• 03.06.2011 – BSG: Angemessene Vergütung durch „Honorarmix"?

    GESUNDHEIT – GERICHTSURTEIL In einer vor kurzem veröffentlichten Entscheidung vom 08.12.2010 (B 6 KA 42/09 R) beschäftigt sich das Bundessozialgericht (BSG) erneut mit der F ...

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GERICHTSURTEIL

BSG: Angemessene Vergütung durch „Honorarmix"?

 

In einer vor kurzem veröffentlichten Entscheidung vom 08.12.2010 (B 6 KA 42/09 R) beschäftigt sich das Bundessozialgericht (BSG) erneut mit der Frage der angemessenen Vergütung und Honorargerechtigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung. Der Fall ist deshalb von besonderem Interesse, da das BSG Vergütungen im Privatbereich in einer Art „Gesamtkalkulation" in seine Betrachtungen zur Honorargerechtigkeit der Arztgruppe der Dermatologen im Vergleich zu anderen Facharztgruppen einbezieht. Dieser Umstand ist insbesondere deshalb von Interesse, da Privatleistungen, die mit dem kassenärztlichen Versorgungssystem überhaupt nichts zu tun haben, eine Art Alimentierung für den Vertragsarzt darstellen sollen.

Angemessene Vergütung - eine Frage der Perspektive

Die Frage der angemessenen Vergütung von Vertragsärzten und Vertragszahnärzten beschäftigt (erregt) schon seit Jahren die ärztlichen Gemüter und die Rechtsprechung. Die gesetzliche Vorgabe im § 42 Abs. 2 SGB V ist eigentlich recht unmissverständlich. Hiernach ist die vertragsärztliche Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses ... so zu regeln, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse gewährleistet ist und die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet werden.

Was unter „angemessener Vergütung" zu verstehen ist, wird allerdings vom BSG bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung durchaus differenziert gesehen. Verkürzt gesagt, leitet das BSG aus dem gesetzlichen Anspruch auf angemessene Vergütung regelmäßig keinen individuellen Anspruch des Arztes oder Zahnarztes auf eine entsprechende Vergütungserhöhung ab. Ein subjektives Recht auf Vergütungsanpassung wird seitens des BSG dabei nur gesehen, wenn durch eine zu niedrige Vergütung ärztlicher Leistungen, das vertragsärztliche Versorgungssystem als Ganzes und als Folge davon auch die berufliche Existenz der daran teilnehmenden Vertragsärzte und Vertragszahnärzte gefährdet wird (Urteil vom 20.10.2004, B 6 KA 30/03 R).

Der Fall

In dem vom BSG entschiedenen Fall begehrte eine Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten ein höheres Honorar für das Quartal II/2005, wobei sie insbesondere geltend machte, dass der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit verletzt sei, weil ihre Fachgruppe gegenüber anderen Facharztgruppen bei der Honorarverteilung seit Jahren unverhältnismäßig benachteiligt worden sei. Vor dem Sozialgericht (SG) Marburg konnte sich die Fachärztin nicht durchsetzen und auch die Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Hessen blieb erfolglos. Das Honorar sei nach den Vorgaben der Honorarverteilungsregelungen zutreffend festgesetzt worden, wobei es insbesondere nicht zu beanstanden gewesen sei, dass der Punktwert für Leistungen innerhalb der Regelleistungsvolumina quotiert worden sei.

Die Position des BSG

Auch das BSG verneint einen Anspruch der Fachärztin auf ein höheres Honorar für das Quartal II/2005. Es sei nicht zu beanstanden, dass die innerhalb der Regelleistungsvolumina liegenden Honorarforderungen einer Quotierung unterlägen. Die in dem betreffenden Quartal geltende Honorarvereinbarung entspreche mit der Einführung der Regelleistungsvolumina den Vorgaben des Bewertungsausschusses. Die Fachärztin könne höheres Honorar auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit der Vergütung ihrer vertragsärztlichen Leistungen beanspruchen, wobei die Vorinstanzen zu Recht darauf hingewiesen hätten, dass nach der Rechtsprechung des BSG ein subjektives Recht auf höheres Honorar erst dann in Betracht komme, wenn in einem fachlichen und / oder örtlichen Teilbereich kein ausreichender finanzieller Anreiz mehr bestünde, vertragsärztlich tätig zu werden, und deshalb in diesem Bereich die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung gefährdet sei. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass eine solche Situation im Bereich der beklagten KV für die Gruppe der Fachärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten eingetreten sein könnte. Ein Anspruch auf höheres Honorar sei ebenso wenig aus dem aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit abzuleiten.

In seiner Begründung führt das BSG ausführlich aus, dass „keine so signifikante Schlechterstellung der Gruppe der Hautärzte vorliege", wobei es neben Statistiken aus der vertragsärztlichen Versorgung auch auf die Erhebungen des statistischen Bundesamtes hinweist, wonach 2007 bei den Praxen von Hautärzten ein Anteil der privatärztlichen Vergütung von 45,3 % an den Gesamteinnahmen aus selbstständiger ärztlicher Tätigkeit zu verzeichnen war, was der mit Abstand größte für eine Arztgruppe ausgewiesene Prozentsatz an Privateinnahmen sei.

Unterschiede bei Vergütung gewollt?

Ein Anspruch auf höheres Honorar könne auch aus Rechtsgründen nicht auf Honorarunterschiede zwischen einzelnen Arztgruppen gestützt werden, da der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit kein gleichmäßiges Einkommen aller vertragsärztlich tätigen Ärzte garantiere. Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG gebiete nicht, dass die Überschüsse aus vertragsärztlicher Tätigkeit bei allen Arztgruppen identisch sein müssten. Dass etwa zwei Drittel der Fachärzte ein Honorar unterhalb des Durchschnittes erzielen würden, lasse auf erhebliche Verwerfungen innerhalb der einzelnen Fachgruppen schließen, was etwa auch Anlass für Stützungsmaßnahmen zu Gunsten umsatzschwacher Praxen sein könne. Gewisse Unterschiede hinsichtlich der Überschüsse aus vertragsärztlicher Tätigkeit könnten vom Gesetzgeber durchaus gewollt und eine entsprechende Differenzierung unter Versorgungsgesichtspunkten gerechtfertigt sein.

Keine unzureichende Vergütung durch „Einpreisung" von Privateinnahmen?

Bei der Beurteilung, ob eine gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstoßende flächendeckend unzureichende Vergütung vertragsärztlicher Leistungen einer bestimmten Arztgruppe vorliege, seien neben den Einnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit auch die Einnahmen aus privatärztlicher sowie sonstiger Tätigkeit zu berücksichtigen. Würden die Einkommen aus privatärztlicher Tätigkeit bereits je nach dem Standort einer Praxis und der Zusammensetzung des Patientengutes differieren, so sei auch das mögliche Spektrum privatärztlicher Leistungen für gesetzlich versicherte Patienten in den Facharztgruppen unterschiedlich groß. Das BSG kommt dabei zu dem Schluss, dass angesichts der Höhe der im Durchschnitt in der Gruppe der Fachärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten erzielten Honorare, die im Vergleich zum Durchschnitt aller Facharztgruppen, keine gravierenden Verwerfungen erkennen lassen würden sowie der hohen Quote der Einnahmen der Hautärzte aus privatärztlicher Tätigkeit sich eine unzureichende Vergütung der Fachgruppe insgesamt nicht feststellen lasse.

Bewertung:

Grundsätzlich neu ist der Ansatz des BSG nicht, auch privatärztliche oder sonstige Tätigkeiten bei der Frage der Honorarverteilungsgerechtigkeit einzubeziehen, wobei das BSG in seiner Entscheidung auf seine Beschlüsse vom 23.05.2007 (B 6 KA 27/06 B) und vom 31.08.2005 (B 6 KA 22/05 B) hinweist.

Der Ansatz des BSG, dass „insgesamt" eine unzureichende Vergütung der Fachgruppe unter Einbeziehung der Privateinnahmen nicht festzustellen sei, ist aber gleichwohl zu hinterfragen. Das BSG sieht hier offensichtlich eine „Mischkalkulation" unter Einbeziehung von Privateinnahmen, was aber letztlich eine Vermischung des Systems der GKV und der privatärztlichen Versorgung bedeutet. Mit diesem Hinweis auf „zusätzliche Einnahmequellen aus dem Bereich der privatärztlichen Tätigkeit" könnte man im Endeffekt jede Unzulänglichkeit der Vergütung im GKV-Bereich „kompensieren". Dieser Ansatz ist „recht ungewöhnlich", da das System der GKV doch sicherstellen müsste, dass ein Arzt auch ohne zusätzliche Einnahmequellen als Vertragsarzt eine angemessene Vergütung erhält, die es ihm erlaubt, die entstehenden Kosten zu decken und einen Unternehmerlohn zu erzielen. Die vom BSG gesehene Möglichkeit, im Rahmen der „angemessenen Vergütung" Privateinnahmen einzubeziehen, bedeutet eine weitere Entwertung der vertragsärztlichen Vergütung. Mit seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung hat der Vertragsarzt nicht nur Rechte, sondern auch zahlreiche Pflichten bei der Behandlung von über 90 % GKV-versicherten Patienten in Deutschland. Bei der Einbindung in ein derartiges System, aus dem man auch nicht ohne Weiteres aussteigen kann, wie die Entscheidungen des BSG zum „kollektiven Zulassungsverzicht" eindrücklich vor Augen geführt haben, muss es für den teilnehmenden Arzt ohne wenn und aber die Möglichkeit geben, für Leistungen, die er in diesem System erbringt, angemessen vergütet zu werden. Ihn zusätzlich auf weitere Einnahmequellen zu verweisen, bedeutet im Umkehrschluss, dass er ggf. im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung zu unzureichenden Vergütungen arbeiten soll. Ob diese Form der „Einbindung" in das Vertragsarztsystem vom Gesetzgeber tatsächlich so gewollt ist und verfassungsgemäß ist, darf durchaus hinterfragt werden.

RA Michael Lennartz

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