bescheinigt. Der Beweis habe nicht erbracht werden könne, dass der Zahnarzt in fehlerhafte Weise zu viel Zahnsubstanz an den Frontzähnen vor Anbringen der Veneers abgeschliffen habe. Ausweislich des Votums des Sachverständigen ließe sich aus der Tatsache, dass die Veneers die Größe von Teilkronen erreicht hätten, nicht auf einen Fehler schließen. Definitionsgemäß handele es sich bei keramischen Verblendungen im Frontzahnbereich um Veneers und bei derartigen Versorgungen im Backenzahnbereich um Teilkronen. Ein Veneer im Frontzahnbereich könne also bei entsprechender Ausdehnung einer Teilkrone im Seitenzahnbereich entsprechen. Auch nach erneuter Nachfrage bei dem Sachverständigen könne nicht festgestellt werden, dass der Zahnarzt vorliegend zu viel abgeschliffen habe bzw. zu dicke Veneers aufgebracht habe. Unter Berücksichtigung der klinischen und radiologischen Befunde könnten auch keine Feststellungen mehr dazu getroffen werden, in welchem Ausmaß tatsächlich Zahnschmelz abgeschliffen wurde. Zwar sei an Teilen der Zähne bis ans Dentin geschliffen worden, wobei diese Vorgehensweise aber an der Anatomie des Zahnes gelegen habe und nicht auf einen Behandlungsfehler rückschließe.
Aufklärungspflicht verletzt?
Das OLG Hamm bejaht aber gleichwohl eine Haftung des Zahnarztes für sämtliche Folgen der zahnärztlichen Behandlung im Zusammenhang mit dem Einsetzen der Veneers, da die Patientin nicht hinreichend über die Risiken, die mit einer solchen Behandlung verbunden sind, aufgeklärt worden sei. Die Patientin sei insbesondere nicht über das Risiko einer Pulpitis, in deren Folge auch eine Abszedierung auftreten könne, aufgeklärt worden. Über ein solches Risiko hätte der Zahnarzt allerdings nach den Kriterien, die der BGH für die Risikoaufklärung entwickelt habe, aufklären müssen. Insoweit sei nämlich auch über seltene Risiken aufzuklären, wo sie, wenn sie sich verwirklichen, die Lebensführung schwer belasten und trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien überraschend sind. Nach diesen Maßstäben entfalle eine Aufklärungsverpflichtung des Zahnarztes also nicht deshalb, da eine Aufklärung in der zahnärztlichen Praxis nicht üblich sei, weil es sich um ein seltenes Risiko handele. Der Sachverständige habe erklärt, dass mit jedem Beschleifen von Zähnen das typische und spezifische Risiko einer Pulpitis verbunden sei. Bei diesem Risiko handele es sich nicht um eine absolute Rarität, sodass es für die Entscheidung der Patientin zur Durchführung der Behandlung nicht ohne jede Bedeutung gewesen wäre. Dies gelte insbesondere deshalb, weil das Einsetzen der Veneers im Wesentlichen auch aus kosmetischen Gründen erfolge.
Pulpitis ist Risiko
Nach den Feststellungen des OLG Hamm entwickelte sich bei der Patientin nach der Versorgung mit Veneers eine Pulpitis, womit sich das aufklärungsbedürftige Risiko in diesem Fall verwirklicht hatte. Aufgrund der damit einhergehenden Beschwerden und Beeinträchtigungen stünde der Patientin ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,00 Euro zu. Darüber hinaus sei auch der Feststellungsantrag der Patientin hinsichtlich weiterer zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorhersehbarer immaterieller Schäden begründet, da solche Schäden bspw. der Verlust der Frontzähne durchaus noch möglich seien. In der Sache wurde die Revision zum BGH nicht zugelassen.
Bewertung:
Die Entscheidung des OLG Hamm zeigt einmal mehr, wie wichtig die Risikoaufklärung in der zahnärztlichen Praxis ist. Selbst wenn kein Behandlungsfehler vorliegt, kann eine nicht erfolgte Aufklärung über typische oder auch seltene Risiken zu einer Haftung des Zahnarztes führen, sofern sich das Risiko über das aufgeklärt werden musste, verwirklicht hat. Nach dieser Entscheidung ist jedenfalls dringend anzuraten, dass bei einer Versorgung mit Veneers auch über das Risiko einer Pulpitis aufgeklärt wird.
RA Michael Lennartz
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