Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
Witzenhausen - Sehr
geehrter Herr Dr. Rösler,
die Initiatoren der Algebra GmbH, Apotheken im Verbund, stehen seit mehr
als 20 Jahren im Dienste der deutschen, öffentlichen Apotheken. Durch
mehr als 3.500 betriebswirtschaftliche Einzelberatungen von Apotheken in
allen Umsatzgrößen kann behauptet werden, dass wir einen umfassenden
Überblick über die betriebswirtschaftliche Situation der bundesdeutschen
Apotheken haben. Der Apothekenverbund Algebra selbst entstand vor einem
Jahr und betreut zurzeit ca. 60 Apotheken.
Selbstverständlich sind auch wir der Meinung, dass bezüglich der enorm
steigenden Kosten im deutschen Gesundheitswesen etwas getan werden muss.
Derzeit werden die Vorschläge aller Parteien geprüft, die geeignet sind
die Kostenspirale zu stoppen.
Ihr Plan, die Haupteinsparung bei der forschenden Industrie
durchzusetzen, stößt nicht überall auf Gegenliebe. Dies ist verständlich
aus Sicht der Hersteller und Patentinhaber. Wir denken: „Das ist der
richtige Ansatz." Von Aufschlägen, die die Pharmaindustrie in vielen
Fällen generiert, können die Apotheken und alle anderen Marktteilnehmer
nur träumen. Durchschnittlich 64,5 % des Endpreises eines Arzneimittels
vereinnahmt der pharmazeutische Hersteller. Bei hunderten, wenn nicht
tausenden Arzneimitteln ist die Verpackung des Medikamentes teurer als
die Herstellung des Medikamentes selbst.
Laut den Veröffentlichungen der obersten Standesvertretung ABDA betrugen
die GKV-Gesamtausgaben im Jahr 2008 160,76 Mrd. Davon wurden 16,7 %
(26.846.920.000,- €) für Arzneimittel aufgewendet. Die Wertschöpfung
der Apotheken daraus betrug jedoch nur 2,6 % (4.179.760.000,- €).
Umgerechnet auf die rund 21.500 in Deutschland ansässigen Apotheken kann
die durchschnittliche Apotheke also mit einem jährlichen Rohertrag von
194.407,44 € rechnen. Von dieser Summe müssen alle Kosten der Apotheke
bestritten werden.
Die durchschnittliche Apotheke beschäftigt ca. 5,5 Mitarbeiter, die sich
aus angestellten Apotheker/innen, PTA, PKA und Aushilfskräften
zusammensetzen. Bei einem geschätzten jährlichen Durchschnittsbruttolohn
von 30.000,- € muss die Apotheke mit Lohnkosten in Höhe von 165.000,- €
rechnen. Für Miete und Nebenkosten einer durchschnittlichen Apotheke
sind jährlich mindestens 36.000,- € anzusetzen. Damit ist der Rohertrag,
den die Apotheke über verschreibungspflichtige Medikamente (RX-Umsatz)
realisieren kann, bereits aufgebraucht. Der tatsächliche Gewinn, wenn es
denn wirklich einen gibt, wird in der Apotheke also hauptsächlich über
den sogenannten NON-RX-Umsatz generiert.
Eine Apotheke, die auf Grund ihres Standortes und der dort
vorherrschenden Kaufkraft der Bevölkerung wenig bis gar keinen
NON-RX-Umsatz in Form von OTC- und Freiwahlumsatz (Selbstmedikation)
generieren kann, hat schon jetzt die größten Schwierigkeiten zu
überleben. Laut der Pressemitteilung des Institut für Handelsforschung
GmbH, Köln (IfH) vom 05.02.2010 steht gegenwärtig jede dritte Apotheke
vor dem Aus.
Zum Vergleich:
• Der NON-RX-Umsatzanteil in Apotheken in den alten Bundesländern
beträgt im Durchschnitt 17 % - 20 % vom Gesamtumsatz der Apotheke.
• Der NON-RX-Umsatzanteil in Apotheken in den neuen Bundesländern
beträgt im Durchschnitt 5 % - 7 % vom Gesamtumsatz der Apotheke.
Sämtliche Gesundheitsreformen der vergangenen 5 Jahre hatten immer eine
Ertragskürzung der öffentlichen Apotheken zur Folge. Da sich alle
Reformen hauptsächlich auf die GKV-Ausgaben bezogen, waren dadurch auch
immer die Apotheken in den neuen Bundesländern besonders schwer
betroffen. Deren Ertrag hat sich in den vergangenen 5 Jahren nahezu
halbiert.
Jede weitere Maßnahme, die den Ertrag der Apotheken noch weiter absenkt,
bedeutet auf absehbare Zeit die Insolvenz für tausende bundesdeutsche
Apotheken. In besonders strukturschwachen Gebieten, wie z. B.
Mecklenburg-Vorpommern, könnte es passieren, dass ein Patient demnächst
50 oder 60 Kilometer fahren muss, um sein Rezept in einer Apotheke
einlösen zu können. Dies kann nicht im Sinne der Bevölkerung und auch
nicht im Sinne Ihrer Wähler sein.
Laut den aktuellen Zahlen der ABDA (Quelle: ABDA -Veröffentlichung
Zahlen, Daten, Fakten 2008) sind zurzeit 145.480 Menschen in
öffentlichen Apotheken beschäftigt. Wenn 50 % aller Apotheken auf Grund
eines neuerlichen Ertragsverlustes schließen müssten, was ja
offensichtlich von einigen „Gesundheitsexperten" gern in Kauf genommen
wird, wären dementsprechend auch 72.740 Menschen unmittelbar von
Arbeitslosigkeit bedroht.
Es ist müßig auszurechnen, um welche Summen sich dann die Ausgaben der
Sozialträger erhöhen würden. Frau Von der Leyen kann hierzu sicher
genauere Angaben machen.
Bei allem Respekt, Herr Dr. Rösler: Man kann nicht einen einzigen
Berufsstand für die steigenden Kosten im Gesundheitswesen aufkommen
lassen. Besonders dann nicht, wenn der betreffende Berufsstand überhaupt
keinen Einfluß auf die Preisgestaltung der erstattungsfähigen
Medikamente hat. Man kann auch nicht die 21.500 Apotheker und
Apothekerinnen bis zum Kollaps auspressen, während andere Teilnehmer des
Marktes aus dem Vollen schöpfen, nur weil deren Lobby größer oder
effektiver ist.
Folgende Vorschläge werden zurzeit im Markt heftig diskutiert:
1) Die von Frau Dr. Pfeiffer angeregte Anhebung des Zwangsrabattes an
die Krankenkasse, von derzeit 2,30 € auf die 4,- € pro
verschreibungspflichtiger Packung, würde bei 757 Millionen Packungen
(im Jahr 2008) einen Ertragsverlust von 59.855,- € pro Apotheke
bedeuten.
Die Aussage von Frau Dr. Pfeiffer, die Gewinnspannen der Apotheken seien
immer noch so hoch, dass sich auch die „überflüssigen" Apotheken noch
halten können, ist mehr als zynisch und geht an der
betriebswirtschaftlichen Faktenlage insbesondere von Apotheken in
strukturschwachen Gebieten völlig vorbei.
2) Der Vorschlag des Gesundheits-Staatssekretärs Stefan Kapferer, die
„Funktionsrabatte" des pharmazeutischen Großhandels abzuschöpfen, hört
sich in den Ohren der Krankenkassen sicher gut an.
Würde die Handelsspanne des pharmazeutischen Großhandels tatsächlich
gekappt werden, würde der Großhandel diese Kürzung 1:1 an die Apotheke
weiterreichen. Letztendlich würde wieder nur die öffentliche Apotheke
von der Sparmaßnahme betroffen.
Je nachdem, wie dann die Vergütung des Großhandels aussieht, würde er
seinem Kunden, der Apotheke, jährlich zwischen 20.000,- € und 50.000,- €
weniger Preisnachlass einräumen. Das Ergebnis wäre aber immer das
Gleiche. Die Apotheke geht pleite!
3) Auch Herr Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) ist der Meinung, dass die
„überflüssigen Gewinne" der Apotheken abgeschöpft werden müssten.
Hier stellt sich doch die Frage:
Welche Gewinne möchte Herr Prof. Dr. Lauterbach denn abschöpfen? Laut
der Veröffentlichung vom 05.02.2010 des IfH Köln, basieren die Zahlen
der angeblich erwirtschafteten Apotheken-Gewinne von Herrn Prof. Dr.
Lauterbach auf einem Gutachten aus dem Jahr 2002/2003 - also einer Zeit
vor dem Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetz (GMG), dem
Arzneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) und dem
GKV-Wettbewerbs-Stärkungsgesetz (GKV-WSG). Allein diese drei
Gesundheitsreformen hatten für die bundesdeutschen Apotheken einen
Ertragsverlust von mehr als 30 % zur Folge.
Wir möchten mit diesem Schreiben darauf hinweisen, dass die Ausgaben im
Gesundheitswesen nicht wegen der Apotheken und deren angeblich so
enormen Gewinne gestiegen sind und immer noch steigen.
Vielmehr sollte hinterfragt werden, welche anderen Kostentreiber sich
ungeniert im System bedienen können! Warum zum Beispiel werden in
Deutschland mehr als 250 Krankenkassen benötigt? Die Verwaltungskosten
der Krankenkassen waren, gemessen an den Gesamtausgaben im Jahr 2008,
exakt doppelt so hoch wie die Wertschöpfung der Apotheken. Würden nicht
auch 100 verschiedene Krankenkassen reichen? Die dort eingesparten
Milliarden würden die Kosten im deutschen Gesundheitswesen nachhaltig
senken.
Wir hoffen, Ihnen und Ihren Beratern ein paar Denkanstöße gegeben zu
haben und bitten Sie dringend, die allfälligen negativen Auswirkungen
Ihrer derzeitigen Pläne auf die Apothekerschaft und deren
Mitarbeiter/-innen gründlichst zu überdenken.
Hochachtungsvoll
Angela Geiß - Norbert Geiß - Steffen Voigt - Thomas Kohl
Algebra GmbH
In der Aue 6
37213 Witzenhausen
Angela Geiß, Geschäftsführerin
Tel: (0 55 42) 5 07 06 60
Fax: (0 55 42) 50 59 93
E-Mail: info@algebra-gmbh.de
http://www.algebra-gmbh.de
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