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Die Anrechnung von Erwerbseinkommen auf Betriebsrenten sorgt für juristische und gesellschaftliche Diskussionen. Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf stellt klar: Unternehmen dürfen Einkünfte aus anderweitiger Tätigkeit auf die Betriebsrente anrechnen – doch die Entscheidung wirft Fragen zu Planungssicherheit, sozialer Gerechtigkeit und gesetzlichem Handlungsbedarf auf. Arbeitnehmer sehen sich finanziellen Einbußen ausgesetzt, während Arbeitgeber betriebswirtschaftliche Stabilität betonen. Was das Urteil bedeutet und warum es die Bundesregierung zum Handeln zwingt.
Die Anrechnung von Erwerbseinkommen auf Betriebsrenten hat eine neue juristische Wendung genommen. In einem Fall, der die rechtlichen Grundlagen der betrieblichen Altersversorgung (bAV) auf den Prüfstand stellt, hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf entschieden, dass die Anrechnung solcher Einkünfte zulässig ist. Die Entscheidung, die am 12. April 2024 gefällt wurde (6 Sa 1198/23), revidiert ein Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 24. Oktober 2023 (2 Ca 1321/23), das diese Praxis noch untersagte.
Der Kläger, ein 1960 geborener Arbeitnehmer, war von 1979 bis 2017 bei dem beklagten Unternehmen tätig. Im Rahmen eines Haustarifvertrags wurde er ab 2017 beurlaubt, wobei ihm eine Betriebsrente zugesichert wurde. Diese setzte sich aus einer gesetzlichen Altersrente, einer Rente der Pensionskasse sowie einem Ruhegeld zusammen. Nachdem der Kläger im Mai 2023 eine gesetzliche Altersrente für langjährig Versicherte bezog und weiterhin einer Erwerbstätigkeit nachging, verweigerte das Unternehmen die Zahlung des Ruhegeldes mit der Begründung, dass gemäß der tariflichen Regelung ein Anrechnungsanspruch bestehe.
Das Arbeitsgericht Wuppertal hatte dem Kläger zunächst Recht gegeben. Es argumentierte, dass § 6 BetrAVG in seiner seit dem 1. Januar 2023 geltenden Fassung eine Anrechnung von Erwerbseinkommen auf Betriebsrenten bei vorzeitiger Inanspruchnahme gesetzlicher Altersrente ausdrücklich ausschließe. Die Regelung solle den Hinzuverdienst fördern und Arbeitnehmern ermöglichen, länger im Arbeitsleben zu verbleiben. Das Unternehmen legte Berufung ein, und das LAG Düsseldorf hob das Urteil auf.
Das LAG begründete seine Entscheidung damit, dass § 6 BetrAVG lediglich die grundsätzliche Anspruchsregelung bei vorzeitiger Altersrente regele, jedoch keine expliziten Vorgaben zur Anrechnung mache. Die Anrechnung werde nach wie vor in § 5 BetrAVG behandelt, der in der aktuellen Gesetzesreform unverändert blieb. Das Gericht argumentierte weiter, dass der Gesetzgeber, hätte er die Anrechnung explizit ausschließen wollen, § 5 BetrAVG entsprechend hätte ändern müssen.
Zudem sah das LAG in der Gesetzesänderung keinen Hinweis darauf, dass der Anreiz des Wegfalls der Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten auch auf die betriebliche Altersversorgung ausgeweitet werden sollte. Die betriebliche Altersversorgung beruhe auf individuellen und tarifvertraglichen Regelungen, die nicht zwangsläufig mit den Grundsätzen der gesetzlichen Rentenversicherung übereinstimmen müssten.
Das Urteil sorgt für erhebliche Diskussionen. Arbeitnehmer befürchten finanzielle Einbußen und einen Eingriff in die Planungssicherheit ihrer Ruhestandsbezüge. Arbeitgeber hingegen sehen ihre Entscheidung durch das Urteil bestätigt und betonen, dass die Anrechnung von Erwerbseinkommen ein notwendiges Mittel sei, um die finanzielle Belastung der betrieblichen Altersversorgung zu steuern.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf zur Anrechnung von Erwerbseinkommen auf Betriebsrenten wirft ein Schlaglicht auf die Spannungsfelder zwischen tarifvertraglicher Freiheit, betriebswirtschaftlichen Interessen und den sozialen Bedürfnissen der Arbeitnehmer. Die juristische Argumentation des LAG, dass die aktuelle Gesetzeslage die Anrechnung nicht ausdrücklich ausschließt, ist schlüssig. Dennoch offenbart diese Entscheidung eine bedeutende Lücke im Betriebsrentengesetz (BetrAVG), die der Gesetzgeber dringend schließen sollte.
Die betriebliche Altersversorgung ist ein wesentliches Instrument zur Absicherung im Ruhestand und bietet vielen Arbeitnehmern eine entscheidende Ergänzung zur gesetzlichen Rente. Wenn nun zusätzliche Erwerbseinkommen angerechnet werden können, drohen erhebliche Einbußen für Rentner, die ihren Lebensstandard durch zusätzliche Tätigkeiten sichern wollen oder müssen. Gleichzeitig wird das Ziel des Gesetzgebers, den Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel durch den Wegfall der Hinzuverdienstgrenze zu bekämpfen, für diesen Bereich ad absurdum geführt.
Die Argumentation des LAG, dass tarifvertragliche Regelungen Vorrang vor einer allgemeinen Regelung im BetrAVG haben, ist zwar nachvollziehbar, doch stellt sich die Frage, ob dies dem Geist der gesetzlichen Reform entspricht. Es entsteht der Eindruck, dass die Reform an den Bedürfnissen vieler Arbeitnehmer vorbeigeht und die rechtlichen Unsicherheiten verstärkt.
Arbeitgeber betonen die Notwendigkeit, durch Anrechnung die finanzielle Stabilität der betrieblichen Altersversorgung zu gewährleisten. Doch dies darf nicht auf Kosten der Arbeitnehmer geschehen, die auf die zugesagten Leistungen vertrauen. Es bedarf klarer gesetzlicher Regelungen, die die Interessen beider Seiten in Einklang bringen und Rechtssicherheit schaffen.
Die Bundesregierung sollte die Entscheidung des LAG zum Anlass nehmen, die gesetzlichen Bestimmungen zur betrieblichen Altersversorgung zu überarbeiten. Eine klarere Abgrenzung zwischen tarifvertraglichen und gesetzlichen Regelungen sowie ein explizites Verbot oder eine eindeutige Regelung zur Anrechenbarkeit von Erwerbseinkommen könnten dazu beitragen, Vertrauen und Planungssicherheit für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen zu stärken.
Dieses Urteil zeigt, dass der Reformbedarf im Bereich der betrieblichen Altersversorgung noch längst nicht abgeschlossen ist. Nur durch gezielte Nachbesserungen kann eine faire und zukunftsfähige Lösung geschaffen werden, die allen Beteiligten gerecht wird.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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