Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
Essen - Experten hatten
es schon vor Inkrafttreten des Gesundheitsfonds prophezeit: Jetzt
müssen die ersten Krankenkassen Zusatzbeiträge erheben. Die DAK hat den
Anfang gemacht, viele weitere werden folgen.
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland greift das Thema
in der März-Ausgabe auf und erläutert anhand von Beispielen, warum der
Gesundheitsfonds zur Finanzierung des Gesundheitswesens nicht
ausreicht. Und dass Besserung ohne tiefgreifende Veränderungen nicht in
Sicht ist.
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint
monatlich mit einer Auflage von 1 Million Exemplaren und ist
deutschlandweit kostenlos in Apotheken erhältlich.
Das Chaos geht weiter
Warum die Kassenbeiträge steigen
Millionen Versicherte haben in den letzten Wochen Post erhalten - mit
durchaus unerfreulichem Inhalt. Ihre Krankenkasse hat geschrieben. Sie
will Geld von den Mitgliedern haben. Zusätzlich zu den
Krankenkassenbeiträgen, unter denen schon viele Versicherte stöhnen.
Die einen Kassen fordern 1 Prozent vom Einkommen bis zur gesetzlich
festgelegten Höchstgrenze von 37,50 Euro pro Monat, die anderen sind
(noch) mit 8 Euro pro Monat zufrieden. Die Frage ist nur, wie lange?
Vorreiter der großen Kassen ist die DAK. Nach der Fusion mit der
Hamburg Münchener Krankenkasse kommt sie auf über 6,4 Millionen
Versicherte bei 4,8 Millionen Mitgliedern. Denen bietet sie großzügig 3
Euro Rabatt oder eine Auslandsreise-Krankenversicherung an, wenn man
den Jahresbeitrag in einer Summe abbuchen lässt. Und man kann an einer
Verlosung von Wellness- und Gesundheitsreisen teilnehmen. Die sind
gestiftet - von dem Reiseveranstalter, mit dem die DAK einen
Kooperationsvertrag hat. Die übrigen Kassen sind nicht weniger
erfindungsreich, was das Verhindern von Kündigungen erboster Mitglieder
angeht: Rabatte sind Trumpf.
Andere große Kassen, wie die Barmer GEK mit ihren 8,6 Millionen oder
die TK Techniker Krankenkasse mit 7,3 Millionen Versicherten, sind da
vorsichtiger. Diese Kassen haben zu erkennen gegeben, dass sie für 2010
(zunächst) noch keine Erhebung von Zusatzbeiträgen planen. Man wartet
ab, wie die Mitglieder der DAK reagieren. Werden sie zu
Hunderttausenden die DAK verlassen? Immerhin hat kein geringerer als
Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler (FDP) die Versicherten zum
Wechsel der Krankenkasse aufgefordert. Als wenn das an der
Unterfinanzierung etwas ändern würde. Nach Meinung von Experten kommt
keine Krankenkasse mittelfristig um die Erhebung von Zusatzbeiträgen
herum.
Schuld an den Beitragserhöhungen sei der Gesundheitsfonds. Das sagen
die Chefs der Kassen nicht erst seit gestern. Zum 1. Januar 2009, dem
Geburtstermin des Gesundheitsfonds, war der Einheitsbeitrag noch auf
15,5 Prozent festgelegt worden. Das galt jedoch nur für sechs Monate.
Zum 1. Juli 2009 wurde er - wahltaktisch motiviert - von der Regierung
auf 14,9 Prozent gesenkt. Diese Belastung wird seit 2005 nicht mehr
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer solidarisch aufgeteilt. 7,9
Prozent muss der Arbeitnehmer tragen, 7 Prozent der Arbeitgeber.
Experten sahen damals schon die negativen Folgen der chronischen
Unterfinanzierung dieses "Bürokratie-Monstrums", wie die FDP es einmal
genannt hat, voraus. Und sie behielten Recht. Zwar greift der Staat dem
schwächelnden Gesundheitsfonds mit einem Zuschuss unter die Arme,
jedoch nur in Form eines zinslosen Darlehens. Den sollen die Kassen
Ende nächsten Jahres zurückzahlen. Das werden sie nur leisten können,
wenn die Mitglieder brav ihre Zusatzbeiträge bezahlen, auf die dann
kaum eine Kasse verzichten kann.
"Ökonomisch ist das eine Missgeburt", brachte Axel Börsch-Supan,
Professor für Volkswirtschaftslehre und damals Vorsitzender des
Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium, schon im
Jahre 2006 seine Kritik am Gesundheitsfonds auf den Punkt.
"Die Rache von Ulla Schmidt" nannte die Rheinische Post in einem
Kommentar denn auch den Gesundheitsfonds. Und fuhr dann fort: "Der
Zusatzbeitrag spiegelt das ganze Versagen der abgewählten großen
Koalition". Wie wahr. Aber der Gesundheitsfonds war ja nicht die
einzige undurchdachte und überflüssige "Reform" während der Amtszeit
von Ulla Schmidt, sondern nur der Höhepunkt vor dem Ende.
Und so ist der Gesundheitsfonds auch nicht der einzige Grund für die
Erhebung von Zusatzbeiträgen. Da sind auch die enormen
Verwaltungskosten der Krankenkassen. 8,3 Milliarden Euro gaben die
Kassen im Jahre 2008 dafür aus. 131 Millionen Euro gingen alleine für
Werbezwecke drauf - damit nimmt eine Kasse der anderen die Mitglieder
weg. Die Ausgaben für Ruhegehälter, Pensionen und Renten aus
Zusatzversorgungen waren mit 569 Millionen auch nicht gerade
bescheiden.
Und die Verwaltungskosten werden weiter steigen. Die Kassen selbst
machen die Rechnung auf: Bis zu 1,5 Milliarden (!) Euro wird der Einzug
der Zusatzbeiträge kosten. Das hat die AOK errechnet. Es ist ja auch
der blanke Wahnsinn, wenn die Kassen ihre Zusatzbeiträge einzeln bei
jedem Mitglied einziehen müssen. Für jedes Mitglied muss ein eigenes
Konto angelegt werden. Es müssen Briefe geschrieben, Bankeinzüge
eingeholt, Geldeingänge verbucht, es muss gemahnt und gepfändet werden
- für 50 Millionen Mitglieder. Dass dieser Aufwand nur 2,00 - 2,50 Euro
pro Mitglied und Monat kosten soll - so die Berechnungen der Kassen -
ist schon fragwürdig.
Aber das ist ja nicht alles. Die Kassen, die als Zusatzbeitrag 1
Prozent vom Gehalt fordern, müssen die Einkommensverhältnisse ihrer
Mitglieder erkunden. Wie prüft man diese Auskünfte, wie schützt man
diese sensiblen Daten? Gerade in letzter Zeit sind Kassen ins Gerede
gekommen, sie würden mit vertraulichen Daten ihrer Versicherten
schlampig umgehen.
Streit zwischen Apothekerschaft und Kassen herrscht zurzeit um die
Frage, ob die Kassen Erträge aus Rabattverträgen, die sie mit
Arzneimittelherstellern geschlossen haben, in Milliardenhöhe
verschleiern. Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen
Apothekerverbandes (DAV), wirft den Kassen vor, diese Erträge nicht an
die Versicherten weiterzugeben, sondern damit steigende
Verwaltungskosten zu vertuschen. "Die Kassen verheimlichen ihren
Versicherten eine Milliarden-Einsparung", so Becker zur "Bild-Zeitung".
Obwohl die Kassen diesen Vorwurf vehement zurückweisen und das
Bundesgesundheitsministerium abwiegelt, alles sei korrekt verbucht
worden - eine Verschleierung von Erträgen aus dem Abschluss von
Rabattverträgen seitens der Kassen wäre ein Skandal. Darauf hat diese
Zeitung immer wieder hingewiesen. Es kann nicht sein, dass Kassen, die
wild hinter Rabattverträgen her sind - ungeachtet wie belastend die
ständigen Wechsel der Medikamente für die Patienten auch sein mögen -
eine detaillierte Auskunft über die Höhe dieser zusätzlichen Erträge
verweigern.
Denn ganz gleich, ob es nun 1 Milliarde Euro sind - so die Schätzung
der Apotheker - oder 500 Millionen, so darf man mit Zahlen dieser
Größenordnung nicht umgehen. Gipfel der Arroganz: die DAK. Auf die
Frage des Brancheninformationsdienstes "APOTHEKE ADHOC" nach der Höhe
der Erträge bei der DAK lautete die Antwort: "Fragen Sie bei VW, welche
Rabatte die durch ihre Verträge mit Zulieferern bekommen?" Das ist
Missachtung des Informationsbedürfnisses von Millionen Mitgliedern.
Wie drückte es die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt im
Oktober 2008 in einem Interview gegenüber den "Stuttgarter Nachrichten"
aus? "In Wahrheit geht es den Kassenmanagern darum: Alles soll
intransparent bleiben ..."
Warum steigen die Kassenbeiträge weiter? Neben der (politisch
gewollten) Unterfinanzierung des Gesundheitsfonds und den hohen, aber
intransparenten Verwaltungskosten der Kassen stehen auch und wieder
einmal die Arzneimittelpreise im Fokus.
Die Diskussion dreht sich dabei um die patentgeschützten
Originalpräparate. Sie sind die Hauptursache für wachsende
Arzneimittelausgaben. Die Hersteller dieser Arzneimittel sehen sich dem
Vorwurf ausgesetzt, für ihre oft hochinnovativen Produkte zu hohe
Preise zu verlangen.
Es lässt sich nicht leugnen: Die Preise für patentgeschützte Präparate
sind in Deutschland nicht selten höher als in anderen Ländern der EG.
Das hat sowohl historische als auch handfeste ökonomische Gründe:
Deutschland, früher einmal "die Apotheke der Welt", war immer schon
"Referenzland" für viele weitere Länder, was die Preise für neue
Arzneimittel anbetrifft. In den Abschlägen auf den deutschen Preis bei
der Einführung innovativer Medikamente in diesen Ländern drückt sich
deren geringere volkswirtschaftliche Leistung ebenso aus wie ihre
niedrigere Sozialstruktur.
Den Krankenkassen war dies schon immer ein Dorn im Auge. So war es denn
nur logisch, dass Gesundheitsminister Rösler nach einem Gespräch mit
den Kassen im Februar erklärte, er werde ein Konzept vorlegen, um "die
Arzneimittelpreise dauerhaft in den Griff zu bekommen".
Was Rösler übersieht: Jedes patentgeschützte Arzneimittel ist im
Prinzip einzigartig - ein Monopol. Es wirkt neu gegen eine Krankheit,
gegen die es bisher noch kein (oder kein so gutes) Mittel gab. Und
Monopole haben nun einmal einen Monopolpreis - das heißt, der
Hersteller kann im Prinzip fordern, was er will - oder was der Markt
bereit ist zu zahlen.
Aber in diesem besonderen Markt der Arzneimittel versagen die
Marktprinzipien: "Der Markt" - das sind wir alle - zahlt alles, weil
bisher niemand einem ernsthaft Kranken Linderung oder Gesundung
verweigern will.
Ob Preisverhandlungen zwischen Regierung, Krankenkassen und Herstellern
diese Entwicklung stoppen können? Nur wenn ein fairer Ausgleich
zwischen allen Interessen gefunden wird.
Und sie bewegt sich doch
Ein Kommentar der Redaktion
4,35 Milliarden Euro hat der Staat im vergangenen Jahr an
Mehrwertsteuer auf Medikamente kassiert. Das ist unanständig hoch im
Vergleich zu fast allen anderen Staaten Europas. Kein Wunder, dass im
Gesundheitsfonds ein riesiges Loch klafft. Aber jetzt soll es ernst
werden. Die FDP war schon immer für einen niedrigeren Steuersatz. Die
Koalition will jetzt den Mehrwertsteuersatz auf Medikamente
"überprüfen". Sollte die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel sich am Ende
doch noch bewegen?
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