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Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
NEUE ALLGEMEINE GESUNDHEITSZEITUNG FÜR DEUTSCHLAND/ AUSGABE JUNI 2011
Essen - In
der Ausgabe Juni thematisiert die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung
für Deutschland die aktuellen Leistungskürzungen für Typ-2-Diabetiker.
Jüngst entschied der Gemeinsame Bundesausschuss, dass die Krankenkassen
Typ-2-Diabetikern, die nicht insulinpflichtig sind, Harn- und
Blutzuckerteststreifen nicht mehr erstatten dürfen. Und das ohne
ausreichende Untersuchungen über mögliche Langzeitfolgen. Die von
Diabetikerverbänden zu Recht geäußerte Kritik an dieser Entscheidung
blieb ungehört.
Im Leitartikel greift die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für
Deutschland das Thema auf und erläutert, warum auch diese Entscheidung
ein Paradebeispiel für kurzsichtiges Handeln im Gesundheitswesen ist:
Ohne Rücksicht auf persönliche Folgen für den Einzelnen und finanzielle
Folgen für das Gesundheitssystem.
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint
monatlich deutschlandweit mit einer Auflage von 1 Million Exemplaren und
ist kostenlos in Apotheken erhältlich.
IM STICH GELASSEN? DIABETIKER OHNE LOBBY
Wie kurzsichtige Entscheidungen die Gesundheit von Diabetikern gefährden
Die Zahl der an Diabetes mellitus erkrankten Menschen ist erschlagend.
Allein in Europa sind mehr als 50 Millionen Menschen betroffen. In
Deutschland sind es etwa 7,5 Millionen Diabetiker, Tendenz steigend.
Rund 90 Prozent davon leiden unter Diabetes mellitus Typ 2, früher auch
„Altersdiabetes" genannt. Vor einigen Wochen beschloss der Gemeinsame
Bundesausschuss, dass nicht insulinpflichtigen Typ-2-Diabetikern
Blutzuckerteststreifen zur Selbstkontrolle künftig nicht mehr von den
Gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Das erspart den
Gesetzlichen Kassen zwar Ausgaben von mehreren hundert Millionen Euro,
doch viele Diabetiker sind empört und verunsichert.
Mögliche Folgen des Absetzens der Selbstkontrolle sind Probleme bei der
Blutzuckereinstellung: Mittel- und langfristig drohen Erkrankungen, die
nicht nur für den Betroffenen dramatisch sind, sondern letzten Endes
sogar die Gesundheitskosten in die Höhe treiben.
Bei einer Anpassung des Lebensstils und einer stabilen
Blutzuckereinstellung sind die Chancen für ein gesundes Leben für
Diabetiker groß. Voraussetzung dafür ist jedoch eine optimale
medizinische Versorgung, zu der auch regelmäßige Blutzuckerkontrollen
gehören. Die möglichen Folgen für schlecht eingestellte Diabetiker sind
drastisch: Es kommt zu Gefäßschäden, die unter anderem Nierenversagen,
Blindheit, Herzinfarkt und Schlaganfall verursachen können. Dazu kommen
Wundheilungsstörungen und Nervenschäden. Jene Folgen sind es, die die
Zuckerkrankheit zu einer ungeheuren Belastung für den Einzelnen, aber
auch für das Gesundheitssystem und damit für die ganze Gesellschaft
machen.
Der Gemeinsame Bundesausschuss - dabei handelt es sich um das oberste
Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte,
Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen - sieht das nicht so
eng. Auf der Website http://www.g-ba.de
begründet er seine Entscheidung unter anderem folgendermaßen: „Die
Einschränkung der Verordnungsfähigkeit von Harn- und
Blutzuckerteststreifen gilt ausschließlich für nicht insulinpflichtige
Diabetiker. Diese Patienten mit leichteren Formen des Diabetes mellitus -
hierzu gehört ein großer Teil der Typ-2-Diabetiker - können ihre
Krankheit bereits mit einer entsprechenden Ernährungsumstellung,
Gewichtsabnahme und Erhöhung der körperlichen Aktivität sowie der
Einnahme oraler Medikamente (sogenannter Antidiabetika) gut in den Griff
bekommen."
Soviel zur Theorie. Dass die Realität anders aussieht, ist bei
Patientenvertretern und Diabetes-Organisationen bestens bekannt. Der
Deutsche Diabetiker Bund weist daher in einer Online-Petition an den
Deutschen Bundestag darauf hin, dass auch nicht insulinpflichtige
Diabetiker von einer Selbstkontrolle profitieren, da diese gefährliche
„Blutzuckerspitzen" sichtbar macht.
Der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland
e. V. schreibt in seiner Stellungnahme: „Bereits in seiner 2006 und 2007
durchgeführten Patientenbefragung konnte der VDBD nachweisen, dass
hochwertige Schulung und Beratung durch qualifizierte
Diabetesberater/innen und Diabetesassistenten/innen wichtiger
Bestandteil einer erfolgreichen Therapie von Patienten mit Diabetes
mellitus ist. Dies wird nicht zuletzt durch eine deutliche Verbesserung
der Stoffwechseleinstellung mittels regelmäßiger Blutzuckerselbstmessung
belegt. Bei 592 Patienten war eine Berechnung der Veränderung des
HbA1c-Wertes (Anm. d. Red.: Langzeitblutzucker) im Verlauf möglich. Im
Mittel sank der HbA1c von 8,142 Prozent auf 7,028 Prozent. Dies
entspricht einer mittleren Veränderung von - 1,114 Prozent. Dieses
Ergebnis liegt signifikant über der klinisch relevanten Reduktion von
0,4 Prozent. Das Ergebnis zeigt, dass die Blutzuckerselbstmessung eine
geeignete Sicherheitsmaßnahme sowie ein hilfreiches Instrument zur
Therapieanpassung darstellt."
Nicht nur Über-, sondern auch Unterzuckerung stellt für Diabetiker eine
ernstzunehmende Gefahr dar: „Neue Daten aus aktuellen Studien zeigen,
dass auch Typ-2-Diabetiker, die kein Insulin spritzen, ein nicht zu
vernachlässigendes Risiko für schwere Unterzuckerungen aufweisen.
Unterzuckerungen sind zudem bei älteren Menschen - und um diese Gruppe
geht es bei diesem Beschluss - gefährlich", so Privatdozent Dr. Bernhard
Kulzer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Psychologie und
Verhaltensmedizin der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) und
Geschäftsführer des Forschungsinstitutes der Diabetes-Akademie Bad
Mergentheim (FIDAM).
Unterstützung erfahren Diabetiker auch von Apothekerinnen und
Apothekern. Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK)
vertritt ebenfalls die Meinung, dass es sich bei der
Blutzuckerselbstkontrolle um eine etablierte Maßnahme zur Feststellung
von überhöhtem oder zu niedrigem Blutzuckerspiegel handelt. Darüber
hinaus sieht die AMK die mögliche Gefährdung der Patienten durch den
Verordnungsausschluss nicht ausreichend thematisiert.
Die Stimmen gegen den Beschluss sind laut und zahlreich - dennoch werden sie nicht gehört.
Als Grundlage für seine Entscheidung nennt der Gemeinsame
Bundesausschuss lediglich eine in Auftrag gegebene Nutzenbewertung des
Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
(IQWiG) - und hier beginnt der eigentliche Skandal.
„Zur Frage, ob die Selbstmessung dabei helfen kann, Folgeerkrankungen zu
vermeiden, fanden sich keine aussagekräftigen Studien. Daher bleibt
offen, ob eine regelmäßige Selbstmessung beispielsweise zu weniger
Herzinfarkten, Schlaganfällen, Sehverlusten oder Nierenerkrankungen
führt. Die wenigen Daten lassen kaum Schlussfolgerungen darüber zu, wie
sich die Selbstmessung auf die Lebensqualität und Therapiezufriedenheit
auswirkt", schreibt das Institut auf der Website
„Gesundheitsinformation.de".
Und weiter: „Die Forschergruppe wertete 6 Studien ... aus. Die Studien
liefen über sechs bis zwölf Monate, was zu kurz ist, um mögliche
Langzeitfolgen wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle zu untersuchen."
Mit anderen Worten: Der Gemeinsame Bundesausschuss verwirft, wie er
selber zugibt, eine von vielen Diabetikern erfolgreich durchgeführte
Praxis der Selbstkontrolle, nachdem ihnen diese von Diabetes-Fachkräften
und Apotheken vermittelt wurde. Und das tut er, ohne dass auf
ausreichender wissenschaftlicher Grundlage die Frage beantwortet wurde,
ob und in welchem Ausmaß der Verzicht auf die Selbstmessung zu mehr
Herzinfarkten, Schlaganfällen, Sehverlusten oder Nierenerkrankungen
führt.
Natürlich drängt sich die Frage auf, warum jahrzehntelange praktische
Erfahrungen von Patienten und Experten, die sich tagtäglich mit der
Krankheit und ihren Auswirkungen konfrontiert sehen, schlicht ignoriert
werden.
Betrachtet man die Entwicklungen im Gesundheitswesen, vor allem im
vergangenen Jahrzehnt, ist die Antwort schnell gefunden: Statt in ein
funktionierendes Gesundheitswesen zu investieren und dieses
weiterzuentwickeln, kommt nur ein Werkzeug zum Einsatz: die
Kostendeckelung.
Die Verordnungseinschränkung für Typ-2-Diabetiker zeigt diesen Prozess
besonders anschaulich: Die Verordnung senkt bei einer großen Zahl von
betroffenen Patienten auf den ersten Blick die Ausgaben der Gesetzlichen
Krankenversicherung. Was die möglicherweise von dem neuen Beschluss
verursachten, hoch spezialisierten Therapien von an Nieren, Augen oder
dem Herz-Kreislauf-System erkrankten Diabetikern in den kommenden fünf,
zehn oder zwanzig Jahren kosten werden, ist jetzt jedoch nicht absehbar.
Doch wer kann in einigen Jahren noch nachvollziehen, ob einem
Diabetiker schwerwiegende Folgekrankheiten erspart geblieben wären, wenn
seine Krankenkasse die Blutzuckerteststreifen weiterhin erstattet
hätte?
Es ist wie immer: Kurzfristige Kostensenkung ist alles - die hochgradige
Verunsicherung der Patienten bedeutet nichts. Aber das hatten wir schon
bei den sogenannten Rabattverträgen.
HERR MINISTER, ÜBERNEHMEN SIE!
Ein Kommentar der Redaktion
Millionen Diabetiker gibt es in Deutschland. Die regelmäßige
Selbstkontrolle des Blutzuckerspiegels war bisher für viele von ihnen
ein absolutes Muss. Dazu brauchen sie Teststreifen und ein Messgerät und
Fachkräfte, die es ihnen beibringen. Die Kosten für die Kassen sind
entsprechend hoch. Eine Milliarde geben sie pro Jahr dafür aus. Jetzt
hat der Gemeinsame Bundesausschuss GBA den Beschluss gefasst, diese
Teststreifen für nicht insulinpflichtige Typ-2-Diabetiker nicht mehr zu
erstatten. Und das ohne eine wissenschaftlich fundierte Untersuchung
darüber, welche negativen Folgen das für die Gesundheit dieser Menschen
haben kann. Das ist ein Skandal.
Doch noch ist nicht aller Tage Abend. Wir haben einen neuen
Bundesgesundheitsminister, Daniel Bahr. Kann er der unsinnigen,
gefährlichen und patientenbelastenden Entwicklung entgegenwirken? Herr
Minister - übernehmen Sie!
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